Das Feld der Schwerter Conn Iggulden Imperator #3 Nach der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes wird Julius Cäsar nach Spanien abkommandiert. Begleitet von seiner Legion und seinen Getreuen verbringt er dort mehrere Jahre, in denen er nicht nur Straßen und Befestigungsanlagen bauen lässt, sondern auch durch reiche Goldfunde seine Mittel gewaltig aufstockt. Inzwischen sehen die beiden ehemaligen Widersacher Pompeius und Crassus dem Ende ihres zweijährigen Konsulats entgegen. Pompeius ist entsetzt, als Cäsar mit seiner Legion vorzeitig Spanien verlässt und seine Kandidatur für das Amt eines Konsuls bekannt gibt. Als Kandidat des einfachen Volkes gelingt es dem jungen Mann, die Wahl zu gewinnen. Mittlerweile glaubt Cäsar erkannt zu haben, wo seine Bestimmung liegt; wie sein Vorbild Alexander der Große will er neue Länder erobern und für Rom erschließen. Er beginnt einen Eroberungsfeldzug gegen Gallien. Doch bald schon muss Cäsar erkennen, dass er in dem grausamen Gallierkönig Vercingetorix einen ebenbürtigen Gegner hat. Mittlerweile droht Rom im Chaos zu versinken. Einige Emporkömmlinge aus der Unterschicht kämpfen rücksichtslos um die Vorherrschaft. Als der Pöbel nach einer heftigen Straßenschlacht auf dem Forum schließlich das Senatsgebäude niederbrennt, lässt Pompeius sich zum Diktator ernennen und macht sich daran, mit Hilfe seiner Legionen die Ordnung wieder herzustellen. Will Cäsar seine Macht in Rom verteidigen, muss er gegen eines der ältesten Gesetze des Imperiums verstoßen: An der Spitze seiner Legionen überschreitet er den Rubikon … Autor Conn Iggulden unterrichtete Englisch an der Universität von London und arbeitete sieben Jahre als Lehrer, bevor er schließlich mit dem Schreiben historischer Abenteuerromane begann. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn im englischen Hertfordshire. Die Tore von Rom, der erste Band seiner Imperator-Tetralogie, stand in England wochenlang auf den vordersten Plätzen der Bestsellerlisten. Deutsch von Gerald Jung Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Emperor: The Field of Swords« bei Harper Collins Publishers, London. Für meine Tochter Mia und meine Frau Ella. Ein Teil des Vergnügens, eine Serie von vier Büchern zu schreiben, besteht darin, dass man genug Platz hat, all jenen zu danken, denen Dank gebührt, bevor die Geschichte zu Ende ist. Susan Watt ist eine davon – eine wunderbare Frau, deren Sachverstand und Tatkraft sämtliche Schwierigkeiten geglättet haben. Außerdem möchte ich Toni und Italo D’Urso danken, die mich über Jahre hinweg klaglos ihren alten Amstrad-Computer im Flur benutzen ließen. Schließlich habe ich, der guten Manieren wegen, ihre Tochter geheiratet. Ich habe ihnen viel zu verdanken. Erster Teil 1 Julius stand am geöffneten Fenster und blickte über spanische Hügel. Die untergehende Sonne goss einen goldenen Streifen über einen fernen Bergrücken, als schwebte er wie eine Ader aus gleißendem Licht in der Luft. Das Gespräch hinter Julius wurde leiser und schwoll dann wieder an, ohne ihn aus seinen Gedanken zu reißen. Der Duft von Geißblatt im lauen Abendwind ließ seinen eigenen abgestandenen Schweiß noch stechender riechen, dann war der Blütenduft in der Brise wieder verflogen. Es war ein langer Tag gewesen. Als er eine Hand über die Augen legte, spürte er eine Woge der Erschöpfung wie schwarzes Wasser in sich aufsteigen. Die Stimmen im Besprechungsraum vermischten sich mit dem Knarren der Stühle und dem Rascheln der Landkarten. Wie viele Hunderte solcher Abende hatte er mit diesen Männern schon hier im obersten Stockwerk der Festung verbracht? Diese Routine am Ende eines jeden Tages war für sie alle zu einer tröstlichen Gewohnheit geworden. Selbst wenn es nichts zu besprechen gab, kamen sie hier zusammen, um zu reden und zu trinken. Es hielt die Erinnerung an Rom in ihnen wach, und manchmal konnten sie dabei sogar vergessen, dass sie ihre Heimat seit über vier Jahren nicht gesehen hatten. Anfangs hatte sich Julius auf die Probleme vor Ort gestürzt und manchmal monatelang nicht an Rom gedacht. Während er mit der Sonne aufstand und schlafen ging und die Zehnte Legion Städte in diese Wildnis baute, waren die Tage nur so dahingeflogen. Die Küstenstadt Valencia war mit Hilfe von Holz, Kalk und Farbe inzwischen so sehr verändert worden, dass es beinahe schien, als sei auf der alten eine ganz neue Stadt errichtet worden. Die Legionäre hatten Straßen gebaut, um die verschiedenen Landstriche miteinander zu verbinden und die wilden Berghügel durch Brücken für Siedler zugänglich zu machen. In den ersten Jahren hatte Julius verbissen und mit nach außen hin schier unerschöpflicher Energie gearbeitet. Er hatte die Erschöpfung als Droge benutzt, um seine schmerzlichen Erinnerungen zu vertreiben. Dann schlief er, und Cornelia erschien ihm im Traum. In solchen Nächten verließ er sein schweißnasses Bett und ritt hinaus zu den Wachposten. Unangekündigt tauchte er plötzlich aus der Dunkelheit auf, bis die Zehnte genauso nervös und müde war wie er selbst. Als wollten sie seine Teilnahmslosigkeit verspotten, hatten seine Ingenieure zwei neue Goldadern gefunden, die ergiebiger waren als alle bisherigen. Dieses gelbe Metall hatte eine eigene, ganz besondere Anziehungskraft. Julius hatte mit Verachtung auf die erste Ausbeute, die aus einem Bündel auf seinem Tisch hervorquoll, herabgesehen. Das Gold stand für so viele verhasste Dinge. Mit nichts war er nach Spanien gekommen, dann aber hatte der Boden hier seine Geheimnisse preisgegeben, und mit dem Reichtum kamen auch die Erinnerungen an die alte Heimat und an ein Leben, das er fast vergessen hatte, wieder an die Oberfläche. Bei dem Gedanken daran seufzte er. Spanien war eine solche Schatzkammer, dass es ihm schwer fallen würde, die Provinz wieder zu verlassen. Dabei wusste er, dass er sich hier nicht mehr allzu lange vor sich selbst verstecken durfte. Das Leben war einfach zu kostbar und zu kurz, um es zu vergeuden. Durch die Wärme der vielen Leiber war es stickig im Raum geworden. Die Karten der neuen Minen lagen, mit Gewichten beschwert, ausgebreitet auf den niedrigen Tischen. Julius hörte, wie Renius mit Brutus stritt und Domitius leise in sich hineinlachte. Nur der hünenhafte Ciro sagte nichts. Die beiden Streithähne schienen zu keinem Ergebnis zu kommen, bis Julius sich wieder zu ihnen gesellte. Es waren allesamt gute Männer; ein jeder von ihnen hatte mit ihm gegen Feinde gekämpft und schwierige Zeiten durchgemacht. Manchmal konnte er sich vorstellen, wie es gewesen wäre, mit ihnen die ganze Welt zu erkunden. Diese Männer hatten etwas Besseres verdient, als hier in Spanien einfach vergessen zu werden, und er konnte das Mitgefühl, das er in ihren Augen las, nicht ertragen. Letztendlich hatte er nur ihre Verachtung verdient, weil er sie erst hierher gebracht und sich dann in belangloser Arbeit vergraben hatte. Wenn Cornelia noch am Leben gewesen wäre, hätte er sie nach Spanien mitgenommen. Es wäre ein Neuanfang gewesen, weit weg von Rom und seinen Intrigen. Er senkte den Kopf, und die Abendluft strich kühl über sein Gesicht. Die Wunde war fast verheilt, und manchmal dachte er sogar tagelang nicht mehr an Cornelia. Dann jedoch gewannen seine Schuldgefühle wieder die Oberhand, und wie zur Strafe holten ihn die furchtbaren Albträume wieder ein. »Julius? Ein Wachposten wartet an der Tür auf dich«, sagte Brutus und berührte ihn leicht an der Schulter. Julius nickte und drehte sich wieder zu den Männern um. Seine Augen suchten nach dem Fremden in ihrer Mitte. Der Legionär sah nervös aus. Fahrig glitt sein Blick über die mit Karten und Weinkrügen beladenen Tische, sichtlich beeindruckt von all diesen wichtigen Leuten. »Nun?« Julius sah ihn fragend an. Der Soldat schluckte, als er die dunklen Augen des Befehlshabers auf sich ruhen fühlte. In diesem schmalen, verhärteten Gesicht war keine Spur von Freundlichkeit zu sehen, und der junge Legionär fing leicht an zu stottern. »Ein junger Spanier ist am Tor, Herr. Er sagt, er sei derjenige, den wir suchen.« Die Gespräche im Raum verstummten schlagartig, und der Wachsoldat wünschte sich, er wäre irgendwo anders, überall, nur nicht unter den fragenden Blicken dieser Männer. »Hast du ihn nach Waffen durchsucht?«, fragte Julius. »Ja, Herr.« »Dann bring ihn zu mir. Ich will den Mann sprechen, der mir so viel Ärger gemacht hat.« Julius stand wartend am oberen Ende der Treppe, während der Spanier nach oben gebracht wurde. Seine Gewänder waren für die schlaksige Gestalt viel zu kurz, und die Gesichtszüge waren noch im Wandel vom Jungen zum Manne begriffen, nur die Kinnpartie hatte ihre Weichheit schon gänzlich verloren. Als sich ihre Blicke trafen, zögerte der Spanier und stolperte. »Wie lautet dein Name, Bursche?«, fragte Julius, als sie einander auf gleicher Höhe gegenüberstanden. »Adàn«, brachte der Spanier hervor. »Und du willst meinen Offizier getötet haben?«, erkundigte sich Julius mehr verächtlich als fragend. Der junge Mann erstarrte und nickte dann. Sein Gesichtsausdruck verriet Angst, aber auch Entschlossenheit. Er sah, dass alle Gesichter im Raum ihm zugewandt waren, und bei dem Gedanken, vor sie hinzutreten, schien ihn doch der Mut zu verlassen. Hätte ihn die Wache nicht das letzte Stück über die Schwelle geschoben, wäre er vielleicht zurückgewichen. »Warte unten!«, befahl Julius, plötzlich gereizt, dem Legionär. Adàn weigerte sich, angesichts der feindseligen Blicke der Römer den Kopf zu senken, obwohl er sich nicht daran erinnern konnte, sich jemals in seinem Leben mehr gefürchtet zu haben als in diesem Moment. Als Julius hinter ihm die Tür schloss, fuhr er erschrocken zusammen und verfluchte innerlich seine Nervosität. Er sah zu, wie sich der römische Feldherr setzte und ihn dann interessiert musterte. Eine dumpfe Panik erfasste ihn. Sollte er die Hände an den Seiten lassen? Urplötzlich wusste er nicht mehr wohin mit ihnen, und er überlegte, ob er sie auf dem Rücken verschränken sollte. Die Stille im Raum wurde langsam quälend. Noch immer waren alle Augen auf ihn gerichtet. Adàn schluckte mit einiger Anstrengung, war jedoch fest entschlossen, seine Angst nicht zu zeigen. »Du kannst genug Latein, um mir deinen Namen zu sagen. Kannst du mich verstehen?«, fragte Julius. Adàn sammelte Speichel in seinem trockenen Mund. »Ja, das kann ich«, sagte er. Wenigstens hatte seine Stimme nicht gezittert wie die eines kleinen Jungen. Er reckte ein wenig die Schultern und sah die anderen Männer an. Die offene Feindseligkeit eines von ihnen ließ ihn beinahe zurückweichen. Es war ein Bär von einem Mann mit nur einem Arm, der vor Wut schier zu knurren schien. »Du hast den Wachen gesagt, du seist derjenige, den wir suchen. Der, der den Soldaten getötet hat«, fuhr Julius fort. Adàn richtete den Blick wieder auf ihn. »Das stimmt. Ich habe ihn getötet«, erwiderte er rasch. »Du hast ihn auch gefoltert«, fügte Julius hinzu. Adàn schluckte wieder mühsam. Er hatte sich diese Szene genau ausgemalt, während er über die dunklen Felder zur Festung gelaufen war. Doch den kämpferischen Trotz, mit dem er hatte reagieren wollen, konnte er einfach nicht aufbieten. Stattdessen hatte er irgendwie das Gefühl, als müsse er seinem eigenen Vater Rede und Antwort stehen. Und trotz aller guten Vorsätze schaffte er es nur, wenigstens nicht verlegen auf seine Füße zu starren. »Er hat versucht, meiner Mutter Gewalt anzutun. Da habe ich ihn in den Wald geführt. Sie wollte mich davon abhalten, aber ich habe nicht auf sie gehört«, sagte Adàn steif und versuchte, sich an die genauen Worte zu erinnern, die er hatte sagen wollen. Jemand im Raum murmelte einen Fluch, aber Adàn konnte seine Augen nicht von ihrem Anführer abwenden. Er fühlte sich merkwürdig erleichtert, jetzt, nachdem es endlich heraus war. Jetzt würden sie ihn töten und seine Eltern freilassen. An seine Mutter zu denken war ein Fehler gewesen. Urplötzlich schossen ihm die Tränen in die Augen, die er sofort zornig wieder zurückzudrängen versuchte. Sie würde nicht wollen, dass er vor diesen Männern Schwäche zeigte. Julius beobachtete ihn. Der junge Spanier zitterte sichtlich, und das aus gutem Grund. Er musste nur den Befehl dazu geben und man würde Adàn hinunter in den Hof führen und vor den versammelten Offizieren hinrichten. Dann wäre diese Geschichte ein für alle Mal aus der Welt. Aber irgendetwas hielt Julius davon ab. »Warum hast du dich gestellt, Adàn?« »Meine Familie ist zum Verhör abgeholt worden, Herr. Sie sind unschuldig. Ich bin derjenige, den ihr haben wollt.« »Und du glaubst, dein Tod wird sie retten?« Adàn zögerte. Wie sollte er nur erklären, dass nur dieser winzige Hoffnungsschimmer ihn hatte hierher kommen lassen? »Sie haben nichts Unrechtes getan.« Julius hob die Hand und kratzte sich an der Augenbraue. Dann ließ er den Arm auf die Stuhllehne zurücksinken, während er nachdachte. »Als ich noch jünger war als du jetzt, Adàn, habe ich einmal vor einem Römer namens Cornelius Sulla gestanden. Er hatte meinen Onkel umgebracht und alles zerstört, was mir jemals etwas bedeutet hat. Er sagte zu mir, ich sei frei, wenn ich meine Frau verstoßen und ihren Vater damit beschämen würde. Er liebte solche kleinen Gemeinheiten.« Einen Moment lang schweifte Julius’ Blick ab, und er schien sich in seiner eigenen Vergangenheit zu verlieren. Adàn spürte, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat. Warum redete dieser Mann so mit ihm? Er hatte doch schon alles gestanden, was gab es denn noch? Doch trotz seiner Angst wurde er neugierig. Für die Spanier hatten die Römer immer nur ein Gesicht. Zu hören, dass es auch in ihren eigenen Reihen Rivalitäten und Feinde gab, war für ihn eine Offenbarung. »Ich habe diesen Mann gehasst, Adàn«, fuhr Julius fort. »Hätte ich eine Waffe gehabt, ich hätte ihn auf der Stelle getötet, auch wenn es meinen eigenen Tod bedeutet hätte. Ich frage mich, ob du diese Art von Hass verstehen kannst.« »Und du hast deine Frau nicht aufgegeben?«, fragte Adàn. Julius blinzelte kurz bei der unvermittelten Frage und lächelte dann bitter. »Nein. Ich habe mich geweigert, doch er hat mich am Leben gelassen. Der Boden zu seinen Füßen war mit dem Blut der Menschen besudelt, die er gefoltert und getötet hatte, aber mich ließ er am Leben. Ich habe mich oft gefragt, warum.« »Er hat nicht geglaubt, dass du ihm gefährlich werden könntest«, sagte Adàn. Sein Mut, so mit dem General zu reden, überraschte ihn selbst. Julius schüttelte, noch immer in Gedanken verloren, langsam den Kopf. »Das bezweifle ich. Ich habe ihm gesagt, wenn er mich freiließe, würde ich mein Leben daransetzen, ihn zu töten.« Beinahe hätte er es laut ausgesprochen, wie sein Freund den Diktator vergiftet hatte. Aber diesen Teil der Geschichte durfte er niemals erzählen, nicht einmal den in diesem Raum versammelten Getreuen. Julius zuckte die Achseln. »Am Ende hat ihn jemand anderes umgebracht ... was zu den Dingen in meinem Leben gehört, die ich am meisten bedaure. Dass ich ihn nicht selbst töten und zusehen durfte, wie das Leben langsam aus seinen Augen wich.« Adàn musste den Blick von dem verzehrenden Feuer abwenden, das er in dem Römer lodern sah. Er glaubte ihm jedes Wort, und der Gedanke, dass dieser Mann mit der gleichen Rachsucht seinen eigenen Tod anordnen konnte, ließ ihn schaudern. Eine ganze Weile sagte Julius kein Wort mehr, und Adàn spürte, wie die Anspannung ihm langsam die Kräfte raubte. Als der Römer das Schweigen schließlich doch brach, fuhr Adàns Kopf erschrocken hoch. »Es gibt in Valencia und in unseren Zellen noch andere Mörder. Einer von ihnen wird für dein Verbrechen und für seine eigenen gehängt werden. Dich aber werde ich begnadigen. Ich werde mit meinem Name unterzeichnen, und du wirst mit deiner Familie nach Hause gehen und nie wieder meinen Unwillen erregen.« Renius stieß empört die angehaltene Luft durch die Nase aus. »Ich möchte eine kurze private Unterredung, General«, sagte er mit belegter Stimme und sah Adàn dabei giftig an. Der junge Spanier stand mit vor Überraschung offenem Mund da. »Abgelehnt, Renius. Ich habe gesprochen, und dabei bleibt es«, erwiderte Julius, ohne ihn anzusehen. Stattdessen musterte er weiter den Jungen und fühlte, wie eine Last von seinen Schultern wich. Jetzt wusste er genau, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er hatte sich selbst in dem jungen Spanier gesehen, und es kam ihm vor, als habe sich ein Schleier in seiner Erinnerung gehoben. Wie Furcht erregend Sulla damals auf ihn gewirkt hatte. Für Adàn war Julius wohl auch nur einer dieser grausamen Männer, die sich in metallene Rüstungen und verhärtete Gedanken hüllten. Und wie nahe war er daran gewesen, Adàn pfählen, verbrennen oder ans Tor des Forts nageln zu lassen, so wie Sulla es mit so vielen seiner Feinde getan hatte. Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Sullas Launen Adàn jetzt das Leben retteten. Aber Julius hatte sich gerade noch rechtzeitig zurückgehalten, bevor er das Todesurteil ausgesprochen hatte, und nun fragte er sich insgeheim, was aus ihm geworden war. Nein, er würde nicht zu einem dieser Männer werden, die er damals schon gehasst hatte. Auch das Alter würde ihn nicht in dieses Muster zwängen, solange er es verhindern konnte. Er erhob sich und trat vor Adàn hin. »Ich erwarte von dir, dass du diese Chance nicht vergeudest, denn eine zweite bekommst du von mir nicht.« Adàn wäre beinahe in Tränen ausgebrochen; seine Gefühle drohten ihn zu überwältigen. Er hatte sich schon auf den Tod vorbereitet. Dass er jetzt verschont worden war und man ihm die Freiheit versprochen hatte, war einfach zu viel für ihn. Aus einem Reflex heraus, und bevor jemand ihn daran hindern konnte, machte er einen Schritt nach vorne und beugte das Knie. Julius blickte versonnen auf den jungen Mann vor ihm hinunter. »Wir sind nicht der Feind, Adàn. Denke immer daran. Ich lasse sogleich einen Schreiber die Begnadigung aufsetzen. Warte unten auf mich!«, sagte er schließlich. Adàn stand auf und sah noch ein letztes Mal in die dunklen Augen des Römers, bevor er den Raum verließ. Als sich die Tür hinter ihm schloss, sackte er entkräftet gegen die Wand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihm war ganz schwindelig vor Erleichterung, und jeder Atemzug, den er in die Lunge sog, war rein und kühl. Es war ihm unbegreiflich, warum man ihn verschont hatte. Der Wachposten unten im Vorraum verdrehte sich den Hals, um zu Adàns zusammengesunkener Gestalt heraufzuschauen. »Dann soll ich wohl schon die Messer für dich ins Feuer legen, wie?«, höhnte der Römer. »Heute noch nicht«, erwiderte Adàn und genoss die Verblüffung, die sich auf dem Gesicht des Mannes zeigte. Brutus drückte Julius einen Becher in die Hand und goss geschickt aus einer Amphore Wein hinein. »Erklärst du uns wenigstens, warum du ihn ungeschoren lässt?«, fragte er gelassen. Julius hob den Becher ein wenig an, um zu zeigen, dass er voll genug war. Dann trank er einen Schluck und streckte ihn noch einmal aus. »Weil er tapfer war«, sagte er einfach. Renius rieb sich nachdenklich die Bartstoppeln. »Er wird in den Städten berühmt werden, ist dir das klar? Er wird der Mann sein, der sich uns gestellt und überlebt hat. Sie machen ihn bestimmt zum Bürgermeister, wenn der alte Del Subió einmal stirbt. Die jungen Leute werden sich um ihn scharen, und ehe du dich versiehst ...« »Genug jetzt«, unterbrach ihn Julius ungeduldig. Sein Gesicht war vom Wein schon leicht gerötet. »Das Schwert ist nicht die Antwort auf alles, auch wenn du dir das noch so sehr wünschst. Wir müssen mit ihnen zusammenleben, ohne dass wir unsere Männer immer nur paarweise hinausschicken können und ohne dass wir auf jeder Straße und jedem Weg einen Hinterhalt fürchten müssen.« Er gestikulierte eifrig, während er nach den richtigen Worten für seine Gedanken suchte. »Sie müssen Römer werden wie wir. Sie müssen willens sein, für unsere Sache zu kämpfen und im Kampf gegen unsere Feinde zu sterben. Pompeius hat uns den richtigen Weg gezeigt, als er hier Legionen ausgehoben hat. Ich habe die Wahrheit gesagt, als ich sagte, wir seien nicht der Feind. Verstehst du das?« »Ich verstehe es«, ließ sich plötzlich Ciro vernehmen, und seine tiefe Stimme übertönte Renius’ Antwort. Julius’ Miene hellte sich auf. »Da seht ihr es! Ciro ist zwar nicht in Rom geboren, aber er ist aus freien Stücken zu uns gekommen, und er ist ein Römer.« Wieder rang er nach Worten, weil sich seine Gedanken überschlugen. »Rom ist ... eine Idee. Es ist viel mehr als nur Blut. Wir müssen uns so verhalten, dass es Adàn mehr schmerzen würde uns zu vertreiben, als sich das eigene Herz aus dem Leib zu reißen. Heute Nacht wird er sich vielleicht noch fragen, warum er nicht hingerichtet worden ist. Aber jetzt weiß er, dass es Gerechtigkeit gibt, selbst wenn ein römischer Soldat getötet wurde. Er wird diese Kunde weitertragen, und diejenigen, die an dieser Gerechtigkeit noch zweifeln, werden innehalten und nachdenken. Das ist Grund genug.« »Es sei denn, er hat den Mann nur aus Spaß umgebracht«, warf Renius ein. »Dann erzählt er jetzt seinen Freunden, wir seien schwach und dumm.« Er wagte es nicht weiterzusprechen, ging hinüber zu Brutus und nahm ihm die Amphore aus den Händen. Um sich einzuschenken, hielt er sie in der Beuge seines Ellenbogens, doch er war so aufgebracht, dass er ein wenig Wein auf den Boden schüttete. Julius sah ihm zu, und seine Augen wurden schmal. Er holte tief Luft, um den Jähzorn zu bändigen, der in ihm aufwallte. »Ich werde nicht zu einem Sulla oder Cato werden. Verstehst du wenigstens das, Renius? Ich werde nicht durch Furcht und Hass regieren und jede Mahlzeit aus Angst vor Gift vorkosten lassen. Verstehst du das?« Julius’ Stimme war lauter geworden, und Renius drehte sich zu ihm um. Ihm wurde klar, dass er zu weit gegangen war. Julius hob die zur Faust geballte Hand, ein Bild des blanken Zorns. »Wenn ich Ciro den Befehl dazu gebe, schneidet er dir bei lebendigem Leibe das Herz heraus, Renius. Er ist zwar an der Küste eines anderen Landes geboren, aber er ist ein Römer. Er ist ein Soldat der Zehnten, und er gehört zu mir. Ich binde ihn nicht durch Furcht an mich, sondern durch Liebe. Begreifst du das?« Renius erstarrte. »Das weiß ich, natürlich, du ...« Julius unterbrach ihn mit einer brüsken Handbewegung. Mit einem Mal verspürte er einen bohrenden Kopfschmerz zwischen den Augen. Die Angst, vor allen Anwesenden einen Anfall zu erleiden, ließ seinen Zorn schwinden, er fühlte sich nur noch müde und leer. »Geht jetzt, alle. Holt mir Cabera. Vergib mir meine Ungehaltenheit, Renius. Ich musste wohl mit dir streiten, um meine eigenen Gedanken zu verstehen.« Renius nickte und nahm die Entschuldigung an. Gemeinsam mit den anderen verließ er den Raum und ließ Julius allein zurück. Das Abendrot war beinahe in der Nacht versunken, und Julius zündete die Lampen an, bevor er sich wieder ans offene Fenster stellte. Er presste die Stirn gegen den kühlen Stein. Der Kopfschmerz pochte in seiner Stirn, und er stöhnte leise. Er massierte sich die Schläfen mit kleinen kreisenden Bewegungen, so wie Cabera es ihm gezeigt hatte. Es gab noch so viel zu tun, doch da war auch ständig diese leise innere Stimme, die ihn zu verhöhnen schien. Wollte er sich hier in diesen Bergen wirklich nur verstecken? Einst hatte er davon geträumt, im Senat zu stehen, und jetzt hatte er solche Angst davor. Cornelia war tot, und Tubruk war mit ihr gestorben. Seine eigene Tochter war eine Fremde für ihn, die in einem Haus lebte, dem er in sechs Jahren nur einen einzigen Besuch abgestattet hatte. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er nur zu gerne seine Kraft und seinen Verstand mit Männern wie Sulla und Pompeius gemessen hätte. Aber jetzt wurde ihm allein bei dem Gedanken daran, sich in ihre Machtspiele einzumischen, vor lauter Hass fast schlecht. Gewiss, ganz gewiss war es besser, hier in Spanien ein neues Zuhause aufzubauen, eine Frau zu finden und seine alte Heimat nie wiederzusehen. »Ich kann einfach nicht mehr zurück«, sagte er laut, und seine Stimme brach. Renius fand Cabera in den Ställen, wo er einen Abszess am Huf eines Kavalleriepferdes aufstach. Die Pferde schienen stets zu verstehen, dass er nur versuchte, ihnen zu helfen, und selbst die lebhaftesten standen schon nach ein paar beruhigenden Worten und Klapsen still. Sie waren allein, und Renius wartete, bis Caberas Nadel das Geschwür aufgestochen hatte und er mit sanften Fingern den Eiter herausdrückte. Das Pferd zitterte leicht, als sei gerade ein Schwarm Fliegen auf ihm gelandet. Aber Cabera war noch nie getreten worden, und auch diesmal lag das Bein des Pferdes ruhig in seinen Händen. »Er verlangt nach dir«, sagte Renius. Sein Tonfall ließ Cabera aufblicken. »Reichst du mir bitte diese Schale dort?« Renius reichte ihm das Töpfchen mit dem klebrigen Teer, der die Wunde verschließen würde. Er sah zu, wie Cabera ruhig und wortlos weiterarbeitete. Erst als die Wunde rundum versorgt war, drehte sich Cabera zu ihm um. Von seiner üblichen Bereitschaft, Scherze zu machen, war nichts zu bemerken. »Du machst dir Sorgen um Julius«, stellte der alte Heiler fest. Renius zuckte die Achseln. »Er bringt sich in diesem Land noch selbst um. Natürlich mache ich mir Sorgen. Er schläft nicht und verbringt seine Nächte lieber mit der Arbeit an den Minen und über den Karten. Es hat fast den Anschein, als könnte ich nicht einmal mehr mit ihm reden, ohne dass es gleich in Streit ausartet.« Cabera legte die Hand auf die eisenharten Muskeln von Renius’ Arm. »Er weiß, dass du für ihn da bist, wenn er dich braucht«, sagte er tröstend. »Ich gebe ihm heute Abend einen Schlaftrunk. Vielleicht solltest du auch etwas davon trinken. Du siehst erschöpft aus.« Renius schüttelte den Kopf. »Tu für ihn, was du kannst, alter Mann. Er verdient etwas Besseres als das hier.« Cabera sah dem einarmigen Gladiator nach, als er in der Dunkelheit verschwand. »Du bist ein guter Mann, Renius«, sagte er so leise, dass es kaum zu hören war. 2 Servilia stand an der Reling des kleinen Handelsschiffes und sah den hin- und hereilenden Menschen auf dem Kai zu, auf den sie langsam zusteuerten. Hunderte kleiner Boote lagen vor dem Hafen von Valencia, und der Handelskapitän hatte bereits zwei Fischerboote, die auf sein Schiff zugesteuert waren, angewiesen, abzudrehen. Es schien überhaupt keine Ordnung in dem Durcheinander zu geben, und Servilia lächelte, als der nächste junge Spanier einen Fisch hochhielt und ihr einen Preis zurief. Sie bemerkte, wie geschickt der Mann im Stehen das Schwanken seines kleinen Bootes ausglich. Er trug nur ein knappes Tuch um die Hüften, und von einem Riemen an einem breiten Gürtel baumelte ein Messer herab. Servilia genoss den schönen Anblick. Der Kapitän forderte ihn wild fuchtelnd zum Abdrehen auf, doch der Fischer ließ sich nicht verscheuchen. Er witterte ein Geschäft mit der Frau, die ihm von dort oben herab so kokett zulächelte. »Ich will ihm seinen Fang abkaufen, Kapitän«, sagte Servilia. Der römische Kaufmann runzelte die Stirn und zog missmutig die Augenbrauen zusammen. »Es ist schließlich dein Geld. Aber im Hafen sind die Preise besser«, antwortete er. Sie klopfte ihm auf die Schulter, und sein Missmut machte Verwirrung Platz. »Das mag schon sein, aber es ist sehr heiß, und nachdem wir schon so lange hier an Bord sind, würde ich gern etwas Frisches essen.« Der Kapitän wirkte nicht sehr überzeugt, gab aber nach, hob das schwere Seil auf und warf es über die Reling. Der Fischer band das Seilende an ein Netz zu seinen Füßen und kletterte dann an Deck. Oben angekommen, schwang er mit gekonnter Leichtigkeit die Beine über die Reling. Der junge Spanier war von der Arbeit braun gebrannt und muskulös, ein Hauch von Salz schimmerte weiß auf seiner Haut. Er verbeugte sich tief unter den wohlwollenden Blicken und zog sein Netz herauf. Mit Kennerblick betrachtete Servilia das Spiel seiner Muskeln an Armen und Schultern. »Treibt dein Boot nicht ab?«, fragte sie ihn. Der junge Spanier öffnete den Mund, um zu antworten, doch der Kapitän schnaubte verächtlich. »Er spricht nur seine eigene Sprache, fürchte ich. So etwas wie Schulen haben sie hier nicht. Die müssen wir schon selber bauen.« Servilia sah das verächtliche Aufblitzen in den Augen des jungen Mannes. Ein dünnes Seil am Ende des Netzes hing lose zum Boot hinab, und mit einer schnellen Handbewegung schlang der Spanier es um die Reling. Als Antwort auf Servilias Frage klopfte er auf den gerade geschlungenen Knoten. Im Netz wanden sich mehrere dunkelblaue Fische. Erschrocken wich Servilia einen Schritt zurück, als sie sich beim Auftreffen auf dem Deck zusammenzogen und hochsprangen. Der Fischer lachte über ihr Unbehagen und zog einen dicken Fisch am Schwanz aus dem Gewimmel. Der Fisch war so lang wie sein Arm und immer noch sehr lebendig. Servilia sah, wie die Augen des Tieres wild hin- und herrollten, während er sich in der Hand des Fischers wand. Seine blaue Haut glänzte, vom Kopf bis zum Schwanz zog sich ein dunklerer Streifen. Sie nickte und hielt bei dem fragenden Blick des Fischers fünf Finger hoch. »Reichen fünf Fische für die Mannschaft, Kapitän?«, fragte sie. Der Römer brummte zustimmend und pfiff nach zwei Matrosen, die die Fische entgegennehmen sollten. »Ein paar Kupfermünzen werden ausreichen, Herrin«, riet er. Servilia löste ein breites weißes Band vom Handgelenk und brachte ein paar kleine Münzen zum Vorschein. Sie wählte eine Silbersesterze und gab sie dem jungen Mann. Überrascht hob er die Augenbrauen, legte noch einen weiteren großen Fisch zu den anderen und zog die Fangleine wieder zusammen. Bevor er den Knoten an der Reling löste, sah er den Kapitän noch einmal triumphierend an, dann sprang er kopfüber in das tiefblaue Wasser unter ihnen. Servilia beugte sich über die Reling, um ihn wieder auftauchen zu sehen. Sie lachte, als er sich in sein Boot zog, denn im Sonnenlicht glänzte er ebenso nass wie einer seiner Fische. Er zog sein Netz aus dem Wasser und winkte ihr zu. »Was für ein schöner Anfang«, seufzte sie und atmete tief durch. Der Kapitän murmelte etwas Unverständliches. Die Matrosen mit den Fischen holten Holzkeulen aus einer Deckskiste, und bevor Servilia begriff, was sie vorhatten, krachten die hölzernen Keulen mit widerlichen dumpfen Lauten auf die glänzenden Köpfe der Fische. Die strahlenden Augen verschwanden unter der Wucht der Schläge, wurden in das Innere der Köpfe getrieben, Blut spritzte über das Deck. Servilia verzog angeekelt das Gesicht, als ein paar Spritzer ihren Arm besudelten. Den Matrosen bereitete ihr rohes Tun sichtlich Freude. Auf der ganzen Reise von Ostia bis hierher hatten sie nicht so lebendig gewirkt. Es schien ganz so, als entfachte das Töten neues Leben in ihnen. Sie lachten und scherzten miteinander, während sie ihr grausiges Werk vollendeten. Als auch der letzte Fisch getötet war, war das Deck über und über mit Blut und kleinen silbernen Schuppen bedeckt. Servilia sah zu, wie die Matrosen einen Segeltucheimer an einem Seil über Bord warfen und dann die Planken abspülten. »Der Hafen ist voll mit Schiffen«, sagte der Kapitän hinter ihr und blinzelte gegen die Sonne. »Ich bringe unseres so weit wie möglich hinein, aber wir müssen wohl für ein paar Stunden vor Anker gehen, bis wieder ein Platz am Kai frei wird.« Servilia drehte sich noch einmal um und sah nach Valencia hinüber. Plötzlich sehnte sie sich danach, wieder an Land zu sein. »Wie du meinst, Kapitän«, murmelte sie. Die Berge hinter dem Hafen schienen den Horizont gänzlich auszufüllen. Grün und rot zeichneten sie sich vor dem dunklen Blau des Himmels ab. Irgendwo dort an Land war ihr Sohn Brutus, und sie freute sich unbändig darauf, ihn nach so langer Zeit endlich wiederzusehen. Als sie an den jungen Mann dachte, der sein Freund war, krampfte sich ihr eigenartig der Magen zusammen, fast schmerzhaft. Sie fragte sich, wie die Jahre ihn wohl verändert hatten, und fuhr sich unwillkürlich übers Haar. Sorgfältig strich sie sich die losen Strähnen glatt, die von der Seeluft feucht geworden waren. Bis das römische Handelsschiff endlich zwischen den vor Anker liegenden Schiffen seinen Platz am Kai einnehmen konnte, hatte der späte Nachmittag die Hitze der Sonne zu einem weichen Grau gedämpft. Servilia hatte drei ihrer schönsten Mädchen mitgebracht, die sich jetzt zu ihr an Deck gesellten. Die Matrosen warfen den Hafenarbeitern unten auf dem Kai die Taue zu und benutzten die Steuerruder, um das Schiff langsam und vorsichtig seitlich an die massiven Holzbalken des Kais zu manövrieren. Es war ein sehr heikles Manöver, und der Kapitän stellte sein Können mit der Genauigkeit unter Beweis, mit der er den Maat am Bug durch Handzeichen und Zurufe dirigierte. Es herrschte allgemein eine aufgeregte Stimmung. Die jungen Mädchen in Servilias Begleitung lachten und scherzten mit den Hafenarbeitern, die ihnen anzügliche Bemerkungen zuriefen. Servilia ließ sie schweigend gewähren. Jede der drei war eine Besonderheit in ihrem Gewerbe, und sie hatten den Spaß an ihrer Arbeit noch nicht verloren. Angelina, die Jüngste unter ihnen, verliebte sich sogar dauernd in ihre Kunden, und es dauerte nie lange, bis wieder irgendein romantischer Werber ein Angebot machte, sie zum Zwecke der Heirat zu kaufen. Jedes Mal schien sie jedoch der hohe Preis abzuschrecken, und Angelina schmollte dann tagelang, bis sie wieder hemmungslos für einen anderen schwärmte. Die Mädchen waren so züchtig gekleidet wie Töchter aus gutem Hause. Servilia hatte enormen Wert auf ihre Sicherheit gelegt, denn sie wusste, dass selbst kurze Seereisen bei Männern eine gewisse Zügellosigkeit hervorriefen, die für unnötigen Ärger gesorgt hätte. Daher waren die Gewänder der jungen Mädchen so geschnitten, dass sie die wohlgeformten Gestalten ihrer jungen Körper verhüllten, doch in den Truhen, die Servilia mitgebracht hatte, lagen gewagtere Kleider für sie bereit. Wenn das, was in Brutus’ Briefen stand, wirklich stimmte, musste es hier einen hervorragenden Markt für sie geben. Die drei Mädchen sollten die ersten in dem neuen Haus sein, das sie hier zu kaufen beabsichtigte. Die Seeleute, die unter dem Gewicht der schweren Truhen ächzten und stöhnten, wären über die Unmenge Gold, die sich darin befand, bestimmt entgeistert gewesen. Servilias eingehende Betrachtung des Hafens wurde von Angelinas jähem Quieken unterbrochen. Ihrem schnellen Seitenblick entging weder Angelinas erfreute Empörung noch der Matrose, der eilig davonhuschte. Es war wirklich allerhöchste Zeit, dass sie an Land kamen. Der Kapitän rief den Hafenarbeitern zu, die Haltetaue festzuzurren. Bei dem Befehl jubelte die Mannschaft, die sich bereits auf die Vergnügungen im Hafen freute. Servilia fing den Blick des Kapitäns auf, und er kam über das Deck zu ihr herüber. Ganz plötzlich war er freundlicher und aufgeschlossener, als sie es ihm zugetraut hätte. »Wir können die Ladung erst morgen früh löschen«, sagte er. »Wenn du aber schon jetzt an Land gehen möchtest, kann ich dir ein paar Häuser empfehlen. Ich habe hier auch einen Vetter, der dir zu einem guten Preis so viele Karren vermietet, wie du willst.« »Vielen Dank, Kapitän. Es war mir ein großes Vergnügen.« Servilia lächelte ihn an und sah erfreut, wie sich seine Wangen röteten. Zufrieden stellte sie fest, dass Angelina also nicht die Einzige mit einem Gefolge von Verehrern hier an Bord war. Der Kapitän räusperte sich verlegen und hob das Kinn, um weiterzusprechen. Plötzlich kam er ihr sehr nervös vor. »Ich werde später alleine zu Abend essen. Vielleicht möchtest du mir ja Gesellschaft leisten. Ich lasse frisches Obst an Bord kommen, das Abendessen wird also wesentlich schmackhafter sein als das, was wir von der Reise gewohnt sind.« Servilia legte ihm die Hand auf den Arm und spürte die Wärme seiner Haut durch den Stoff der Tunika hindurch. »Ich fürchte, das müssen wir ein anderes Mal nachholen. Ich möchte mich nämlich gern schon bei Tagesanbruch auf den Weg machen. Wäre es dir möglich, meine Truhen zuerst auszuladen? Ich spreche bei der Legion vor, damit man mir eine Wache abstellt, bis die Karren beladen sind.« Der Kapitän nickte und versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen. Sein erster Maat hatte zwar gesagt, die Frau sei eine Hure, aber ihr Geld anzubieten, um sie zum Bleiben zu bewegen, würde womöglich zu einer äußerst peinlichen Situation führen. Einen Augenblick wirkte er so schrecklich einsam, dass Servilia schon überlegte, ob vielleicht Angelina ihn aufheitern sollte. Die kleine Blonde liebte ältere Männer, denn die waren schon für die kleinsten Aufmerksamkeiten dankbar. Doch als Servilia ihn betrachtete, war sie sich fast sicher, dass er das Angebot ablehnen würde. Männer in seinem Alter wünschten sich fast ebenso oft wie rein körperliche Vergnügungen die Gesellschaft einer reiferen Frau. Angelinas derbe Direktheit wäre ihm wahrscheinlich lediglich peinlich gewesen. »Deine Truhen werden als allererste auf dem Dock stehen, Herrin. Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite«, antwortete er und sah ihr wehmütig nach, als sie die Leiter zum Kai hinunterstieg. Ein paar Männer seiner Mannschaft drückten sich ganz in der Nähe herum, für den Fall, dass eines der jungen Mädchen beim Übersteigen der Reling strauchelte. Die Augenbrauen des Kapitäns zogen sich missmutig zusammen, als er sie abschätzend beäugte, dann folgte er Servilia jedoch nach kurzem Nachdenken. Sein Instinkt sagte ihm, dass er den Männern beim Löschen der Ladung ein wenig helfen sollte. Julius war völlig in seine Arbeit vertieft, als die Wache an die Tür klopfte. »Was gibt es denn?« Der Legionär sah ungewöhnlich nervös aus und salutierte. »Ich glaube, du kommst am besten mit hinunter zum Tor und siehst es dir selbst an, Herr.« Julius zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch er folgte dem Mann die Treppe hinunter und hinaus in die heiße Nachmittagssonne. Eine seltsame Spannung herrschte unter den Soldaten, die sich um das Tor scharten. Als sie auseinander wichen, um ihm Platz zu machen, bemerkte Julius, dass ein paar der Männer nur mühsam ein Grinsen unterdrückten. Ihre offensichtliche Belustigung und die drückende Hitze schienen den inneren Groll nur noch anzufachen, der in den wachen Stunden zu seinem ständigen Begleiter geworden war. Vor dem offenen Tor stand eine Reihe schwer beladener Karren, deren Fahrer mit dem Staub der Straße bedeckt waren. Zwanzig Männer der Zehnten hatten vor und hinter dem seltsamen Zug Aufstellung genommen. Julius’ Augen verengten sich, als er einen der Offiziere erkannte, der tags zuvor für die Aufsicht am Hafen abgestellt worden war, und seine Laune verschlechterte sich noch mehr. Auch die Legionäre waren ebenso staubig wie die Karren, was bedeutete, dass sie offensichtlich den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt hatten. Julius starrte den Haufen ungläubig und fassungslos an. »Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, den Befehl gegeben zu haben, Handelsgüter von der Küste hierher zu eskortieren«, blaffte er wütend. »Ich hoffe, ihr habt einen wirklich guten Grund dafür, dass ihr eure Posten verlassen und meinen Befehlen zuwider gehandelt habt. Mir fällt kein guter Grund dafür ein, aber ich lasse mich gerne überraschen.« Der Offizier erblasste unter seiner Staubschicht. »Herr, die Dame ... «, begann er zögerlich. »Was? Welche Dame?«, herrschte ihn Julius wütend an. Das Zögern des Mannes ließ ihn langsam die Geduld verlieren. Da erhob sich eine andere Stimme, die er sofort wiedererkannte, und er zuckte unwillkürlich zusammen. »Ich habe deinen Männern gesagt, du könntest unmöglich etwas dagegen haben, wenn sie einer alten Freundin von dir behilflich sind«, sagte Servilia, stieg von dem Kutschbock eines Wagens herunter und kam auf ihn zu. Einen Moment fehlten Julius die Worte. Ihr dunkles Haar stand zerzaust um ihren Kopf, und er sog ihren Anblick gierig in sich ein. Obwohl sie von Männern umgeben war, wirkte sie sehr bestimmt und souverän, und sie schien sich der Aufregung, die sie verursachte, voll und ganz bewusst zu sein. Wie eine Katze auf der Jagd setzte sie langsam und bedächtig einen Fuß vor den anderen. Ihr einfaches, braunes Gewand ließ Arme und Hals frei, und sie trug keinen Schmuck, außer einer schlichten Goldkette mit einem Anhänger, der in der Mulde zwischen ihren Brüsten kaum zu sehen war. »Servilia. Du hättest unsere Freundschaft nicht überstrapazieren sollen«, sagte Julius steif. Sie zuckte die Achseln und lächelte, als habe sie den Tadel in seiner Stimme gar nicht wahrgenommen. »Ich hoffe, du bestrafst die Männer nicht dafür, General. Im Hafen kann es ohne Begleitung sehr gefährlich sein. Aber ich hatte ja niemanden, der mir beistand.« Julius sah sie kalt an, bevor er den Blick wieder auf den Offizier richtete. Der Mann war dem Wortwechsel gefolgt und stand jetzt mit dem glasigen Blick eines Menschen da, der auf schlechte Neuigkeiten gefasst ist. »Meine Befehle waren doch klar und eindeutig, oder?«, fragte ihn Julius. »Ja, Herr.« »Dann wirst du mit deinen Männern die nächsten beiden Wachen übernehmen. Durch deinen Rang trägst du mehr Verantwortung für diesen Fehler als sie. Oder nicht?« »Doch, Herr«, erwiderte der unglückliche Soldat. Julius nickte. »Wenn du fertig bist, meldest du dich zum Auspeitschen bei deinem Zenturio. Sag ihm, mein Befehl laute zwanzig Schläge. Außerdem soll dein Name auf die Liste der Ungehorsamen gesetzt werden. Und jetzt marschiert ihr im Laufschritt zurück!« Der Offizier salutierte hastig und machte auf dem Absatz kehrt. »Kehrt Marsch!«, brüllte er seinen zwanzig Männern zu. »Im Laufschritt zurück zum Hafen!« Weil Julius immer noch da stand, traute sich keiner der Männer laut zu stöhnen. Sie wussten sehr wohl, dass sie völlig erschöpft sein würden, ehe sie auch nur die halbe Strecke zu ihrem ursprünglichen Posten zurückgelegt hatten. Und die beiden zusätzlichen Wachen würden sie wahrscheinlich vor Müdigkeit umfallen lassen. Julius sah ihnen nach, bis sie sich weit von den Karren entfernt hatten. Erst dann wandte er sich wieder Servilia zu. Sie stand stocksteif da und versuchte, sich ihre Verblüffung und ihr schlechtes Gewissen über das, was sie mit ihrer einfachen Bitte ausgelöst hatte, nicht anmerken zu lassen. »Bist du gekommen, um deinen Sohn zu besuchen?«, fragte Julius stirnrunzelnd. »Er exerziert mit der Legion und müsste bei Einbruch der Nacht wieder zurück sein.« Dann blickte er wieder auf die Karren mit den brüllenden Ochsen. Offensichtlich war er zwischen seinem Zorn über den unangemeldeten Besuch und dem Gebot der Höflichkeit hin- und hergerissen. Nach einer quälend langen Stille gab er schließlich nach. »Du kannst drinnen auf Brutus warten. Ich werde veranlassen, dass man die Tiere tränkt und dass du etwas zu essen bekommst.« »Vielen Dank für deine Gastfreundschaft«, erwiderte Servilia lächelnd, um ihre Verwirrung zu verbergen. Sie verstand die Veränderungen nicht, die in dem jungen General vorgegangen waren. Ganz Rom wusste zwar, dass er seine Frau verloren hatte, doch es schien ihr, als spräche sie mit einem gänzlich anderen Mann als dem, den sie damals kennen gelernt hatte. Dunkle Ringe umschatteten seine Augen, doch das war nicht nur gewöhnliche Müdigkeit. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er gerade im Begriff gewesen, Spartakus zu bekämpfen, und das Feuer in ihm schien damals lichterloh zu brennen. Sie empfand Mitleid für ihn und für das, was er verloren hatte. Just in diesem Moment sprang Angelina von einem Karren am hinteren Ende der Reihe, winkte und rief Servilia etwas zu. Sowohl Julius als auch Servilia erstarrten beim Klang ihrer mädchenhaften Stimme. »Wer ist das?«, fragte Julius und kniff wegen des blendenden Sonnenlichtes die Augen zusammen. »Eine Begleiterin, General. Ich habe mir für die Reise drei Begleiterinnen mitgenommen.« Etwas in ihrem Ton ließ Julius einen misstrauischen Blick auf sie werfen. »Sind sie etwa ...« »Gefährtinnen, sehr persönliche Gefährtinnen, General«, schnitt sie ihm freundlich das Wort ab. »Alles gute Mädchen.« Und wenn der Preis stimmte, konnten sie einfach fantastisch sein, fügte sie im Stillen ironisch hinzu. »Ich lasse eine Wache vor ihre Tür stellen. Die Männer sind es nicht gewohnt, dass ... « Er zögerte und setzte dann erneut an. »Vor der Tür könnte unter Umständen eine Wache nötig sein.« Servilia stellte belustigt fest, dass sich Julius’ Wangen leicht röteten. Also war tief im Innern doch noch Leben in ihm. Ihre Nasenflügel bebten leicht bei der Aussicht auf eine Eroberung. Als Julius durch die Tore zurückging, schaute sie ihm vergnügt nach, sog ihre volle Unterlippe zwischen die Zähne und lächelte. Also war sie doch noch nicht zu alt. Gedankenverloren glättete sie ihr widerspenstiges Haar mit den Händen. Auf den letzten Meilen des Rückwegs zur Festung dehnte und streckte Brutus seine Rückenmuskeln. Seine Zenturie der Extraordinarii ritt in Formation hinter ihm, und wenn er sich nach den in Reih und Glied galoppierenden Pferden umsah, war er ein wenig stolz. Domitius ritt rechts neben ihm, Octavian in der gleichen Reihe etwas weiter außen. Einträchtig donnerten sie über die Ebene und wirbelten eine gewaltige Staubwolke auf, die einen bitteren Geschmack im Mund hinterließ. Die Luft war angenehm warm, und die Männer waren guter Stimmung. Sie waren zwar müde, doch es war die angenehme Trägheit nach getaner Arbeit. Außerdem warteten in der Festung ordentliches Essen und ein erholsamer Nachtschlaf auf sie. Als das Gebäude in Sicht kam, rief Brutus Domitius über das Getrappel der Pferde hinweg zu: »Wir sollten ihnen ein Schauspiel bieten. Auf mein Zeichen hin teilen und ausschwärmen!« Er wusste, dass die Wachen am Tor zusehen würden, wie sie heranritten. Obwohl es die Extraordinarii erst seit weniger als zwei Jahren gab, hatte ihm Julius alles an Männern und Pferden gegeben, was er sich gewünscht hatte, und er hatte sich nur die Allerbesten der Zehnten ausgesucht. Auf jeden Einzelnen von ihnen hätte Brutus eine Wette gegen jede Armee der Welt abgeschlossen. Sie waren diejenigen, die die ersten Angriffswellen der Feinde aufrieben, immer die Ersten, an den unmöglichsten Positionen. Jeder von ihnen war wegen seiner Geschicklichkeit mit Schwert und Pferd ausgewählt worden, und Brutus war stolz auf sie alle. Er wusste, dass der Rest der Zehnten sie eher als Angeber denn als Kämpfer ansah, aber die Legion hatte während ihrer Zeit hier in Spanien noch keine Schlacht schlagen müssen. Wenn die Extraordinarii erst einmal ihre Feuertaufe hinter sich hatten und zeigen konnten, wozu sie fähig waren, würde das die Kosten leicht rechtfertigen, da war sich Brutus ganz sicher. Allein die Rüstungen hatten ein Vermögen gekostet: Miteinander verbundene Bronze- und Eisenstreifen gaben ihnen eine größere Bewegungsfreiheit als die schweren Panzer der einfachen Legionäre. Die Männer von Brutus’ Extraordinarii hatten das Metall auf Hochglanz poliert, und nun glänzte es mit dem schimmernden Fell ihrer Pferde im Abendrot um die Wette. Brutus hob die Hand, gab nach links und rechts ein Zeichen und spornte sein Pferd zu einem schärferen Galopp an. Hinter ihm teilte sich die Reitergruppe so gleichmäßig und reibungslos, als verliefe eine unsichtbare Trennlinie auf dem Boden zwischen ihnen. Der Wind schlug Brutus ins Gesicht, und er lachte voller Begeisterung. Er brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, dass die Formation hinter ihm vollkommen war. Schaumflocken flogen vom Maul seines Pferdes. Er lehnte sich über das Sattelhorn nach vorn, verstärkte den Druck seiner Schenkel und kam sich beinahe so vor, als flöge er. Sie näherten sich der Festung mit erstaunlicher Geschwindigkeit, und beinahe hätte Brutus, versunken in den Augenblick, vergessen, der aufgelösten Schwadron das Signal zu geben, sich neu zu formieren. Erst Augenblicke bevor sie die Pferde zügeln mussten, schwenkten die beiden Gruppen wieder zusammen, doch es funktionierte trotz allem reibungslos. Wie ein Mann stiegen alle gleichzeitig ab und klopften die Nacken der dampfenden Hengste und Wallache, die Julius aus Rom hatte herüberbringen lassen. Gegen eine feindliche Armee konnten nur kastrierte Tiere eingesetzt werden, denn der Geruch einer rossigen Stute konnte einen Hengst jederzeit durchgehen lassen. Es war ein schwieriger Balanceakt, einerseits die besten Tiere für die Extraordinarii auszuwählen, andererseits hervorragende Zuchtlinien zu gewährleisten. Selbst die hier ansässigen Spanier pfiffen anerkennend, wenn sie diese Tiere sahen. Ihre Liebe zur Pferdezucht ließ sie die übliche Zurückhaltung den Römern gegenüber vergessen. Brutus lachte gerade über etwas, das Domitius gesagt hatte, als er seine Mutter erblickte. Seine Augen weiteten sich überrascht, und er rannte eilig unter dem Torbogen hindurch, um sie zu umarmen. »Davon hast du in deinen Briefen überhaupt nichts gesagt!«, sagte er, hob sie hoch und küsste sie auf beide Wangen. »Ich dachte, dann würdest du es vor lauter Vorfreude gar nicht mehr aushalten«, erwiderte Servilia schelmisch. Sie mussten beide lachen, und er setzte sie wieder ab. Servilia hielt ihn eine Armeslänge von sich und lächelte, glücklich darüber, ihn so gesund und munter zu sehen. Die Jahre in Spanien waren ihrem einzigen Sohn sehr gut bekommen. Er hatte eine Lebenskraft in sich, die andere Männer in seiner Gegenwart aufrichtete und zu ihm aufsehen ließ. »Du bist so hübsch wie immer«, sagte sie mit einem Augenzwinkern. »Ich nehme an, eine Menge Mädchen hier verzehren sich nach dir.« »Ich wage es kaum, ohne Leibwache einen Fuß auf die Straße zu setzen, die mich vor diesen unglücklichen Geschöpfen schützt«, erwiderte er grinsend. Plötzlich schob sich Domitius in ihr Blickfeld. Er hatte lange genug gewartet und wollte endlich vorgestellt werden. »Ach ja, das ist Domitius, unser Pferdeknecht. Und kennst du Octavian? Er ist ein Verwandter von Julius.« Brutus grinste über Domitius’ entgeisterten Gesichtsausdruck und winkte Octavian näher heran. Octavian war einfach nur überwältigt und versuchte sich an einem Salut, der Brutus zum Lachen brachte. Der Eindruck, den seine Mutter auf andere Menschen machte, war ihm so vertraut, dass es ihn nicht mehr sonderlich überraschte. Dennoch bemerkte er sehr wohl, dass sie mittlerweile inmitten eines Bewundererkreises aus Extraordinarii standen, die sich gegenseitig verstohlen in die Seite stießen und auf den Neuankömmling in der Mitte aufmerksam machten. Servilia winkte ihnen freundlich zu. Nach den langweiligen Monaten auf See genoss sie die Aufmerksamkeit sehr. Junge Männer versprühten eine ganz besondere Lebenskraft, denn die Angst vor dem Alter oder gar dem Tod ließ sie noch völlig unberührt. Unschuldig wie Götter standen sie um sie herum und steckten sie mit ihrem Optimismus an. »Hast du Julius schon gesehen, Mutter? Er ... « Brutus brach jäh ab, als er die plötzliche Stille im Hof bemerkte. Drei junge Frauen traten unter einem Torbogen hervor, und sofort teilte sich die Gruppe der Soldaten vor ihnen. Eine jede war auf ihre Art eine Schönheit. Die Jüngste war blond und sehr grazil gebaut. Eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen, als sie auf Servilia zuging. Ihr folgten zwei weitere Mädchen von so erlesener Schönheit, dass es erwachsenen Männern den Atem verschlagen konnte. Der Bann ihres Auftritts war gebrochen, als jemand einen leisen, anerkennenden Pfiff hören ließ und wieder Leben in die Gruppe kam. Als Angelina vor ihr stehen blieb, zog Servilia missbilligend eine Braue hoch. Das Mädchen wusste ganz genau, was es tat, und Servilia hatte das von Anfang an erkannt. Angelina war genau die Sorte Frau, um die Männer sich zu schlagen bereit waren. Meist reicht ihre Anwesenheit in einer Taverne schon aus, um eine Schlägerei auszulösen, noch bevor der Abend zu Ende war. Als Servilia sie fand, war sie Schankmagd gewesen und hatte das verschenkt, wofür Männer sehr gut zu zahlen bereit waren. Sie hatte nicht viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, als sie ihr die entsprechenden Summen genannt hatte. Servilia hatte immer zwei Fünftel von dem behalten, was Angelina in dem Haus in Rom verdient hatte, trotzdem wurde die junge Blondine langsam aber sicher selbst zu einer wohlhabenden Frau. So wie die Dinge lagen, würde sie wohl in ein paar Jahren ihr eigenes Haus eröffnen wollen, und sie würde sich wegen eines entsprechenden Kredits bestimmt an Servilia wenden. »Wir haben uns um dich gesorgt, Herrin«, log Angelina unbekümmert. Brutus betrachtete sie mit unverhohlenem Interesse, und sie erwiderte seine Blicke ohne jede Scham. Unter dem fragenden Blick des Mädchens konnte er den Verdacht, den er insgeheim hegte, wohl kaum bestätigen. Obwohl er sich stets sagte, er habe sich mit Servilias Beruf abgefunden, machte ihn der Gedanke, auch seine Männer könnten jetzt darüber Bescheid wissen, doch unsicherer, als er es sich selbst eingestehen wollte. »Würdest du uns bitte vorstellen, Mutter?«, fragte er. Für den Bruchteil einer Sekunde wurden Angelinas Augen groß. »Ist das dein Sohn? Er sieht genauso aus, wie du ihn beschrieben hast. Wie schön!« Servilia hatte nie mit Angelina über Brutus geredet. Sie war hin- und hergerissen zwischen Ärger über die Durchschaubarkeit des Mädchens und ihrer eigenen Geschäftstüchtigkeit, die sie sehr wohl spüren ließ, wie viel Geld hier zu machen war. Die Menge um sie herum war weiter angewachsen. Diese Männer waren die Aufmerksamkeit junger Frauen offensichtlich nicht gewohnt. Sie vermutete, dass Valencia allein schon durch das Geschäft mit den Soldaten sehr einträglich werden würde. »Das ist Angelina«, sagte sie. Brutus verbeugte sich vor ihr, und Angelinas Augen funkelten erfreut über seine Höflichkeit. »Ihr müsst uns heute Abend am Tisch des Generals Gesellschaft leisten. Ich plündere den Weinkeller, dann können wir euch den Staub der Straße abspülen.« Er hielt Angelinas Blick mit seinen Augen gefangen und verlieh seinen Worten einen bewusst zweideutigen Klang. Servilia räusperte sich, um die beiden zu unterbrechen. »Führe uns doch bitte hinein, Brutus.« Die Extraordinarii bildeten erneut eine Gasse und gaben ihnen den Weg frei. Das Abendessen, das sie in ihren Unterkünften erwartete, schien jetzt, ohne die Gesellschaft der Frauen als Dreingabe, nur noch halb so verlockend wie auf dem Heimritt. Reglos blieben sie im Hof stehen, bis der kleine Zug im Haus verschwunden war. Dann war der Bann gebrochen. Mit flinken Bewegungen teilten sie sich auf und versorgten die Pferde, als seien sie nie dabei gestört worden. Trotz Angelinas Protest ließ Servilia ihre drei Begleiterinnen in den ihnen zugewiesenen Zimmern zurück. Jemand musste ja die Kisten auspacken, und an diesem ersten Abend wollte Servilia ohnehin die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Sohnes. Schließlich hatte sie die Mädchen nicht nach Valencia gebracht, damit sich Brutus unter den dreien eine Ehefrau aussuchte. Julius kam nicht zu den anderen hinunter. Als Brutus anfragen ließ, ob er sich zu ihnen geselle, ließ er durch seine Leibwache eine höfliche Entschuldigung überbringen. Servilia merkte, dass die Absage keinen der Männer am Tisch überraschte. Wieder fragte sie sich, wie sehr dieses Land die Männer wohl verändert hatte. Zu Servilias Ehren gab es verschiedene spanische Gerichte, die in einem gefälligen Arrangement in kleinen Schalen serviert wurden. Die vielen Gewürze und der Pfeffer ließen Octavian husten, bis ihm jemand auf den Rücken klopfte und man ihm reichlich Wein zu trinken gab. Schon unten im Hof hatte er Servilia ehrfurchtsvoll angestarrt, und Brutus zog ihn ein wenig damit auf, doch Servilia schien sein Unbehagen gar nicht zu bemerken. Der Raum war von flackernden, warmes Licht verbreitenden Lampen erleuchtet, und der Wein war so gut, wie Brutus es versprochen hatte. Es war ein sehr angenehmes Mahl, und Servilia fand Gefallen an den Neckereien der Männer untereinander. Domitius ließ sich überreden, eine seiner Geschichten zum Besten zu geben, doch Cabera verdarb ihm die Pointe, indem er sie tonlos und schnell herunterspulte und dann grölend vor Lachen auf den Tisch schlug. »Diese Geschichte hatte schon einen Bart, als ich noch ein kleiner Junge war«, kicherte der alte Mann und streckte die Hand nach einem Stück Fisch in einer Schüssel neben Octavian aus, doch dieser griff gerade nach demselben Stück. Cabera gab ihm einen Klaps auf die Finger und schnappte sich das saftige Stück, als der Jüngere es fallen ließ. Octavian verzog empört das Gesicht, doch angesichts von Servilias Anwesenheit unterdrückte er ganz offensichtlich eine unwillkürliche Antwort. »Wie bist du zur Zehnten gekommen, Domitius?«, fragte Servilia. »Das hat Brutus arrangiert, als wir unten im Süden gegen Spartakus gekämpft haben. Aus reiner Anständigkeit habe ich ihn ein paar Übungskämpfe gewinnen lassen, aber er hat trotzdem eingesehen, dass er davon profitieren würde, mit mir zu üben.« »Alles gelogen!«, rief Brutus lachend. »Im Vorbeigehen habe ich ihn gefragt, ob er vielleicht Lust hat, zu der neuen Legion zu stoßen, und vor Begeisterung hat er mir fast den Arm abgerissen. Julius musste ein Vermögen an den Legaten zahlen, um ihn auszulösen, und wir warten immer noch alle auf den Nachweis, dass er es überhaupt wert war.« Domitius wartete geduldig, bis Brutus seinen Becher ansetzte, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »In meiner Generation bin ich der Beste, musst du wissen«, erklärte er Servilia und grinste, weil Brutus sich verschluckte, rot anlief und beinahe zu ersticken drohte. Das Geräusch von Schritten ließ sie alle aufsehen, dann erhoben sich die Männer alle zugleich, um Julius zu begrüßen. Er nahm seinen Platz am Kopf der Tafel ein und bedeutete ihnen, sich wieder zu setzen. Die Diener brachten frische Teller, und Brutus goss ihm einen Becher Wein ein. Er lächelte, als Julius, von der Qualität des Weines überrascht, anerkennend eine Augenbraue hochzog. Die Unterhaltung wurde wieder aufgenommen, und während sie dem Geplauder um sich herum lauschte, fing Servilia Julius’ Blick auf und neigte leicht den Kopf. Er erwiderte ihre Geste und akzeptierte sie damit in ihrer Runde. Erleichtert seufzte sie kaum hörbar auf. Ihre innere Anspannung war ihr selbst gar nicht bewusst gewesen. Julius umgab eine merkwürdige Autorität, an die sie sich nicht erinnern konnte. Er stimmte nicht in das allgemeine Gelächter mit ein, sondern lächelte bestenfalls bei den besonders lauten Lachsalven. Servilia bemerkte, dass er den guten Wein mit Missachtung strafte. Wie Wasser spülte er ihn hinunter, wobei der Alkohol überhaupt keine Wirkung auf ihn zu haben schien. Nur eine leichte Röte überzog sein Gesicht, die genauso gut von der Hitze des Abends herrühren konnte. Die gelöste Stimmung am Tisch war schnell wiederhergestellt. Die Kameradschaft zwischen den Männern war ansteckend, und nach einer Weile beteiligte sich auch Servilia an ihren Geschichten und Scherzen. Cabera flirtete heftig mit ihr. Er zwinkerte ihr in den unpassendsten Augenblicken übertrieben zu, und Servilia prustete vergnügt. Als sie wieder einmal laut auflachen musste, fing sie Julius’ Blick auf, und einen Moment lang blieb die Zeit stehen. Eine andere, tiefgreifendere Wirklichkeit schien weit über die lebhafte Oberflächlichkeit des gemeinsamen Mahles hinauszudeuten. Julius beobachtete sie. Der Effekt, den sie auf die sonst oft so düstere und gedrückte Stimmung in der Gemeinschaft der Männer hatte, überraschte ihn sehr. Sie lachte offen und ohne jede Affektiertheit, und er fragte sich, wie er sie je anders als wunderschön hatte finden können. Ihre Haut war tief gebräunt und voller Sommersprossen, Nase und Kinn waren ein wenig zu ausgeprägt, trotzdem besaß sie mehr als nur dieses gewisse Etwas. Sein Verstand registrierte wohl, wie sie ihre Aufmerksamkeit immer demjenigen zuwandte, der gerade sprach. Sie schmeichelte den Männern einfach durch die Aufmerksamkeit, die sie ihnen schenkte. Servilia war eine Frau, die Männer mochte, und die Männer spürten das. Erstaunt über sich selbst, schüttelte Julius den Kopf. Seine Reaktion auf sie missfiel ihm irgendwie, dabei war Servilia so ganz anders als Cornelia, dass es ihm gar nicht erst in den Sinn kam, sie mit ihr zu vergleichen. Seit sehr langer Zeit schon war er nicht mehr in der Gesellschaft einer Frau gewesen. Und wenn es überhaupt einmal geschehen war, dann nur, weil Brutus ihn so betrunken gemacht hatte, dass ihm sowieso alles egal gewesen war. Servilia so anzusehen erinnerte ihn wieder an die Welt außerhalb der rauen Soldatenzusammenkünfte. Ihr gegenüber kam er sich unbeholfen vor, außer Übung. Er sollte wohl lieber auf Abstand bedacht sein, schoss es ihm durch den Kopf. Eine Frau mit ihrer Erfahrung könnte ihn durchaus bei lebendigem Leibe auffressen. Er schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu verscheuchen. Seine Schwäche für sie irritierte ihn. Seit Monaten war sie die erste Frau, die mit ihnen zu Tisch saß, und er reagierte darauf kaum weltgewandter als Octavian. Allerdings hoffte er, dass man ihm seine Gedanken nicht ganz so offensichtlich ansah. Falls doch, würde Brutus ihn bis ans Ende seiner Tage damit aufziehen. Mit einem leichten Schaudern dachte er schon jetzt an die Sprüche, die ihm Brutus auftischen würde, und schob entschlossen seinen Weinbecher von sich. Wie auch immer! Sie war sicherlich nicht interessiert an einem Freund ihres Sohnes. Allein der Gedanke daran war lächerlich. Octavian riss ihn aus seinen Gedanken, als er Servilia den Rest eines Kräutergerichtes über den Tisch hinweg reichte. Unter der Anleitung von Brutus und Domitius war der junge Römer stark und geschickt geworden. Julius fragte sich, ob Octavian sich wohl immer noch so sehr vor den Lehrlingen in Rom fürchtete wie früher, doch er bezweifelte es stark. In der Gesellschaft der rauen Soldaten der Zehnten schien der Junge geradezu aufzublühen, und zur Erheiterung seines Freundes ahmte er sogar Brutus’ Gang nach. Er war noch so jung. Ein merkwürdiges Gefühl, dass er selbst, damals kaum ein Jahr älter als Octavian jetzt, schon verheiratet gewesen war. »Heute Morgen habe ich eine neue Finte gelernt«, erzählte Octavian gerade stolz. Julius lächelte ihn an. »Dann musst du sie mir vorführen«, sagte er und raufte dem Jungen freundschaftlich das Haar. Bei diesem kleinen Zeichen seiner Zuneigung strahlte Octavian ihn an. »Exerzierst du dann morgen mit uns?«, fragte er, doch innerlich bereitete er sich schon auf eine Enttäuschung vor. Und tatsächlich schüttelte Julius den Kopf. »Morgen reite ich mit Renius für ein paar Tage hinaus zu den Goldminen«, erklärte er. »Aber vielleicht später, wenn ich zurückkomme.« Octavian versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, doch sie alle sahen, dass er diese Antwort als glatte Absage betrachtete. Julius hätte beinahe seine Meinung geändert, doch die düstere Stimmung, die ihn so oft quälte, hatte ihn wieder im Griff. Keiner hier brachte Verständnis für seine Arbeit auf. Sie waren alle so unbedacht wie Knaben, von einer Sorglosigkeit, die er sich nicht mehr leisten konnte. Julius vergaß seinen kurz zuvor gefassten Entschluss, griff wieder nach seinem Becher und leerte ihn in einem Zug. Brutus sah, wie die Schwermut seinen Freund wieder übermannte, und suchte nach etwas, um ihn abzulenken. »Morgen fängt der spanische Waffenschmied an, die Schmiede unserer Legion zu unterweisen. Kannst du die Reise denn nicht verschieben, damit du auch siehst, wofür du ihn bezahlst?« Julius starrte ihn an, und alle im Raum fühlten sich bei diesem Blick unwohl. »Nein, es ist bereits alles vorbereitet«, antwortete er kurz angebunden und füllte seinen Becher erneut. Er fluchte leise, als er dabei ein wenig Wein auf dem Tisch verschüttete. Stirnrunzelnd betrachtete er seine Hände. Zitterten sie etwa? Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Etwas mühsam kam die Unterhaltung wieder in Gang. Forschend betrachtete er die Runde und suchte nach Anzeichen, ob sie seine Schwäche bemerkt hatten. Nur Cabera sah ihn direkt an, doch im Gesicht des alten Mannes lag nichts als pure Güte. Julius stürzte seinen Wein hinunter und war plötzlich zornig auf alle und jeden. Servilia tauchte die Fingerspitzen in die Wasserschüssel und wischte sich graziös den Mund ab. Die Geste fiel Julius auf, doch sie schien es nicht zu bemerken. »Ich habe das Mahl mit euch sehr genossen, doch die Reise hierher war ermüdend«, sagte sie und lächelte in die Runde. »Ich möchte morgen früh aufstehen und euch beim Exerzieren zusehen, Octavian. Das heißt, natürlich nur, wenn es euch nichts ausmacht!« »Nein, natürlich nicht. Komm nur und sieh zu! «, sagte Brutus freundlich. »Ich lasse im Stall einen Wagen für dich bereitstellen. Verglichen mit anderen Außenposten geht es hier nämlich geradezu luxuriös zu. Es wird dir hier sehr gut gefallen.« »Wenn du ein gutes Pferd für mich findest, brauche ich keinen Wagen«, erwiderte Servilia und bemerkte das Aufblitzen in Julius’ Augen, als er diese Information verdaute. Männer waren seltsame Kreaturen. Der Mann, der den Anblick einer schönen Frau auf einem Pferd nicht zu schätzen wusste, musste erst noch gefunden werden. »Ich hoffe, meine Mädchen stören euch nicht allzu sehr. Gleich morgen sehe ich mich nach einem Haus in der Stadt um. Gute Nacht, meine Herren. Gute Nacht, General.« Als sie aufstand, erhoben sich die Männer höflich. Und als dabei Julius’ Augen die ihren trafen, überlief sie wieder dieses seltsam erregende Prickeln. Bald nachdem sie gegangen war, erhob sich auch Julius ein wenig schwankend. »Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich Order in deinem Quartier hinterlassen, Brutus. Sorge dafür, dass die Mädchen bewacht werden, solange sie sich unter unserer Obhut befinden. Gute Nacht.« Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus. Er lief übertrieben steif, wie ein Mann, der versucht, sich die Wirkung von zu viel Wein nicht anmerken zu lassen. Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen. »Es tut gut, ein paar neue Gesichter hier zu sehen«, sagte Brutus, um schwierigere Gesprächsthemen tunlichst zu vermeiden. »Sie werden ein bisschen mehr Leben in unseren Alltag bringen. In letzter Zeit war es viel zu ruhig hier.« Cabera pfiff leise vor sich hin. »Bei einer Frau wie ihr ... machen sich alle Männer zum Narren«, sagte er leise. Sein Tonfall veranlasste Brutus, ihn verwirrt anzusehen. Der Gesichtsausdruck des alten Mannes war unergründlich. Er schüttelte leicht den Kopf und griff nach mehr Wein. »Sie ist sehr ... anmutig«, pflichtete ihm Domitius, nach dem richtigen Wort suchend, bei. Brutus schnaubte verächtlich. »Was habt ihr denn erwartet? Ihr habt mich doch mit dem Schwert gesehen. Da werde ich doch wohl kaum von einem Ackergaul abstammen, oder?« »Stimmt. Ich habe mir schon oft gedacht, dass deine Haltung etwas Weibliches hat«, erwiderte Domitius und rieb sich nachdenklich die Stirn. »Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Aber an ihr sieht es wesentlich besser aus.« »Ich besitze männliche Grazie, Domitius. Die Grazie eines Mannes. Ich führe sie dir morgen gerne wieder vor.« Das altbekannte Lächeln lag wieder auf Brutus’ Lippen, als er die Augen in gespielter Verärgerung zusammenkniff. »Habe ich auch männliche Grazie, Domitius? «, fragte Octavian. Domitius nickte bedächtig, aber nicht wirklich ernsthaft. »Das hast du, mein Junge, natürlich. Nur Brutus kämpft wie ein Weib.« Brutus brüllte vor Lachen und warf einen Teller nach Domitius, der sich schnell genug wegduckte. Der Teller zerschellte am Boden, und die ganze Runde erstarrte auf komische Weise, ehe sich die Spannung erneut in Gelächter löste. »Wozu braucht deine Mutter ein Haus in der Stadt?«, fragte Octavian. Brutus sah ihn scharf an. Es tat ihm Leid, die Unschuld des Jungen zu zerstören. »Für ihr Geschäft, Junge. Ich denke, die Mädchen meiner Mutter werden schon sehr bald die ganze Legion unterhalten.« Octavian sah verwirrt in die Runde. Dann hellte sich sein Gesicht auf, und sie sahen ihn alle gespannt an. »Was glaubst du? Ob sie wohl für jemanden in meinem Alter den vollen Preis verlangen?«, fragte er schließlich neugierig. Brutus warf einen weiteren Teller nach ihm, traf stattdessen aber Cabera. Über ihnen lag Julius auf einer schmalen Pritsche in seinem Zimmer, hörte ihr Gelächter und schloss in der Dunkelheit fest die Augen. 3 Servilia hatte sich schon jetzt in die kleine Stadt Valencia verliebt. Die Straßen waren sauber und voller geschäftiger Menschen, und über dem Ganzen lag ein Hauch von Wohlstand, dass ihr die Finger juckten. Doch trotz aller Anzeichen von Reichtum besaß diese Stadt eine unverbrauchte Atmosphäre, die ihre alte Heimatstadt schon vor Jahrhunderten verloren hatte. Ein passendes Haus zu finden war einfacher gewesen, als sie angenommen hatte. Es gab keine Beamten, denen man heimlich Geld zustecken musste, damit die entsprechenden Dokumente unterzeichnet wurden. Man brauchte nur das passende Gebäude zu finden und dem gegenwärtigen Eigentümer das Gold dafür zu bezahlen. Nach der Bürokratie in Rom war das äußerst angenehm. Die Soldaten, die Brutus ihr geschickt hatte, konnten ihr auf Anfrage sofort drei in Frage kommende Häuser nennen. Die ersten beiden lagen nah am Wasser, aber dort würde ihr Etablissement mehr Hafenarbeiter anziehen, als ihr lieb war. Das dritte Haus war genau das Richtige. Das geräumige Gebäude mit einer beeindruckenden Fassade aus weiß gekalktem Stein und Holz lag in einer ruhigen Straße am Marktplatz, weit genug vom Hafen entfernt. Schon seit langem wusste Servilia um die Notwendigkeit, der Welt ein angenehmes Äußeres zu präsentieren. Ganz sicher gab es irgendwo in der Stadt versteckt auch schmutzige kleine Häuschen, in denen Witwen und billige Huren sich ein wenig dazuverdienten. Das Haus, das sie sich vorstellte, sollte in erster Linie Würdenträger und Offiziere der Legion anziehen und dementsprechend teuer sein. Da die Zehnte viele neue Gebäude errichtet hatte, spürte Servilia, dass sie den Besitzer im Preis drücken konnte. Tatsächlich war der endgültige Preis ein wahres Schnäppchen, selbst wenn das Mobiliar erst noch beschafft werden musste. Manches davon würde sie zwar in Rom bestellen und per Schiff anliefern lassen müssen, doch ein kurzer Besuch bei den ortsansässigen Näherinnen führte auch hier zu einer Reihe guter Geschäfte und Ersparnisse. Als das Haus auf ihren Namen überschrieben war, bezahlte sie einen zurücksegelnden Kaufmann, damit er für sie eine Liste benötigter Dinge nach Rom mitnahm. Sie brauchte hier in Valencia mindestens noch vier weitere Frauen, deren Eigenschaften Servilia sehr sorgfältig beschrieb, denn es war wichtig, von Anfang an einen Ruf für gute Qualität zu haben. Nach drei Tagen schon blieb ihr nichts mehr zu tun, als dem Haus einen Namen zu geben, obwohl sich das als schwieriger herausstellte, als sie angenommen hatte. Es gab zwar keine entsprechenden Gesetzesverordnungen, aber Servilia wusste instinktiv, dass es etwas Diskretes und doch Verheißungsvolles sein musste. So etwas wie »Zum Rammler« war einfach unmöglich. Schließlich überraschte sie Angelina mit einem guten Vorschlag. »Die Goldene Hand« klang viel versprechend genug, ohne plump zu sein, und Servilia fragte sich, ob die leichte Röte in Angelinas Gesicht etwas mit dieser Idee zu tun hatte. Als sie dem Namen zustimmte, sprang Angelina vor Freude auf und küsste sie auf beide Wangen. Wenn man ihr ihren Willen ließ, konnte das Mädchen wirklich sehr liebenswert sein, daran gab es keinen Zweifel. Am dritten Morgen, nachdem sie in die Stadt gezogen war, sah Servilia zu, wie ein dezent gemaltes Schild auf die eisernen Haken gehoben wurde, und nahm lächelnd zur Kenntnis, dass ein paar Soldaten der Zehnten bei dem Anblick in Jubelrufe ausbrachen. Sie würden die Nachricht von der Eröffnung des Hauses in rasender Eile verbreiten, und der erste Abend würde wohl sehr betriebsam werden. Danach war die Zukunft so gut wie gesichert. Servilia rechnete fest damit, die Leitung des Hauses schon nach ein paar Monaten an jemand anderen abgeben zu können. Der Gedanke, in jeder größeren spanischen Stadt ein solches Haus zu eröffnen, war durchaus verlockend. Häuser mit den schönsten Mädchen aus Rom und der entsprechenden Lebensart. Ein Markt dafür war ganz gewiss vorhanden, und das Geld würde nur so in ihre Truhen strömen. Servilia drehte sich zu den Wachen um, die ihr Sohn ihr geschickt hatte, und lächelte sie an. »Ich hoffe, ihr bekommt Passierscheine für heute Abend«, sagte sie leichthin. Die Männer blickten sich an, schlagartig war ihnen klar geworden, dass die Hafenwache ab jetzt einen Trumpf im Ärmel hatte. »Vielleicht könnte dein Sohn ja ein gutes Wort für uns einlegen, Herrin«, erwiderte der Offizier. Servilia runzelte unwillkürlich die Stirn. Obwohl sie nie offen darüber gesprochen hatten, nahm sie doch stark an, dass Brutus sich bei ihren Geschäften nicht ganz wohl fühlte. Aus diesem Grunde fragte sie sich auch, ob Julius überhaupt von dem neuen Haus wusste – und was er wohl davon hielt. Da er gerade im Süden bei seinen Minen war, hatte er wohl noch nichts davon gehört, doch sie konnte sich ohnehin nicht vorstellen, was er dagegen hätte einwenden können. Unbewusst strich sich Servilia bei dem Gedanken an ihn über den Hals. Heute wurde er von den Minen zurückerwartet. Womöglich speiste er gerade in der Kaserne. Wenn sie sich sofort auf den Weg machte, konnte sie die Festung noch erreichen, bevor der Tag ganz zu Ende war. »Gut möglich, dass ich eine ständige Wache vor dem Haus brauche «, sagte sie laut, weil ihr der Gedanke gerade durch den Kopf ging. »Wenn ihr möchtet, kann ich den General ja fragen, ob ihr auf Dauer hierher abgestellt werdet«, sagte sie zu dem Offizier. »Immerhin bin ich ja eine Bürgerin Roms.« Die Wachen sahen einander zunächst ratlos an. Die Vorstellung war sicherlich schön, doch allein der Gedanke, Cäsar könne ihre Namen als die der Wachen vor einem Bordell hören, war genug, um die Begeisterung eines jeden sofort zu dämpfen. Zögernd schüttelten sie die Köpfe. »Ich glaube, dafür nimmt er lieber Spanier«, sagte der Offizier schließlich. Servilia nahm einem Soldaten der Zehnten die Zügel ihres Pferdes aus der Hand und schwang sich in den Sattel. Die Beinlinge, die sie trug, hingen ein wenig locker an ihr herunter, aber ein Rock oder eine Stola wären wohl kaum angemessen gewesen. »Aufsitzen, Männer! Ich frage ihn einfach, dann werden wir es ja sehen«, sagte sie, wendete ihr Pferd und galoppierte los. Die Hufe klapperten laut auf der Straße, und bei dem Anblick dieser seltsamen römischen Dame, die wie ein Soldat ritt, zogen die Frauen der Stadt missbilligend die Augenbrauen hoch. Julius begrüßte gerade einen älteren Spanier, als Servilia durch das Tor ritt. Bei Tageslicht standen die Tore immer offen, und die Wachen ließen sie mit einem Kopfnicken direkt in den Innenhof passieren. Ihre Eskorte aus der Stadt führte die Pferde zum Füttern und Tränken, und Servilia blieb allein zurück. Ihr war durchaus bewusst, dass es sich als sehr praktisch erwies, Brutus’ Mutter zu sein. »Ich würde gerne mit dir sprechen, wenn es deine Zeit erlaubt, General«, rief sie und führte ihr Pferd hinüber zu den beiden Männern. Julius gab sich keine Mühe, seinen Unmut zu verbergen, und runzelte unwillig die Stirn. »Das ist Bürgermeister Del Subió, Servilia. Ich fürchte, ich habe heute Nachmittag keine Zeit für eine Unterredung. Morgen vielleicht.« Er drehte sich um, um den älteren Mann ins Hauptgebäude zu führen. Servilia schenkte dem Bürgermeister ein flüchtiges Lächeln und setzte rasch zu einer Erwiderung an. »Ich habe mir überlegt, den anderen Städten hier in der Nähe einen Besuch abzustatten. Kannst du mir einen Weg empfehlen?« Julius wandte sich zunächst dem Bürgermeister zu. »Wenn du mich bitte für einen Moment entschuldigen würdest? «, sagte er höflich. Del Subió verbeugte sich zustimmend und sah Servilia unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an. Wäre er an der Stelle des römischen Generals gewesen, so hätte er eine solche Schönheit nicht einfach schmollend stehen lassen. Selbst in seinem Alter wusste Del Subió die Schönheit einer Frau sehr wohl zu schätzen, und er wunderte sich insgeheim über Cäsars Verstimmung. Julius ging hinüber zu Servilia. »Die Berge hier ringsum sind noch nicht völlig sicher. Es gibt alle möglichen Wegelagerer und Strauchdiebe, die dich überfallen könnten. Wenn du Glück hast, stehlen sie dir nur dein Pferd und lassen dich zu Fuß zurücklaufen.« Nachdem er diese Warnung ausgesprochen hatte, wollte er sich wieder dem Bürgermeister zuwenden. »Vielleicht würdest du mich ja zu meinem Schutz begleiten?«, sagte Servilia leise. Er erstarrte und blickte sie an. Bei diesem Gedanken fing sein Herz wild zu pochen an, und er brauchte einen Moment, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Ihr etwas abzuschlagen war nicht leicht, doch der Nachmittag war ohnehin mit Arbeit ausgefüllt. Seine Augen schweiften suchend über den Hof, bis er Octavian erblickte, der gerade aus den Ställen kam. Julius pfiff durchdringend, um die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich zu ziehen. »Octavian, sattle dir schnell ein Pferd. Du reitest Eskorte.« Octavian salutierte kurz und verschwand wieder in der Dunkelheit des Stalles. Julius sah Servilia ausdruckslos an, als habe er ihren Wortwechsel schon wieder vergessen. »Ich danke dir«, sagte sie, doch er antwortete nicht und war beinahe schon mit Del Subió im Haus verschwunden. Als Octavian wieder auftauchte, hatte er sein Pferd bereits bestiegen, und er musste sich tief bücken, um unter dem Torbogen der Stalltür hindurchzukommen. Bei Servilias Gesichtsausdruck vergaß er sein freudiges Grinsen, denn sie ergriff verärgert den Sattelknauf und schwang das Bein über den Sattel. So wütend kannte er sie überhaupt nicht, doch wenn das überhaupt möglich war, machte der Zorn sie sogar noch schöner. Ohne ihn eines Wortes zu würdigen, galoppierte sie in einer solchen Geschwindigkeit durch das offene Tor, dass die Wachen zur Seite springen mussten, um nicht über den Haufen geritten zu werden. Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen setzte ihr Octavian nach. Eine ganze Meile ritt sie im scharfen Galopp, bevor sie endlich in ein gemächlicheres Tempo verfiel. Mit dem geübten Auge eines Extraordinarius bemerkte er, wie gut sie ihr Pferd zu führen wusste. Ein leises Zucken der Zügel führte das keuchende Tier rechts oder links um Hindernisse herum, und einmal ließ sie es einen umgestürzten Baum überspringen. Sie hob sich dabei anmutig im Sattel und fing die Landung ohne das geringste Zeichen von Unsicherheit ab. Octavian war entzückt und beschloss, nichts zu sagen, bis ihm etwas ausreichend Reifes und Interessantes eingefallen war. Leider wollte sich keine Eingebung einstellen, und sie schien gewillt, weiter zu schweigen und ihrer Verärgerung über Julius’ Zurückweisung durch einen scharfen Ritt Luft zu machen. Doch nach einer Weile hatte sie sich wieder beruhigt und zügelte ein wenig keuchend ihr Pferd. Sie ließ Octavian aufholen und lächelte ihn an. »Brutus sagte, du bist ein Verwandter von Cäsar. Erzähl mir mehr von ihm.« Octavian lächelte zurück, unfähig, ihrem Charme zu widerstehen oder ihre Gründe zu hinterfragen. Julius hatte den letzten Bittsteller schon vor einer Stunde entlassen und stand allein am Fenster, das auf die Hügel hinausging. Er hatte gerade den Befehl unterschrieben, weitere tausend Männer für die Arbeit in den Minen zu rekrutieren und drei Männern, deren Land von den neuen Gebäuden an der Küste überbaut worden war, jeweils eine Entschädigung zugestanden. Wie viele Besprechungen hatte er sonst noch gehabt? Zehn? Seine Hand schmerzte vom Briefeschreiben. Er massierte sie mit der anderen, während er wartend am Fenster stand. Der letzte Schreiber hatte vor einem Monat den Dienst quittiert. Der Verlust machte sich schmerzlich bemerkbar. Seine Rüstung hing auf einem hölzernen Gestell neben seinem Schreibtisch, und die kühle Nachtluft war in der durchgeschwitzten Tunika eine Wohltat. Er gähnte und rieb sich müde das Gesicht. Obwohl es allmählich dunkel wurde, waren Octavian und Servilia immer noch irgendwo da draußen unterwegs. Er fragte sich, ob sie den Jungen wohl bewusst so lange aufhielt, damit er sich Sorgen machte, oder ob wirklich etwas passiert war. Vielleicht hatte eines der Pferde zu lahmen begonnen und musste ins Lager zurückgeführt werden. Julius schnaubte leise. Wenn dem so war, dann war das ganz sicher eine lohnende Lektion. Abseits der Straßen war das Land hier zerklüftet und wild. Da konnte sich ein Pferd leicht ein Bein brechen, ganz besonders bei hereinbrechender Dunkelheit, wenn Tierbaue und Gräben im Schatten verborgen lagen. Es war lächerlich, sich Sorgen zu machen. Zweimal verlor er die Geduld und ging vom Fenster weg. Doch als er in Gedanken die Aufgaben des nächsten Tages durchgehen wollte, ertappte er sich jedes Mal dabei, wie er den Blick doch wieder den Hügeln zuwandte und nach ihnen Ausschau hielt. Abseits des Fensters und der frischen Brise war der Raum eben sehr stickig, sagte er sich. Er war einfach zu erschöpft und ausgelaugt, um sich seinen Selbstbetrug einzugestehen. Als die Sonne nur noch ein schmaler roter Streifen über der Kuppe der Berge war, hörte er endlich Hufgeklapper im Hof und trat schnell vom Fenster weg, um nicht gesehen zu werden. Wer war diese Frau, dass sie ihm so viel Unbehagen verursachte? Er überlegte, wie lange die beiden brauchen würden, um die Pferde zu versorgen und ins Haus zu kommen. Ob sie wohl wieder am Abendessen für die Offiziere teilnehmen würde? Er war hungrig, hatte aber keine Lust, Gäste zu unterhalten. Er würde sich etwas heraufbringen lassen und ... Ein leises Klopfen an der Tür schreckte ihn aus seinen Gedanken. Irgendwie wusste er im Voraus, dass sie es war. Er räusperte sich geräuschvoll und rief: »Herein!« Servilia öffnete die Tür und trat ein. Ihr Haar war nach dem Ritt zerzaust, und auf ihrer Wange war eine kleine, schmutzige Stelle. Sie roch nach Stroh und Pferden, und allein ihr Anblick hob seine Stimmung. Er konnte sehen, dass sie noch immer zornig war, und er versuchte, seine ganze Willenskraft zusammenzunehmen, um ihr Anliegen abzulehnen, worum es sich auch handeln mochte. Es war eine Zumutung, hier so einfach ohne Voranmeldung hereinzuplatzen. Wozu hatte er unten überhaupt eine Wache postiert? War der Mann etwa eingeschlafen? Julius schwor sich, der Sache nachzugehen, sobald Servilia gegangen war. Ohne ein Wort zu sagen, kam Servilia über den Holzfußboden auf ihn zu. Bevor er reagieren konnte, legte sie ihre Hand auf seine Brust und fühlte den Herzschlag unter dem Stoff. »Also doch noch warm. Ich hatte schon meine Zweifel«, sagte sie leise. Sie sprach mit einer Vertrautheit, die ihn völlig aus der Fassung brachte und es ihm unmöglich machte, ihr noch länger zu grollen. Als hätte ihre Berührung ein sichtbares Zeichen hinterlassen, spürte er genau, wo ihre Hand gelegen hatte. Sie stand dicht vor ihm und sah ihn an, und plötzlich wurde ihm die Dunkelheit um sie herum bewusst. »Brutus wundert sich bestimmt schon, wo du bleibst«, sagte er. »Ja, er sieht sich gerne als meinen Beschützer«, erwiderte sie und wandte sich zum Gehen. Beinahe hätte er sie zurückgehalten, stattdessen sah er nur verwirrt zu, wie sie den langen Raum durchquerte. »Ich hätte nicht gedacht ..., dass du es überhaupt nötig hast, beschützt zu werden«, murmelte er. Er hatte nicht gewollt, dass sie ihn hörte, doch er sah das Lächeln auf ihren Lippen, bevor sich die Tür hinter ihr schloss. Dann war er wieder allein, und seine Gedanken überschlugen sich. Langsam atmete er aus und schüttelte, über sich selbst verwundert, den Kopf. Ihm war, als ob ihm jemand nachstellte, doch es war ihm ganz und gar nicht unangenehm. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen, und mit einem Mal verspürte er doch Lust, sich der Tafel unten zum Abendessen anzuschließen. Die Tür öffnete sich wieder. Er sah auf, und sie stand noch immer da. »Reitest du morgen mit mir aus?«, fragte sie. »Octavian sagte, du kennst die Gegend hier besser als jeder andere.« Er nickte langsam. Er konnte sich nicht daran erinnern, welche Besprechungen für morgen geplant waren, doch in diesem Moment war es ihm auch gleichgültig. Wie lange war es her, dass er sich für einen Tag von seiner Arbeit gelöst hatte? »Nun gut, Servilia. Morgen früh dann«, antwortete er. Sie lächelte nur, ohne etwas zu sagen und schloss geräuschlos die Tür hinter sich. Er wartete noch einen Augenblick, bis er ihre leisen Schritte auf der Treppe hörte, dann entspannte er sich. Verwundert stellte er fest, dass er sich auf den morgigen Tag freute. Als das Tageslicht verblasste, verwandelte die Esse die Werkstatt in einen Ort des Feuers und der Schatten. Das einzige Licht kam jetzt aus der Glut des Schmiedefeuers und erhellte die Gesichter der römischen Schmiede, die ungeduldig darauf warteten, in die Geheimnisse des gehärteten Eisens eingeweiht zu werden. Julius hatte ein Vermögen an Goldstücken dafür gezahlt, dass ein spanischer Meister sie darin unterwies. Aber diese Kunst war nicht im Handumdrehen zu erlernen, und auch nicht an einem einzigen Tag. Zu ihrer aller Empörung hatte Cavallo sie Schritt für Schritt durch die ganze Prozedur geführt. Zuerst waren sie empört darüber gewesen, wie Lehrlinge behandelt zu werden, dann jedoch hatten die Erfahreneren unter ihnen erkannt, dass der Spanier bei jedem seiner Arbeitsschritte sehr genau zu Werke ging, und schließlich hatten sie ihm bereitwillig zugehört. In den ersten vier Tagen hatten sie auf seinen Befehl hin Zypressen- und Erlenholz zugeschnitten und es unter Ton in einer Grube aufgeschichtet, die so groß war wie ein Haus. Während es zu Holzkohle verglühte, zeigte er ihnen seinen Ofen für das Erz und schärfte ihnen ein, das rohe Erzgestein zuerst gründlich zu waschen, bevor sie es zusammen mit der Holzkohle im Ton versiegelten, um daraus das Eisen zu gewinnen. Die Männer liebten ihr Handwerk, und am Ende des fünften Tages erfüllte sie alle eine gespannte Erwartung, als Cavallo einen großen Klumpen Schwammeisen zum Ofen brachte, wo er es erneut einschmolz und dann in Tonformen goss. Schließlich klopfte er die schweren Metallstangen wieder aus den Formen heraus, damit die Schmiede sie auf der Werkbank genauer begutachten konnten. »Erlenholz brennt weniger heiß und verlangsamt die Verwandlung, ergibt letztendlich aber ein härteres Metall«, erklärte er ihnen und warf eine der Stangen wieder in die hellen Flammen seines Schmiedefeuers. Es war kein Platz, um zwei Stangen zugleich zu erhitzen, und so scharten sie sich alle um das zweite Feuer, ahmten jede seiner Bewegungen nach und folgten gewissenhaft seinen Instruktionen. Sie konnten auch nicht alle zugleich in der ohnehin schon überfüllten Werkstatt bleiben, weshalb sie im Wechsel immer wieder in die angenehm kühlende Nachtluft hinausgingen. Nur Renius blieb die ganze Zeit als Beobachter dabei. Der Schweiß lief ihm schon in die Augen, er konnte fast nichts mehr sehen, doch im Stillen prägte er sich jeden einzelnen Schritt des Verfahrens genau ein. Auch er war fasziniert. Obwohl er Zeit seines Erwachsenenlebens Schwerter benutzt hatte, hatte er doch noch nie gesehen, wie sie hergestellt wurden. Diese mürrischen Gesellen, die Erde in glänzende Klingen zu verwandeln wussten, stiegen in seiner Achtung. Cavallo benutzte jetzt einen Hammer, um der Stange die Form eines Schwertes zu geben. Immer wieder erhitzte er die Eisenstange erneut im Feuer, bis sie schließlich wie ein schwarzer Gladius aussah, der noch mit Verunreinigungen verkrustet war. Ein Teil seiner Kunst bestand darin, anhand der Farbe die richtige Temperatur abzuschätzen, bevor man das Metall aus der Esse hob. Jedes Mal, wenn das Eisenschwert die richtige Farbe erreicht hatte, hob Cavallo es hoch, so dass alle die gelbliche Färbung sehen konnten, ehe sie wieder verblasste. Während er das weiche Metall schmiedete und in Form brachte, verglühten darauf zischend seine Schweißtropfen, die in Strömen an ihm herunterrannen. Die Eisenbarren der Männer glichen dem seinen in jeder Hinsicht, und als der Mond aufging, nickte er den Römern zufrieden zu. Seine Söhne hatten ein Feuer in einem niedrigen, aber breiten Kohlebecken entfacht, so lang wie ein erwachsener Mann, und bevor die metallene Abdeckung davon heruntergehoben wurde, glühte sie schon beinahe so hell wie das Schmiedefeuer selbst. Während er sein Schwert noch einmal erhitzte, deutete Cavallo auf mehrere lederne Schürzen, die an Haken bereit hingen. Sie waren umständlich zu tragen, alt und steif, und bedeckten den ganzen Körper vom Hals bis zu den Füßen. Er lächelte, als die Männer sie anlegten. Mittlerweile hatten sich die Römer daran gewöhnt, seinen Anweisungen ohne Nachfragen zu folgen. »Ihr werdet diesen Schutz brauchen«, erklärte er, als sie versuchten, sich mit der hinderlichen Schutzbekleidung zu bewegen. Auf sein Zeichen hin nahmen seine Söhne mit Zangen die Abdeckung von dem Kohlebecken, und Cavallo zog die gelb glühende Klinge mit Schwung aus dem Feuer. Die römischen Schmiede rückten näher, weil sie wussten, dass er ihnen jetzt einen neuen und sehr wichtigen Arbeitsschritt zeigen würde. Renius musste vor der plötzlichen Hitzewelle aus dem Kohlebecken einen Schritt zurücktreten und reckte den Hals, um zu beobachten, was vor sich ging. In der weißen Glut des Kohlebeckens hämmerte Cavallo jetzt weiter auf die Klinge ein. Funken und kleine Glutstücke zischten rings um ihn auf. Eines landete in seinem Haar, und er klopfte es mit einer beiläufigen Handbewegung aus. Wieder und wieder wendete er die Klinge, und sein Hammer wanderte daran auf und ab, jedoch ohne die Wucht der ersten Schläge. Das gleichmäßige Klingen hörte sich beinahe sanft an, doch sie alle sahen, dass die Holzkohle das Metall noch dunkel überkrustete. »Hier muss man jetzt schnell sein. Es darf nicht zu sehr abkühlen, bevor man es härtet. Achtet auf die Farbe ... jetzt!« Cavallos Stimme war leiser geworden. In seinen Augen glomm die Liebe zu dem Metall. Als das leuchtende Rot dunkler wurde, hob er die Zange und tauchte das Schwert in einen bereitstehenden Eimer mit Wasser. Zischend breitete sich eine dicke Dampfwolke in der kleinen Werkstatt aus. »Und dann sofort wieder erhitzen. Das ist jetzt das wichtigste Stadium. Wenn man jetzt die Farbe falsch einschätzt, wird das Schwert nachher spröde und nutzlos. Ihr müsst euch die Farbschattierung genau merken, oder alles, was ich euch beigebracht habe, war umsonst. Für mich sieht die Farbe aus wie Blut, das schon einen Tag alt ist. Aber ihr müsst eure eigene Gedächtnisstütze finden, um die Farbe genau im Kopf zu behalten.« Auch das zweite Schwert im Feuer war nun so weit, dass er die Prozedur im Kohlebecken wiederholen konnte. Wieder schleuderten seine Schläge Glutstücke hoch in die Luft, und spätestens jetzt war jedem klar, wozu man die ledernen Schürzen tragen musste. Ein Römer stöhnte gequält auf, als ihm ein Glutstückchen auf den Arm fiel und er es nicht schnell genug wegschnippen konnte. Die Schwerter wurden noch viermal erhitzt und zurück ins Kohlebecken gelegt, bevor Cavallo schließlich zufrieden nickte. Alle Anwesenden waren schweißgebadet und wegen des feuchten, heißen Dampfes in der Werkstatt so gut wie blind. Nur die Klingen durchschnitten den Nebel, und die heiße Luft, die sie abstrahlten, zog eine deutliche Spur hinter ihnen her. Draußen spielte die aufgehende Sonne bereits auf den Bergspitzen, doch die Männer konnten das Morgenlicht gar nicht sehen. Sie hatten viel zu lange ins Schmiedefeuer gestarrt, so dass sie jetzt überall nur Dunkelheit sahen, egal wo sie auch hinschauten. Cavallos Söhne deckten das Kohlebecken wieder ab und rückten es zurück an die Wand. Während die Römer tief durchatmeten und sich den Schweiß aus den Augen wischten, deckte Cavallo auch sein Schmiedefeuer ab und nahm die Blasebälge von den Luftlöchern. Säuberlich hängte er sie an Haken auf, bereit für den nächsten Einsatz. Die Hitze war noch immer erdrückend, doch als er sich zu ihnen umdrehte, sah er zufrieden, dass die Männer endlich eine Vorstellung davon bekommen hatten, wohin das alles führen sollte. In jeder Hand hielt er eine schwarze Klinge. Seine Finger umschlossen die schmalen Zungen am unteren Ende, um die herum später das Heft gelegt werden würde. Die Klingen waren matt und sahen noch sehr roh aus. Obwohl er jede nur mit Augenmaß bearbeitet hatte, waren sie doch exakt gleich lang und breit. Als sie genügend abgekühlt waren, so dass man sie herumreichen konnte, spürten die römischen Schmiede auch, dass jede Klinge gleich ausbalanciert war und zollten so viel Kunstfertigkeit nickend Tribut. Jetzt waren sie ganz und gar nicht mehr verärgert über die lange Zeit, die sie ihren eigenen Schmiedefeuern hatten fernbleiben müssen. Jedem von ihnen war klar geworden, dass man ihnen hier etwas sehr Wertvolles beigebracht hatte, und sie lächelten wie Kinder, als sie bewundernd die nackten Klingen hochhoben und sie begutachteten. Auch Renius kam an die Reihe, obwohl ihm die Erfahrung fehlte, das Gewicht eines Schwertes ohne Griff richtig abzuschätzen. Diese Klingen waren aus der Erde Spaniens hervorgegangen. Er strich ehrfürchtig mit dem Finger über das raue Metall und hoffte inständig, Julius die Denkwürdigkeit dieses Augenblicks begreiflich machen zu können. »Das Kohlebecken sorgt für die härtere äußere Hülle um den weicheren Kern. Diese Klingen werden im Kampf nicht brechen, es sei denn, ihr habt Unreinheiten darin eingeschlossen oder sie bei der falschen Farbe gehärtet. Ich will es euch demonstrieren«, sagte Cavallo mit vor Stolz geschwellter Brust. Er nahm den römischen Schmieden die Klingen wieder aus der Hand und bedeutete ihnen ein paar Schritte zurückzugehen. Dann ließ er jede der Klingen hart auf den Rand der Esse niedersausen. Sie vibrierten mit einem dunklen Ton, ähnlich einer Glocke, die beim Morgengrauen läutet. Beide Schwerter blieben heil, woraufhin er tief und befriedigt ausatmete. »Diese Schwerter werden Männer im Kampf töten. Sie werden das Töten zu einer Kunst machen.« Er sprach voller Ehrfurcht, und sie verstanden ihn gut. »Der neue Tag bricht an, ihr Herren. Eure Kohle wird gegen Nachmittag bereit sein, und ihr werdet zu euren eigenen Schmieden zurückkehren, um weitere Exemplare dieser neuen Schwerter anzufertigen. Ich will die Werke eines jeden von euch sehen, sagen wir in ... drei Tagen. Lasst sie zunächst ohne Griff, und ich fertige diese dann gemeinsam mit euch. Und jetzt gehe ich zu Bett.« Die ergrauten römischen Schmiede murmelten ihren Dank und trotteten ebenfalls aus der Werkstatt. Beim Hinausgehen warfen sie noch einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die Klingen, die sie in dieser Nacht angefertigt hatten. 4 Pompeius und Crassus standen von ihren Sitzen im Schatten auf, um das Volk zu grüßen. Begeistert jubelten die Zuschauer des Rennens im Circus Maximus ihren Konsuln in einer einzigen Welle des Lärms zu, deren Echo sich an den voll besetzten Rängen brach. Pompeius hob eine Hand zum Gruß, Crassus hingegen lächelte nur, doch auch er genoss die Aufmerksamkeit sehr. Er war überzeugt, sie auch verdient zu haben – schließlich hatte sie ihn eine Menge Gold gekostet. Jede der tönernen Eintrittsmarken war mit dem Bildnis der beiden Konsuln bedruckt, und obwohl sie großzügig umsonst verteilt worden waren, war Crassus zu Ohren gekommen, dass die Marken in den Wochen vor dem großen Ereignis wie eine Währung gehandelt worden seien. Viele derjenigen, die jetzt hier so gespannt auf das erste Rennen warteten, hatten für dieses Privileg teuer bezahlt. Er hatte immer wieder seine helle Freude daran, wie sein Volk selbst aus Geschenken noch einen Profit zu schlagen verstand. Es war herrliches Wetter, nur leichte Schleierwolken trieben hoch über der lang gezogenen Rennstrecke dahin, während die Menge unten ihre Plätze einnahm und sich bereits mit lauten Rufen über die ersten Wetten verständigte. Auf den Rängen war die Aufregung deutlich zu spüren und Crassus bemerkte erst jetzt, wie wenige Familien gekommen waren. Unglücklicherweise wurden die Rennen meist durch Prügeleien auf den billigen Plätzen gestört, wenn die Männer über ihre Wettverluste in Streit gerieten. Erst vor einem Monat hatte der Circus von Legionären geräumt werden müssen, um die Ordnung wiederherzustellen. Nachdem der Favorit im letzten Rennen des Tages verloren hatte, waren in einem kleinen Handgemenge sogar fünf Männer getötet worden. Bei dem Gedanken daran runzelte Crassus besorgt die Stirn und hoffte inständig, solche Vorkommnisse würden wenigstens dieses eine Mal ausbleiben. Er richtete sich auf, um nach Pompeius’ Soldaten Ausschau zu halten, die an den Toren und in den Hauptgängen postiert worden waren. Hoffentlich waren es genug, um auch die tollkühnsten Streithähne einzuschüchtern. Er wollte das Andenken an sein Jahr als Konsul nicht mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Verbindung gebracht sehen. So wie die Dinge zurzeit standen, würde seine Unterstützung für die Kandidaten der kommenden Wahlen immer noch sehr wertvoll sein. Obwohl noch mehr als die Hälfte seiner Amtszeit vor ihm lag, gruppierten sich die einzelnen Parteien im Senat schon jetzt um. Diejenigen, die ein Auge auf einen der höchsten Posten geworfen hatten, begannen bereits, ihren Namen langsam, aber sicher in Umlauf zu bringen. Dies hier waren die größten Spiele Roms, und Crassus wusste, dass die vielen Gefälligkeiten, die er hier erwiesen hatte, seine Währung für die Macht im nächsten Jahr darstellten, wenn nicht sogar darüber hinaus. Verstohlen betrachtete er seinen Mitkonsul und fragte sich, ob auch er schon Pläne für die Zukunft schmiedete. Jedes Mal, wenn er das Gesetz, das ihnen Grenzen setzte, verfluchte, tröstete ihn die Tatsache, dass Pompeius ebenso daran gebunden war wie er selbst. Rom würde es nicht zulassen, dass ein weiterer Marius immer und immer wieder Konsul wurde. Diese wilden Zeiten waren mit dem Schatten Sullas und dem Bürgerkrieg endgültig vorbei. Andererseits hielt nichts und niemand Pompeius davon ab, seine eigenen Favoriten als Nachfolger aufzubauen. Crassus wünschte sich sehnlichst, er könne dieses Gefühl der Unzulänglichkeit einfach so abschütteln, das immer dann von ihm Besitz ergriff, wenn er mit Pompeius zusammen war. Trotz seiner markanten Gesichtszüge sah Pompeius mit seinem breiten, Vertrauen erweckenden Gesicht und dem leicht angegrauten Haar genauso aus, wie ein Konsul nun einmal auszusehen hatte. Manchmal fragte er sich insgeheim, ob diesem ehrwürdigen Äußeren nicht vielleicht doch mit etwas Puder an den Schläfen nachgeholfen wurde. Selbst wenn er direkt neben ihm saß, so wie jetzt, konnte Crassus es nicht mit Sicherheit sagen. Und als sei Pompeius nicht schon genug von den Göttern begünstigt, schien ihr Segen auch noch auf seinen militärischen Unternehmungen zu liegen. Er hatte dem Volk versprochen, das Meer von den Piraten zu befreien, und in nur wenigen Monaten hatte die römische Flotte das Mare Internum von diesen Aasgeiern gesäubert. Der Handel war aufgeblüht, genau wie Pompeius es versprochen hatte. Niemand hier in der Stadt dankte Crassus dafür, dass er das Ganze finanziert hatte oder die Verluste der Schiffe trug, die nicht wiedergekehrt waren. Stattdessen musste er den Leuten immer mehr Gold zuwerfen, damit sie ihn nicht vergaßen, wohingegen Pompeius sich, ihrer Bewunderung gewiss, zurücklehnen konnte. Crassus trommelte nervös mit den Fingern der einen Hand auf den Rücken der anderen. Die Bürger Roms respektierten nur, was sie auch sehen konnten. Wenn er selbst eine Legion aufstellen würde, die in den Straßen patrouillierte, würden sie ihn jedes Mal segnen, wenn einer seiner Männer einen Dieb fasste oder einen Streit schlichtete. Ohne Legion würde Pompeius ihn nie als ebenbürtig betrachten. Der Gedanke war ihm nicht neu, doch er zögerte dennoch, eine neue Standarte auf dem Campus Martius aufzupflanzen. Ständig verspürte er diese nagende Angst, Pompeius könnte mit seiner Einschätzung über ihn Recht haben. Welche Siege für Rom konnte Crassus für sich schon in Anspruch nehmen? Auch wenn er sie in glänzende Rüstungen steckte, eine Legion musste gut geführt werden, was für Pompeius kein Problem zu sein schien. Der Gedanke, eine weitere Erniedrigung zu riskieren, war mehr, als Crassus ertragen konnte. Der Feldzug gegen Spartakus war schon schlimm genug gewesen. Er war sich sicher, dass sie noch immer hinter seinem Rücken über ihn lachten, wegen des Walls quer über den unteren Teil des italienischen Stiefels. Keiner der Senatoren erwähnte es öffentlich, doch die Nachricht war von den Soldaten zu ihm durchgedrungen. Seine Spione hatten ihm berichtet, dieses Thema sei beim geschwätzigen Pöbel der Stadt noch immer Anlass für Gespött und Gelächter. Pompeius behauptete zwar, er bilde sich das nur ein, aber für ihn war es ein Leichtes, so selbstgefällig zu sein. Wer am Ende des Jahres auch gewählt wurde, Pompeius würde eine treibende Kraft im Senat bleiben. Crassus wünschte sich, er könnte seiner eigenen Stellung genauso sicher sein. Beide Männer sahen zu, wie die sieben hölzernen Eier herausgebracht und zur Spina, der zentralen Säule in der Mitte der Rennstrecke, geschafft wurden. Zu Beginn jeder einzelnen Runde würde eines davon entfernt werden, so lange, bis das letzte schließlich den wilden Kampf am Ende eines jeden Rennens anzeigte. Als sich die Rituale vor den eigentlichen Rennen ihrem Ende zuneigten, gab Crassus ein Handzeichen nach hinten, und ein gut gekleideter Sklave erschien, um seine Wetten zu übermitteln. Crassus hatte zuvor eine sehr nützliche Stunde bei den Wagenlenkern und ihren Gespannen in den dunklen Ställen unter den Sitzreihen verbracht. Pompeius hingegen hatte diese Gelegenheit verschmäht. Crassus vertraute seinem eigenen Urteil; er hielt das Gespann der spanischen Schimmel unter Paulus für unschlagbar, doch er zögerte noch, während der Sklave neben ihm geduldig darauf wartete, seinem Herrn die Wette überbringen zu können. Das Tal zwischen den Hügeln war hier normalerweise perfekt für Pferde, die weichen Untergrund liebten, doch seit einer Woche hatte es kaum geregnet, und auf dem Boden vor den Sitzplätzen der Konsuln konnte er Staubwolken aufwirbeln sehen. Sein Mund wurde beinahe ebenso trocken, als er versuchte, zu einer endgültigen Entscheidung zu kommen. Paulus war ihm sehr selbstsicher erschienen, und die Götter liebten nun einmal die Wagemutigen. Dies war schließlich sein Tag. »Drei Sesterze auf Paulus’ Gespann«, sagte er nach einer langen Bedenkpause. Der Sklave nickte, aber als er sich zum Gehen wendete, hielten Crassus’ knochige Finger ihn am Arm zurück. »Nein, doch nur zwei. Der Boden ist ziemlich trocken.« Als der Mann schließlich ging, sah Crassus Pompeius belustigt grinsen. »Ich verstehe wirklich nicht, warum du überhaupt wettest«, sagte er. »Du bist der reichste Mann in Rom, aber du riskierst wesentlich weniger als die Hälfte der Leute hier. Was sind für dich schon zwei Sesterze? So viel wie ein Becher Wein?« Crassus rümpfte die Nase. Zu diesem Thema war bereits alles gesagt. Pompeius zog ihn gerne damit auf, doch wenn er Gold brauchte, um seine kostbaren Legionen zu bezahlen, bettelte er ihn regelmäßig an. Für den Älteren war das zwar eine gewisse Genugtuung, aber er fragte sich ernsthaft, ob Pompeius sich über so etwas überhaupt Gedanken machte. Crassus hätte an seiner Stelle daran gelitten wie an einem langsam wirkenden Gift; Pompeius hingegen verlor seine gute Laune nie. Der Mann war jedem Gespür für die Würde des Reichtums völlig abhold. »In jedem Rennen kann sich ein Pferd vertreten, oder der Fahrer stürzt. Erwartest du etwa von mir, dass ich mein Gold dem puren Zufall überlasse?« Der Wettsklave kam wieder zurück und übergab Crassus eine Marke, die dieser fest umklammerte. Pompeius musterte ihn mit seinen hellen Augen. In seinem Blick lag Verachtung, die Crassus nicht zu bemerken vorgab. »Wer fährt denn außer Paulus noch in dem ersten Rennen?«, fragte Pompeius den Sklaven. »Noch drei andere, Herr. Ein neues Gespann aus Thrakien, Dacius aus Mutina, und ein weiteres Gespann, das per Schiff aus Spanien gekommen ist. Man sagt, die spanischen Pferde seien durch ein Gewitter während der Überfahrt sehr unruhig. Im Moment gehen die meisten Wetteinsätze auf Dacius.« Crassus starrte den Mann verärgert an. »Davon hast du vorhin aber nichts gesagt«, schnappte er bissig. »Auch Paulus hat seine Pferde von Spanien hierher gebracht. Waren sie etwa auf demselben Schiff?« »Das weiß ich nicht, Herr«, antwortete der Sklave und senkte den Kopf. Crassus’ Gesicht lief rot an, und er überlegte, ob er die Wette noch rückgängig machen sollte, ehe das Rennen begann. Nein, nicht vor Pompeius. Es sei denn, er konnte sich unter irgendeinem Vorwand einen Moment von seinem Platz entfernen. Pompeius lächelte über das sichtliche Unbehagen des anderen Konsuls. »Ich vertraue einfach dem Volk. Einhundert Goldstücke auf Dacius also.« Bei dieser Summe, die weit über seinem eigenen Kaufpreis lag, zuckte der Sklave mit keiner Wimper. »Gewiss, Herr. Ich hole dir die Marke.« Er blieb noch einen Augenblick in stummer Erwartung stehen, aber Crassus sah ihn nur wortlos an. »Beeil dich. Das Rennen fängt jeden Moment an«, drängte Pompeius, und der Sklave eilte davon. Pompeius hatte zwei Flaggenträger erspäht, die sich dem langen Bronzehorn am Ende der Rennstrecke näherten. Die Menge jubelte, als das Signal erklang und die Tore zu den Ställen sich öffneten. Der Römer Dacius, dessen leichter Wagen von dunkelbraunen Wallachen gezogen wurde, erschien zuerst. Crassus rutschte nervös auf seinem Sitz hin und her, als er die arrogante Haltung und das Geschick des Mannes sah, der sein Gespann makellos wendete und zur Startlinie lenkte. Die Menge jubelte dem kleinen, stämmigen Mann frenetisch zu. Er grüßte zu den Sitzen der Konsuln herauf, und Pompeius erhob sich, um den Gruß zu erwidern. Crassus tat es ihm gleich, doch Dacius hatte sich schon wieder abgewandt, um sich für das Rennen bereit zu machen. »Er sieht heute sehr hungrig aus, Crassus. Seine Pferde kämpfen gegen die Zügel an«, erklärte Pompeius seinem Kollegen fröhlich. Crassus ging nicht darauf ein und sah hinunter zu dem nächsten Gespann, das gerade einfuhr. Es war der Thraker, erkennbar an der grünen Wagenfarbe. Der bärtige Wagenlenker war noch unerfahren, und nur sehr wenige hatten Geld auf ihn gesetzt. Dessen ungeachtet jubelte die Menge auch ihm pflichtschuldig zu, doch die meisten hielten bereits ungeduldig nach den letzten beiden Wagen Ausschau, die noch aus dem Dunkel der Ställe herauskommen mussten. Paulus ließ die langen Zügel über seinen spanischen Pferden schnalzen, als sie ins Freie gedonnert kamen. Bei ihrem Anblick schlug Crassus begeistert mit der Faust auf die Brüstung. »Dacius wird sich mächtig anstrengen müssen, um die zu schlagen. Sieh nur, in was für einem hervorragenden Zustand diese Pferde sind, Pompeius. Ein herrlicher Anblick!« Auch Paulus wirkte sehr von sich überzeugt, als er die Konsuln grüßte. Selbst aus dieser Entfernung konnte Crassus das Aufblitzen der weißen Zähne in dem braun gebrannten Gesicht erkennen. Seine Besorgnis legte sich ein wenig. Die Wagen gingen nebeneinander in Aufstellung, auch der letzte Wettstreiter, der Spanier, gesellte sich zu ihnen. Bei seinem ersten Besuch in den Ställen hatte Crassus nichts Auffälliges an den Pferden feststellen können, doch nun beobachtete er sie erneut kritisch und suchte nach Anzeichen von Schwäche. Trotz seiner zuversichtlichen Äußerung Pompeius gegenüber war er plötzlich überzeugt, dass die Hengste im Vergleich zu den anderen Tieren irgendwie unwohl wirkten. Nur zögernd setzte er sich wieder. Erneut ertönte ein lautes Signal, was bedeutete, dass keine Wetten mehr angenommen wurden. Der Sklave kam zurück und übergab Pompeius seine Marke, und der Konsul spielte gedankenverloren damit. Alles wartete gespannt. Langsam legte sich völlige Stille über die Menschenmenge. Doch plötzlich erschraken Dacius’ Pferde vor irgendetwas und drängten sich seitlich in das thrakische Gespann hinein, woraufhin die beiden Wagenlenker ihre Peitschen über den Köpfen der Tiere knallen lassen mussten. Selbst bei vollem Galopp genügte es, wenn ein guter Wagenlenker seine Peitsche wenige Zentimeter über einem seiner Pferde schnalzen ließ, um die gewünschte Ordnung sofort wiederherzustellen. Crassus bemerkte, wie ruhig und gelassen der Thraker war, und fragte sich, ob er da eine Chance verpasst hatte. Der kleine Mann wirkte zwischen all den erfahreneren Wagenlenkern um ihn herum ganz und gar nicht fehl am Platze. Die Stille wurde auch dann nicht unterbrochen, als die Pferde noch einen Augenblick lang schnaubend und stampfend an der Startlinie standen. Dann aber wurde das Horn zum dritten Mal geblasen, und der klagende Ton ging sofort in dem Aufbrüllen unter, als die Gespanne vorwärts preschten. Das Rennen hatte begonnen. »Das hast du sehr gut gemacht, Crassus«, sagte Pompeius und ließ den Blick über die Menge schweifen. »Ich bezweifle, dass es jemanden in Rom gibt, der deine Großzügigkeit nicht zu schätzen weiß.« Crassus sah ihn scharf an und suchte nach Anzeichen von Spott, doch Pompeius’ Gesicht war völlig ausdruckslos. Er schien den misstrauischen Blick nicht einmal zu spüren. Unter ihnen erreichten die unter donnerndem Hufgetrappel dahinsausenden Pferde die erste Kurve, und die leichten Wagen malten lang gezogene Bögen in den Sand. Die Lenker beugten sich zur Seite, um die Balance zu halten. Nur ihr Geschick und ihre Kraft hielten sie aufrecht im Wagen, eine beeindruckende Darbietung. Plötzlich schlüpfte Dacius zwischen zwei anderen Wagen hindurch und ging sehr früh in Führung. Crassus legte sorgenvoll die Stirn in Falten. »Hast du dich schon entschieden, wen du Ende des Jahres bei der Wahl zum Konsul unterstützen willst?«, fragte er in bemüht beiläufigem Tonfall. Pompeius lächelte. »Ein bisschen früh, jetzt schon darüber nachzudenken, mein Freund. Im Moment bereitet es mir noch viel zu viel Vergnügen, selbst Konsul zu sein.« Crassus schnaubte verächtlich bei dieser offensichtlichen Lüge, denn er kannte Pompeius zu gut, um diesen Worten Glauben zu schenken. Pompeius hielt seinem prüfenden Blick nicht lange stand und zuckte die Achseln. »Ich denke, man könnte Senator Prandus überzeugen, seinen Namen auf die Liste zu setzen«, sagte er schließlich. Crassus verfolgte wieder nachdenklich das Rennen und überlegte, was er von dem Mann wusste. »Es gibt schlechtere Kandidaten«, meinte er dann. »Würde er deine ... Führung denn akzeptieren?« Pompeius’ Augen glänzten vor Aufregung, weil Dacius weiterhin das Feld anführte. Crassus fragte sich, ob er dieses übermäßige Interesse nur heuchelte, um ihn zu ärgern. »Pompeius? «, fragte er drängend. »Zumindest würde er keinen Ärger machen«, erwiderte Pompeius. Crassus war hocherfreut, ließ es sich aber nicht anmerken. Weder Prandus noch sein Sohn hatten besonders großen Einfluss im Senat, und wenn man schwache Männer als Konsuln wählte, bedeutete das, er und Pompeius konnten die Stadt weiterhin regieren. Sie tauschten einfach nur die öffentliche Variante des Amtes gegen eine privatere ein. In die Anonymität der hinteren Sitzreihen des Senats zurückzukehren, nachdem man Rom einmal regiert hatte, war für sie beide keine sehr verlockende Aussicht. Crassus fragte sich, ob Pompeius wohl wusste, dass diese Familie ihm Geld schuldete. Sobald Prandus gewählt worden war, würde er seine eigene Art von Kontrolle über ihn ausüben. »Wenn du dir dessen sicher bist, würde ich Prandus auch akzeptieren«, sagte er über den Lärm der Menge hinweg. Pompeius warf ihm ein amüsiertes Lächeln zu. »Hervorragend. Weißt du, ob Cinna sich zur Wahl stellt?« Crassus schüttelte den Kopf. »Er hat sich seit dem Tod seiner Tochter völlig zurückgezogen. Hast du etwas verlauten hören?« In seinem Übereifer packte Crassus den anderen am Arm, doch Pompeius verzog bei dieser Berührung das Gesicht. Crassus hasste ihn in solchen Momenten. Mit welchem Recht hielt er sich für etwas Besseres, wenn doch er, Crassus, die Rechnungen seines Hauses zahlte? »Nein, ich habe noch nichts gehört, Crassus. Wenn es nicht Cinna ist, dann müssen wir eben einen anderen finden, der sich um den zweiten Posten bewirbt. Wahrscheinlich kann man einen neuen Namen gar nicht früh genug ins Spiel bringen.« Als die vierte Runde begann, führte Dacius bereits mit einer vollen Länge, und der Thraker lag direkt hinter ihm. Paulus kam an dritter Stelle, die von der Überfahrt geschwächten spanischen Pferde lagen ganz hinten. Die Menge feuerte Fahrer und Gespanne brüllend an, und aller Augen lagen auf den Wagen, als sie die Gegenkurve umrundet hatten und jetzt über die Startlinie in die fünfte Runde preschten. Eines der hölzernen Eier wurde weggenommen, und die Schreie und Zurufe klangen langsam heiser. »Hast du mal an Julius gedacht? Seine Zeit in Spanien ist fast um«, sagte Crassus. Pompeius sah plötzlich argwöhnisch zu ihm hinüber. Er verdächtigte Crassus noch immer einer starken Loyalität gegenüber dem jungen Cäsar, die er selbst nicht teilte. Hatte der Mann etwa nicht der Zehnten sämtliche Schulden erlassen, kurz nachdem Julius deren Führung übernommen hatte? Pompeius schüttelte den Kopf. »Der nicht, Crassus. Dieser Hund hat Zähne. Bestimmt wünschst du dir auch nicht mehr ... Unannehmlichkeiten als ich.« Dacius hatte seinen Vorsprung noch deutlicher ausbauen können, aber Crassus redete weiter. Es machte ihm Spaß, die demonstrative Gelassenheit seines Kollegen zu erschüttern. »Es heißt, Cäsar habe seine Sache in Spanien sehr gut gemacht. Neue Ländereien und neue Städte befinden sich fest in unserem Einflussbereich. Ich glaube, es soll sogar die Rede von einem Triumphzug für ihn sein.« Pompeius sah Crassus scharf an und legte die Stirn in Falten. »Ich habe nichts von einem Triumphzug gehört, und ich habe mich klipp und klar ausgedrückt. Wenn die Zeit auf seinem Posten abgelaufen ist, schicke ich ihn irgendwo anders hin. Vielleicht nach Griechenland. Was du auch geplant hast, Crassus, vergiss es. Ich habe zusehen müssen, wie meine eigenen Männer wegen seines Eichenlaubkranzes für ihn im Regen aufgestanden sind. Meine eigenen Männer haben einen Fremden geehrt! Du erinnerst dich doch wohl noch an Marius. So einen wollen wir nicht noch einmal in der Stadt, und schon gar nicht als Konsul.« Crassus sagte eine Weile lang nichts mehr, und Pompeius beschloss, sein Schweigen als Zustimmung zu interpretieren. Dacius wollte gerade das spanische Gespann überrunden und setzte zum Überholen an. Gerade als er an ihm vorbeizog, verlor der unsichere Wagenlenker einen Moment die Kontrolle, ein winziger Augenblick, der ausreichte, dass sich die beiden Wagen mit einem Krachen rammten, das noch durch den entsetzten Aufschrei der Menge hinweg deutlich zu hören war. Von einer Sekunde zur anderen verwandelten sich die beiden ordentlichen Gespannreihen in ein kreischendes Chaos. Der Thraker zog die Zügel an, um an dem Unfall vorbeizusteuern. Seine Peitsche schnalzte laut neben den Pferden seines Gespanns, die der Unfallstelle am nächsten waren, und er zwang sie so rigoros, das Tempo zu drosseln, dass sein Wagen beinahe umstürzte. Gebannt starrte die Menge auf den kleinen Mann, wie er sein Gespann um die auf der Bahn liegenden Tiere herummanövrierte. Dann aber waren er und seine Pferde sicher daran vorbei, und die Gefahr war vorüber. Viele der Zuschauer sprangen auf und applaudierten ihm spontan für sein außerordentliches Geschick. Pompeius fluchte leise vor sich hin, als er sah, dass Dacius noch immer am Boden lag. Eines seiner Beine war seltsam verdreht. Sein Knie war offensichtlich zertrümmert. Er war zwar mit dem Leben davongekommen, würde aber nie wieder Rennen fahren. »Gib den Wachen, die ich für dich abgestellt habe, ein Zeichen, Crassus. Sobald die Leute sich von dem Schrecken erholt haben, fangen sie bestimmt mit Prügeleien an.« Crassus schob verärgert das Kinn vor und sah sich nach einem Zenturio um, dem er mit der erhobenen Faust ein Zeichen gab. Keinen Augenblick zu früh gingen die Soldaten durch die Reihen nach unten. Nach der Aufregung durch den Unfall waren den Leuten jetzt ihre verlorenen Wetten eingefallen; ein einziger empörter Aufschrei wogte durch die Menge. Die letzten Runden verliefen ohne weitere Zwischenfälle, und der Thraker überquerte die Linie als Erster, auch wenn sich jetzt niemand mehr dafür interessierte. Einige Schlägereien waren bereits im Gange, aber die Legionäre griffen rasch ein und trennten die sich prügelnden Männer mit der breiten Seite ihrer Schwerter voneinander. Pompeius gab seiner Leibwache das Zeichen zum Gehen, woraufhin sie ihm einen Weg nach draußen bahnte. Im Weggehen blickte er sich noch ein letztes Mal zu Crassus um. In dessen Augen stand, dieses eine Mal völlig unverhüllt, seine Abneigung gegen ihn deutlich zu lesen. Auf der Straße angekommen, war Pompeius bereits so in seine Gedanken versunken, dass er das anwachsende Chaos hinter sich kaum noch wahrnahm. Julius schwang sich am Dorfeingang aus dem Sattel. Sein Pferd schnaubte leise und machte sich über die zarten, grünen Grashalme zwischen den Pflastersteinen einer alten Straße her. Er und Servilia waren tief ins Landesinnere hineingeritten, und in den Hügeln ringsum waren keinerlei Anzeichen menschlicher Behausungen zu erkennen. Es war eine wunderschöne Landschaft, mit breiten Waldstreifen und Kalksteinhängen, die bis in die grünen Täler hinunterreichten. Lange bevor sie hier angekommen waren, hatte die Sonne ihren Zenit überschritten. Unterwegs war ihnen Rotwild über den Weg gelaufen, Wildschweine waren aufgeregt grunzend vor ihren Pferden davongestoben. Julius hatte für ihren Ausritt lange, verschlungene Wege gewählt, um die Begegnung mit anderen Menschen zu vermeiden. Er schien es zufrieden, mit ihr alleine zu sein, und Servilia fühlte sich geschmeichelt. Manchmal kam es ihr sogar so vor, als seien sie die einzigen Menschen auf der Welt. Die schattigen Wälder lagen vollkommen still da, und auch sie selbst wirkten in dem Dämmerlicht fast schon wie Geister. Nur manchmal machten die Bäume dem Sonnenlicht und einer grünen Lichtung Platz, dann galoppierten sie wild drauflos und aus der Dunkelheit heraus, bis sie irgendwann keuchend und lachend wieder anhielten. Servilia konnte sich an keinen vollkommeneren und schöneren Tag erinnern. Das seltsame Dorf, in das Julius sie führte, lag am Talausgang, ganz in der Nähe eines Flusses. Doch wie schon zuvor im Wald, unterbrach auch hier keine menschliche Stimme die vollkommene Stille. Die uralten Häuser waren schon halb zusammengefallen, wilde Farnstauden und Efeu wuchsen von innen aus den Fenstern heraus. Überall gab es Spuren von Zerfall. Türen, die einmal in steifen, ledernen Angeln gehangen hatten, klafften jetzt weit auf, und kleine wilde Tiere huschten verschreckt vor ihnen davon, als sie ihre Pferde auf der Straße zur Mitte der Ansiedlung führten. Die unheimliche Stille des verlassenen Dorfes machte einem das Sprechen schwer, gerade so, als sei jedes Gespräch an diesem Ort ein unerwünschtes Eindringen. Es erinnerte Servilia an die widerhallenden Bogengänge eines Tempels, und sie fragte sich, weshalb Julius sie wohl hierher gebracht hatte. »Warum haben die Bewohner dieses Dorf verlassen?«, fragte sie ihn schließlich. Er zuckte die Schultern. »Alles Mögliche könnte der Grund dafür sein. Eine Invasion, eine Seuche ... Vielleicht wollten sie sich auch nur woanders ein neues Zuhause suchen. Als ich es entdeckte, habe ich hier ganze Tage zugebracht, aber die Häuser sind schon vor langer Zeit geplündert worden, und man sieht nur noch sehr wenig davon, wie seine Einwohner damals gelebt haben. Es ist ein eigenartiger Ort, aber ich mag ihn trotzdem sehr gern. Wenn wir dieses Tal jemals mit unseren Brücken und neuen Straßen erreichen, wird es mir sehr Leid tun, ihn verschwinden zu sehen.« Sein Fuß streifte ein verblasstes Stück gebrannten Tons, das vielleicht einmal ein Schild gewesen war. Er bückte sich, um es genauer anzusehen, und blies den Staub weg. Die Platte war glatt und so dünn, dass er sie leicht mit einer Hand hätte zerbrechen können. »Ich nehme an, hier hat es früher einmal ausgesehen wie jetzt in Valencia. Mit einem Marktplatz, auf dem die Ernte verkauft wurde, und Kindern, die mit den Hühnern um die Wette gerannt sind. Es fällt einem schwer, sich das jetzt vorzustellen.« Servilia sah sich um und versuchte, sich einen Platz voller Menschen auszumalen. Aus dem Augenwinkel erspähte sie neben sich auf einer Mauer gerade noch eine Eidechse, bevor diese wieder blitzschnell unter einem heruntergebrochenen Dachvorsprung verschwand. Es hatte etwas Unheimliches, durch dieses Dorf zu spazieren. Man hatte beinahe den Eindruck, als müssten sich die Straßen jeden Moment wieder mit Lärm und Menschen füllen, als hätte es niemals eine Unterbrechung gegeben. »Warum kommst du hierher?«, fragte sie. Er sah sie seltsam lächelnd von der Seite an. »Ich zeige es dir », sagte er und bog um die Ecke in eine breitere Straße ein. Die Häuser hier waren nicht viel mehr als Steinhaufen. Weiter hinten konnte Servilia einen freien Platz erkennen, auf den sie zuhielten. Die Sonne erwärmte die Luft um sie her, und als sie die offene Fläche endlich erreicht hatten, beschleunigte Julius eifrig seine Schritte. Die schweren Steinplatten, die den Boden des Platzes bedeckten, waren gesprungen, die Risse mit Gras und wilden Blumen durchzogen, doch Julius schritt darüber hinweg ohne hinzusehen. Sein Blick war auf einen zerbrochenen Sockel gerichtet, neben dem die Bruchstücke einer Statue lagen. Die Gesichtszüge der Figur waren beinahe vollständig verwittert, der weiße Stein porös und angeschlagen, doch Julius näherte sich ihr trotzdem mit Ehrfurcht. Er band ihre Pferde an einen jungen Schössling, der zwischen den geborstenen Steinplatten einen Weg ans Licht gefunden hatte, beugte sich zu der Statue hinunter und zeichnete ihre Gesichtszüge mit der Hand nach. Ein Arm war abgebrochen, dennoch konnte Servilia sehen, was für ein eindrucksvolles Standbild es einmal gewesen sein musste. Dann entdeckte sie die Stelle, an der Schriftzeichen in den schweren Sockel eingehauen waren, und sie berührte gedankenvoll die seltsamen Buchstaben. »Wer ist das?«, flüsterte sie. »Einer der Gelehrten hier hat mir gesagt, da stünde ›Alexander, der König‹.« Julius’ Stimme klang ganz rau, und Servilia verspürte wieder das Bedürfnis, ihn zu berühren und seine Gedanken und Gefühle mit ihm zu teilen. Erstaunt sah sie, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, während er das steinerne Gesicht betrachtete. »Was hast du denn? Ich verstehe nicht ... «, sagte sie und streckte ohne weiter darüber nachzudenken die Hand nach ihm aus. Seine Haut fühlte sich heiß an, und er entzog sich ihrer Berührung nicht. »Wenn ich ihn sehe ... «, sagte er leise und wischte sich die Tränen aus den Augen. Einen Augenblick drückte er ihre Hand an sein Gesicht, bevor er sie wieder losließ. Wortlos starrte er die Statue noch eine Weile an und zuckte dann die Achseln. Er hatte sich wieder unter Kontrolle. »Als er in meinem Alter war, hatte er bereits die ganze Welt erobert. Man sagt, er sei ein Gott gewesen. Verglichen mit ihm habe ich mein Leben vergeudet.« Servilia setzte sich auf die Stufen des Sockels neben ihn, und obwohl sich ihre Oberschenkel nur leicht berührten, spürte sie die Berührung sehr intensiv. Nach einer Weile setzte Julius gedankenverloren und mit tonloser Stimme abermals an. »Als kleiner Junge habe ich gerne die Erzählungen von seinem Leben und seinen Schlachten gehört. Er war ... einfach unglaublich. Er hielt die Welt in seinen Händen, als er kaum mehr als ein Kind war. Damals dachte ich immer, dass ich ... Ich habe früher seinen Weg vor mir gesehen.« Wieder hob Servilia die Hand und streichelte ihm über das Gesicht. Dieses Mal schien er die Berührung zum ersten Mal wirklich wahrzunehmen und hob den Kopf, um sie anzusehen, als sie sprach. »Alles, was du haben willst, befindet sich direkt vor dir«, sagte sie. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie ihm damit vielleicht nicht eher etwas Persönlicheres darbot, als nur die Hoffnung auf Ruhm. Julius schien beide Bedeutungen aus ihren Worten herausgehört zu haben und ergriff wieder ihre Hand. Dieses Mal suchte sein Blick dabei den ihren, und in seinen Augen lag eine unausgesprochene Frage. »Ich will alles«, flüsterte er, und sie hätte nicht zu sagen vermocht, wer von ihnen beiden den anderen zuerst küsste. Wie sie da zu Füßen Alexanders saßen, geschah es einfach, und sie spürten beide die Macht des Augenblicks. 5 In den darauf folgenden Tagen schien die Zeit unendlich langsam zu vergehen, wenn Servilia keinen Vorwand für einen weiteren Ausritt finden konnte. Die Goldene Hand florierte, und Servilia hatte zwei Männer aus Rom nach Valencia bringen lassen, beide groß und breit genug, um auch den wildesten Rabauken in Schach zu halten. Statt sich über den Erfolg zu freuen, ertappte sie sich jedoch ständig dabei, wie ihre Gedanken zu dem seltsamen jungen Mann abschweiften, der so verletzlich und zugleich so Furcht einflößend sein konnte. Sie hatte sich gezwungen, nicht noch einmal bei ihm vorzusprechen, und wartete stattdessen auf seine Einladung. Als sie endlich gekommen war, hatte sie laut über sich selbst lachen müssen, trotzdem erfüllte sie eine freudige Erregung. Bald darauf spazierten sie gemeinsam durch ein wogendes Kornfeld, und sie blieb immer wieder stehen, um weitere Halme zu pflücken, die sie zu einem Kranz flocht. Julius wartete geduldig auf sie. Schon sehr lange war er nicht mehr so entspannt und gelöst gewesen. Die Niedergeschlagenheit, die ihn fest im Griff gehabt hatte, schien sich in ihrer Gesellschaft einfach in Luft aufzulösen. Eigenartig, dass ihr Ausflug in die Wildnis wirklich nur ein paar Wochen her sein sollte. Bereits jetzt hatte Servilia instinktiv erkannt, was für ihn im Leben am wichtigsten war, und er hatte das Gefühl, sie schon immer zu kennen. Durch sie waren die Albträume, die er wie junge Hunde in schwerem Wein hatte ersäufen wollen, verschwunden. Er spürte sie zwar noch immer um sich kreisen, doch Servilia brachte Alexanders Segen zu ihm. Sie war sein Schutzwall gegen die Schatten, die ihn in die Verzweiflung drängen wollten. Er konnte vergessen, wer er geworden war, und den Mantel seiner Autorität fallen lassen. Jeden Tag eine oder zwei Stunden in einem Sonnenschein, der mehr als nur seine Haut wärmte. Als sie sich aufrichtete, sah er sie an und wunderte sich wieder über die Wucht der Gefühle, die sie in ihm auszulösen vermochte. Eben noch machte ihn ihr Wissen über Rom und die Senatoren sprachlos, im nächsten Augenblick brach sie wie ein Kind in fröhliches Gelächter aus oder pflückte noch eine Blume, die sie in ihren Kranz einflocht. Nach ihrem ersten Ausritt zu dem Dorf mit der zerbrochenen Statue hatte Brutus ihre Freundschaft ermutigt. Er sah, dass Servilia Balsam für die Seele seines gequälten Freundes war. Dieser Balsam heilte Wunden, die schon viel zu lange schwärten. »Pompeius hat einen Fehler gemacht, als er die Sklaven kreuzigen ließ«, sagte Julius. Er erinnerte sich an die lange Reihe aus Kreuzen mit den wimmernden, gequälten Gestalten, die auf den Tod warteten. Selbst vier Jahre später waren die Bilder des großen Sklavenaufstandes in seinem Kopf noch immer schmerzhaft lebendig. Die Krähen hatten sich gütlich getan, bis sie zu fett zum Fliegen waren, und dann hatten sie auch noch seine Männer empört angekrächzt, die nach den träge umherstaksenden Vögeln traten. Allein bei dem Gedanken daran schauderte er jetzt noch. »Nachdem es einmal angefangen hatte, haben wir den Sklaven ja keine andere Wahl als den Tod gelassen. Sie wussten, dass wir sie niemals einfach ziehen lassen würden. Sie wurden schlecht geführt, und Pompeius hat sie fesseln und von Süden her die ganze Via entlang ans Kreuz nageln lassen. Dem Druck des Pöbels einfach nachzugeben, damit hatte er wirklich keine Größe bewiesen.« »Dann hättest du es ihm also nicht gleichgetan?«, wollte Servilia wissen. »Spartakus und die Seinen mussten sterben, aber in ihren Reihen gab es sehr tapfere Männer, die so mancher Legion gegenübergestanden und sie besiegt hatten. Nein, ich hätte eine neue Legion aus ihnen geformt und sie mit den härtesten Schindern unter den Zenturionen aller anderen Legionen gespickt. Sechstausend kampfgestählte, tapfere Männer, Servilia, und alle wurden sie seinem Ehrgeiz geopfert. Statt sie alle einfach ans Kreuz zu nageln, hätte man so viel besser ein Exempel statuieren können. Aber Pompeius blickt nicht weiter, als es ihm seine kleinlichen Regeln und Traditionen erlauben. Er hält an seiner Linie fest, während der Rest der Welt an ihm vorbeizieht.« »Die Leute haben ihn jubelnd in Rom empfangen, Julius. Pompeius war derjenige, den die Leute wirklich als Konsul wollten. Crassus besetzt lediglich den zweiten Platz in seinem Schatten.« »Es wäre besser gewesen, sie hätten die Sklaven selbst abgewehrt«, murmelte Julius. »Dann könnten sie stolz und aufrecht dastehen, statt sich wie jetzt dabei zu überschlagen, Pompeius die Füße zu küssen. Es ist besser, sein eigenes Essen anzubauen, statt nach Männern wie Pompeius zu schreien, die einen füttern sollen. Es steckt wie eine Krankheit in uns, verstehst du? Wir bringen immer wieder unwürdige Männer an die Macht, damit sie uns regieren.« Er rang nach Worten. Servilia blieb stehen und drehte sich zu ihm um. An einem so heißen Tag hatte sie eine Stola aus dünnem Leinen gewählt und ihr Haar mit einem silbernen Band zurückgebunden, das ihren Nacken freigab. Jeder Tag, den er mit ihr verbrachte, schien eine neue Facette ihres Wesens zum Vorschein zu bringen. Er verspürte das Verlangen, ihren Nacken zu küssen. »Er hat die Piraten vernichtet, Julius. Du vor allen anderen solltest dich besonders darüber freuen.« »Darüber freue ich mich ja auch«, sagte er mit bitterem Unterton, »nur hätte ich diese Aufgabe gerne selbst übernommen. Pompeius träumt nicht, Servilia. Es gibt viele neue Länder, voller Perlen und Gold, aber er ruht sich aus und veranstaltet Spiele für das Volk. Sie hungern auf den Feldern, während er ihnen neue Tempel baut, damit sie für Wohlstand beten können.« »Würdest du denn mehr tun?«, fragte sie und hakte ihn unter. Ihre Hand lag warm auf seinem Arm, und unter dem plötzlichen Ansturm von Leidenschaft, der ihn selbst überraschte, entschwanden sämtliche Gedanken aus seinem Kopf. Er fragte sich, ob sie es ihm wohl ansah und stammelte eine Antwort. »Ja, das würde ich. Es gibt genug Gold, um auch die Ärmsten in Rom durchzubringen. Die Möglichkeiten sind da, wir müssen sie nur ergreifen. Nichts auf der ganzen Welt gleicht unserer Stadt. Man sagt, Ägypten sei reicher, aber wir sind immer noch jung genug, um unsere Hände zu füllen. Pompeius schläft, wenn er glaubt, die Grenzen seien mit den paar Legionen, die wir haben, wirklich sicher. Wir müssen mehr Legionen ausheben und sie mit Gold und neuen Ländereien entlohnen.« Servilia ließ ihre Hand von seinem Arm fallen. Sie spürte einen Schauer des Verlangens, bei dem sich die weichen Härchen auf ihrer Haut aufstellten. In ihm steckte eine solch unbändige Kraft..., wenn sie nicht gerade tief unter Trauer und Verzweiflung begraben lag. Mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Vergnügen sah sie zu, wie sich die dunklen Schatten von seiner Seele hinweghoben. Dieser Mann, der sie nur durch eine einfache Berührung schon dermaßen erregte, war nicht mehr derselbe, der sie am Tor der Festung begrüßt hatte. Sie fragte sich, was dieses Wiedererwachen wohl noch alles auslösen mochte. Zunächst hatte es sie ein wenig erschreckt, sie sogar mit Angst erfüllt, als sie spürte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte. So hätte es nicht sein sollen. Die Männer, die sie liebten, berührten nie mehr als die Haut, nach der es sie verlangte. Selbst wenn sie sich in ihr verströmten, löste das bei ihr kaum mehr als den Hauch einer Reaktion aus. Wenn hingegen dieser eigenartige junge Mann sie mit seinen blauen Augen ansah, war sie abgrundtief verwirrt. So seltsame Augen, mit dieser einen dunklen Pupille, die ihm bei hellem Licht Schmerzen bereitete ... Sie schienen ihre kleinen Tricks und Listen sofort zu durchschauen und drangen durch ihre äußerliche Gewandtheit bis in ihr Innerstes vor. Sie gingen weiter, und Servilia seufzte leise. Sie benahm sich töricht. Dies war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, ihr Herz an einen Mann im Alter ihres Sohnes zu hängen. Unbewusst strich sie mit der Hand über ihr hochgebundenes Haar. Sicher, das Alter sah man ihr nicht an, denn sie ölte ihren Körper jeden Abend ein und aß bewusst und gut. Man hatte ihr schon mehrmals gesagt, dass ein Mann sie anstatt der neununddreißig Jahre, die sie zugab, leicht für dreißig halten könnte. Sie war zweiundvierzig, doch besonders in der Stadt, wenn Crassus zu ihr kam, kam sie sich manchmal viel älter vor. Dann und wann fing sie sogar ohne Grund zu weinen an, und die schlechte Stimmung verflog dann ebenso rasch wieder, wie sie gekommen war. Sie wusste genau, dass der junge Mann an ihrer Seite jedes der Mädchen aus der Stadt hätte haben können. Er würde keine Frau wollen, die so viele Male trug, auch wenn sie für andere unsichtbar blieben. Sie verschränkte die Arme und zerdrückte dabei fast den gewundenen Blütenkranz. Keinen Augenblick zweifelte sie daran, dass sie ein leidenschaftliches Feuer in ihm erwecken konnte, wenn sie es darauf anlegte, denn verglichen mit ihr war er noch jung und unschuldig. Es wäre leicht, und ihr wurde klar, dass ein Teil von ihr danach verlangte. In dem hohen Gras der Wiese hätte sie sich ihm gern hingegeben, seine Hände auf ihrer Haut gespürt. Versonnen schüttelte sie den Kopf. Dummes Mädchen! Hättest ihn niemals küssen dürfen. Schnell sprach sie weiter, um die lange Gesprächpause zu überspielen. Ob er ihre Verwirrung oder die Röte auf ihren Wangen wohl bemerkt hatte? »Du hast Rom schon eine Weile nicht mehr gesehen, Julius. Die Armut hat noch zugenommen. Die Sklavenarmee hat fast niemanden zurückgelassen, der auf den Feldern arbeiten könnte, und es gibt jetzt ebenso viele Bettler wie Fliegen. Aber auch wenn ihre Bäuche leer bleiben, so vermittelt ihnen Pompeius wenigstens einen Geschmack von Größe. Aus lauter Angst, der Pöbel könnte sich erheben und sie alle verschlingen, würden es die Senatsmitglieder gar nicht wagen, ihm irgendetwas zu verweigern. Es war ein sehr zerbrechlicher Friede, als ich fortging, und ich bezweifle, dass sich seitdem etwas zum Besseren gewendet hat. Du hast keine Vorstellung davon, wie nahe sie am Rande des vollständigen Chaos stehen. Der Senat lebt in ständiger Angst vor einem weiteren Aufstand, der sich mit den Schlachten gegen Spartakus messen könnte, und jeder, der es sich leisten kann, hat Wachen angeheuert. In den Straßen bringen sich die Armen gegenseitig um, und niemand tut etwas dagegen. Nein, es ist wirklich keine einfache Zeit, Julius.« »Dann sollte ich vielleicht zurückkehren. Ich habe meine Tochter seit vier Jahren nicht mehr gesehen, und Pompeius schuldet mir noch einiges. Vielleicht ist es ja wirklich an der Zeit, ein paar alte Schulden einzufordern und klar zu machen, dass ich wieder mitspiele.« Die alte Leidenschaft flammte kurz in seinem Gesicht auf. Servilia schöpfte Hoffnung, denn vor ihrem inneren Auge sah sie ihn wieder in der Verhandlung damals vor sich. Seine flammenden Worte, als er von seinen Feinden Gerechtigkeit einforderte, hatten den Senat völlig verstummen lassen. Doch dann war diese Kraft genauso schnell wieder versiegt, wie sie gekommen war, und er stieß gereizt den Atem durch die halb geöffneten Lippen. »Bevor das alles passiert ist, hatte ich eine Frau, mit der ich alles teilen konnte. Ich hatte Tubruk, der mir mehr Vater als Freund war, und ich hatte ein Zuhause. Damals habe ich mit ... Zuversicht in die Zukunft geblickt. Jetzt habe ich lediglich neue Schwerter und Minen. Es ist alles so sinnlos. Das alles würde ich geben, wenn Tubruk noch einmal einen Becher Wein mit mir trinken würde, und wenn auch nur für eine einzige Stunde. Oder wenn ich Cornelia nur für einen Augenblick wiedersehen könnte. Wenigstens lange genug, um ihr zu sagen, wie Leid es mir tut, dass ich mein Versprechen ihr gegenüber nicht gehalten habe.« Bevor er weiterging, rieb er sich mit der Hand über die Augen. Servilia hätte ihm beinahe wieder über das Gesicht gestreichelt, weil sie wusste, dass ihre Berührung ihm gut tat. Es kostete sie beinahe unmenschliche Kraft, der Versuchung zu widerstehen. Die Berührung würde unweigerlich zu mehr führen, und obwohl sie sich ihrerseits danach sehnte, in den Arm genommen zu werden, hatte sie doch die Kraft, das Spiel, das sie so meisterlich beherrschte, weil sie es schon ihr ganzes Leben lang gespielt hatte, dieses eine Mal nicht zu spielen. Eine jüngere Frau hätte sich ihn in diesem Moment, da er so schwach und wehrlos vor ihr stand, sicherlich ohne Scham genommen, doch dazu besaß Servilia zu viel Erfahrung. Es würden noch andere Tage kommen. Da drehte er sich plötzlich zu ihr um und umarmte sie ungestüm. Seine Lippen pressten sich auf ihren Mund und zwangen sie, den ihren zu öffnen. Nun konnte auch sie nicht mehr widerstehen und gab seinem Drängen nach. Gleich hinter dem Torbogen der Festung ließ sich Brutus elegant aus dem Sattel gleiten. Die Zehnte hatte draußen in den Bergen komplizierte Manöver durchgeführt, und Octavian hatte sich wacker geschlagen. Er hatte die Streitmacht, die man ihm für den Schaukampf gegeben hatte, geschickt geführt und Domitius von der Flanke her angegriffen. Brutus stürmte ohne Zögern in das Gebäude hinein. Die düstere Stimmung, die so lange lähmend über ihnen allen gelegen hatte, war nur noch eine böse Erinnerung, und er wusste, dass Julius sich freuen würde, wenn er erfuhr, wie gut sich sein junger Verwandter machte. Octavians Schultern waren inzwischen breit genug, um ein Kommando zu übernehmen. So hatte es Marius jedenfalls früher immer ausgedrückt. Die Wache am Ende der Treppe stand nicht dort, wo sie stehen sollte, sondern ein gutes Stück von ihrem Posten entfernt. Als er die Stufen hinaufrannte, hörte Brutus, wie ihm der Mann etwas nachrief, doch er grinste nur. Julius lag mit Servilia auf einer Liege. Bei Brutus’ überraschendem, polterndem Eintreten liefen ihre Gesichter vor Scham rot an. Nackt wie er war, sprang Julius auf und stellte sich seinem Freund wütend in den Weg. »Raus hier!«, brüllte er. Brutus blieb wie angewurzelt stehen. Dann verzog er zornig das Gesicht, machte auf dem Absatz kehrt und knallte die Tür hinter sich zu. Langsam drehte sich Julius zu Servilia um und sah sie an; er bereute seinen Wutausbruch schon wieder. Rasch warf er sich seine Kleidung über und setzte sich wieder auf die Liege. Ihr schweres Parfüm stieg ihm in die Nase, und er wusste, dass er nach ihr roch. Als er aufstand, spürte er noch immer die verlockende Wärme des Lagers, doch er wandte sich ab, denn im Geiste war er bereits mit dem beschäftigt, was jetzt zu tun war. »Ich gehe hinaus zu ihm«, sagte Servilia und stand ebenfalls auf. Völlig in dunkle Gedanken versunken, schenkte Julius ihrer Nacktheit kaum Beachtung. Es war unvorsichtig gewesen, an einem Ort einfach einzuschlafen, an dem man sie überraschen konnte, aber jetzt war es zu spät zu bedauern, was bereits geschehen war. Er schüttelte den Kopf und band sich die Sandalen um. »Du hast dich für weitaus weniger zu entschuldigen. Lass mich zuerst zu ihm gehen«, sagte er. »Du wirst dich doch nicht etwa ... für mich entschuldigen?«, fragte sie in verdächtig ruhigem Tonfall. Julius stand auf und sah ihr in die Augen. »Für keinen einzigen Moment mit dir«, sagte er leise. Erleichtert ließ sie sich in seine Arme sinken. Er empfand es als unbeschreiblich erotisch, eine nackte Frau in den Armen zu halten, wenn er selbst vollständig angezogen war. Trotz seiner Sorge um Brutus löste er sich mit einem Grinsen aus ihrer Umarmung. »Das wird schon wieder, sobald er sich ein bisschen gefangen hat«, sagte er, um sie zu beruhigen und wünschte doch im gleichen Moment, er könnte es auch selbst glauben. Mit ruhiger Hand schnallte er sich den Schwertgurt um die Hüften. Plötzlich sah Servilia sehr verängstigt aus. »Ich will nicht, dass du gegen ihn kämpfst, Julius. Das darfst du nicht tun.« Julius rang sich ein Lachen ab, das in seinem leeren Bauch widerzuhallen schien. »Er würde mir niemals etwas zu Leide tun«, sagte er im Hinausgehen. Draußen vor der Tür jedoch verwandelte sich sein Gesicht in eine grimmige Maske. Am Fuß der Treppe standen Domitius und Cabera mit Ciro zusammen. Julius bildete sich ein, dass ihre Augen ihn anklagten. »Wo ist er?«, fuhr Julius sie an. »Im Ausbildungshof«, sagte Domitius. »Wenn ich du wäre, General, ich würde ihn noch eine Weile in Ruhe lassen. Sein Blut kocht, und es wäre nicht sehr klug, einen Streit gerade jetzt auszutragen.« Julius zögerte kurz, dann jedoch gewann sein altes Ungestüm wieder die Oberhand. Er hatte sich das alles selbst eingebrockt, also musste er es auch auslöffeln. »Ihr bleibt hier«, sagte er barsch. »Er ist mein ältester Freund, und diese Angelegenheit geht nur uns beide etwas an.« Brutus stand allein in dem leeren Hof, mit einem von Cavallos glänzenden Schwertern in den Händen. Als Julius auf ihn zukam, nickte er nur. Angesichts des finsteren, starren Blicks, der jeder seiner Bewegungen folgte, hätte Julius beinahe doch wieder gezögert. Und wenn sie bis aufs Blut kämpfen sollten, er würde ihn nicht besiegen. Selbst wenn er den Sieg irgendwie mit List erringen konnte, bezweifelte Julius, dass er dessen Leben würde auslöschen können. Nicht dieses. Brutus hielt die glänzende Klinge in der ersten Position. Mit der alten Disziplin, die Renius ihnen beigebracht hatte, schob Julius sofort sämtliche Gedanken beiseite. Vor ihm stand ein Feind, der ihn töten konnte. Er zog sein Schwert. »Hast du sie bezahlt?«, fragte Brutus leise und durchbrach damit Julius’ Konzentration. Dieser musste den unbändigen Zorn, der in diesem Moment in ihm aufstieg, niederkämpfen. Sie hatten ihr Handwerk beide bei demselben Meister gelernt, und er wusste genau, dass er nicht hinhören durfte. Langsam und bedächtig umkreisten sie einander. »Ich habe es geahnt, aber ich habe es einfach nicht wahrhaben wollen«, fing Brutus erneut an. »Ich war mir so sicher, du würdest mir mit ihr keine Schande bereiten, also habe ich nicht weiter darüber nachgedacht.« »Mit Schande hat das nichts zu tun«, erwiderte Julius. »Oh doch!«, erwiderte Brutus wütend und schnellte nach vorne. Julius kannte Brutus’ Kampfstil zwar besser als jeder andere, doch den Stoß, der direkt auf sein Herz zielte, konnte er nur mit Mühe parieren. Das war ein tödlicher Angriff, für den es keine Entschuldigung gab. Jetzt stieg der Zorn doch in ihm hoch, und er bewegte sich ein wenig schneller. Alle Sinne waren auf einmal hellwach, seine Schritte wurden fester. Dann sollte es also so sein. Julius machte einen Ausfall nach vorne, duckte sich unter der sirrenden Klinge hinweg und zwang Brutus auf den hinteren Fuß. Dann holte er zu einem seitlichen Schlag aus, aber Brutus wich verächtlich grinsend aus und parierte die Attacke mit schnellen, harten Schlägen. Keuchend ließen sie schließlich voneinander ab. Julius ballte die linke Hand zur Faust, um eine Schnittwunde in der Handfläche zusammenzudrücken. Er wartete, und das Blut tropfte langsam von der Hand in den Sand, wo es glänzende Flecken hinterließ und schließlich langsam versickerte. »Ich liebe sie«, sagte Julius. »Und ich liebe dich. Viel zu sehr, um mich mit dir zu schlagen.« Angeekelt schleuderte er sein Schwert von sich und sah seinem Freund in die Augen. Brutus hielt ihm die Spitze seiner Klinge an die Kehle und blickte ihn fragend an. »Und sie wissen es alle? Cabera, Domitius und Octavian?« Julius hielt seinem Blick stand. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und er versuchte, nicht zu zucken. »Möglich. Wir haben das nicht geplant, Brutus. Ich wollte bestimmt nicht, dass du uns überraschst.« Das Schwert war der einzige stille Punkt in einer sich bewegenden Welt. Julius biss die Zähne zusammen, und plötzlich überkam ihn eine tiefe Ruhe. Er entspannte seine verkrampften Muskeln und stand abwartend da. Sicher wollte er noch nicht sterben, doch wenn es jetzt so weit sein sollte, dann wollte er den Tod wenigstens mit Verachtung strafen. »Es ist nicht nur eine kleine Affäre, Marcus. Nicht für mich und auch nicht für sie«, sagte er ruhig. Urplötzlich sank die Schwertspitze zu Boden. Der wahnsinnige Glanz in Brutus’ Augen verschwand. »Uns beide verbindet so viel, Julius. Aber wenn du ihr wehtust, bringe ich dich um.« »Geh zu ihr und rede mit ihr. Sie macht sich Sorgen um dich«, erwiderte Julius und ignorierte die Drohung. Brutus starrte ihm noch einen Moment in die Augen, dann ging er davon und ließ Julius im Trainingshof stehen. Julius sah ihm nach, dann öffnete er die Faust und zuckte zusammen. Einen kurzen Augenblick wallte der Zorn wieder in ihm auf. Jeden anderen Mann, der es gewagt hätte, sein Schwert gegen ihn zu erheben, hätte er auf der Stelle hängen lassen. Dafür gab es einfach keine Entschuldigung. Doch sie waren zusammen aufgewachsen, und das war es, was letztendlich zählte. Was sie verband, musste eigentlich stark genug sein, um mit diesem Verrat, mit der Klinge, die auf sein Herz gerichtet gewesen war, fertig zu werden. Nachdenklich kniff Julius die Augen zusammen. Es würde ihm nicht leicht fallen, Brutus ein zweites Mal zu vertrauen. In den folgenden sechs Wochen herrschte eine beinahe unerträgliche Spannung zwischen ihnen beiden. Obwohl Brutus mit seiner Mutter gesprochen und ihrer Verbindung mit zusammengepressten Lippen seine Zustimmung gegeben hatte, lief er ständig wie in einem Panzer aus Wut und Einsamkeit durch die Gegend. Ohne ein Wort der Erklärung fing Julius an, die Zehnte wieder selbst zu trainieren. Er ritt mehrere Tage lang mit ihnen aus, aber außer seinen Befehlen sagte er kein einziges Wort. Die Legionäre kämpften sich für ein anerkennendes Nicken von ihm, das mehr Wert zu sein schien als eine ganze Lobrede von jemand anderem, durch Schmerz und Erschöpfung. Wenn sie in den Unterkünften waren, schrieb Julius bis tief in die Nacht hinein Briefe und Anordnungen und gab einen großen Teil der Goldreserven, die er gehortet hatte, wieder aus. Er entsandte Reiter nach Rom, die in Alexandrias Werkstatt neue Rüstungen in Auftrag geben sollten, ganze Karawanen mit Vorräten beladener Karren wanden sich von den spanischen Städten in die Berge hinein. Neue Minen mussten angelegt werden, um das Eisenerz zu beschaffen, das für die Herstellung von Schwertern nach Cavallos Methode benötigt wurde. Ganze Wälder wurden für die Kohleherstellung abgeholzt, und jeder der fünftausend Soldaten der Zehnten hatte immer mindestens zwei oder drei Dinge gleichzeitig zu erledigen. Julius’ Offiziere schwankten zwischen dem Schmerz, ausgeschlossen zu werden, und der Begeisterung, dass er seine alte Energie wiedergefunden hatte, hin und her. Lange bevor Julius seine Untergebenen von ihren verstreuten Posten zusammenrufen ließ, ahnten sie, dass ihre Zeit in Spanien dem Ende zuging. Hispania war einfach zu klein, um dem General der Zehnten genug Platz zu bieten. Julius wählte den fähigsten der spanischen Quästoren aus, um ihn so lange zu vertreten, bis Rom einen anderen ihrer Söhne auf diesen Posten berief. Er übergab ihm das Siegel seines Amtes und vergrub sich dann wieder tage- und nächtelang in seiner Arbeit. Manchmal schlief er drei Tage lang nicht, bis er schließlich erschöpft zusammenbrach. Nach einer kurzen Ruhepause stand er wieder auf und fing das gleiche Spiel von vorn an. Die Männer, die ihm in den Unterkünften begegneten, gingen ihm vorsichtig aus dem Weg und warteten gespannt und nervös auf das Ergebnis seiner unmenschlichen Anstrengungen. Eines Tages kam Brutus in den frühen Morgenstunden zu ihm, als es um sie herum im Lager noch still war. Er klopfte an die Tür und trat ein, nachdem Julius eine Antwort auf das Klopfen gemurmelt hatte. Julius saß vor einem mit Karten und Tontafeln überladenen Tisch, auch auf dem Boden zu seinen Füßen lagen Karten und Tafeln verstreut. Als er Brutus erblickte, stand er auf, und für einen kurzen Augenblick schien die frostige Stimmung zwischen ihnen jedes Wort von selbst zu verbieten. Die frühere vertraute Freundschaft hatte bei beiden Rost angesetzt. Brutus schluckte schwer. »Es tut mir Leid«, presste er schließlich hervor. Julius sagte kein Wort und starrte ihn lediglich an. Sein Gesicht wirkte wie das eines Fremden und zeigte nichts von der Freundschaft, die Brutus so sehr vermisste. Brutus machte einen zweiten Versuch. »Es war dumm von mir, aber du kennst mich lange genug. Lass es gut sein«, sagte er. »Ich bin dein Freund. Dein Schwert, weißt du noch?« Julius nickte und nahm seine Entschuldigung an. »Ich liebe Servilia«, sagte er leise. »Ich hätte es dir vor allen anderen gesagt, aber es ging selbst für uns beide zu schnell. Das ist nicht nur ein Spiel für mich, aber mein Verhältnis zu ihr ist meine Sache. Darüber bin ich dir keine Rechenschaft schuldig.« »Als ich euch beide zusammen gesehen habe, da ... «, begann Brutus zögernd. Julius hob abwehrend die Hand. »Nein. Ich will jetzt nichts mehr davon hören. Es ist gut.« »Bei den Göttern, du machst es mir wirklich nicht leicht«, sagte Brutus und schüttelte den Kopf. »Es soll ja auch nicht leicht für dich sein. Mit dir verbindet mich mehr als mit jedem anderen Mann, den ich kenne, und ausgerechnet du hebst im Trainingshof die Hand gegen mich, um mich zu töten. Das ist schwer zu verzeihen.« »Was?«, erwiderte Brutus entsetzt. »Ich habe doch gar nicht ...« »Ich weiß es, Brutus.« Betroffen sank Brutus in sich zusammen. Ohne zu antworten zog er sich schließlich einen Hocker heran, und auch Julius setzte sich wieder. »Willst du, dass ich mich jetzt fortwährend entschuldige? Ich war rasend vor Zorn und glaubte, du benutzt sie nur wie ... Es war ein Fehler und es tut mir Leid. Aber was willst du noch von mir?« »Ich will wissen, dass ich dir wieder vertrauen kann. Ich will, dass all das hier vergessen ist«, erwiderte Julius. Brutus stand auf. »Du kannst mir vertrauen, und das weißt du auch. Ich habe die Primigenia für dich aufgegeben. Also lass es gut sein.« Sie sahen einander an, und langsam stahl sich ein Grinsen in Julius’ Gesicht. »Hast du gesehen, wie ich deinen Schlag pariert habe? Ich wünschte, Renius hätte das gesehen.« »Ja, du warst wirklich gut«, sagte Brutus mit einem sarkastischen Unterton. »Bist du jetzt zufrieden?« »Ich glaube, ich hätte gewinnen können«, sagte Julius schelmisch lächelnd. Brutus blinzelte ihn an. »Jetzt gehst du zu weit.« Die Spannung zwischen ihnen war mit einem Mal verflogen und schien nur noch eine ferne, unangenehme Erinnerung. »Ich will die Legion zurück nach Rom führen«, platzte Julius erleichtert heraus, weil er seine Pläne endlich wieder mit seinem Freund teilen konnte. Insgeheim fragte er sich, ob Brutus die Wochen nach ihrem Kampf wohl ebenso geschmerzt hatten wie ihn. »Das wissen wir doch alle schon längst. Die Männer tratschen wie ein Haufen alter Weiber. Willst du Pompeius herausfordern?« Brutus sprach in einem so beiläufigen Ton, als hinge nicht das Leben Tausender von dieser Antwort ab. »Nein. Mit Crassus zusammen regiert er eigentlich ganz gut. Ich will mich bei den Wahlen als Kandidat für einen Konsulposten aufstellen lassen.« Gespannt sah er Brutus an und versuchte, eine Reaktion aus seinem Gesicht abzulesen. »Glaubst du wirklich, du kannst die Wahl gewinnen?«, fragte Brutus langsam und nachdenklich. »Dir bleiben nur noch ein paar Monate, und die Menschen haben nun mal ein sehr schlechtes Gedächtnis.« »Ich bin Marius’ letzter lebender Blutsverwandter, und daran werde ich sie erinnern«, sagte Julius, und Brutus spürte die alte Begeisterung von früher in sich aufsteigen. Er dachte darüber nach, wie sehr sich sein Freund in den letzten Monaten wieder zu seinem Vorteil verändert hatte. Es erschien ihm fast wie eine Wiedergeburt des Julius’, den er von früher kannte. Die bösartigen Wutausbrüche waren endgültig verschwunden, und seine Mutter hatte dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Selbst seine süße, kleine Angelina sah ehrfürchtig zu Servilia auf, und so langsam konnte er auch verstehen, warum. »Die Sonne geht bald auf. Du solltest noch ein wenig schlafen«, sagte er. »Noch nicht. Es gibt immer noch viel zu tun, bis wir Rom wiedersehen.« »Dann leiste ich dir Gesellschaft, wenn es dir recht ist«, sagte Brutus und unterdrückte ein Gähnen. Julius lächelte ihn an. »Natürlich ist mir das recht. Ich brauche jemanden, der schreibt, während ich diktiere.« 6 Renius stand im ausgetrockneten Flussbett und sah zu der Brücke hinauf. Überall wimmelte es von Römern und Einheimischen, die auf dem hölzernen Skelett herumkletterten. Es schwankte und knarrte, wenn sie über die Bohlen gingen. Vom trocknen Flussbett bis zu den Brückensteinen der Straße waren es zweihundert Fuß. Wenn die Brücke einmal fertig war, würde man den weiter flussaufwärts angelegten Damm wieder einreißen. Das Wasser würde die massiven Sockel der Brückenpfeiler einschließen und die behauenen Eckpfeiler auch dann noch umspülen, wenn die Erbauer der Brücke schon längst zu Staub zerfallen waren. Schon allein im Schatten dieser gewaltigen Konstruktion zu stehen war ein seltsames Gefühl für den alten Gladiator. Wenn das Wasser zurückkehrte, würde nie wieder jemand an dieser Stelle stehen können. Insgeheim stolz auf diesen Moment, schüttelte er nachdenklich den Kopf und lauschte den Befehlen und Rufen, mit denen die Seilwindenmannschaft einen weiteren Steinquader für den Brückenbogen hochzuhieven begann. Unter der Brücke hörte man das Echo der Männer, und Renius sah, dass sie seinen Stolz und seine Befriedigung teilten. Diese Brücke hier würde niemals einstürzen, darüber waren sich alle einig. Die Straße dort über ihm ermöglichte von der Küste aus den direkten Zugang zu einem fruchtbaren Tal. Städte würden gebaut werden, und man würde das Straßennetz noch weiter ausbauen, um den Bedürfnissen der neuen Siedler entgegenzukommen. Sie würden wegen des guten Bodens hierher kommen, und weil sich hier Handel treiben ließ, vor allem jedoch wegen des klaren, sauberen Wassers aus dem unterirdischen Aquädukt, das in dreijähriger Bauzeit entstanden war. Renius sah zu, wie eine Gruppe Männer mit aller Kraft an den dicken Seilen zog, um den Schlussstein des Bogens in die richtige Position zu bringen. Die Flaschenzüge quietschten, und er sah, wie Ciro sich über das Gerüstgeländer beugte, um den Stein heranzuholen und an seinen Platz zu dirigieren. Die Männer neben ihm schmierten braunen Mörtel auf die Oberflächen, und Ciro legte seine Arme darum. Auch er stimmte mit den anderen in den einlullenden Sprechgesang der Gruppe weiter unten am Gerüst ein. Renius hielt den Atem an. Obwohl keiner der Arbeiter es mit der Kraft dieses Riesen aufnehmen konnte, war auch er nicht dagegen gefeit, dass ihm durch eine unbedachte Bewegung unversehens eine Hand oder eine Schulter zerschmettert wurde. Wenn der Steinquader jetzt aus der richtigen Stellung herausschwang, konnte er leicht die Stützen durchschlagen. Dann würde er alle Männer dort oben mit sich in die Tiefe reißen. Selbst so tief unten hörte Renius Ciro stöhnen, als er den Block vorsichtig an seinen Platz manövrierte. Der nasse Mörtel, der aus den Ritzen hervorquoll, fiel in satten Fladen ins Flussbett herunter. Renius bedeckte die Augen mit der Hand und blinzelte prüfend nach oben, ob gerade ein Mörtelklumpen herunterkam, vor dem er sich wegducken musste, wobei er über das angestrengte Schnaufen über ihm lächelte. Er mochte den Riesen. Ciro redete zwar nie besonders viel, hielt aber, wenn es darauf ankam, auch nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg. Allein für diesen Charakterzug schätzte Renius ihn. Anfangs hatte es ihn selbst verwundert, dass es ihm sogar Spaß machte, Ciro die Dinge beizubringen, die erfahrenere Legionäre als selbstverständlich erachteten. Eine Legion wurde nicht durch ein Tal oder ein Bergmassiv aufgehalten. Jeder Mann auf dem Gerüst wusste ganz genau, dass es auf der ganzen Welt keinen Fluss gab, den sie nicht überbrücken, keine Straße, die sie nicht bauen konnten. Überall dort, wo sie hinkamen, bauten sie Rom. Das Wasser und die meilenlangen Tunnels, die sie angelegt hatten, um es von den Quellen hoch oben in den Bergen herabzuleiten, hatten Ciro mit Ehrfurcht erfüllt. Jetzt würden die Menschen, die sich hier in diesem Tal ansiedelten, nicht mehr jeden Sommer mit Krankheiten und Seuchen zu kämpfen haben. Ihre Brunnen würden nicht mehr austrocknen oder schal werden, und vielleicht würden sie ja dann an die Männer aus Rom denken, die sie für sie gegraben hatten. Renius wurde von einem einsamen Reiter in leichter Rüstung, der am Ufer entlangritt und schließlich zu ihm herunter ins Flussbett kam, aus seinen friedlichen Gedanken gerissen. Der Mann schwitzte erbärmlich in der Hitze, und als er unter dem Brückenbogen hindurchritt, zog er unwillkürlich den Kopf ein und sah nach oben. Ein schwerer Hammer, der aus dieser Höhe zu Boden fiel, konnte das Pferd oder den Mann, der darauf saß, leicht töten, doch Renius grinste nur über seine Übervorsicht. »Hast du eine Nachricht für mich?«, fragte er ihn. Der Mann brachte sein Tier im Schatten des Brückenbogens zum Stehen und stieg ab. »Ja, Herr. Der General wünscht deine Anwesenheit in den Unterkünften. Er hat gesagt, du sollst auch einen Legionär namens Ciro mitbringen, Herr.« »Der letzte Bogen ist fast fertig, mein Junge.« »Er hat aber gesagt, du sollst dich sofort auf den Weg machen, Herr.« Renius runzelte die Stirn und blinzelte dann zu Ciro hinauf. Nur ein kompletter Narr würde einem Mann Befehle zurufen, der gerade einen so schweren Steinquader herumwuchtete. Dann sah er, wie Ciro ein Stück zurücktrat und sich mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn wischte. Renius holte tief Luft. »Komm runter, Ciro. Man verlangt nach uns.« Trotz der Sonne fröstelte Octavian, als eine leichte Brise über seine Haut strich. Die fünfzig Männer, die unter seinem Kommando standen, sprengten in vollem Galopp einen der steilsten Berghänge hinunter, den er je gesehen hatte. Wenn er nicht am Morgen jeden einzelnen Meter des Geländes selbst überprüft hätte, hätte er ein solches halsbrecherisches Tempo nie zugelassen. Aber der Grasboden war einigermaßen eben; keiner der erfahrenen Reiter stürzte. Sie pressten die Schenkel fest an den Sattel, trotzdem drückte der Sattelknauf schmerzhaft im Schritt. Octavian biss die Zähne zusammen. Brutus hatte den Hügel gemeinsam mit ihm ausgesucht, um die Wucht eines Angriffs zu demonstrieren. Er erwartete sie mit einer ganzen Zenturie der Extraordinarii am Fuße des Berges, und selbst aus dieser Entfernung konnte Octavian sehen, wie die Pferde unten unruhig wurden und instinktiv versuchten, den fünfzig herandonnernden Reitern auszuweichen. Über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg brüllte Octavian seinen Männern zu, sich zu einer Angriffslinie zu formieren. Doch die heranpreschende Reihe fiel ein wenig auseinander, und er musste so laut schreien, wie er nur konnte, um die zurückbleibenden Reiter in seiner Nähe auf sich aufmerksam zu machen. Die Männer bewiesen ihre Geschicklichkeit, als sie aufschlossen, ohne dass die Reihe insgesamt langsamer wurde. Octavian zog sein Schwert und klemmte wild entschlossen die Schenkel gegen den Sattel. Bei diesem steilen Gefälle schmerzten die Beine unsäglich, doch er hielt durch. Am Fuße des Berges wurde der Untergrund wieder etwas ebener. Octavian blieb kaum Zeit, sich auszubalancieren, bevor seine fünfzig Männer schon durch die weit auseinander stehenden Reihen sprengten, die ihnen gegenüberstanden. Als sie in scheinbar nur einem einzigen Augenblick mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die wartende Zenturie hindurch und auf der anderen Seite wieder herausrasten, verschwammen Gesichter und Pferde miteinander. Octavian sah einen Offizier kreidebleich werden, als er an ihm vorbeischoss. Hätte er sein Schwert in der Hand gehabt, hätte er ihm mit einem einzigen Schlag den Kopf abschlagen können. Octavian brüllte aufgeregt nach links und rechts und befahl seinen Männern, umzudrehen und wieder in Formation zu gehen. Einige von ihnen lachten erleichtert auf, als sie zu Brutus stießen und die angespannten Gesichter der Männer sahen, die an diesem Tag unter seinem Befehl standen. »Auf dem richtigen Gelände können wir verdammt Furcht einflößend sein«, sagte Brutus so laut, dass ihn alle hören konnten. »Ich habe mir am Ende beinahe ins Hemd gemacht – obwohl ich wusste, dass ihr nur durch uns hindurchreitet! « Octavians Reiter jubelten bei dem Lob, auch wenn sie es nicht so recht glaubten. Einer von ihnen klopfte Octavian auf die Schulter, als Brutus sich grinsend zu ihnen umdrehte. »Jetzt werdet ihr mal in den Genuss dieser Erfahrung kommen. Stellt euch in weiten Reihen auf, und ich führe meine Männer den Berg hoch. Haltet eure Pferde nur ja ruhig, wenn wir durchreiten. Dann könnt ihr noch etwas dazulernen.« Noch immer erregt von dem wilden Angriff, verbarg Octavian seine aufkommende Nervosität hinter einem Grinsen. Brutus stieg ab, um sein Pferd den Berg hinaufzuführen, als er einen einsamen Reiter erblickte, der auf sie zugaloppierte. »Was das wohl wieder zu bedeuten hat?«, murmelte er. Der Soldat stieg schwungvoll von seinem Pferd und salutierte vor Brutus. »Unser Feldherr Cäsar fragt nach dir und Octavian, Herr.« Brutus nickte langsam. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. »Tatsächlich?« Er drehte sich zu seinen geliebten Extraordinarii um. »Nun, was wäre geschehen, wenn eure Offiziere schon im ersten Angriff gefallen wären? Wäre dann etwa Chaos ausgebrochen? Macht ohne uns weiter. Ich erwarte einen umfassenden Bericht, wenn ihr zu den Unterkünften zurückkehrt.« Octavian und Brutus folgten dem Boten, der sein Pferd bereits gewendet hatte. Nach einer Weile hatten sie genug von seinem Schneckentempo und galoppierten an ihm vorbei. Cabera ließ mit kindlicher Freude die Finger über die blaue Seide gleiten. Beim Anblick der kostbaren Einrichtung, die Servilia für die Goldene Hand per Schiff hatte heranschaffen lassen, konnte er sich zwischen Staunen und Lachen nicht recht entscheiden. Servilias Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, doch er unterbrach sie schon wieder und lief an ihr vorbei, um eine zerbrechliche Statue zu befingern. »Du verstehst doch«, versuchte sie es mit einem neuen Anlauf, »ich möchte meinen Ruf erhalten, ein sauberes Haus zu führen. Aber einige Soldaten benutzen Kreidepulver, um ihre Ausschläge zu verdecken ...« »Und das alles nur zum Vergnügen!«, unterbrach sie Cabera erneut und zwinkerte ihr viel sagend zu. »An einem solchen Ort möchte ich einmal sterben.« Stirnrunzelnd sah sie zu, wie er sich einer Grube mit Seidenkissen näherte, die im Fußboden eingelassen war. Um Erlaubnis fragend sah er sie an, doch Servilia schüttelte bestimmt den Kopf. »Julius sagte, du weißt sehr viel über Hautkrankheiten. Ich würde dich gut dafür bezahlen, wenn du meinem Hause zu Diensten wärst.« Wieder war sie gezwungen, ihre Rede zu unterbrechen, als der alte Mann in den Kissenberg hineinsprang und dann kichernd darin herumstrampelte. »Die Arbeit ist nicht besonders schwer«, fuhr Servilia unbeirrt fort. »Meine Mädchen erkennen ein Problem sofort, wenn sie es sehen. Aber wenn es Streit gibt, brauche ich jemanden, der den ... fraglichen Mann untersucht. Es wäre ja nur so lange, bis ich einen passenden Arzt hier in der Stadt gefunden habe.« Verwundert sah sie zu, wie Cabera in den Kissen herumkugelte. »Ich zahle fünf Sesterze pro Monat«, sagte sie. »Fünfzehn«, sagte Cabera, plötzlich wieder ernst geworden. Als sie ihn verblüfft anblinzelte, strich er sein altes Gewand mit schnellen sorgfältigen Strichen wieder glatt. »Ich gehe nicht höher als zehn, alter Mann. Für fünfzehn bekomme ich einen Arzt vor Ort, einen, der hier einzieht.« Cabera schnaubte verächtlich. »Die haben keine Ahnung. Außerdem würdest du dadurch einen Raum verlieren. Zwölf Sesterze. Aber mit Schwangerschaften habe ich nichts zu schaffen, dafür musst du dir jemand anderen suchen.« »Ich führe doch kein Hinterhofbordell«, schnappte Servilia beleidigt. »Meine Mädchen achten auf den Mond, wie jede andere Frau auch. Und falls sie doch schwanger werden, zahle ich sie aus. Die meisten kommen wieder zu mir zurück, wenn das Kind erst einmal entwöhnt ist. Zehn ist mein letztes Angebot.« »Jedem anderen ist es gut und gern zwölf Silberstücke wert, wenn einer die halbverwesten Körperteile der Soldaten untersucht«, erwiderte Cabera unbekümmert. »Außerdem möchte ich ein paar von diesen Kissen haben.« Servilia biss die Zähne zusammen und gab sich geschlagen. »Die kosten mehr als deine Dienste, alter Mann. Aber gut! Dann eben zwölf. Und die Kissen bleiben hier!« Cabera klatschte vergnügt in die Hände. »Dann gibt es jetzt eine Vorauszahlung für den ersten Monat und ein Glas Wein, um die Abmachung zu besiegeln, oder?«, sagte er. Gerade als Servilia den Mund zu einer Antwort öffnete, vernahm sie hinter sich ein dezentes Räuspern. Es war Nadia, eine der Neuen, die sie ins Haus gebracht hatte. Der Blick aus ihren mit Khol ummalten Augen war ebenso hart wie ihr Körper weich war. »Herrin, ein Bote von der Legion steht an der Tür.« »Bring ihn zu mir, Nadia«, sagte Servilia und zwang sich zu einem Lächeln. Als die Frau verschwunden war, drehte sie sich wieder zu Cabera um. »Jetzt aber raus da. Ich lasse mich von dir doch nicht lächerlich machen.« Cabera hangelte sich aus der mit Seidenkissen gefüllten Grube, doch als sie sich umdrehte, um den Boten zu begrüßen, ließ er schnell eines der Kissen unter seinem Gewand verschwinden. Der Mann hatte einen hochroten Kopf, und an Nadias Grinsen hinter seinem Rücken konnte Servilia sehen, dass sie wohl mit ihm geredet hatte. »Herrin, Cäsar beordert dich zu den Unterkünften.« Seine Augen schwangen zu Cabera herum. »Dich auch, Heiler. Ich werde euch begleiten. Die Pferde stehen draußen bereit.« Servilia strich sich nachdenklich mit dem Finger über den Mundwinkel und ignorierte den Blick, mit dem der Bote sie ansah. »Wird mein Sohn auch da sein?«, fragte sie schließlich. Der Bote nickte. »Alle sind einberufen, Herrin. Ich muss nur noch Zenturio Domitius finden.« »Das ist einfach. Er ist oben«, sagte sie und sah interessiert zu, wie dem Mann die Schamesröte vom Gesicht bis zum Hals hinunter in die Tunika kroch. Sie spürte beinahe die Hitze, die er ausstrahlte. »An deiner Stelle würde ich ihm vielleicht noch einen kleinen Moment gewähren«, sagte sie verschmitzt. Nach und nach nahmen sie alle in dem langen Zimmer mit Blick über den Hof Platz. Jeder verspürte einen Anflug von Erregung, wenn sie einander in die Augen schauten. Julius stand neben dem Fenster und beherrschte den Raum, während er noch auf die letzten Nachzügler wartete. Eine leichte Brise wehte von den Bergen herab und durchzog den Raum angenehm kühl; dennoch war die ungewisse Spannung, die in der Luft lag, schon beinahe qualvoll geworden. Octavian lachte nervös auf, als Cabera ein Seidenkissen unter seinem Gewand hervorzog, und Renius hielt seinen Weinbecher viel zu fest umklammert. Als die Wache die Tür schloss und nach unten ging, stürzte Brutus seinen Wein mit einem großen Schluck hinunter und grinste dann. »Und? Sagst du uns denn jetzt endlich, warum wir uns hier alle versammelt haben, Julius?« Alle sahen den vor ihnen stehenden Mann gespannt an. Die vertraute Abgespanntheit in seinen Zügen war verschwunden. Er stand straff und aufrecht in seiner frisch geölten Rüstung vor ihnen. »Meine Herren. Servilia. Wir haben unsere Aufgabe hier beendet. Es wird Zeit, nach Hause zurückzukehren«, sagte er unvermittelt. Einen Augenblick lang herrschte komplette Stille. Dann schreckte Servilia zusammen, als alle um sie herum zu jubeln und zu lachen begannen. »Darauf trinke ich«, rief Renius und leerte seinen Becher in einem Zug. Julius rollte eine Karte auf seinem Tisch auf, und sie drängten sich um ihn herum, während er die Ecken mit Gewichten beschwerte. Servilia fühlte sich ausgeschlossen, doch Julius fing ihren Blick auf und lächelte sie an. Alles würde gut werden. Während er darüber diskutierte, wie man fünfzigtausend Mann verlegen sollte, fing sie im Geiste bereits an zu rechnen. Die Goldene Hand hatte eben erst angefangen, Gewinn abzuwerfen ... wer sollte die Geschäfte führen, wenn sie das Land jetzt schon wieder verließ? Angelina war dafür nicht resolut genug. Wenn Servilia sie damit beauftragte, würde sie innerhalb eines Jahres ein freies Haus führen. Nadia vielleicht? Sie hatte ein Herz aus Eisen und war auch erfahren genug, aber konnte man ihr auch vertrauen? Oder würde sie die Hälfte des Profits unterschlagen? Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sie ihren eigenen Namen hörte. »... in der Zeit jedenfalls nicht über Land. Servilia hat mich auf die Idee gebracht, als wir den Kapitän getroffen haben, mit dem sie Geschäfte macht. Ich werde Befehl geben, jedes Schiff, das hier vorbeikommt, zu beschlagnahmen. Aber darüber wird nur hier unter uns geredet. Wenn sie mitkriegen, dass wir ihre Schiffe haben wollen, laufen sie sofort wieder aus und bleiben auch draußen.« »Warum ziehst du ab, bevor du deine Aufgabe hier erfüllt hast?«, meldete sich Cabera leise zu Wort. Das Gespräch um den Tisch herum verstummte, und Julius’ Finger verharrten auf der Karte. »Meine Aufgabe hier ist erfüllt. Ich dürfte schon gar nicht mehr hier sein«, erwiderte er. »Du selbst hast das gesagt. Wenn ich meine Amtszeit hier geduldig absitze, wird mich Pompeius wo anders hinschicken, weit weg von Rom. Und wenn ich mich weigere, dann wird das hier mein letztes Amt überhaupt gewesen sein. Dieser Mann gewährt einem niemals eine zweite Chance.« Julius klopfte mit dem Finger auf die Karte, auf die winzige Markierung für die Stadt, die er über alles liebte. »Ende dieses Jahres gibt es Neuwahlen für die beiden Sitze der Konsuln. Ich gehe zurück, um mich für einen davon aufstellen zu lassen.« Cabera zuckte die Schultern und versuchte es weiter. »Und dann? Willst du wie Sulla einen Krieg um Rom führen?« Julius schwieg einen Augenblick und musterte Cabera durchdringend. »Nein, alter Freund«, sagte er schließlich leise. »Aber dann werde ich nicht mehr länger nach Pompeius’ Gutdünken versetzt. Als Konsul bin ich unantastbar und wieder direkt am Puls des Geschehens.« Cabera wollte es damit eigentlich bewenden lassen, doch seine Sturheit zwang ihn, weiterzusprechen. »Und was kommt dann? Lässt du Brutus die Zehnte trainieren, während du neue Gesetze schreibst, die von den meisten Leuten ohnehin nicht verstanden werden? Wirst du dich dann genauso in Landkarten und Brückenbau verlieren, wie du es hier getan hast?« Renius packte Cabera an der Schulter, um ihn zur Vernunft zu bringen, doch der alte Mann ignorierte seine Hand. »Wenn du den richtigen Blick dafür hast, kannst du noch wesentlich mehr erreichen, als das, was du vorhast«, sagte er und zuckte zusammen, weil Renius den Griff um seine magere Schulter verstärkte und ihm wehtat. »Wenn ich Konsul bin«, sagte Julius bedächtig, »werde ich das, was ich liebe, zu den wildesten Orten führen, die ich finden kann. Ist es das, was du von mir hören willst? Dass Spanien zu ruhig für mich ist? Das weiß ich auch. Ich werde dort meinen Weg finden, Cabera. Die Götter lauschen denen, die aus Rom sprechen, aufmerksamer. Sie können mich hier draußen einfach nicht hören.« Er lächelte, um seinen Zorn zu verbergen, und merkte, wie Servilia ihn über Octavians Schulter hinweg beobachtete. Renius ließ die Schulter des alten Mannes los, und Cabera sah ihn finster an. Brutus ergriff rasch das Wort, um der Situation die Schärfe zu nehmen. »Was meinst du, wie lange es dauert, bis wir genug Schiffe haben, um die Zehnte zu verlegen, wenn wir gleich heute Abend anfangen zu beschlagnahmen?« Julius nickte ihm dankbar zu. »Höchstens einen Monat. Ich habe dafür gesorgt, dass sich das Gerücht verbreitet, wir bräuchten Kapitäne für eine besonders große Fracht. Ich denke, wir brauchen nicht mehr als dreißig Schiffe, um nach Ostia überzusetzen. So wie die Dinge stehen, lässt mich der Senat niemals mit der ganzen Legion in Rom einziehen. Also brauche ich ein Lager an der Küste. Auf dieser ersten Reise nehme ich das Gold mit. Es reicht aus für das, was mir vorschwebt.« Servilia hörte ihnen beim Streiten und Diskutieren zu, während hinter ihnen im Fenster langsam die Sonne unterging. Vor lauter Eifer nahmen sie kaum wahr, wie die Wache den Raum betrat und die Lampen anzündete. Nach geraumer Zeit ging Servilia hinaus, um ihre eigenen Vorkehrungen zu treffen. Die kühle Nachtluft im Hof war nach der drückenden Hitze in dem Raum eine Wohltat. Sie hörte ihre Stimmen bis auf den Hof, und sie sah die Wachen Haltung annehmen, als sie ihrer gewahr wurden. »Stimmt es, dass wir nach Rom zurückkehren, Herrin?«, fragte sie einer der beiden Männer, als sie an ihnen vorbeikam. Es überraschte sie keineswegs, dass der Mann die Neuigkeit schon gehört hatte. Schließlich stammten einige ihrer besten Informanten in Rom aus den niederen Rängen. »Ja, das stimmt«, antwortete sie. Der Mann lächelte. »Wurde auch langsam Zeit«, sagte er. Als die Zehnte schließlich abrückte, ging alles sehr schnell. Schon einen Tag nach dem Treffen in dem langen Raum wurden zehn der größten Schiffe im Hafen von Valencia durch Legionäre am Auslaufen gehindert. Zum Verdruss der Handelskapitäne wurde ihre wertvolle Fracht gelöscht und in den Lagerhäusern des Hafens untergebracht, um Platz für die Unmengen an Ausrüstung und Soldaten zu schaffen, die eine Legion ausmachten. Das Gold im Lager wurde in Kisten verpackt und zu den Schiffen gebracht. Voll bewaffnete Zenturien bewachten jeden einzelnen Schritt des Transportes. Die Schmieden der Schwertmacher wurden abgebaut und auf riesige hölzerne Paletten gebunden, die mithilfe von Ochsengespannen in die dunklen Laderäume gehievt werden mussten. Die großen Steinschleudern und Wurfmaschinen wurden zu Balken und Brettern zerlegt, und die schweren Schiffe sanken beim Beladen noch ein gutes Stück tiefer ins Wasser. Sie würden den Hafen nur bei Höchststand der Flut verlassen können. Julius hatte den Tag der Abreise auf genau einen Monat nach seiner offiziellen Verkündung der Abreise festgesetzt. Wenn alles gut ging, würden sie Rom in etwas mehr als einhundert Tagen vor der Wahl der Konsuln erreichen. Der von Julius benannte Quästor war sehr ehrgeizig, und Julius wusste, dass er wie ein Sklave arbeiten würde, um seinen neuen Posten zu behalten. Die Disziplin in den spanischen Provinzen würde also auch nach dem Abmarsch der Zehnten aufrechterhalten werden. Unter Julius’ Befehl verlegte der Quästor zwei Kohorten in den Osten. Es waren einige einheimische Männer darunter, die sich schon vor Jahren dem römischen Heer angeschlossen hatten. Die Streitkraft dieser Truppe war durchaus ausreichend, um den Frieden sicherzustellen. Julius freute sich darüber, dass dieses Problem nun nicht mehr das seine war. Bevor die Schiffe die Leinen losmachen und in See stechen konnten, mussten noch tausend andere Dinge organisiert werden. Julius trieb sich selbst beinahe bis zur völligen Erschöpfung an und schlief nur noch höchstens jede zweite Nacht. Er traf sich mit Anführern aus dem ganzen Land und erklärte ihnen, was vor sich ging. Die Geschenke, die er ihnen hinterließ, sicherten ihm ihre Hilfe und ihren Segen. Der Quästor hatte still in sich hineingelächelt, als Julius ihm erzählt hatte, wie produktiv die neuen Minen während seiner Amtszeit geworden waren. Sie hatten sie gemeinsam in Augenschein genommen, und der Mann hatte die Gelegenheit genutzt, sich aus den Goldkisten der Zehnten einen Kredit zu sichern, den er über fünf Jahre zurückzahlen sollte. Diese Schuld würde bestehen bleiben, egal wer den Posten des Prätors letztendlich bekleiden würde. Die Minen würden weiter gefördert, und zumindest ein Teil des neuen Reichtums würde sicherlich auch deklariert werden. Allerdings erst, wenn der Posten dauerhaft vergeben war, dachte Julius lakonisch. Es war besser, die Gier von Männern wie Crassus in Rom nicht erst zu wecken. Als Julius in den Hof hinaustrat, hielt er gegen das grelle Sonnenlicht schützend die Hand über die Augen. Die Tore standen offen, und das Lager erinnerte ihn an das Dorf mit der Statue Alexanders. Ein seltsamer Gedanke. Doch die neuen Kohorten wurden bereits im Morgengrauen erwartet, dann würde das Lager wieder zum Leben erwachen. In dem gleißenden Licht sah er den jungen Mann, der am Tor stand und auf ihn wartete, zunächst gar nicht. Julius ging hinüber zu den Ställen und wurde aus seinen Tagträumen gerissen, als der andere ihn schließlich ansprach. Reflexartig suchte seine Hand den Griff seines Gladius. »General? Hast du einen Moment Zeit für mich?«, fragte der Mann. Julius erkannte ihn, und seine Augen wurden schmal. Er erinnerte sich an den Namen des Mannes, dessen Leben er verschont hatte. Adàn. »Was gibt es?«, fragte er ungeduldig. Adàn kam einen Schritt näher, und Julius behielt seine Hand am Griff des Schwertes. Er zweifelte nicht daran, dass er mit dem Spanier fertig werden würde, doch es konnten noch andere auf der Lauer liegen, und er lebte schon lange genug, um zu wissen, dass es ratsam war, immer auf der Hut zu sein. Seine Augen suchten das offene Tor nach sich bewegenden Schatten ab. »Bürgermeister Del Subió hat gesagt, du suchst einen Schreiber, Herr. Ich kann Latein lesen und schreiben.« Julius sah ihn misstrauisch an. »Hat Del Subió auch erwähnt, dass ich im Begriff bin, nach Rom zurückzukehren?«, fragte er. Adàn nickte. »Das weiß jeder. Ich möchte Rom gerne sehen, aber vor allen Dingen möchte ich diese Stelle als Schreiber.« Julius sah ihm in die Augen und versuchte ihn einzuschätzen. Er vertraute auf seine Intuition, die ihm sagte, dass in dem offenen Gesicht des Mannes keine Verschlagenheit lag. Vielleicht sagte der junge Spanier die Wahrheit, obwohl Julius, jetzt, da die Legion sich bereit machte, die Segel zu setzen, seine Motive etwas in Zweifel zog. »Eine kostenlose Überfahrt nach Rom, und dann verschwindest du im Gewühl der Märkte, Adàn«, sagte er schließlich argwöhnisch. Der junge Mann zuckte die Schultern. »Du hast mein Wort. Sonst kann ich dir nichts anbieten. Ich kann hart arbeiten, und ich möchte mehr von der Welt sehen. Das ist alles.« »Und warum möchtest du dann ausgerechnet für mich arbeiten? Vor nicht allzu langer Zeit hattest du römisches Blut an deinen Händen.« Adàn wurde rot, doch er hob den Kopf und ließ sich nicht einschüchtern. »Du bist ein ehrenwerter Mann, General. Ich würde es zwar lieber sehen, wenn Roms Hand sich nicht über mein Volk legte, aber du hast mich neugierig gemacht. Du würdest es nicht bereuen, mich in deine Dienste zu nehmen, das schwöre ich.« Stirnrunzelnd musterte Julius ihn. Dem Mann schien die Gefährlichkeit seiner Worte gar nicht bewusst zu sein. Wieder fiel ihm ein, wie Adàn damals vor seinen Leuten in dem langen Raum gestanden hatte und wie bemüht er gewesen war, seine Angst nicht zu zeigen. »Ich muss dir vertrauen können, Adàn. Ein solches Vertrauen kann erst mit der Zeit wachsen. Was du in meinen Diensten erfahren würdest, ist manch einem sehr viel Geld wert. Kann ich mich darauf verlassen, dass du meine Geschäfte geheim hältst?« »Wie du bereits sagtest: Das wirst du erst im Lauf der Zeit erfahren. Mein Wort gilt jedenfalls.« Julius’ Stirn glättete sich wieder, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte. »Nun gut, Adàn. Geh hinauf in meine Räume und bring mir die Papiere von meinem Schreibtisch. Ich will dir einen Brief diktieren, um deine Schrift zu beurteilen. Danach bleibt dir noch Zeit genug, um deiner Familie Lebewohl zu sagen. In drei Tagen brechen wir nach Rom auf.« 7 Brutus erbrach sich hilflos über die Reling in die wogende See. »Das hatte ich ganz vergessen«, sagte er mit kläglicher Stimme. Ciro konnte als Antwort nur stöhnen, weil auch ihm die letzten Becher Wein, die sie in Valencia getrunken hatten, wieder hochkamen. Eine kräftige Böe wehte einen Teil der stinkenden Brühe wieder zurück, und Brutus erstarrte angeekelt. »Geh ein Stück weg von mir, du Ochse!«, brüllte er, um den Wind zu übertönen. Obwohl sein Magen leer war, ließen die schmerzhaften Würgekrämpfe keineswegs nach, und der bittere Geschmack im Mund ließ ihn aufstöhnen. Die Wolken waren vom Osten herangeweht, als die spanischen Gebirge gerade hinter ihnen am Horizont versanken. Der Schiffskonvoi hatte sich schon vor dem Sturm getrennt, weil sie zwangsläufig nicht miteinander Schritt halten konnten. Die mit Rudern bestückten Schiffe schienen den Kurs einigermaßen zu halten, obwohl das starke Schwanken die langen Ruderblätter abwechselnd auf der einen oder anderen Seite komplett aus dem Wasser hob. Die Händler, die auf ihre Segel angewiesen waren, zogen Treibanker hinter sich her. Die großen Bündel aus Segeltuch und Spieren sollten die Geschwindigkeit drosseln helfen und den schweren Rudern etwas Gegengewicht bieten, aber es nützte so gut wie nichts. Durch das Unwetter brach die Dunkelheit viel eher herein, woraufhin auch der Sichtkontakt zueinander verloren ging. Jetzt kämpfte jedes Schiff allein gegen die Wellen an. Brutus stand zitternd am Heck, als die nächste Sturmböe eine große weiße Welle über die Reling spülte. Eisern umklammerte er die Streben, als ihm das Wasser um die Knie spülte und dann wieder ablief. Die Ruder klatschten und schlitterten haltlos auf den Wasserbergen umher, und Brutus fragte sich, ob das Schiff womöglich mit einem plötzlichen lauten Krachen irgendwo an Land gespült werden und zerbersten würde. Die schwarze Dunkelheit um sie herum war undurchdringlich, und obwohl Ciro nur ein paar Schritte neben ihm stand, konnte er dessen massige Gestalt kaum erkennen. Brutus hörte den großen Mann leise ächzen und schloss die Augen. Das alles sollte einfach nur aufhören. Alles war in bester Ordnung gewesen, bis sie aus dem Schutz der Küste herausgekommen waren, die gewaltigen Wellen der offenen See das Schiff von einer Seite zur anderen geworfen hatten und die Übelkeit von ihm Besitz ergriffen hatte. Zuerst hatte er nur rülpsen müssen, dann hatte er den plötzlichen Drang verspürt, rasch an die Reling zu eilen. Er wusste, dass es besser war, sich über das Heck zu übergeben. Die Männer unten verfügten nicht über diesen Luxus. So dicht gedrängt wie sie da unten in den Laderäumen hockten, musste es dort wahrlich albtraumhaft zugehen. Mit den wenigen Gedanken, die sich mit etwas anderem als der Übelkeit beschäftigen konnten, wurde er sich dessen bewusst, dass sie zumindest für ein oder zwei Tage vor Ostia vor Anker liegen mussten. Die würden sie auch brauchen, um das Schiff zu reinigen und den Glanz der Zehnten wieder einigermaßen herzustellen. Wenn sie in diesem Zustand in den Hafen einliefen, mussten die Dockarbeiter glauben, sie seien gerade aus einer entsetzlichen Schlacht entkommen. Brutus vernahm Schritte hinter sich. »Wer ist da?«, fragte er und streckte den Kopf vor, um die Gesichtszüge des Mannes besser zu sehen. »Julius«, hörte er eine muntere Stimme hinter sich. »Ich habe hier etwas Wasser für dich. Dann hast du wenigstens etwas im Magen, womit du dich übergeben kannst.« Brutus lächelte schwach, nahm aber dankbar den Wasserschlauch entgegen und presste den Mund an die bronzene Trinköffnung. Er spülte sich den Mund und spuckte dann aus, bevor er ein wenig Wasser durch seine Kehle laufen ließ. Dann nahm ihm Ciro den Wasserschlauch aus den Händen und schluckte ebenfalls gierig. Brutus wusste, dass er eigentlich nach den Männern unten fragen sollte, oder nach dem Kurs, den sie einschlugen, um zwischen Sardinien und Korsika hindurchzusegeln, doch er konnte sich einfach nicht dazu aufraffen. Vor Übelkeit war sein Kopf ganz schwer geworden, und er konnte nur entschuldigend die Hand in Julius’ Richtung heben, bevor er schon wieder über der Reling hing. Wenn er sich nicht übergab, war es eigentlich noch schlimmer. Dann konnte er rein gar nichts tun, als sich der Übelkeit zu ergeben. Als das Schiff sich plötzlich in einem Furcht erregenden Winkel zur Seite neigte, taumelten sie alle drei, und unten im Laderaum fiel etwas klirrend zu Boden. Julius’ Füße verloren auf dem schlüpfrigen Deck den Halt, aber Ciros Arm rettete ihn. Dankbar nickend holte er pfeifend Luft. »Das habe ich vermisst«, sagte er ausgelassen zu den beiden anderen. »Im Dunkeln herumzutorkeln und weit und breit kein Land in Sicht.« Er beugte sich zu Ciro. »Morgen hast du mit mir zusammen Spätwache. Wenn der Sturm erst einmal abgeflaut ist, werden dir die Sterne den Atem rauben. Die Übelkeit dauert nie länger als einen Tag, oder höchstens zwei.« »Das will ich hoffen«, stieß Ciro skeptisch hervor. Soweit es ihn betraf, strapazierte Julius durch seine unanständige Fröhlichkeit gerade die Grenzen seiner Freundschaft, während er selbst hier auf ihrer aller Tod harrte. Mit Freuden hätte er einen ganzen Monatslohn gegen eine einzige ruhige Stunde gegeben, damit sich sein Magen endlich wieder beruhigte. Wenn die Übelkeit erst einmal vorbei war, konnte er wieder jedem Problem ins Gesicht sehen, dessen war er sich sicher. Julius hangelte sich vorsichtig an der Reling entlang, um mit dem Kapitän zu sprechen. Der Händler hatte sich zwar unwirsch in seine neue Rolle ergeben, hatte aber sogar mit den Soldaten gesprochen, als sie sein Schiff beluden. Er hatte ihnen geraten, die Arbeit an Bord immer mit einer Hand zu erledigen und sich mit der anderen selbst irgendwo festzuklammern. »Wenn ihr über Bord geht«, hatte er zu den Legionären gesagt, »ist das euer Ende. Selbst wenn ich umkehren würde, was ich natürlich nicht tue, ist es sogar bei ruhiger See so gut wie unmöglich, den Kopf eines Menschen auf dem Wasser zu erspähen. Wenn es aber windig ist, dann schluckt ihr besser gleich Wasser und geht sofort unter, dann geht es wenigstens schneller.« »Sind wir noch auf Kurs, Kapitän?«, fragte Julius, als er sich der dunklen Gestalt näherte, die sich zum Schutz gegen den Wind unter einem schweren Öltuch zusammenkauerte. »Nun ja, das kann ich erst mit Bestimmtheit sagen, wenn wir uns Sardinien nähern, aber diese Strecke hier bin ich bereits oft genug gefahren«, erwiderte der Kapitän. »Der Sturm kommt von Südost, und wir segeln am Wind.« Julius konnte seine Züge in der undurchdringlichen Dunkelheit zwar nicht ausmachen, aber seine Stimme klang nicht besorgt. Als die ersten Sturmböen gegen das Schiff geklatscht waren, hatte er die Steuerruder in einem flachen Winkel festzurren lassen und seinen Posten eingenommen. Von dort aus rief er der Mannschaft, die unsichtbar an Deck herumhuschte, hin und wieder neue Befehle zu. Mit der Reling im Rücken wiegte Julius sich im Rhythmus des Schiffes mit und genoss all dies ungemein. Seine Zeit auf der Accipiter, mit Gaditicus als Kapitän, schien eine Ewigkeit her zu sein, aber wenn er seine Gedanken schweifen ließ, hätte er jetzt wieder genauso gut dort stehen können, auf einem anderen Meer in der Dunkelheit. Er fragte sich, ob Ciro wohl jemals an die Zeit damals zurückdachte. Bei unzähligen Gelegenheiten hatten sie auf der Jagd nach dem Piraten, der ihr kleines Schiff zerstört hatte, ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Julius schloss die Augen und dachte an alle, die bei dieser Jagd umgekommen waren. Besonders Pelitas war ein sehr guter Mann gewesen. Er war jetzt schon lange tot. Damals war alles so einfach gewesen, als läge sein Weg offen vor ihm und warte nur darauf, dass er ihn betrat. Jetzt aber hatte er mehr Möglichkeiten zur Auswahl, als ihm lieb waren. Wenn er zum Konsul gewählt wurde, konnte er in Rom bleiben oder aber seine Legion in neue, unbekannte Länder irgendwo auf der Welt führen. Alexander hatte das schon vor ihm geschafft. Der Knabenkönig hatte seine Armeen gen Osten in Richtung der aufgehenden Sonne geführt, in Länder, die so weit entfernt lagen, dass sie selbst kaum mehr als eine Sage zu sein schienen. In gewisser Hinsicht sehnte sich Julius nach der wilden Freiheit, die er in Afrika und Griechenland kennen gelernt hatte. Niemanden überzeugen und sich vor niemandem rechtfertigen müssen, sondern einfach neue Wege einschlagen. Bei dem Gedanken daran lächelte er in der Dunkelheit vor sich hin. Spanien lag hinter ihnen, und mit dem Sturm waren ihm alle seine Sorgen, festgefahrenen Gewohnheiten und lästigen Besprechungen von den Schultern genommen. An die Reling gelehnt, hörte er wieder eilige Schritte von jemandem, der dringend seine letzte Mahlzeit loswerden wollte. Julius hörte Adàns empörten Ruf, als er feststellte, dass Ciro ihm den Weg verstellte. Der Spanier fluchte aufgebracht. »Was ist denn das? Etwa ein Elefant? Mach schon Platz, du grober Klotz«, blaffte er, und Ciro lachte kurz auf. Es freute ihn, dass auch andere sein Elend teilten. Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel, und ein unerwartet greller Blitz irgendwo vor ihnen ließ alle zusammenzucken. Unbeobachtet hob Julius die Hände gen Himmel und hieß in einem stillen Gebet den Sturm willkommen. Irgendwo vor ihnen lag Rom, und er fühlte sich so lebendig wie seit Jahren nicht mehr. Der Regen strömte aus dem pechschwarzen Himmel über der Stadt. Obwohl Alexandria sich mit ihren beiden Wachen eigentlich hätte sicher fühlen müssen, fürchtete sie sich, weil die Nacht der dunklen Regenwolken wegen so früh hereinbrach. Ohne die Sonne leerten sich die Straßen rasch, die Familien verriegelten ihre Türen und zündeten die Abendlampen an. Das Straßenpflaster versank in einem zäh dahinfließenden Rinnsal aus Schmutz und Unrat, das ihre Füße umspülte und an ihnen kleben blieb. Beinahe wäre Alexandria auf einem verborgenen Pflasterstein ausgerutscht, und bei dem Gedanken, sich auch noch die Hände mit dem Zeug zu beschmutzen, verzog sie angewidert das Gesicht. Die Straßen waren unbeleuchtet, und jede dunkle Gestalt, die einem entgegenkam, wirkte unweigerlich bedrohlich. Die Banden der Raptores hielten sicher Ausschau nach leichter Beute, die sie schänden oder ausrauben konnten, und Alexandria hoffte inständig, Teddus und sein Sohn würden sie einschüchtern. »Halte dich dicht bei uns, Mädchen. Es dauert nicht mehr lange«, sagte Teddus, der vor ihr ging. Wie er da so vor ihr herhumpelte, konnte sie zwar kaum seine Gestalt ausmachen, aber der beruhigende Klang seiner Stimme lenkte sie ein wenig von ihrer Furcht ab. Der Wind trug in einem plötzlichen, süßlich-faulen Schwall den Geruch nach menschlichen Exkrementen heran, und Alexandria schluckte heftig, weil sie der Gestank zum Würgen brachte. Es war nicht leicht, keine Angst zu haben. Teddus war schon weit über seine besten Jahre hinaus, und von einer alten Beinverletzung hatte er diesen schwankenden, beinahe schon komischen Gang zurückbehalten. Sein mürrischer Sohn sprach fast nie ein Wort, und sie wusste nicht, ob sie ihm trauen konnte. Auf dem Weg durch die verlassenen Straßen hörte Alexandria, wie die Türen, an denen sie vorbeigingen, von innen knarrend verriegelt wurden. Alle Familien trafen ihre Sicherheitsvorkehrungen. Die ehrbaren Bürger Roms hatten keinerlei Schutz vor den Räuberbanden, und nur wer sich Leibwächter leisten konnte, traute sich nach Einbruch der Dunkelheit noch auf die Straße. An einer Straßenecke vor ihnen tauchte plötzlich eine Gruppe vermummter Gestalten auf, dunkle Schatten, die sie misstrauisch beäugten. Alexandria fing an zu zittern und hörte, wie Teddus sein Jagdmesser zog. Sie mussten entweder die Straßenseite wechseln oder direkt durch die Gruppe hindurchgehen, und Alexandria kämpfte gegen den Impuls an, einfach wegzurennen. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie sich von ihren Wachen entfernte. Nur dieser Gedanke ließ sie so gefasst wie möglich weiter auf die Straßenecke zumarschieren. Teddus’ Sohn ging jetzt direkt neben ihr und streifte ihren Arm, aber diese Berührung beruhigte sie keineswegs. »Wir sind fast zu Hause«, sagte Teddus laut und deutlich, und das eigentlich mehr zu den Männern an der Straßenecke als zu Alexandria, die das ebenso gut wusste wie er. Er klang unbesorgt und hielt sein langes Messer dicht an der Seite, während sie an den düsteren Gestalten vorbeigingen. Es war viel zu dunkel, um ihre Gesichter zu erkennen, aber Alexandria roch nasse Wolle und einen unangenehmen Knoblauchgeruch. Als einer der Schatten sie an der Schulter anstieß, blieb ihr fast das Herz stehen. Sie stolperte. Teddus’ Sohn führte sie mit seiner Schwerthand weiter und zeigte den Männern dabei unmissverständlich seine Klinge. Die Kerle blieben wie angewurzelt stehen, und Alexandria spürte ihre starren, drohenden Blicke auf sich, als liege der Augenblick auf einer Waagschale. Nur ein kleiner Ausrutscher, und sie würden angreifen, dessen war sie sich sicher. Ihr Herz schlug immer schneller. Dann waren sie endlich an ihnen vorbei. Teddus nahm sie fest beim Arm, und auf ihrer anderen Seite ging sein Sohn. »Dreh dich ja nicht nach ihnen um, Mädchen«, flüsterte Teddus leise. Sie nickte nur, obwohl sie wusste, dass er sie nicht sehen konnte. Folgten ihnen die Männer? Schlichen sie ihnen etwa hinterher wie wilde Hunde? Sie hätte gern einen Blick nach hinten geworfen, doch Teddus zog sie unerbittlich weiter durch die Straßen, immer weiter weg von dieser Ecke. Sein Humpeln wurde stärker, und sein Atem ging mühevoll und stoßweise, als sie die Straßenkreuzung endlich in sicherer Entfernung hinter sich gelassen hatten. Er sprach zwar nie darüber, aber sein rechtes Bein musste jeden Abend mit einer Salbe massiert werden, damit es am nächsten Morgen wieder sein Gewicht trug. Über ihnen prasselte der Regen auf die Dächer der Häuser, in denen sich Menschen drängten, die genau wussten, warum man in der Dunkelheit nicht durch die Straßen ging. Alexandria riskierte einen Blick nach hinten, konnte aber nichts erkennen und bereute es sofort wieder. Wut stieg in ihr auf. Die Senatsmitglieder mussten nicht solche Ängste ausstehen wie sie. Sie verließen das Haus nie ohne bewaffnete Wachen, und die Raptores gingen ihnen tunlichst aus dem Weg, weil sie sofort erkannten, wer ihnen gefährlich werden konnte. Die Armen hingegen waren ihnen schutzlos ausgeliefert, und selbst am helllichten Tag ereigneten sich in den Straßen Überfälle und Auseinandersetzungen, bei denen nicht selten ein oder zwei Tote zurückblieben. Die Täter gingen dann ganz einfach steifbeinig davon, weil sie wussten, dass sie nicht verhaftet, geschweige denn überhaupt erst verfolgt wurden. »Wir sind fast da, Mädchen«, sagte Teddus noch einmal. Dieses Mal meinte er es auch so. Sie hörte die Erleichterung in seiner Stimme und fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn die Bande ebenfalls ihre Messer gezückt hätte. Wäre er für sie gestorben oder hätte er sie der Willkür der Räuber überlassen? Das konnte niemand wissen, aber in Gedanken überschlug sie die Kosten für eine dritte Wache. Doch wer sollte dann den Neuen überwachen? Nach zwei weiteren Straßenecken hatten sie ihre Straße endlich erreicht. Die Häuser waren zwar größer als in dem Labyrinth, durch das sie gerade gekommen waren, aber das zähflüssige Schmutzrinnsal war hier durch den Regen noch weiter angewachsen. Als ihr etwas von der braunen Brühe unter der Stola bis ans Knie hochspritzte, verzog sie das Gesicht. Schon wieder ein paar Sandalen ruiniert. Das Leder würde diesen üblen Geruch niemals wieder verlieren, egal wie oft sie es auch einweichte. Leise ächzend vor Schmerzen erreichte Teddus die Haustür als Erster und pochte an. Sie warteten schweigend, und die beiden Männer hielten nach links und rechts Ausschau, für den Fall, dass jemand darauf lauerte, hinter ihnen ins Haus hineinzustürmen. Nur ein paar Nächte zuvor war jemandem in einer nicht weit entfernten Straße genau das passiert. Und niemand hatte es gewagt, das eigene Haus zu verlassen und zu Hilfe zu eilen. Alexandria hörte, wie sich von innen Schritte der Tür näherten. »Wer ist da?«, hörte sie Atias Stimme, und Alexandria seufzte erleichtert, weil sie endlich zu Hause war. Sie kannte die Frau schon seit Jahren, und obwohl sie nur bei ihr im Haus lebte und für sie kochte, war sie für Alexandria in ganz Rom doch das, was einer Familie am nächsten kam. »Ich bin’s, Ati«, antwortete sie. Ein Lichtstrahl fiel hinaus auf die Straße, als sich die Tür öffnete, und sie schoben sich schnell hinein. Teddus wartete, bis sie von der Straße ins Haus getreten war, bevor er ihr folgte. Sorgfältig schob er den Riegel wieder vor, steckte schließlich sein Messer in die Scheide zurück, und erst dann fiel die Anspannung auch von ihm ab. »Vielen Dank euch beiden«, sagte Alexandria. Der Sohn sagte kein Wort, aber Teddus brummelte eine Antwort und tätschelte, wie um sicherzugehen, die dicke solide Außentür. »Dafür werden wir ja schließlich bezahlt«, sagte er. Sie sah, dass er das schwache Bein ein wenig vom Boden angehoben und das Gewicht ganz auf das andere verlagert hatte. Mitfühlend sah sie ihn an. Es gab sehr unterschiedliche Arten von Mut. »Ich bringe dir etwas Heißes zu trinken, sobald du dein Bein versorgt hast«, sagte sie. Zu ihrer Überraschung wurde er rot. »Nicht nötig, Herrin. Ich und der Junge, wir kümmern uns schon um uns. Später vielleicht.« Alexandria nickte, fragte sich jedoch, ob sie nicht vielleicht darauf hätte bestehen sollen. Teddus schien alles, was wie ein Freundschaftsangebot aussah, irgendwie unangenehm zu sein. Allem Anschein nach wollte er nichts weiter von ihr als regelmäßige Bezahlung, und sie hatte seine Reserviertheit bisher immer akzeptiert. Heute Abend jedoch war sie noch viel zu aufgewühlt und brauchte Menschen um sich herum. »Ihr müsst doch Hunger haben. In der Küche steht noch kaltes Rindfleisch. Wenn du soweit bist, würde ich mich freuen, wenn ihr uns Gesellschaft leistet.« Atia trat nervös von einem Fuß auf den anderen, und Teddus starrte einen Moment lang mit gerunzelter Stirn auf den Fußboden. »Wenn du meinst, Herrin«, sagte er schließlich zögernd. Alexandria schaute den beiden Männern nach, die sich umdrehten und in ihre Zimmer zurückzogen. Dann sah sie Atia an und lächelte über deren abweisenden Gesichtsausdruck. »Du bist viel zu nett zu ihnen«, sagte Atia vorwurfsvoll. »Keiner von den beiden hat etwas Gutes an sich, weder der Vater noch der Sohn. Wenn du ihnen das Sagen im Haus überlässt, nutzen sie das sicher aus. Bedienstete sollten niemals vergessen, wo sie stehen, und schon gar nicht, wer sie bezahlt.« Alexandria lächelte in sich hinein, weil die ausgestandene Angst dieses Abends endlich von ihr abfiel. Theoretisch gesehen war Atia selbst eine Bedienstete, auch wenn sie niemals darüber sprachen. Alexandria hatte sie kennen gelernt, als sie sich damals nach sauberen Räumen in der Stadt umgesehen hatte. Als ihre Goldschmiedewerkstatt weiter gewachsen war, war Atia mit ihr in das neue Haus gezogen, um ihr den Haushalt zu führen. Sie führte sich den anderen Bediensteten gegenüber wie eine Tyrannin auf, aber sie machte aus dem Haus ein richtiges Zuhause. »Ich bin froh, dass sie mich begleitet haben, Atia. Die Raptores sind heute wegen des Unwetters sehr früh auf den Straßen, und ein oder zwei Becher heißer Wein sind ein fairer Preis für die Sicherheit. Und nun komm schon. Ich verhungere.« Atia rümpfte zwar die Nase, doch auf dem Weg in die Küche überholte sie Alexandria eilig im Flur. Das Senatsgebäude erstrahlte im Licht dutzender flackernder Lampen an den Wänden. Trotz des Regens, den man gedämpft draußen niederprasseln hörte, war es in dem hallenden Raum warm und trocken. Nur wenige der anwesenden Männer freuten sich auf den Heimweg, bei dem sie unweigerlich bis auf die Haut nass würden. Der Nachmittag war mit den Berichten über das der Stadt zur Verfügung stehende Geld sowie einer Reihe Abstimmungen hinsichtlich der Genehmigung höherer Aufwendungen für die Legionen, die in fernen Ländern die Pax Romana aufrechterhielten, dahingegangen. Obwohl die Erhöhungen recht deftig ausfielen, blieben noch genügend Reserven, um die Stadt über ein weiteres Jahr zu bringen. Die wohlige Wärme hatte einige der älteren Senatoren schläfrig gemacht, und nur der Sturm draußen hinderte sie daran, sich auf den Weg zu einem verspäteten Mahl und ihren Nachtlagern zu machen. Senator Prandus stand auf dem Rednerpodest und ließ den Blick nach Zustimmung suchend über die im Halbkreis angeordneten Sitzbänke schweifen. Er ärgerte sich darüber, dass Pompeius mit einem Kollegen tuschelte, während er gerade seine Kandidatur für das Amt des Konsuls verkündete. Nur auf Pompeius’ Anfrage hin hatte er überhaupt eingewilligt, sich aufstellen zu lassen, also könnte Pompeius doch wenigstens ein wenig Aufmerksamkeit heucheln. »Wenn ich für diesen Posten gewählt werde, dann beabsichtige ich, die Münzpräger unter einem Dach zu vereinen, um eine Währung einzuführen, auf die sich die Bürger auch verlassen können. Es sind zu viele Münzen im Umlauf, die nur vermeintlich aus Gold oder reinem Silber bestehen. Außerdem braucht jedes Geschäft seine eigene Waage, um das gegebene Geld zu wiegen. Eine einzige vom Senat autorisierte Prägeanstalt wird diese Verwirrung beenden und das Vertrauen wiederherstellen.« Er sah Crassus die Stirn runzeln und fragte sich insgeheim, ob er wohl für ein paar der falschen Münzen verantwortlich war, die so viel Schaden anrichteten. Überrascht hätte es ihn jedenfalls nicht. »Wenn mir die Bevölkerung das Recht zugesteht, auf dem Stuhl des Konsuls zu sitzen, werde ich die Interessen Roms vertreten und den Glauben an die Autorität des Senats wiederherstellen.« Pompeius blickte auf, und Prandus unterbrach abrupt seine Rede, weil er erst jetzt bemerkte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Jemand kicherte, und Prandus spürte, wie er langsam nervös wurde. »... einen noch größeren Glauben in den Senat«, fügte er eilig hinzu, »Respekt gegenüber der Autorität und dem Regelwerk des Gesetzes. Eine Gerechtigkeit, die frei ist von Bestechlichkeit und Korruption.« Er hielt erneut inne, weil sein Kopf plötzlich völlig leer war. »Es wird mir eine Ehre sein zu dienen. Vielen Dank«, brachte er schließlich noch hervor, stieg vom Rednerpult und setzte sich sichtlich erleichtert wieder auf seinen Platz in der ersten Bank. Einige Banknachbarn klopften ihm anerkennend auf die Schulter, und er entspannte sich wieder. Vielleicht war die Rede ja doch nicht so schlecht gewesen. Er schaute seinen Sohn Suetonius an, um zu sehen, wie er sie aufgenommen hatte, aber der junge Mann starrte nur mit ausdruckslosem Gesicht vor sich hin. Pompeius ging zwischen den Sitzreihen entlang und lächelte Senator Prandus im Vorübergehen zu. Als der Konsul an das Rednerpult trat, erstarben die flüsternd begonnenen Unterhaltungen sofort. Pompeius sah völlig entspannt und zuversichtlich aus, stellte Prandus leicht irritiert fest. »Ich danke den Kandidaten für ihre Worte«, sagte Pompeius und ließ einen Moment den Blick in stiller Anerkennung auf den entsprechenden Männern ruhen, bevor er fortfuhr. »Sie geben mir die Hoffnung, dass diese prächtige Stadt nach wie vor Männer hervorbringt, die gewillt sind, ihr selbstlos und ohne einen Gedanken an persönlichen Gewinn oder Ehrgeiz ihr Leben zu widmen.« Er wartete das zustimmende Gemurmel ab, lehnte sich dann nach vorne und stützte die Arme auf dem Pult auf. »Die Wahl gibt meinen Bauarbeitern die Gelegenheit, dieses Haus hier zu vergrößern. Und für die Zwischenzeit, solange die Bauarbeiten hier vor sich gehen, bin ich gewillt, mein neues Theater zur Verfügung zu stellen. Das dürfte meiner Meinung nach ein durchaus angemessenes Provisorium abgeben.« Er lächelte sie an, und sie lächelten zurück, denn sie wussten alle, dass das Theater doppelt so groß und mindestens doppelt so luxuriös war wie das Senatsgebäude. Also gab es keine Gegenstimmen. »Außer den Kandidaten, die wir bis jetzt gehört haben, müssen sich weitere mögliche Anwärter bis zum Volturnalia-Fest erklärt haben, welches von heute an gerechnet in zehn Tagen stattfindet. Lasst es mich also bitte rechtzeitig wissen. Bevor wir uns jetzt in den Regen hinauswagen, muss ich noch eine öffentliche Versammlung auf dem Forum für heute in einer Woche ankündigen. Crassus und ich werden uns dann in der Ansprache der Konsuln an die Bevölkerung wenden. Wenn einer der anderen Kandidaten die Gelegenheit ergreifen möchte, dort nach uns zu reden, sollte er mich bitte darauf ansprechen, bevor wir gehen.« Pompeius sah Prandus einen kurzen Augenblick lang viel sagend in die Augen, bevor er fortfuhr. Es war alles arrangiert worden, und Prandus wusste, seine Kandidatur würde durch seine Verbindung zu den erfahreneren Männern sehr gestärkt werden. Er tat also gut daran, seine Rede gründlich einzustudieren, denn trotz Pompeius’ zahlreicher Versprechungen waren die Massen Roms ein mitunter recht schwieriges Publikum. »Der Tag neigt sich dem Ende zu, verehrte Herren Senatoren. Erhebt euch zum Schwur«, sagte Pompeius mit lauter Stimme, um den Regen zu übertönen, der draußen immer noch auf die Stadt niederprasselte. Der Sturm fegte drei volle Tage über die weit verstreuten Schiffe hinweg, brachte sie dabei aber ihrem Ziel immer näher. Als er endlich nachließ, fanden die Transportschiffe der Zehnten nur wieder langsam zusammen. Auf jedem der Schiffe herrschte eifrige Aktivität, weil die Besatzungen zunächst Segel und Ruder reparierten sowie Teer siedeten, um ihn dort zwischen die breiten Planken der Decks zu gießen, wo das Wasser eindrang. Wie von Brutus vorhergesagt, hatte Julius der Flotte den Befehl gegeben, vor Ostia zu ankern. Zwischen den Schiffen fuhren kleine Beiboote mit Vorräten und Zimmermännern hin und her, die dafür sorgten, dass man auch einer kritischen Beurteilung würde standhalten können. Die Sonne trocknete die Decks, und die Zehnte schrubbte die Laderäume der Schiffe mit Salzwasser und weißem Fett, um sie von dem Geruch nach Erbrochenem zu reinigen. Erst als auch die Anker eingeholt und von Schlamm befreit worden waren, lief die Flotte mit Julius am Bug des ersten Schiffes in den Hafen ein. Einen Arm um die hochgezogene Bugspitze gelegt, stand er da und sog den Anblick seines Heimatlandes in vollen Zügen in sich auf. Wenn er nach hinten blickte, sah er die weißen Flügel der Ruderschiffe in Speerspitzenformation hinter sich, und dahinter die Segel der restlichen Schiffe. Hätte ihn in diesem Moment jemand danach gefragt, er hätte seine Gefühle nicht in Worte ausdrücken können, und er versuchte gar nicht erst, sie genau zu betrachten. In der frischen Seeluft waren seine Kopfschmerzen wie weggeblasen, und zum Dank für die sichere Überfahrt hatte er den Göttern in einer Kohlepfanne Räucherwerk entzündet. Er wusste, dass die Zehnte auf den Wiesen jenseits des Hafens ein dauerhaftes Lager errichten konnte, während er sich auf dem Landweg nach Rom begab. Bei der Aussicht, endlich Familie und Freunde wiederzusehen, waren die einfachen Soldaten genauso aufgeregt wie die Offiziere. Doch es würde erst dann Ausgang gegeben, wenn das Lager errichtet und gesichert war. Fünftausend Mann waren viel zu viel, um sie auf seinem eigenen Anwesen unterzubringen. Eine so große Anzahl Menschen auch nur satt zu bekommen war ein großes Problem, und hier im Hafen waren die Preise günstiger. Wenn er nicht aufpasste, würde die Zehnte sein mitgebrachtes Gold auffressen wie eine Heuschreckenplage. Wenigstens würden sie ihren eigenen Sold in den Kneipen und Freudenhäusern der Stadt ausgeben. Der Gedanke an sein Landgut rief eine Mischung aus Trauer und Erregung zugleich in ihm wach. Bald würde er sehen, wie groß seine Tochter geworden war, und er konnte wieder am Fluss entlanggehen, den sein Vater gestaut hatte, um ihn durch das Gut zu leiten. Bei dem Gedanken an seinen Vater verschwand Julius’ Lächeln sofort wieder. Das Familiengrab lag an der Straße nach Rom, und noch bevor er irgendetwas anderes tat, musste er die Gräber derjenigen aufsuchen, die er zurückgelassen hatte. 8 Crassus ließ sich vorsichtig bis zur Hüfte ins Wasserbecken gleiten und atmete den Dampf des Bades tief ein. Der marmorne Sockel an seinen Schultern fühlte sich eisig kalt an, als er sich, auf dem Podest im Becken sitzend, dagegen lehnte. Der Kontrast zwischen dem kalten Stein und dem warmen Wasser war überaus angenehm. Er spürte die Verspannungen im Nacken und winkte einen der Badesklaven herbei, damit er sie wegmassierte, während Crassus sich unterhielt. Sämtliche anderen Männer im Becken waren seine Klienten und ihm über die monatlichen Zuwendungen hinaus treu ergeben. Crassus schloss genießerisch die Augen, als die kräftigen Hände des Sklaven seine Muskeln zu bearbeiten begannen, und bevor er zum Reden ansetzte, seufzte er wohlig auf. »Meine Amtszeit als Konsul hat wenig Spuren in der Stadt hinterlassen, meine Herren.« Er lächelte trocken, als die Männer betroffen hin und her rutschten. Bevor sie protestieren konnten, fuhr er fort: »Ich dachte, ich könnte in meiner Amtszeit viel mehr erschaffen. Es gibt viel zu wenige Dinge, auf die ich zeigen und sagen kann: ›Das habe ich ganz allein bewerkstelligt.‹ Es hat den Anschein, als seien neu ausgehandelte Handelsbedingungen nicht gerade das, was die Mehrheit der Bürger wirklich bewegt.« Ein bitterer Ausdruck legte sich über seine Züge, als er sie einen nach dem anderen musterte und gedankenverloren mit dem Finger eine Spur durch das glatte Wasser zog. »Ja, ich habe ihnen Brot gegeben, als sie keines hatten, das schon. Doch als die Brotlaibe verzehrt waren, hatte sich nichts geändert. Ich habe ihnen ein paar Renntage aus meiner eigenen Tasche finanziert und einen Tempel auf dem Forum wieder aufbauen lassen. Doch ich frage mich, ob sie sich an dieses Jahr erinnern oder überhaupt jemals daran denken werden, dass ich einmal Konsul war.« »Wir stehen dir treu zur Seite«, beteuerte einer der Männer, und seine Äußerung wurde von den anderen rasch mit zustimmendem Gemurmel bestätigt. Crassus nickte und entließ einen verbitterten Stoßseufzer in die dampfige Atmosphäre. »Ich habe keine Kriege für sie gewonnen, versteht ihr? Darum katzbuckeln sie vor Pompeius, und der alte Crassus ist vergessen.« Die Klienten wagten nicht, einander anzusehen und die Wahrheit von Crassus’ Worten in ihren eigenen Gesichtern bestätigt zu finden. Crassus hob angesichts ihrer offensichtlichen Beschämung die Augenbrauen und fuhr dann mit betont fester Stimme fort: »Ich will nicht, dass meine Amtszeit vergessen wird, meine Herren. Ich habe einen weiteren Tag auf der Rennbahn für sie erkauft. Das ist schon einmal ein Anfang. Ich will, dass meine Mieter als Erste Karten kaufen können. Und versucht, auch die Familien zu kriegen.« Er machte eine Pause und griff hinter sich nach einem Becher kühlen Wassers. Sofort hielt der Sklave mit der Massage inne und drückte ihm den Becher in die knochigen Hände. Crassus lächelte den Burschen an, bevor er fortfuhr. »Die neuen Sesterze mit meinem Kopf darauf sind fertig. Ich brauche jeden Einzelnen von euch, um sie zu verteilen, meine Herren. Sie sollen nur an die ärmsten Haushalte vergeben werden. Jeder Mann und jede Frau bekommt aber nur einen Sesterz. Dazu werdet ihr Wachen benötigen, und tragt auch immer nur eine kleine Summe bei euch.« »Darf ich dir eine Idee unterbreiten, Konsul?«, fragte einer der Männer. »Natürlich, Pareus«, erwiderte Crassus und hob fragend eine Braue. »Stellt Männer zum Straßenputzen ein«, sagte er. Unter dem prüfenden Blick des Konsuls sprudelten seine Worte zu schnell hervor. »Große Teile der Stadt stinken, und die Bevölkerung würde es dir danken.« Crassus lachte laut auf. »Wenn ich tue, was du vorschlägst, hören sie dann auf, ihren Abfall auf die Straße zu werfen? ›Nein‹, werden sie sich sagen. ›Wirf es doch einfach weg. Der alte Crassus läuft uns mit dem Eimer hinterher und macht alles wieder sauber.‹ Nein, mein Freund. Wenn sie saubere Straßen wollen, dann sollen sie sich Lumpen und Wasser besorgen und sie selber säubern. Wenn der Gestank im Sommer unerträglich wird, sind sie vielleicht sogar dazu gezwungen. Das wird sie dann schon lehren, reinlicher zu sein.« Crassus sah, wie enttäuscht der Mann war, und sagte freundlich: »Ich bewundere jeden Mann, der nur das Beste von unserem Volk denkt. Aber es gibt leider zu viele Leute, die keinen Verstand besitzen und fortwährend die eigene Schwelle beschmutzen. Es ist sinnlos, an den guten Willen solcher Menschen zu appellieren.« Bei dem Gedanken daran lachte Crassus kurz auf und wurde wieder ernst. »Andererseits ..., aber selbst wenn ich mich damit beliebt machte, nein! Ich will nicht als Crassus der Straßenfeger in Erinnerung bleiben. Wirklich nicht!« »Und was ist mit den Räuberbanden?«, fuhr Pareus stur fort. »In manchen Bezirken sind sie völlig außer Kontrolle. Ein paar hundert Männer mit dem Auftrag, diese Banden zu vernichten, würden mehr für die Stadt tun, als ...« »Du willst noch eine Bande, die die anderen Banden kontrolliert? Und wer würde die dann in Schach halten? Verlangst du dann eine weitere Bande, die die erste bändigt?« Verwundert über die Hartnäckigkeit des Mannes schüttelte Crassus verächtlich den Kopf. »Eine Legionszenturie könnte ...«, stammelte der Mann und brach wieder ab. Crassus setzte sich energisch auf, und eine Welle durchlief das Becken. Abwehrend hob er die Hand, und seine Klienten rutschten erneut nervös hin und her. »Natürlich, Pareus. Eine Legion kann viele Dinge tun, aber mir steht keine zu Verfügung, wie du dich vielleicht erinnerst. Soll ich etwa Pompeius um noch mehr Soldaten anbetteln, damit sie in den armen Stadtbezirken patrouillieren? Er verlangt schon ein Vermögen für die Wachen bei den Rennen, und ich habe es satt, seinen Ruf mit meinem Gold zu unterstützen.« Crassus unterstrich seine Worte mit einer ausladenden Geste und warf dabei den Metallbecher um, der scheppernd über die Fliesen des Badehauses rollte. »Genug fürs Erste, meine Herren. Im Augenblick habt ihr genug zu tun. Morgen habe ich weitere Aufträge für euch. Lasst mich für heute allein.« Wortlos stiegen die Männer aus dem Becken und eilten hinaus, fort von ihrem gereizten Herrn. Als er mit Octavian auf der Straße nach Rom davonritt, war Julius froh, den Lärm des Hafens hinter sich zu lassen. Da Brutus das Entladen der Männer und der Ausrüstung überwachte, würde die Arbeit bald erledigt sein. Die Zenturionen waren persönlich ausgewählt worden. Julius konnte darauf vertrauen, dass sie ihre Männer so lange im Griff behielten, bis den ersten Gruppen Urlaub gegeben werden konnte. Er sah zu Octavian hinüber und stellte zufrieden fest, was für eine gute Figur er zu Pferde machte. Die Ausbildung mit den Extraordinarii hatte sein ungestümes Wesen gezähmt, und inzwischen ritt er, als wäre er im Sattel geboren worden. Von dem Gassenjungen, der bis zu seinem neunten Lebensjahr kein Pferd aus der Nähe gesehen hatte, war nichts mehr übrig. Sie ließen ihre Pferde im Schritt auf den abgenutzten Steinplatten der Straße in Richtung Stadt trotten. Ab und zu mussten sie Sklaven ausweichen, die auf Botengängen die Straße entlangeilten, oder Karren, die Getreide und Wein transportierten, Edelsteine, Lederhäute, Werkzeuge aus Eisen oder Bronze und tausend andere Dinge, die für den hungrigen Schlund der vor ihnen liegenden Stadt bestimmt waren. Die Fahrer ließen ihre Peitschen geschickt über Ochsen und Esel knallen, und Julius wusste, dass sich die Reihe der Karren vom Meer bis zu den Marktplätzen hinzog. Das gleichmäßige Klappern der Hufe war einschläfernd, doch Julius war so angespannt, dass seine Schultern schmerzten. Das Familiengrab lag etwas außerhalb der Stadt, und er hielt Ausschau danach, wartete darauf, es endlich vor sich zu sehen. Die Sonne durchlief gerade ihren Zenit, als er spürte, dass er die Anspannung nicht mehr länger ertrug. Er gab seinem Wallach die Fersen, und Octavian passte sich seinem Tempo sofort an. Die beiden Männer galoppierten über die Pflastersteine dahin, gefolgt von den bewundernden Rufen und Pfiffen der Händler, die langsam hinter ihnen verschwanden. Das Grab war sehr schlicht, aus dunklem Marmor gehauen, ein rechteckiger, schwerer Steinblock neben der Straße, weniger als eine Meile vor den großen Toren der Stadt. Julius schwitzte, als er abstieg und sein Pferd zu dem Gras zwischen den Gräberreihen führte, das durch tote Römer so üppig geworden war. »Das hier ist es«, flüsterte Julius und ließ die Zügel aus der Hand gleiten. Er las die Namen, die in den Stein gemeißelt waren, und schloss einen Moment gequält die Augen, als er den Namen seiner Mutter erblickte. Er hatte es beinahe geahnt, aber die Gewissheit, dass ihre Asche tatsächlich hier begraben war, schmerzte ihn doch unerwartet stark, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Selbst nach mehr als einem Jahrzehnt war auch der Name seines Vaters noch deutlich zu lesen, und Julius senkte den Kopf, als er die Fingerspitzen über die Buchstaben gleiten ließ und die Linien nachzog. Der dritte Name war noch immer so gestochen scharf eingemeißelt wie der Schmerz, den er spürte, als er ihn las. Cornelia. Der Sonne und seiner Umarmung entzogen. Nie wieder würde er sie in die Arme nehmen können. »Hast du den Wein, Octavian?«, fragte Julius nach einer Weile leise. Er versuchte sich aufzurichten, doch die Hand, die er auf den Stein gelegt hatte, schien daran festgewachsen zu sein, er konnte ihn nicht loslassen. Er hörte, wie Octavian in den Satteltaschen kramte, und spürte schließlich den kühlen Ton der Amphore, die ihn mehr als den Monatssold für einen seiner Männer gekostet hatte. Er hatte nur das Beste nehmen wollen, um die zu ehren, die er über alles liebte. Oben auf dem Grabstein war eine flache Schale in den Marmor eingehauen, die in ein Loch mündete, das nicht viel größer war als eine Kupfermünze. Während Julius das Siegel an der Amphore brach, fragte er sich nachdenklich, ob Clodia jemals seine Tochter hierher mitgenommen hatte, um die Toten zu laben. Er glaubte nicht, dass die alte Frau Cornelia vergessen hatte, genauso wenig wie er selbst. Der dunkelrote Wein ergoss sich glucksend in die Schale, und Julius hörte, wie er durch das Loch im Stein in die Grabkammer tropfte. »Dieser Becher ist für meinen Vater, der mich stark gemacht hat«, flüsterte er. »Und dieser ist für meine Mutter, die mir ihre Liebe gegeben hat. Und der letzte ist für meine Frau.« Wie hypnotisiert von dem satten Geräusch des Weines, der im Innern des Grabes verschwand, hielt er inne. »Für Cornelia, die ich geliebt habe und immer noch in Ehren halte.« Als er die Amphore schließlich an Octavian zurückgab, waren seine Augen vom Weinen gerötet. »Binde sie nur ja wieder gut zu, mein Junge. Wir müssen noch ein anderes Grab besuchen, wenn wir nach Hause kommen. Und Tubruk wird sich nicht mit einem Becher zufrieden geben.« Julius zwang sich zu einem Lächeln. Er spürte, wie etwas von seiner Trauer von ihm abfiel, als er sein Pferd wieder bestieg. Die Hufe des Wallachs klapperten laut genug, um die unheimliche Stille der Grabreihen zu brechen. Als Julius sich dem Gut näherte, spürte er so etwas wie Angst in sich aufsteigen. Mit dem Anwesen waren so viele Erinnerungen und so viel Schmerz verbunden. Sein schon in Kindertagen geübtes Auge bemerkte das grobe Unkraut zwischen den zurückgebliebenen Ähren. Er sah eine leise Andeutung von Verfall in jedem überwucherten Weg und in jeder schlecht reparierten Mauer. Man hörte das leise Summen der Bienenstöcke, und bei diesem Geräusch brannten seine Augen. Der Anblick der weißen Mauern um das Hauptgebäude weckte einen dumpfen Schmerz in seinem Inneren. Die Farbe war fleckig, hier und da war sie abgeplatzt, und Julius fühlte sich schuldig, weil er sich so wenig um das alles gekümmert hatte. In seiner Erinnerung war das Haus irgendwie mit jeder seiner inneren Wunden verbunden, und nicht ein einziges Mal hatte er seiner Tochter oder Clodia geschrieben. Er umklammerte die Zügel und hielt sein Pferd zurück, jeder einzelne Schritt auf das Haus zu schmerzte ihn mehr. Dort, wo er immer nach seinem Vater Ausschau gehalten hatte, wenn dieser von der Stadt nach Hause kam, stand jetzt eine Torwache. Dahinter lagen die Stallungen, wo er seinen ersten Kuss bekommen hatte, und der Hof, in dem er vor etlichen Jahren beinahe durch Renius’ Hand getötet worden war. Trotz seines heruntergekommenen Äußeren war das Gut überall dort, wo es darauf ankam, noch immer dasselbe, ein fester Ankerplatz in den Wechselfällen seines Lebens. Und doch hätte er in diesem Moment alles dafür gegeben, wenn Cornelia noch da gewesen wäre oder Tubruk herauskäme, um ihn zu begrüßen. Er hielt vor dem Tor und wartete wortlos. In Gedanken klammerte er sich so sehr an seine Erinnerungen, als könnten sie Wirklichkeit bleiben, bis das Öffnen des Tores alles wieder änderte. Oben an der Mauer erschien ein Mann, den Julius nicht kannte, und er lächelte bei dem Gedanken an die Treppe, die seinem Blick von hier aus entzogen war. Seine Treppe, sein Zuhause. »Was wollt ihr hier?«, fragte der Mann in neutralem Ton. Obwohl Julius nur eine einfache Rüstung trug, verlieh ihm seine stumme Begutachtung der Mauern eine gewisse Autorität, die der Mann sofort gespürt hatte. »Ich bin gekommen, um Clodia und meine Tochter zu sehen«, erwiderte Julius. Für den Bruchteil einer Sekunde wurden die Augen des Mannes riesengroß, dann aber verschwand er sofort, um Bescheid zu geben. Die Torflügel schwangen langsam auf, und mit Octavian an seiner Seite ritt Julius zwischen ihnen hindurch in den Hof hinein. In der Ferne hörte er, wie jemand Clodias Namen rief, doch die Erinnerung an die Vergangenheit hielt ihn immer noch in ihrem Bann. Er atmete tief durch. Bei der Verteidigung dieser Mauern war sein Vater gestorben, und Tubruk hatte ihn auf den Schultern durch dieses Tor getragen. Ein Schauer überlief ihn trotz der warmen Sonnenstrahlen. Es gab hier einfach zu viele Gespenster, und er fragte sich, ob er wohl jemals wieder behaglich hier würde leben können, wo ihn jeder Winkel an seine Vergangenheit erinnerte. Clodia kam aus dem Haus geeilt, und als sie ihn erblickte, blieb sie wie erstarrt stehen. Julius stieg vom Pferd, und sie verbeugte sich tief. Das Alter war nicht gut zu ihr gewesen, dachte er, während er sie an den Schultern hochzog und sie umarmte. Sie war immer eine kräftige, tüchtige Frau gewesen, aber in ihr Gesicht hatte sich mehr eingegraben als nur die Zeit. Wenn Tubruk noch am Leben gewesen wäre, hätte sie ihn geheiratet, aber diese Chance auf ein bisschen Glück war ihr von denselben Dolchen genommen worden, die ihm Cornelia geraubt hatten. Als sie das Gesicht hob, sah er Tränen in ihren Augen, und dieser Anblick ließ seine eigene Trauer noch mehr hervorbrechen. Sie hatten den Verlust gemeinsam erlitten, und die schmerzhaften Erinnerungen daran trafen Julius mit voller Wucht. Es war, als wäre die Zeit in dem Moment stehen geblieben, als der Sklavenaufstand den Süden überrollte und sie hier in diesem Hof einander gegenübergestanden hatten. Damals hatte sie versprochen, hier zu bleiben und seine Tochter aufzuziehen. Das waren die letzten Worte gewesen, die sie miteinander gesprochen hatten, bevor er fortgegangen war. »Du warst so lange weg ... ohne eine Nachricht, Julius. Ich wusste nicht, wohin ich die Kunde vom Tod deiner Mutter hätte schicken sollen«, sagte sie. Während sie sprach, liefen ihr erneut die Tränen über die Wangen, und Julius drückte sie fest an sich. »Ich ... ich wusste, dass es irgendwann passieren würde. War es sehr schlimm?« Clodia schüttelte den Kopf und wischte sich die Augen. »Kurz vor ihrem Ende hat sie noch von dir gesprochen, und Julia war ihr ein großer Trost. Sie hat keine Schmerzen gehabt. Überhaupt keine.« »Das freut mich«, sagte Julius leise. Lange Zeit war seine Mutter für ihn nur eine entfernte Gestalt gewesen, so dass es ihn jetzt selbst überraschte, wie sehr er es bedauerte, dass er sie nie wiedersehen, nie wieder an ihrem Bett sitzen würde, um ihr alles über Spanien und die Schlachten zu erzählen, die er miterlebt hatte. Wie oft war er zu ihr gekommen, um ihr zu berichten, was er mit seinem Leben angefangen hatte? Selbst als ihr die Krankheit den Verstand geraubt hatte, schien sie ihn noch zu hören, doch jetzt war niemand mehr da. Kein Vater, zu dem er kommen konnte, kein Tubruk, der über seine Fehler lachte, niemand mehr auf der ganzen Welt, der ihn bedingungslos liebte. Die Sehnsucht nach ihnen allen schmerzte. »Wo ist Julia?«, fragte er und löste sich aus der Umarmung. Clodias Gesicht veränderte sich, als Stolz und Liebe in ihren Zügen aufleuchteten. »Sie ist ausgeritten. Sie reitet so oft wie möglich mit ihrem Pony in den Wald. Sie sieht aus wie Cornelia, Julius. Sie hat das gleiche Haar, und manchmal, wenn sie lacht, ist es so, als seien die letzten dreißig Jahre gar nicht vergangen und sie wäre wieder hier bei mir.« Clodia sah, wie er sich versteifte, und deutete seine Anspannung falsch. »Ich lasse sie niemals alleine ausreiten. Zur Sicherheit hat sie immer zwei Bedienstete dabei.« »Wird sie mich wiedererkennen?«, fragte Julius, dem plötzlich unbehaglich zumute wurde. Er schaute zum Tor, als könne allein die Erwähnung ihres Namens Julia herbeirufen. Er erinnerte sich nur an sehr wenig von der kleinen Tochter, die er damals in Clodias Obhut zurückgelassen hatte. Nur an ein zerbrechliches kleines Mädchen, das er getröstet hatte, als ihre Mutter in einem dunklen Raum aufgebahrt gewesen war. Die Erinnerung ihrer kleinen Arme um seinen Hals war plötzlich seltsam klar. »Aber ganz bestimmt. Sie fragt mich immer nach allen möglichen Geschichten von dir, und ich habe ihr alles erzählt, was ich weiß.« Clodias Blick glitt an ihm vorbei und fiel auf Octavian, der steif neben den Pferden stand. »Octavian?«, fragte Clodia ungläubig. Sie wollte die Veränderung kaum glauben. Bevor er sich noch dagegen wehren konnte, war sie schon zu ihm gerannt und drückte ihn fest an sich. Julius musste über sein offensichtliches Unbehagen grinsen. »Wir haben Staub in der Kehle, Clodia. Willst du uns denn den ganzen Tag hier draußen herumstehen lassen?« Clodia ließ den sich sträubenden Octavian los. »Oh, natürlich. Gebt eure Pferde einem der Jungen da drüben. Ich gehe sofort in die Küche. Inzwischen sind nur noch ein paar Sklaven und ich übrig. Ohne Papiere, die mir Vollmacht erteilen, würden die Händler keine Geschäfte mit mir machen. Ohne Tubruk, der überall nach dem Rechten sieht, war es ...« Julius wurde schamrot, weil Clodia wieder den Tränen nahe war. Jetzt erst wurde ihm klar, wie sträflich er seine Pflicht ihr gegenüber vernachlässigt hatte, und er wunderte sich über seine eigene Blindheit. Sie spielte die vielen entbehrungsreichen, arbeitsamen Jahre herunter, und zu seiner Schande musste er sich eingestehen, dass er ihr ihre Bürde tatsächlich hätte erleichtern können. Bevor er weggegangen war, hätte er Tubruk ersetzen und ihr die Verwaltung der Gelder übertragen sollen. Clodia schien plötzlich ganz verstört bei dem Gedanken, dass Julius jetzt das Haus sehen würde, das sie als ihr eigenes zu betrachten begonnen hatte. Beruhigend legte er ihr eine Hand auf den Arm. »Mehr hätte ich nicht verlangen können«, sagte er. Ihre Anspannung löste sich ein wenig. Während die Pferde zum Striegeln und Füttern weggeführt wurden, huschte Clodia vor den beiden Männern ins Haus. Julius schluckte trocken, als er den Hof verließ und die Räume seiner Kindheit betrat. Kurz nachdem lautes Hufgetrappel Julias Rückkehr verkündet hatte, wurde das Mahl, das Clodia ihnen aufgetischt hatte, von einem reizenden, hellen Ruf von draußen unterbrochen. Julius hatte gerade den Mund voller Brot und Honig, sprang jedoch sofort auf und trat hinaus in die Sonne. Eigentlich hatte er sich vorgestellt, sie würde zu ihm hereinkommen und ihn förmlich begrüßen, doch beim Klang ihrer Stimme hatte seine Geduld ein Ende. Er konnte unmöglich noch länger auf sie warten. Obwohl sie erst zehn Sommer hatte ins Land gehen sehen, war sie bereits das Ebenbild ihrer Mutter. Sie trug ihr dunkles Haar in einem Zopf, der ihr über den Rücken herabfiel. Julius lachte, als er zusah, wie das Mädchen mit einem Satz von seinem Pony sprang, geschäftig um es herumrannte und ihm mit den Fingern durch Mähne und Schweif fuhr, um Dornen und Kletten herauszukämmen. Beim Klang der fremden Stimme zuckte seine Tochter zusammen und drehte sich um, um zu sehen, wer es wagte, sie in ihrem eigenen Hause auszulachen. Als sie Julius’ Augen sah, runzelte sie misstrauisch die Stirn. Julius betrachtete sie genau, als sie auf ihn zukam. Fragend hielt sie den Kopf zur Seite geneigt, so wie Cornelia es immer getan hatte. Sie schritt selbstbewusst aus, stellte er zufrieden fest. Die Herrin eines Anwesens kam auf ihre Gäste zu. Zum Reiten trug sie eine abgetragene, helle Tunika und Beinlinge, und mit den zurückgebundenen Haaren und noch ohne sichtbaren Brustansatz hätte man sie für einen Jungen halten können. Er bemerkte einen einfachen silbernen Armreif an ihrem Handgelenk und erkannte ihn als ein Schmuckstück wieder, das einmal seiner Mutter gehört hatte. Auch Clodia war herausgekommen, um Zeugin des Wiedersehens zu werden. Sie lächelte sie beide mit mütterlichem Stolz an. »Das ist dein Vater, Julia«, sagte sie. Das Mädchen erstarrte augenblicklich, obwohl sie sich gerade Staub hatte vom Ärmel klopfen wollen. Dann sah sie Julius ernst und fragend an. »Ich kann mich an dich erinnern«, sagte sie langsam. »Bleibst du jetzt hier?« »Eine Zeit lang«, antwortete Julius genauso ernsthaft. Das kleine Mädchen ließ die Nachricht auf sich wirken und nickte schließlich. »Kaufst du mir dann ein Pferd? Ich werde zu groß für den alten Gibi, und Recidus sagt, ich würde mich gut auf einem Pferd mit ein bisschen mehr Feuer machen.« Julius blinzelte sie an. Ein wenig von der Vergangenheit schien in seiner Belustigung zu verblassen. »Ich werde eine wahre Schönheit für dich aussuchen«, versprach er und wurde dafür mit einem Lächeln belohnt, das ihn schmerzhaft an die Frau erinnerte, die er verloren hatte. Alexandria wich vor der Hitze des Ofens zurück. Sie sah zu, wie Tabbic den Becher mit dem geschmolzenen Gold wegnahm und über die Eingusslöcher in den Tonformen hielt. »Und jetzt ganz vorsichtig«, sagte sie unnötigerweise, als Tabbic ohne jegliches Zittern den Tiegel mit dem langen hölzernen Griff neigte. Als das Gold zischend und gluckernd in die Form floss, erwiesen sie beide dem flüssigen Metall den Respekt, denn es verdiente. Nur ein einziger Spritzer davon konnte sich bis auf den Knochen durch die Haut brennen, und jeder Arbeitsschritt musste sehr langsam und sorgfältig ausgeführt werden. Alexandria nickte zufrieden, als Dampf aus den Luftlöchern der Tonform aufstieg. Der tiefe, glucksende Ton wurde immer heller, bis die Form voll war. Wenn das Gold abgekühlt war, würde der Ton mühsam entfernt werden. Darunter würde eine Maske zum Vorschein kommen, die genauso vollkommen war wie das Gesicht der Frau, die sie darstellte. Auf die Bitte eines Senators hin hatte Alexandria die unangenehme Aufgabe erfüllt, seiner Frau nur wenige Stunden nach ihrem Tod einen Abdruck abzunehmen. Danach hatte sie drei unvollkommene Masken aus Ton angefertigt, während sie versucht hatte, die Spuren des Verfalls zu glätten. Dort, wo die Krankheit das Fleisch zerstört hatte, hatte sie mit größter Sorgfalt die Nase nachgebildet, und schließlich war der Mann in Tränen ausgebrochen, als er das genaue Ebenbild der Frau vor sich sah, die der Tod ihm genommen hatte. In Gold würde sie für immer jung bleiben, selbst wenn der Mann, der sie liebte, schon längst zu Staub zerfallen war. Alexandria hielt eine Hand an die Tonform und spürte die darin gefangene Hitze. Ob wohl jemals ein Mann sie so sehr lieben würde, um ihr Bildnis ein Leben lang bei sich zu behalten? Tief in Gedanken versunken, hörte sie nicht, wie Brutus hinter ihr die Werkstatt betrat. Während er sie noch beobachtete, entstand eine merkwürdige Stille, und etwas, das sie nicht hätte beim Namen nennen können, bewog sie dazu, sich schließlich umzudrehen. »Bring den guten Wein und zieh dich aus«, sagte er. Wie gebannt ruhte sein Blick auf ihr, und den mit offenem Mund dastehenden Tabbic bemerkte er überhaupt nicht. »Ich bin wieder da, Mädchen. Julius ist zurück, und wenn wir hier fertig sind, steht ganz Rom Kopf.« 9 Brutus tätschelte Alexandrias Oberschenkel. Als sie im Sonnenuntergang zum Gut hinausgeritten waren, freute er sich einfach nur daran, sie hinter sich auf dem Sattel zu spüren. Nachdem er den ganzen Tag mit ihr im Bett verbracht hatte, fühlte er sich so entspannt und zufrieden mit der Welt wie schon lange nicht mehr. Wenn nur jede Heimkehr so wie diese sein könnte. Sie war das Reiten nicht gewohnt und drückte sich fest an ihn. Brutus spürte, wie ihm der Wind einige ihrer Haarsträhnen in den Nacken peitschte, und er empfand dieses Gefühl als außerordentlich erotisch. Während seiner Abwesenheit war sie stark geworden. Ihr Körper war straff und strotzte nur so vor Gesundheit, auch ihr Gesicht hatte sich ein wenig verändert. Auf die Stirn hatte ein Spritzer flüssiges Metall eine Narbe eingebrannt, die beinahe wie eine Träne aussah. Ihr schwarzer Umhang flatterte im Wind um ihn herum, und er griff nach einem Zipfel und zog sie näher zu sich heran. Sie legte die Arme um seine Brust und atmete tief ein. Die Luft war angenehm warm, weil der Boden die Hitze des Tages abstrahlte. Brutus wünschte sich nur, dass jemand jetzt sehen könnte, was für ein schönes Paar sie abgaben, wie sie quer über die Felder auf das Gut zuritten. Er konnte es schon von weitem ausmachen. In der einsetzenden Dunkelheit verschmolzen die Lichter der Fackeln miteinander und gaben den Mauern das Aussehen einer Lichterkrone. Brutus zügelte sein Pferd ein wenig, denn einen Moment lang hatte er geglaubt, Tubruk am offenen Tor auf ihn warten zu sehen. Als er sah, wie das Pferd in Schritt fiel, blieb Julius stumm, denn er erahnte und verstand Brutus’ Gedanken. Er besänftigte seine Ungeduld und dankte insgeheim den Göttern für die Ankunft seines Freundes. Es war gut und richtig, dass er hier war. Die beiden Männer lächelten einander wehmütig an, als sich Brutus im Sattel nach hinten drehte, um zuerst Alexandria beim Absteigen behilflich zu sein, und dann selbst neben ihr vom Pferd sprang. Julius küsste Alexandria auf die Wange. »Es ist mir eine Ehre, dich in meinem Haus zu haben. Die Diener begleiten dich ins Haus. Ich möchte hier draußen noch ein paar Worte mit Brutus wechseln«, sagte er zu ihr. Ihre Augen blitzten kurz auf, und er fragte sich, ob sie wohl, wie er selbst auch, manchmal an einen ganz bestimmten Abend zurückdachte. Als sie im Haus verschwunden war, holte Julius tief Luft und schlug Brutus freundschaftlich auf die Schulter. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Tubruk nicht mehr hier ist«, sagte er traurig und sah dabei über die Felder. Brutus betrachtete ihn schweigend, bückte sich dann und hob eine Handvoll Erde auf. »Weißt du noch, wie er dich das hier in die Hand hat nehmen lassen?«, fragte er. Julius nickte gedankenvoll und tat es ihm nach. Brutus freute sich, als er sah, dass Julius lächelte, während er die staubige Erde langsam in den sanften Wind rieseln ließ. »Getränkt mit dem Blut derjenigen, die vor uns gegangen sind«, sagte er. »Und unserem eigenen. Er war ein guter Mann«, fuhr Brutus fort, ließ auch seine Handvoll Erde im Wind verwehen und klatschte dann energisch in die Hände. »Du wirst dir jemand Neues suchen müssen, der dafür sorgt, dass die Felder wieder gepflügt werden. Ich habe das Gut noch nie so vernachlässigt gesehen. Aber wenigstens bist du jetzt wieder da.« Julius sah ihn stirnrunzelnd an. »Ich habe mich schon gefragt, wohin du verschwunden bist, aber ich sehe, du hast eine bessere Betätigung gefunden, als dich um das Lager in Ostia zu kümmern.« Julius konnte seinem Freund einfach nicht böse sein, obwohl er vorgehabt hatte, ihm eine deutlichere Rüge zu erteilen. »Renius hatte dort alles im Griff. Außerdem ist es ganz gut, dass ich nicht dort geblieben bin«, erwiderte Brutus. »Alexandria hat mir erzählt, dass morgen auf dem Forum eine öffentliche Debatte stattfindet, deshalb bin ich direkt hierher geritten, um dir Bescheid zu sagen.« »Das weiß ich bereits. Sobald Servilia davon erfahren hatte, hat sie es mir mitgeteilt. Ich bin aber trotzdem froh, dass du gekommen bist. Ich hätte ohnehin nach dir geschickt, auch wenn du meinen Befehlen nicht zuwider gehandelt hättest.« Brutus sah seinen Freund forschend an und versuchte herauszufinden, wie ernst diese Kritik gemeint war. Die Anstrengung und Erschöpfung der Zeit in Spanien waren aus Julius’ Gesicht gewichen. Er sah so jung aus wie schon lange nicht mehr. Brutus wartete noch einen Augenblick. »Ist mir vergeben?«, fragte er schließlich. »Aber ja«, antwortete Julius. »Und jetzt komm ins Haus und sieh dir meine Tochter an. Ein Zimmer steht schon für dich bereit; ich will dich bei mir haben, um eine Kampagne zu planen. Du bist als Letzter gekommen.« Sie gingen nebeneinander durch den Hof, in dem nur das unruhige Flackern der Lampen entlang der Mauer zu hören war. Als die Tore hinter ihnen geschlossen wurden, strich eine leichte Brise über sie hinweg. Brutus spürte, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten; er fröstelte. Julius öffnete die Tür zu einem Raum voller Leben und Lärm, und er zog den Kopf ein, um einzutreten und verspürte den ersten Schauer der Erregung. Wie er kurz darauf feststellte, hatte Julius sie alle zusammenrufen lassen. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und begrüßte seine Freunde. Mit Alexandria waren jetzt alle Menschen, an denen ihm etwas lag, hier in diesem einen Raum versammelt. Und alle hatten sie die leuchtenden Augen freudiger Verschwörer, die planten, wie eine Stadt zu regieren wäre. Servilia, Cabera, Domitius, Ciro, Octavian ... alle hatte Julius an seine Seite gerufen. Der einzige Fremde war der junge Spanier, der als Schreiber mit Julius hierher gekommen war. Genauso wie Brutus schaute auch Adàn von einem Gesicht zum anderen. Als sich ihre Blicke trafen, nickte Brutus ihm zu und erkannte ihn damit in ihrer Runde an. Julius hatte das sicher so gewollt. Brutus sah, wie steif und unsicher Alexandria inmitten der anderen stand, und trat instinktiv neben sie. Julius sah es und verstand. »Wir brauchen dich hier, Alexandria. Niemand sonst unter uns hat in den letzten Jahren in Rom gelebt, und genau dieses Wissen brauche ich jetzt.« Sie errötete auf bezaubernde Weise, entspannte sich etwas, und unbemerkt von den anderen kniff Brutus ihr ins Hinterteil. Als Alexandria seine Hand wegschlug, sah ihn seine Mutter scharf an, doch Brutus lächelte sie nur an und schaute wieder zu Julius hinüber. »Wo ist denn jetzt deine Tochter?«, fragte er, denn er war wirklich neugierig, das Mädchen zu sehen. »Sie wird wohl draußen im Stall sein«, antwortete Julius. »Sie reitet nämlich wie ein Zentaur. Ich rufe sie später herein, bevor sie zu Bett geht.« Bei dem Gedanken an seine Tochter malte sich Stolz auf seinem Gesicht, und Brutus lächelte ebenfalls. Dann aber räusperte sich Julius und sah wieder in die Runde. »Also schön. Ich muss jetzt entscheiden, was genau ich morgen früh tun werde, wenn ich auf dem Forum erscheine und für einen der Konsulposten kandidiere.« Alle wollten sofort etwas dazu sagen, wodurch das Klopfen an der Tür zuerst in dem allgemeinen Lärm unterging. Dann öffnete Clodia die Tür von außen. Ihr Gesichtsausdruck ließ sie alle sofort verstummen. »Da ist ... Ich konnte ihn nicht aufhalten«, begann sie. Julius ergriff ihren Arm. »Wer ist es denn?«, fragte er. Doch als er die Gestalt hinter ihr erkannte, erstarrte er und schob Clodia zur Seite, damit sich die Tür gänzlich öffnen konnte. Dort stand Crassus in einer strahlend weißen Toga, die sich scharf von seiner dunklen Haut abhob und von einer glänzenden goldenen Spange auf der Schulter zusammengehalten wurde, die Alexandria sofort als eine ihrer Arbeiten wiedererkannte. War das tatsächlich ein Zufall oder ein dezenter Hinweis darauf, dass er die Beziehungen zwischen den Personen in diesem Raum sehr wohl kannte? »Guten Abend, Cäsar. Ich glaube, dein Posten als Tribun ist niemals widerrufen worden. Soll ich dich jetzt, wo du dein Amt als Prätor in Spanien hinter dir gelassen hast, noch mit diesem Titel ansprechen?« Julius senkte den Kopf und versuchte zu verbergen, wie wütend es ihn machte, dass der Mann so einfach in sein Haus eingedrungen war. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Warteten draußen Soldaten? Wenn dem so war, würde es für Crassus schwerer werden, das Haus wieder zu verlassen, als es zu betreten, schwor Julius sich im Stillen. Er lockerte den Griff um Clodias Arm, und sie verließ ohne einen Blick zurück eilig den Raum. Er nahm es ihr nicht übel, dass sie Crassus eingelassen hatte. Obwohl sie viele Jahre für das gesamte Anwesen verantwortlich gewesen war, war sie doch viel zu lange Sklavin gewesen, um vor einem der mächtigsten Männer des Senats keine Angst zu haben. Einem Konsul Roms konnte niemand den Eintritt verwehren. Crassus sah dem Gesicht des jungen Mannes die innere Spannung an und redete weiter. »Du kannst ganz beruhigt sein, Julius. Ich bin ein Freund dieses Hauses, so wie ich davor ein Freund von Marius gewesen bin. Hast du etwa geglaubt, du könntest mit einer ganzen Legion an meiner Küste an Land gehen, ohne dass ich davon erfahre? Ich nehme an, selbst Pompeius’ dünnes Netz an Spionen hat mittlerweile von deiner Rückkehr gehört.« Erst jetzt erblickte Crassus Servilia und senkte zum Gruß leicht den Kopf. »Du bist hier willkommen«, sagte Julius und versuchte sich zu entspannen. Er wusste, dass er zu lange gezögert hatte. Der ältere Mann hatte zweifellos jeden Augenblick der Verwirrung genossen, die er ausgelöst hatte. »Das freut mich«, erwiderte Crassus. »Nun, wenn mir jemand einen Stuhl bringt, setze ich mich mit deiner Erlaubnis zu euch. Du musst morgen eine eindrucksvolle Rede halten, wenn du nächstes Jahr das Gewand des Konsuls tragen willst. Pompeius wird nicht gerade erfreut sein, wenn ihm das zu Ohren kommt, aber genau das ist ja das Salz in der Suppe.« »Kann man vor dir überhaupt nichts geheim halten?«, fragte Julius, der sich allmählich von seiner Verblüffung erholte. Crassus lächelte ihn an. »Dann bestätigst du es also durch deine eigenen Worte. Ich dachte mir schon, dass es keinen anderen Grund für dich geben könnte, deinen Posten als Prätor zu verlassen. Ich hoffe doch, du hast für einen entsprechenden Ersatz gesorgt, bevor du nach Rom gesegelt bist?« »Selbstverständlich«, erwiderte Julius. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass ihm der Wortwechsel Spaß machte. Crassus nahm auf dem Stuhl Platz, den Octavian für ihn freigemacht hatte, und legte dann mit seinen langen Fingern die Falten seiner Toga zurecht. Die Spannung im Raum schien nachzulassen, als sie seine Anwesenheit in ihrer Mitte langsam akzeptierten. »Ich frage mich eins, wolltest du wirklich einfach so ins Forum marschieren und das Sprecherpodium besteigen?«, fragte Crassus. Julius sah ihn verständnislos an. »Warum nicht? Servilia hat mir erzählt, dass Prandus sprechen will. Ich habe das gleiche Recht darauf wie er.« Crassus lächelte und schüttelte belustigt den Kopf. »Dann hättest du es also wirklich getan. Wesentlich besser ist es jedoch, wenn du auf meine Einladung hin erscheinst, Julius. Schließlich wird dich Pompeius kaum darum bitten, dich uns anzuschließen. Ich freue mich schon auf sein Gesicht, wenn du deinen Namen in die Liste einträgst.« Dankend nahm er einen Becher Wein entgegen, nippte daran und zuckte leicht zusammen. »Du bist dir doch darüber im Klaren, dass Pompeius behaupten könnte, du hättest deine Pflicht vernachlässigt, indem du deinen Posten in Spanien vorzeitig verlassen hast, oder?«, fragte er und beugte sich gespannt vor. »Als Tribun bin ich gegen jede Strafverfolgung immun«, erwiderte Julius prompt. »Es sei denn, dein Vergehen ist ein Gewaltverbrechen, mein Freund. Aber ich nehme an, seinen Posten zu verlassen fällt nicht darunter. Pompeius ist deine Immunität sehr wohl bewusst – aber wie sieht das Ganze für das Volk aus? Von jetzt an bis zu den Wahlen musst du dich nicht nur tadellos verhalten, sondern man muss dich auch dabei sehen, wie du dich tadellos verhältst. Sonst werden die Stimmen, die du brauchst, an einen anderen Kandidaten verschwendet.« Crassus schaute in die Runde und lächelte, als er Alexandrias Blick begegnete. Seine Finger strichen wie beiläufig über die goldene Spange auf seiner Schulter, und sie wusste, dass er sie wiedererkannt hatte. Alexandria spürte einen Hauch von Gefahr. Zum ersten Mal, seit Brutus sie in ihrer Werkstatt aufgesucht hatte, wurde ihr bewusst, dass Julius ebenso viele Feinde wie Freunde um sich scharte. Sie wusste nur noch nicht genau, zu welcher Kategorie Crassus gehörte. »Was hast du davon, wenn du mir hilfst?«, fragte Julius plötzlich. »Du befehligst eine Legion, die ich wieder aufbauen half, als sie noch Primigenia hieß, Julius. Ich bin von dem ... Bedarf der Stadt an solchen Männern überzeugt worden. Erfahrene, geübte Männer, die nicht bestochen oder von den Banden der Raptores in Versuchung geführt werden können.« »Dann forderst du also eine Schuld von mir ein?«, fragte Julius und bereitete sich innerlich schon darauf vor, das Ansinnen des Crassus abzulehnen. Crassus sah Servilia an und tauschte mit ihr einen verständnisvollen Blick, den Julius nicht zu deuten wusste. »Nein. Ich habe schon vor so langer Zeit auf jegliche Schulden verzichtet, dass es gar nicht mehr der Erwähnung wert ist. Ich bitte dich ganz offen um Hilfe, und im Gegenzug werden dir meine Klienten helfen, deinen Namen in der Stadt bekannt zu machen. Denk daran, dass dir nur hundert Tage bleiben, mein Freund. Selbst mit meiner Hilfe ist das eine kurze Zeit.« Als er sah, dass Julius immer noch zögerte, fuhr fort: »Ich war ein Freund deines Vaters und ein Freund des Marius’. Ist es zu viel verlangt, auch den Sohn um Vertrauen zu bitten?« Servilia versuchte, Julius’ Blick einzufangen. Sie kannte Crassus besser als jeder andere hier im Raum und hoffte inständig, Julius würde sein Angebot nicht leichtfertig ablehnen. Während sie gespannt auf seine Antwort wartete, beobachtete sie den Mann, den sie liebte, beinahe schmerzlich. »Vielen Dank, Konsul«, erwiderte Julius förmlich. »Ich vergesse meine Freunde nicht.« Crassus lächelte hocherfreut. »Mit meinem Wohlstand ... « setzte er an. Julius schüttelte den Kopf. »Davon habe ich selbst genug, Crassus. Doch ich danke dir.« Zum ersten Mal betrachtete Crassus den jungen Feldherrn mit so etwas wie Respekt. Also hatte er mit seinem Urteil Recht gehabt, dachte er zufrieden. Er würde mit ihm zusammenarbeiten und zugleich Pompeius damit ärgern können. »Dann sollten wir jetzt vielleicht auf deine Kandidatur anstoßen? «, sagte Crassus und erhob seinen Becher. Auf Julius’ Nicken hin schenkten sich auch die anderen Anwesenden Wein ein und hielten unsicher abwartend die Becher in Händen. Einen Augenblick lang bedauerte Julius, dass er den Falerner schon aufgebraucht hatte. Andererseits würde auch Tubruk einen Becher auf sie leeren, wo auch immer er jetzt war. Julia saß draußen im Dunkel der Stallungen und genoss die Wärme und Geborgenheit, die von den Pferden ausging. Sie ging an den Verschlägen entlang, tätschelte die weichen Nüstern und redete leise mit den Tieren. Vor dem riesigen Wallach, auf dem der Freund ihres Vaters diese Frau mitgebracht hatte, blieb sie stehen. Es war komisch, dieses Wort. Ihr Vater. Wie oft hatte ihr Clodia von dem tapferen Mann erzählt, der wegen der Laune eines Konsuls aus Rom weggeschickt worden war? Sie hatte sich ihr eigenes Bild von ihm gemacht und sich eingeredet, dass nur seine vielen Pflichten ihn davon abhielten, zu ihr zu kommen. Clodia hatte immer behauptet, eines Tages käme er zurück, und dann sei alles wieder gut. Aber jetzt, wo er da war, fand Julia das Ganze mehr als nur ein wenig beängstigend. Von dem Moment an, als er seinen Fuß in den Staub des Hofes gesetzt hatte, war alles anders geworden, und das Haus hatte einen neuen Herrn. Er wirkte immer so streng und ernst. Nachdenklich hob sie den Kopf und rieb ihre Nase an den samtigen Nüstern des Wallachs. Das Pferd antwortete mit einem leisen Wiehern, stupste sie an und schnaubte ihr warme Luft ins Gesicht. Er war gar nicht so alt, wie sie erwartet hatte. Sie hatte ihn sich immer mit grauem Haar an den Schläfen und der Würde eines Senatsmitgliedes vorgestellt. Von dort, wo sich die vielen unbekannten neuen Menschen versammelt hatten, wehte die Nachtluft ein wenig Lärm herüber. So viele! Noch nie hatte das Haus so viele Besucher beherbergt, dachte sie verwundert. Von ihrem Ausguck auf der äußeren Mauer hatte sie einen nach dem anderen ankommen gesehen und über so viele Fremde erstaunt den Kopf geschüttelt. Vor allem waren es völlig andere Besucher als die, die Clodia sonst immer einlud. Ganz besonders die Frau mit den Diamanten um den Hals: Julia hatte gesehen, wie ihr Vater diese Frau geküsst hatte, als er sich unbeobachtet wähnte, und ihr hatte sich angeekelt die Kehle zugeschnürt. Sie hatte versucht, sich einzureden, die beiden verbinde sicherlich nur eine enge Freundschaft, doch die Art, wie diese Frau sich an ihn drängte, hatte etwas viel zu Vertrautes, und Julia war vor Scham rot geworden. Wer auch immer diese Frau war, sie würden niemals Freundinnen werden, das schwor sie sich. Eine Weile malte sie sich aus, wie die Frau versuchte, ihre Zuneigung zu gewinnen, und nahm sich vor, sich ihr gegenüber äußerst reserviert zu geben. Nein, sie würde nicht unhöflich zu ihr sein, denn Clodia hatte ihr beigebracht, Unhöflichkeit zu verabscheuen. Sie würde sich gerade kühl genug verhalten, um diese Frau spüren zu lassen, dass sie hier nicht willkommen war. Neben dem Verschlag des Wallachs hing ein schwerer Umhang am Haken, den Julia als den erkannte, der das zuletzt eingetroffene Paar umhüllt hatte. Sie erinnerte sich an das Lachen des Mannes, das der Wind über das Feld herangetragen hatte. Er war ein sehr ansehnlicher Mann. Er war zwar etwas kleiner als ihr Vater, doch sein Gang war genauso wie der des Mannes, den Clodia angestellt hatte, um ihr das Reiten beizubringen. Gerade so, als habe er so viel Energie in sich, dass er sich vor lauter Lust und Freude darüber kaum vom Herumtanzen zurückhalten konnte. So, wie seine Begleiterin sich an seinen Rücken geschmiegt hatte, war Julia sich sicher, dass sie ihn liebte. Beinahe zufällig schienen sich die beiden fortwährend zu berühren. Julia verweilte noch lange im Stall und versuchte herauszufinden, was sie eigentlich fühlte, seit ihr Vater angekommen war. Wenn sie etwas bedrückte oder wenn sie Clodia verärgert hatte, suchte sie immer den Stall auf. Im Halbdunkel, mit dem Geruch nach Leder und Stroh, hatte sie sich seit jeher geborgen gefühlt. Im Haupthaus gab es so viele leere Räume, die nachts kalt und dunkel dalagen. Wenn sie sich hindurchschlich, um draußen im Mondlicht auf die Mauer zu klettern, stellte sie sich immer vor, wie ihre Mutter in den Räumen umherging; dann überlief sie regelmäßig ein kalter Schauer. Nur zu leicht kamen ihr dabei auch die Männer in den Sinn, die sie getötet hatten und die jetzt hinter ihr herschlichen, bis Julia sich in Panik umdrehte und vor Gespenstern erschrak, die sie nie sehen konnte. Lautes Gelächter drang plötzlich vom Haus herüber. Sie hob den Kopf, um genauer hinzuhören. Das Geräusch ebbte wieder zu vollkommener Stille ab. Nachdenklich blinzelte sie in der Dunkelheit, und ihr wurde klar, dass sie sich durch die Anwesenheit der Freunde ihres Vaters sicher fühlte. Heute Nacht würden keine Mörder über die Mauer klettern, um sie zu holen, nein, heute Nacht würde sie keine Albträume haben. Sie tätschelte dem Wallach noch einmal die Nase und nahm dann den Umhang vom Haken. In einem Anflug von Zorn warf sie ihn auf den staubigen Boden. Der Freund ihres Vaters verdiente etwas Besseres als diese Frau, sagte sie sich und schlang die Arme um ihren Körper. Pompeius schritt mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab. Er trug eine Toga aus dickem weißem Tuch, die seine Arme freiließ, so dass an den Oberarmen deutlich das Spiel seiner Muskeln zu sehen war, als seine Finger sich umeinander wanden. Die Lampen in seinem Stadtdomizil erloschen schon langsam, doch er rief nicht nach den Sklaven, um sie wieder auffüllen zu lassen. Die düstere Beleuchtung passte perfekt zu der Stimmung des römischen Konsuls. »Den Schaden, den er angerichtet hat, als er seinen Posten verlassen hat, kann er nur wieder gutmachen, wenn er sich für die Wahl aufstellen lässt. Sonst gibt es keinen anderen Grund, ein solches Risiko einzugehen, Regulus.« Der dienstälteste Zenturio stand in Habachtstellung vor seinem unruhig einherschreitenden Vorgesetzten. Er war ihm nun seit über zwanzig Jahren treu ergeben und kannte Pompeius’ Launen so gut wie kaum ein anderer. »Ich stehe jederzeit zu deiner Verfügung, Herr«, sagte er und blickte dabei weiter ausdruckslos geradeaus. Pompeius sah ihn an, und was er sah, schien ihm zu gefallen. »Du bist mein rechter Arm, Regulus, das weiß ich. Ich benötige aber mehr als nur Gehorsam, wenn Cäsar mir nicht die Stadt aus den Händen nehmen soll. Ich brauche Ideen. Sprich nur frei heraus, und hab keine Angst.« Bei diesem Befehl nahm Regulus eine etwas entspanntere Haltung an. »Hast du schon daran gedacht, ein Gesetz einzubringen, das es dir erlaubt, ein weiteres Mal anzutreten? Er würde niemals Konsul werden, wenn er dir bei der Wahl als Herausforderer gegenübertreten müsste.« Pompeius runzelte missmutig die Stirn. Wenn er so etwas auch nur einen Augenblick für durchführbar hielte, hätte er es schon längst in die Tat umgesetzt. Doch allein der Vorschlag, zu jenen alten Tagen zurückzukehren, würde sowohl den Senat als auch die normalen Bürger Sturm laufen lassen. Die Ironie, dass er genau die Beschränkungen mitgeschaffen hatte, die ihn nun hemmten, entging ihm durchaus nicht. Aber solche Gedanken brachten ihn jetzt der Lösung seines Dilemmas auch keinen Schritt näher. »Das ist unmöglich«, antwortete er schließlich mit zusammengepressten Zähnen. »Dann müssen wir für die Zukunft vorausplanen, Herr«, sagte Regulus ruhig. Pompeius blieb stehen und sah ihm hoffnungsvoll in die Augen. »Und was schwebt dir vor?« Regulus holte tief Luft, bevor er antwortete. »Lass mich in seine Legion eintreten. Sollte je der Zeitpunkt kommen, dass du ihn aufhalten musst, hättest du auf diese Weise immer ein verlässliches Schwert in seiner Nähe.« Pompeius rieb sich nachdenklich das Gesicht, während er Für und Wider dieses Angebots abwog. Einerseits verabscheute er ein derart unehrenhaftes Vorgehen, andererseits wäre es töricht, eine solche Waffe für die Zukunft abzulehnen. Wer wusste schon, was die nächsten Jahre bringen würden, für jeden von ihnen? »Du müsstest wieder als einfacher Soldat anfangen«, sagte Pompeius langsam. Der Zenturio holte tief Luft, als er merkte, dass seine Idee nicht sofort auf Ablehnung stieß. »Das macht mir nichts aus. Meine Beförderungen habe ich mir auf dem Schlachtfeld verdient und aus deiner Hand erhalten. So weit bin ich also schon einmal gekommen.« »Deine Narben verraten ihnen, was du in Wirklichkeit bist«, wandte Pompeius ein. »Ich stelle mich ihnen einfach als Söldner vor. Lass mich nur in seiner Nähe sein, Konsul. Ich bin dein Mann.« Pompeius schwankte noch und suchte in Gedanken weitere Einwände, nur um sie sogleich wieder zu verwerfen. Er seufzte. Politik war nun einmal ein schmutziges Geschäft. »Es könnte mehrere Jahre dauern, Regulus. Wird man dich vermissen?« »Nein, Herr. Ich bin allein.« »Dann gebe ich dir den Befehl dazu, Regulus. Geh mit meinem Segen.« Regulus rang nach Worten. »Es ... es ist mir eine Ehre, Herr. Wenn du mich rufst, werde ich in seiner Nähe sein, das schwöre ich.« »Das weiß ich, Regulus. Und ich werde dich reichlich dafür belohnen, wenn ...« »Das ist nicht nötig, Herr«, sagte Regulus rasch und überraschte sich selbst damit. Normalerweise hätte er es niemals gewagt, den Konsul zu unterbrechen, doch er wollte ein Zeichen setzen, dass das in ihn gesetzte Vertrauen gerechtfertigt war. Dafür wurde er mit einem Lächeln von Pompeius belohnt. »Hätte ich nur mehr von deinem Schlag zur Verfügung, Regulus. Keinem Mann wurde je so gut gedient wie mir.« »Ich danke dir, Herr«, erwiderte Regulus mit vor Stolz geschwellter Brust. Es war ihm klar, dass ihm mehrere Jahre an hartem Drill und geringerem Sold bevorstanden, aber das machte ihm nicht das Geringste aus. 10 Rom kam niemals zur Ruhe, und als der Morgen anbrach, hatte sich der große Platz des Forums bereits mit einer hin und her wogenden Menge seiner Bürger gefüllt, die sich unter den wechselnden Strömungen, die sie durchzogen, ständig veränderte. Väter trugen ihre Kinder auf den Schultern, damit sie einen Blick auf die Konsuln werfen und später einmal sagen konnten, sie hätten die Männer gesehen, die Spartakus geschlagen und die Stadt gerettet hatten. Für Julius war die riesige Menge gesichtslos und einschüchternd. Sollte er einfach in den freien Raum starren, wenn er sprach, oder den Blick wahllos auf einen unglücklichen Bürger richten? Er fragte sich, ob sie ihm überhaupt zuhören würden. Bei Pompeius waren sie still geworden, aber Julius hegte keinen Zweifel daran, dass der Konsul die Menge mit seinen Klienten durchsetzt hatte. Gleich würde er Pompeius aufs Podium folgen, und wenn sie dann anfingen zu brüllen und ihn zu verhöhnen, wäre das ein denkbar schlechter Anfang seiner Kandidatur. In Gedanken ging er wieder und wieder seine Rede durch und betete, dass er nicht stocken oder gar den Faden verlieren würde. Womöglich wurden nach seiner Rede Fragen gestellt, vielleicht sogar von Männern, die vom Konsul dafür bezahlt worden waren. Vielleicht würden sie sogar versuchen, ihn öffentlich zu demütigen. Sorgfältig und langsam legte Julius seine Hände auf die Knie und ließ den Schweiß in seinen Handflächen vom Stoff aufsaugen. Er saß gemeinsam mit Crassus und Suetonius’ Vater auf einer erhöhten Plattform, aber er sah keinen der beiden an. Sie hörten gerade sehr aufmerksam zu, als Pompeius geschickt einen kleinen Scherz in seine Rede einflocht und dann die Hände hob, um das Gelächter wieder zu dämpfen. Julius bemerkte sehr wohl, dass Pompeius kein einziges Mal zögerlich wirkte. Seine große Begabung als Redner ließ sich an den Reaktionen der Menge deutlich ablesen. Die Menschen reckten dem Konsul die Gesichter entgegen, fast so, als beteten sie ihn an, und bei dem Gedanken, seine Rede nach ihm zu halten, krampften sich Julius’ Eingeweide zusammen. Pompeius’ Stimme wurde wieder ernst, als er seine Verdienste in dem Jahr als Konsul noch einmal aufzählte, und die Menge applaudierte frenetisch. Die Liste der militärischen Erfolge wurde mit Versprechen von kostenlosem Getreide, Brot, Spielen und Gedenkmünzen ergänzt. Bei dem letzten Wort versteifte sich Crassus ein wenig. Er fragte sich, woher Pompeius wohl das Geld dafür nehmen wollte, sein Antlitz in Silber prägen zu lassen. Das Schlimmste war jedoch die Gewissheit, dass all die Bestechungen unnötig waren. Pompeius hatte die Menge ohnehin im Griff. Mühelos brachte er sie in einem Augenblick zum Lachen, und im nächsten schon vermittelte er ihnen würdevollen Stolz. Es war eine meisterhafte Darbietung, und als er geendet hatte, stand Julius auf und zwang sich nervös zu einem Lächeln. Pompeius trat zurück und winkte ihn heran. Angesichts der ausgestreckten Hand, die so wirkte, als helfe ihm ein väterlicher Gönner nach vorne, biss Julius verärgert die Zähne zusammen. Als er an Pompeius vorbeiging, sprach dieser ihn leise an. »Keine abgedeckten Schilde, Julius? Ich hatte erwartet, dass du wieder eine Überraschung für uns bereithältst.« Julius war gezwungen zu lächeln, gerade so, als seien die Worte des Pompeius nur eine scherzhafte Bemerkung statt pure Gehässigkeit. Sie erinnerten sich beide sehr wohl an die Verhandlung, die Julius auf diesem Platz gewonnen hatte. Damals hatte er vor der Menge Schilde mit Szenen aus Marius’ Leben enthüllt. Ohne ein weiteres Wort nahm Pompeius Platz und sah gelassen und interessiert aus. Julius trat näher an das Rednerpult heran, hielt einen Moment inne und ließ den Blick über die endlos scheinende Menge schweifen. Wie viele hatten sich hier wohl versammelt, um die jährliche Ansprache der Konsuln zu hören? Achttausend? Oder vielleicht sogar zehn? Die aufgehende Sonne war immer noch hinter den Tempeln verborgen, die den großen, rechteckigen Platz säumten, und das Licht, das über ihnen lag, war noch kalt und grau. Julius holte tief Luft. Seine Stimme sollte von Anfang an klar und deutlich klingen, denn es war wichtig, dass die Zuhörer jedes seiner Worte genau verstanden. »Mein Name ist Gaius Julius Cäsar. Ich bin der Neffe des Marius’, der siebenmal in Rom Konsul gewesen ist. Ich habe meinen Namen im Hause des Senats für denselben Posten eingetragen. Ich tue das nicht zum Gedenken an diesen Mann, sondern um sein Werk fortzusetzen. Wollt ihr, dass ich euch Brot und Münzen verspreche? Ihr seid keine Kinder, denen man hübschen Tand anbietet, um ihre Treue zu erkaufen. Ein guter Vater verdirbt sein Kind nicht durch Geschenke.« Langsam wurde er ruhiger. Alle Augen auf dem Forum waren jetzt auf ihn gerichtet, und zum ersten Mal, seit er die Plattform betreten hatte, verspürte er einen Hauch von Zuversicht. »Ich habe diejenigen kennen gelernt, die sich abplagen, um das Korn für euer Brot anzubauen. Andere satt zu machen bringt zwar kein Vermögen ein, aber sie haben Stolz, und sie sind aufrechte Männer. Ich kenne auch viele, die ohne sich zu beklagen für Rom in den Kampf gezogen sind. Ihr seht sie gelegentlich auf der Straße und erkennt sie daran, dass ihnen ein Auge oder eine ihrer Gliedmaßen fehlt. Wenn die Menschen an ihnen vorbeigehen, sehen wir peinlich berührt zu Seite. Wir vergessen, dass wir alle nur deswegen lachen und lieben können, weil diese Soldaten so viel für uns geopfert haben. Wir haben diese Stadt auf dem Blut und dem Schweiß derjenigen errichtet, die vor uns dahingegangen sind. Dennoch bleibt auch für uns noch genug zu tun. Habt ihr Konsul Crassus von Soldaten reden hören, durch deren Einsatz die Straßen sicher sind? Ich bedauere es nicht im Geringsten, euch meine Männer dafür herzugeben. Aber wenn ich sie wieder brauche, um neue Länder und Reichtümer für Rom zu erkämpfen, wer außer euch selbst wird dann für eure Sicherheit sorgen?« Die Menge wurde unruhig. Julius zögerte einen Augenblick. Er sah den Gedanken in seinem Kopf deutlich vor sich, doch er suchte angestrengt nach einer Möglichkeit, ihn auch der Menge begreiflich zu machen. »Aristoteles sagt, ein Staatsmann müsse immer bemüht sein, einen gewissen moralischen Anspruch, eine Neigung zur Tugend in den Bürgern zutage zu fördern. Ich suche nach dieser Tugend in euch, denn ich weiß, sie ist da und muss nur wachgerufen werden. Ihr seid diejenigen, die die Mauern Roms gegen den Sklavenaufstand verteidigt haben. Ihr habt euch damals nicht vor eurer Pflicht gedrückt, und ihr werdet es auch jetzt nicht tun, wenn ich euch darum bitte.« Etwas lauter fuhr Julius fort: »Ich werde Geld für jeden Mann ohne Arbeit bereitstellen, der die Straßen säubert und die Banden davon abhält, die Schwächsten unter uns in Angst und Schrecken zu versetzen. Worin besteht die Größe Roms, wenn wir uns vor Angst nachts nicht mehr auf die Straße trauen? Wie viele von euch verriegeln ihre Tür und lauschen dahinter ängstlich auf das erste Geräusch des Meuchelmörders oder des Diebes?« Im Stillen dankte er Alexandria für das, was sie ihm erzählt hatte, und an den nickenden Köpfen sah er, dass er bei vielen in die richtige Kerbe schlug. »Konsul Crassus hat mich zum Ädilen ernannt. Das bedeutet, ihr müsst euch bei mir beschweren, wenn es ein Verbrechen oder Aufruhr in der Stadt gibt. Kommt zu mir, wenn ihr fälschlicherweise beschuldigt werdet. Ich werde mir euren Fall anhören und euch selbst verteidigen, wenn ich keinen Fürsprecher für euch finden kann. Ich widme euch meine Zeit und meine Kraft, wenn ihr sie haben wollt. Meine Männer und meine Klienten werden die Straßen sicher machen, und ich sorge für ein gerechtes Gesetz für alle. Wenn ich Konsul werde, dann bin ich die Flut, die Rom von jahrhundertealtem Schmutz befreit, aber ich werde dabei nicht alleine sein. Ich werde euch nicht einfach eine bessere Stadt schenken. Gemeinsam werden wir ihr ein neues Gesicht verleihen!« Maßlose Freude durchfuhr ihn, als die Menge begeistert auf seine Worte reagierte. So war es also, von den Göttern berührt zu werden. Er reckte die vor Stolz geschwellte Brust, und seine Stimme schallte weit über die Menge hinweg, die ihm die Köpfe entgegenreckte. »Wo ist all der Reichtum geblieben, den unsere Legionen mit nach Rom zurückgebracht haben? Nur hier in diesem Forum? Ganz sicher nicht! Wenn ich zum Konsul gewählt werde, werde ich auch vor kleineren Problemen nicht zurückschrecken. Die Straßen sind durch den vielen Verkehr ständig verstopft, was den Handel ungebührlich erschwert. Ich werde die Karren bei Nacht fahren lassen und das endlose Geschrei der Ochsenkutscher zum Schweigen bringen.« Gelächter erhob sich in der Menge, und Julius lächelte stolz zurück. Das hier war sein Volk. »Seid ihr der Ansicht, ich sollte das nicht tun? Glaubt ihr, ich sollte meine Zeit lieber damit verbringen, noch ein weiteres prunkvolles Bauwerk zu errichten, das ihr niemals von innen sehen werdet?« Irgendjemand aus der Menge schrie lauthals »Nein!«. Julius grinste über die einsame Stimme und freute sich über das Gelächter, das wie eine Welle durch die Menge lief. »Dem Mann, der da eben gerufen hat, dem sage ich: Doch! Doch, das sollten wir! Wir sollten hoch aufragende Tempel errichten und Brücken und Aquädukte für sauberes Wasser. Wenn ein fremder König nach Rom kommt, dann will ich, dass er sieht, wie sehr der Segen der Götter auf uns ruht. Ich will, dass er emporblickt – aber er soll dabei nicht in irgendetwas Grässliches hineintreten!« Julius wartete, bis das Gelächter abgeebbt war, und fuhr dann fort. Er wusste, sie hörten ihm nur deshalb zu, weil in seiner Stimme auch die eigene Überzeugung mitschwang. Er glaubte an das, was er sagte, und genau das nahmen sie wahr, genau das war es, was sie erhob. »Ihr und ich, wir sind ein Volk praktisch denkender Menschen. Zum Leben brauchen wir Abwasserkanäle, Sicherheit, ehrlichen Handel und erschwingliche Lebensmittel. Aber wir sind auch Träumer, praktische Träumer, die die Welt neu aufbauen, so dass sie auch die nächsten tausend Jahre überdauert. Wir bauen für die Ewigkeit. Wir sind die Erben Griechenlands. Wir besitzen eine unbändige Stärke, aber nicht nur die Stärke des Körpers. Wir erfinden und verbessern Rom so lange, bis es die schönste Stadt der Welt ist – wenn es sein muss, eine Straße nach der anderen.« Er holte langsam und tief Luft. In seinen Augen spiegelte sich die Zuneigung zu den Menschen, die ihm zuhörten. »Ich schaue auf euch alle hinab, und ich bin stolz auf euch. Mein Blut hat geholfen, Rom aufzubauen, und wenn ich mir seine Bewohner ansehe, dann weiß ich, es ist nicht vergeudet worden. Das hier ist unser Land, und doch ist da draußen auch eine Welt, die noch erfahren muss, was wir bereits gefunden haben. Was wir geschaffen haben, ist großartig genug, um es an all die dunklen Orte dort draußen zu bringen. Die Gerechtigkeit unseres Gesetzes und die Ehre der Stadt sind es wert, verbreitet zu werden, bis überall in der Welt einer von uns sagen kann ›Ich bin ein Bürger Roms!‹ und sich gerechter Behandlung gewiss sein darf. Wenn ich zum Konsul gewählt werde, werde ich für diesen Tag arbeiten!« Er hatte geendet, ohne dass es ihm zunächst selbst klar gewesen wäre. Die Menge wartete geduldig, um zu hören, was er als Nächstes sagen würde, und Julius war schon versucht, fortzufahren, bevor ihm eine innere Stimme riet, ihnen einfach zu danken und vom Podium herabzusteigen. Ein Begeisterungssturm brach los, und Julius lief vor Aufregung rot an. Er war sich der Männer hinter ihm auf dem Podium gar nicht mehr bewusst und sah nur noch die Menschen, die ihm Gehör geschenkt hatten. Jeder von ihnen hatte nur ihm zugehört und seine Worte in sich aufgesogen. Es war besser als Wein. Hinter seinem Rücken lehnte sich Pompeius zu Crassus hinüber und flüsterte ihm zu: »Du hast ihn zum Ädilen gemacht? Er ist nicht dein Freund, Crassus. Glaub es mir!« Da die Augen der Menge auf ihnen ruhten, lächelte Crassus seinen Kollegen an, doch seine Augen glitzerten wütend. »Ich weiß einen Freund sehr wohl zu beurteilen, Pompeius.« Pompeius erhob sich, und als Julius sich zu ihm umdrehte, schlug er ihm freundschaftlich auf die Schulter. Als die Menge sah, wie sich die beiden Männer anlächelten, brach sie erneut in Jubel aus. Pompeius wandte sich der Menge zu und hob dankend den anderen Arm, als sei Julius sein Schüler und habe sich ihnen gegenüber gerade besonders hervorgetan. »Eine wundervolle Rede, Cäsar«, sagte Pompeius. »Wenn du Erfolg hast, dürftest du frischen Wind in den Senat bringen. Praktische Träumer ... Ein wunderbares Konzept.« Julius schüttelte die von Pompeius dargebotene Hand und wandte sich dann Crassus zu, um ihn nach vorne zu rufen. Der andere Konsul war bereits aufgesprungen, denn sein Scharfsinn riet ihm, die Gelegenheit, sich zu zeigen, auf keinen Fall ungenutzt verstreichen zu lassen. Die Menge applaudierte noch immer wild. Die drei Männer standen nebeneinander, und aus der Ferne betrachtet, wirkte ihr Lächeln sogar echt. Auch Senator Prandus hatte sich erhoben, doch kein Mensch nahm von ihm Notiz. Während die Menge den Männern auf der Tribüne zujubelte, wandte sich Alexandria zu Teddus neben ihr. »Nun, was hältst du von ihm?«, fragte sie ihn. Der alte Soldat strich sich nachdenklich über die Bartstoppeln am Kinn. Er war eigentlich nur mitgekommen, weil Alexandria ihn darum gebeten hatte, denn die leeren Versprechen der Männer, die diese Stadt regierten, interessierten ihn kein bisschen. Jetzt wusste er nicht, wie er dies seiner Dienstherrin beibringen sollte, ohne sie zu kränken. »Er war ganz gut«, sagte er nach reiflicher Überlegung. »Aber ich habe nicht gehört, dass er wie die anderen Münzen prägen lassen will. Versprechungen sind ja gut und schön, aber mit einer Silbermünze kann man sich eine gute Mahlzeit und einen Krug Wein dazukaufen.« Alexandria runzelte zuerst die Stirn, dann jedoch öffnete sie den Schnappverschluss des schweren Armreifs, den sie um das Handgelenk trug, und ließ einen Sesterz in ihre Hand fallen. Die reichte sie Teddus, der sie entgegennahm und fragend die Brauen hochzog. »Wofür ist die?«, fragte er. »Gib sie aus«, erwiderte sie. »Wenn das Geld weg ist und du wieder hungrig bist, wird Cäsar immer noch da sein.« Teddus nickte, so als verstünde er, was sie damit sagen wollte, und ließ die Münze in die verborgene Tasche seiner Tunika gleiten. Sorgfältig sah er um sich, ob auch niemand beobachtet hatte, wo er sein Geld aufbewahrte. Doch die Aufmerksamkeit der Menge richtete sich noch immer auf die Tribüne. Trotzdem. Es zahlte sich aus, in Rom auf der Hut zu sein. Als Pompeius seinen Arm um die Schultern des Mannes legte, den sie liebte, beobachtete Servilia eingehend sein Gesicht. Besser als jeder andere im Senat konnte der Konsul beinahe riechen, wann sich der Wind drehte. Aber sie fragte sich, ob ihm wohl klar war, dass Julius sich keinerlei Einmischung der scheidenden Konsuln gefallen lassen würde. Manchmal hasste sie diese seltsamen Spielchen, die sie alle spielten. Streng genommen gehörte es sogar dazu, Julius und Prandus die Chance zu geben, ebenfalls bei der offiziellen Ansprache der Konsuln zu sprechen. Sie wusste von zwei weiteren Kandidaten auf der Senatsliste, und es waren immer noch ein paar Tage Zeit, bis die Listen geschlossen wurden. Keinem von diesen Anwärtern war es vergönnt gewesen, die Ansprache der Konsuln mit ihren dünnen Versprechungen herabzusetzen. Die Menge würde sich nur an drei Männer erinnern, und Julius war einer davon. Sie seufzte nervös, denn im Gegensatz zu den anderen Menschen auf dem Forum hatte sie sich nicht entspannen und zurücklehnen können, um den Reden zu lauschen. Als Julius vor die Menge hingetreten war, hatte ihr Herz vor Stolz und Furcht zu rasen angefangen, doch er hatte keinen Fehler gemacht. Die Erinnerung an den Mann, den sie in Spanien kennen gelernt hatte, war jetzt wirklich nicht mehr als eine blasse Erinnerung, denn Julius hatte seinen alten Zauber wiedergefunden. Als sie ihm zuhörte und seine glänzenden Augen ohne innezuhalten auch über sie hinweggeglitten waren, war selbst sie tief bewegt gewesen. Er war noch so unglaublich jung. Ob die Menge das wohl genauso empfand wie sie? All ihrer Fähigkeiten und all ihrer Gewitztheit zum Trotz waren Pompeius und Crassus, verglichen mit ihm, lediglich untergehende Sterne. Und er gehörte ihr. Ein Mann trat ein wenig zu dicht an sie heran, als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte. Servilia sah nur ein zernarbtes, schweißnasses Gesicht, doch bevor sie reagieren konnte, schloss sich schon eine eiserne Hand um den Arm des Mannes und ließ ihn vor Schmerzen aufschreien. »Verzieh dich«, sagte Brutus leise zu ihm. Der Mann riss seinen Arm aus der Umklammerung und trat den Rückzug an, doch in sicherer Entfernung blieb er noch einmal stehen und spuckte verächtlich auf den Boden. Servilia drehte sich zu ihrem Sohn um, und dieser lächelte sie an und hatte den Vorfall schon wieder vergessen. »Ich glaube, du hast auf das richtige Pferd gesetzt, Mutter«, sagte er und sah hinauf zu Julius. »Spürst du es nicht auch? Er ist genau der richtige Mann am richtigen Ort.« Angesteckt von seinem Eifer, lachte Servilia leise. Ohne seine Rüstung sah ihr Sohn viel jungenhafter aus als gewöhnlich. Sie hob den Arm, um ihm liebevoll das Haar zu raufen. »Eine Rede macht noch keinen Konsul, das weißt du doch. Die richtige Arbeit fängt jetzt erst an.« Sie blickten beide nach oben, wo Julius sich endlich verabschiedete und hinunter in die Menge treiben ließ. Er schüttelte Hände, die sich ihm entgegenstreckten, und antwortete den Bürgern, die ihm Fragen zuriefen. Selbst auf diese Entfernung sah sie die Freude in seinem Gesicht. »Aber es ist ein sehr guter Anfang«, murmelte sie. Suetonius strebte mit seinen Freunden vom Forum fort und ging durch leere Straßen, deren Stände und Häuser noch verschlossen und verriegelt waren. Hinter den Häuserreihen hörte man, wenn auch nur gedämpft, noch immer den Lärm der Menschenmenge. Lange sagte Suetonius kein einziges Wort. Sein Gesicht schien vor Verbitterung wie versteinert. Jeder Jubelruf der Händler hatte so lange an ihm genagt, bis er es schließlich nicht mehr hatte aushalten können. Julius, immer nur Julius. Egal, was geschah, dieser Mann schien immer mehr Glück zu haben als drei andere zusammen. Nur ein paar Worte an die Menge, und sie lagen ihm zu Füßen, während sein Vater erniedrigt wurde, dachte Suetonius angeekelt. Es war widerwärtig zuzusehen, wie sie sich durch billige rhetorische Tricks mitreißen ließen, während ein aufrechter Römer wie sein Vater unbeachtet blieb. Er war so stolz gewesen, als sein Vater eingewilligt hatte, seinen Namen in die Liste eintragen zu lassen. Rom verdiente einen Mann von seiner Würde und Ehre und keinen Cäsar, der nur auf seinen eigenen Ruhm bedacht war. Suetonius ballte die Fäuste und grollte fast hörbar bei dem Gedanken an die Schmach, die er mit angesehen hatte. Seine beiden Freunde wechselten nervöse Blicke. »Er wird die Wahl gewinnen, oder?«, sagte Suetonius wütend, ohne sie anzusehen. Bibulus, der einen Schritt hinter seinem Freund ging, nickte, dann jedoch wurde ihm bewusst, dass Suetonius seine Geste nicht sehen konnte. »Vielleicht. Pompeius und Crassus scheinen das jedenfalls anzunehmen. Dein Vater könnte aber immer noch den zweiten Posten übernehmen.« Er fragte sich, ob Suetonius wohl den ganzen weiten Weg bis zum Anwesen außerhalb Roms zu Fuß gehen wollte. In der entgegengesetzten Richtung, die Suetonius gerade blind vor Hass eingeschlagen hatte, warteten gute Pferde und angenehm kühle Räume auf sie. Bibulus konnte es nicht ausstehen zu laufen, wenn Pferde zur Verfügung standen. Er konnte zwar auch das Reiten nicht leiden, aber immerhin taten einem die Beine dann nicht ganz so weh, und man schwitzte bedeutend weniger. »Er verlässt seinen Posten in Spanien und schleicht sich hierher, nur um verlauten zu lassen, dass er sich als Konsul zur Wahl stellt, und sie nehmen das alles einfach so hin! Ich frage mich, wie viel Schmiergelder dazu wohl nötig waren! Ihm ist das zuzutrauen, das kannst du mir glauben. Ich kenne ihn gut genug, der Mann hat keinen Funken Ehre im Leib. Das weiß ich noch von damals auf den Schiffen, und von Griechenland. Dieser Dreckskerl ist nur wieder zurückgekommen, um mich bis in alle Ewigkeit zu verfolgen. Man sollte doch meinen, er würde die Politik besseren Männern überlassen, nachdem seine Frau umgekommen ist, oder? Damals hat er die Gefahren, die damit verbunden sind, doch kennen gelernt. Ich sage dir, Cato hat sich vielleicht Feinde gemacht, aber er ist immer noch doppelt so viel wert wie Cäsar. Und dein Vater hat das sehr wohl gewusst, Bibulus.« Bibulus sah sich nervös um, ob jemand in Hörweite war. Wenn Suetonius in dieser Stimmung war, wusste man nie, was er als Nächstes sagte. Wenn sie sich in seinen Privatgemächern aufhielten, konnte sich Bibulus an der Bitterkeit seines Freundes erfreuen. Er bewunderte dieses unbändige Ausmaß an Hass, zu dem Suetonius fähig war. Doch mitten auf einer öffentlichen Straße wie jetzt brachte ihn die Angst derartig ins Schwitzen, dass ihm die Tunika unter den Achseln am Körper klebte. Obwohl es immer heißer und heißer wurde, marschierte Suetonius so verbissen weiter, als sei die aufgehende Sonne nichts als ein Trugbild. Suetonius rutschte auf einem losen Pflasterstein aus und fluchte. Immer wieder Cäsar, der ihn quälte. Immer dann, wenn Cäsar in der Stadt war, sank der Stern seiner eigenen Familie. Er wusste, dass Cäsar die Gerüchte über ihn in Umlauf gebracht hatte, die verhindert hatten, dass er das Kommando über eine Legion erhielt. Er hatte das heimliche, gehässige Gelächter und Geflüster sehr wohl mitbekommen und die Quelle sofort erraten. Als er die Mörder auf Cäsars Haus hatte zuschleichen sehen, hatte er einen Moment lang tiefe Zufriedenheit empfunden. Eigentlich hätte er Alarm schlagen oder Reiter mit einer Warnung hinüberschicken können. Ja, er hätte sie noch aufhalten können, doch er hatte sich umgedreht und war davongegangen, ohne ein Wort zu sagen. Sie hatten Cäsars Frau in Stücke gerissen, und Suetonius erinnerte sich daran, wie er gelacht hatte, als ihm sein Vater die furchtbare Nachricht überbrachte. Der alte Mann hatte dabei einen so ernsten und bedeutungsvollen Gesichtsausdruck aufgesetzt, dass Suetonius einfach nicht hatte an sich halten können. Die Verblüffung seines Vaters steigerte seine Heiterkeit nur noch mehr, bis ihm vor Lachen Tränen in den Augen gestanden hatten. Vielleicht würde ihn sein Vater jetzt, nachdem er Cäsars intrigante Schmeicheleien und Versprechungen selbst erlebt hatte, ein wenig besser verstehen. In seinem Kopf setzte sich der Gedanke fest, wenigstens dieses eine Mal könne er vielleicht mit seinem Vater über etwas reden, worüber sie beide der gleichen Ansicht waren. Suetonius konnte sich nicht daran erinnern, wann sein Vater zum letzten Mal mehr als nur ein paar höfliche Worte mit ihm gewechselt hatte. Auch diese Kälte zwischen ihnen war Cäsars Werk. Sein Vater hatte das Land, das sie während Cäsars Abwesenheit so geschickt dazugewonnen hatten, wieder zurückgegeben. Er hatte sogar den Platz zurückgegeben, auf dem Suetonius sein Haus hatte bauen wollen. Den seltsamen Blick, den ihm sein Vater zugeworfen hatte, als er lauthals dagegen protestierte, hatte er nicht vergessen. Kein Funken Liebe war darin zu erkennen gewesen, nur ein kühles Abschätzen, das ihn anscheinend stets für ungenügend befand. Suetonius hob den Kopf und schüttelte die verkrampften Hände. Er würde seinen Vater aufsuchen und ihm sein Mitgefühl ausdrücken. Wenn sein Vater ihm dabei in die Augen sah, würde er vielleicht wenigstens dieses Mal nicht so zusammenzucken, als würde ihm beim Anblick von Suetonius übel. Vielleicht war er dann wenigstens dieses eine Mal nicht so sehr von seinem Sohn enttäuscht. Bibulus hatte die veränderte Stimmung seines Freundes bemerkt und nutzte die Gelegenheit. »Es wird langsam ziemlich heiß. Wir sollten zum Gasthaus zurückgehen.« Suetonius blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich zu seinem Freund um. »Wie reich bist du, Bibulus?«, fragte er unvermutet. Wie immer, wenn das Thema Geld zwischen ihnen beiden aufkam, rieb Bibulus nervös die Hände aneinander. Er hatte eine so große Summe geerbt, dass er nie würde arbeiten müssen, aber darüber zu reden trieb ihm die Schamröte ins Gesicht. Er wünschte sich sehnlichst, Suetonius wäre von diesem Thema nicht ganz so fasziniert. »Ich habe genug, das weißt du doch. Offensichtlich nicht so viel wie Crassus, aber es reicht aus«, sagte er vorsichtig. War Suetonius etwa darauf aus, sich Geld von ihm zu leihen? Hoffentlich nicht! Der einzige Zeitpunkt, zu dem Suetonius versprach, das geliehene Geld auch zurückzuzahlen, war immer auch der Moment, in dem er es sich lieh. Hatte er das Geld erst einmal in der Tasche, wurde nie wieder darüber geredet. Wenn Bibulus den Mut aufbrachte, die ausstehenden Summen anzusprechen, wurde Suetonius für gewöhnlich furchtbar wütend, stürmte davon und Bibulus musste sich schließlich entschuldigen. »Ist es genug, um dich als Konsul aufstellen zu lassen, Bibulus? Es sind noch ein oder zwei Tage Zeit, um neue Namen auf die Senatsliste zu setzen.« Bibulus war über diese Idee entsetzt und sah ihn verwirrt an. »Nein, Suetonius, ganz bestimmt nicht. Das werde ich nicht tun, nicht einmal für dich. Mir gefallen mein Leben und meine Position im Senat. Ich strebe nicht nach Veränderung und würde nicht mal Konsul werden wollen, wenn sie mir das Amt anböten.« Suetonius trat näher an ihn heran und packte ihn mit angewidertem Gesicht an der schweißnassen Toga. »Würdest du vielleicht gerne Cäsar als Konsul sehen? Erinnerst du dich überhaupt nicht mehr an den Bürgerkrieg? Erinnerst du dich an Marius und den Schaden, den er angerichtet hat? Wenn du dich aufstellen ließest, könntest du die Stimmen für Cäsar aufspalten und dadurch Platz für meinen Vater und einen der anderen Kandidaten schaffen. Wenn du wirklich mein Freund wärst, würdest du keinen Augenblick zögern.« »Ich bin dein Freund. Aber das würde nie funktionieren«, sagte Bibulus in dem Versuch, den sich anbahnenden Ärger möglichst schnell aus dem Weg zu schaffen. Die Vorstellung, Suetonius könne seinen Angstschweiß riechen, war erniedrigend, aber er hatte ihn fest bei der Toga gepackt und dabei die schlaffe, weiße Haut seiner Brust entblößt. »Selbst wenn ich mich aufstellen lasse und ein paar Stimmen kriege, könnten die doch ebenso gut deinem Vater fehlen wie Cäsar. Siehst du das nicht ein? Warum lässt du dich nicht selbst aufstellen, wenn dir so viel daran liegt? Ich gebe dir das Geld für die Kampagne, ich schwöre es.« »Bist du noch ganz bei Trost? Ich soll gegen meinen eigenen Vater antreten? Nein, Bibulus. Du bist vielleicht als Freund nicht besonders viel wert, oder als irgendetwas anderes, aber niemand sonst auf der Liste ist von größerer Bedeutung. Wenn wir nichts unternehmen, wird mein Vater von Cäsar geschlagen. Ich weiß, wie sehr sich Cäsar dem Pöbel anbiedert und wie sehr sie ihn dafür lieben. Wie viele würden wohl meinem Vater die gebührende Ehre erweisen, wenn Cäsar sich derweil wie eine prunksüchtige Hure zur Schau stellt? Du kommst aus einer alten Familie und verfügst über das Geld, deinen Namen vor der Wahl bekannt genug zu machen.« Suetonius’ Augen weiteten sich vor boshaftem Vergnügen, als er genauer über seine Idee nachdachte. »Mein Vater ist seit Jahren nicht aus Rom weggewesen, verstehst du? Und er hat Anhänger in den reicheren Zenturien, die zuerst wählen. Du hast die Reden gehört. Cäsar wandte sich an die träge Masse der Armen. Wenn wir frühzeitig eine Mehrheit erreichen, wird halb Rom womöglich nicht einmal zur Wahl aufgerufen. Das heißt, es wäre durchaus machbar.« »Ich glaube nicht, dass ... «, setzte Bibulus stammelnd an. »Du musst es tun, Bibi. Für mich! Nur ein paar Zenturien zu Beginn der Wahl würden schon ausreichen, dass er Rom voller Schmach verlassen muss. Wenn du siehst, dass die Stimmen für meinen Vater darunter leiden, kannst du dich immer noch zurückziehen. Nichts leichter als das! Oder möchtest du Cäsar lieber kampflos den Posten als Konsul überlassen?« Bibulus versuchte es noch einmal: »Ich habe nicht die Mittel, um so etwas zu finanzieren ...« »Dein Vater hat dir ein Vermögen hinterlassen, Bibi. Glaubst du, das weiß ich nicht? Glaubst du, er würde Catos Erzfeind gerne als Konsul sehen? Nein, diese lächerlichen Trinkgelder, die du mir in der Vergangenheit geliehen hast, sind für dich doch nur der Lebensunterhalt für einen oder zwei Tage.« Jetzt schien auch Suetonius zu bemerken, dass es irgendwie unpassend wirkte, wenn er auf der einen Seite versuchte, Bibulus zu überreden, ihn aber andererseits fest gepackt hielt. Er ließ ihn los und strich ihm mit ein paar beiläufigen Bewegungen die Toga wieder glatt. »So ist es besser! Also, Bibulus, wirst du das für mich tun? Du weißt doch, wie wichtig mir diese Sache ist. Wer weiß, wenn es wirklich so weit käme, würde es dir ja vielleicht sogar Spaß machen, mit meinem Vater zusammen Konsul zu sein. Viel wichtiger ist es jedoch zu verhindern, dass sich Cäsar die Macht in dieser Stadt erschleichen kann.« »Nein! Hörst du? Ich werde es nicht tun! «, sagte Bibulus und keuchte ein wenig vor Angst. Suetonius kniff die Augen zusammen, packte Bibulus erneut am Arm und zog ihn von ihren Begleitern weg. Als sie nicht mehr belauscht werden konnten, beugte sich Suetonius bedrohlich nahe an das schweißüberströmte Gesicht des jungen Römers. »Weißt du noch, was du mir letztes Jahr erzählt hast? Was ich gesehen habe, als ich in dein Haus kam? Ich weiß, warum dein Vater dich verachtet hat, Bibulus, warum er dich weggeschickt hat in dein prunkvolles Haus und warum er aus dem Senat ausgeschieden ist. Vielleicht hat ihm sein Herz deswegen den Dienst versagt, wer weiß? Was glaubst du? Wie lange würdest du wohl überleben, wenn deine Vorlieben in der Öffentlichkeit bekannt würden?« Bibulus sah mit einem Male krank aus. Sein Gesicht zuckte. »Das mit dem Mädchen, das war ein Unfall. Sie ist krank geworden...« »Kannst du überhaupt das Tageslicht ertragen, Bibulus? «, fragte Suetonius und rückte noch ein Stück näher. »Ich habe die Ergebnisse deiner ... Leidenschaft mit eigenen Augen gesehen. Ich könnte selbst einen Prozess gegen dich anstrengen, und die Strafen dafür sind wirklich hart, aber nicht härter, als du es verdienst. Wie viele kleine Mädchen und Jungen sind in den letzten paar Jahren durch deine Hände gegangen, Bibulus? Und wie viele Väter gibt es wohl im Senat, was meinst du?« Bibulus’ feuchter Mund zitterte. »Du hast kein Recht, mich zu bedrohen! Meine Sklaven sind mein Eigentum. Niemand würde dir Gehör schenken.« Suetonius entblößte die Zähne, der Triumph entstellte sein Gesicht. »Pompeius hat eine Tochter verloren, Bibulus. Er würde mir ganz bestimmt zuhören! Er würde dafür sorgen, dass du für deine Ausschweifungen teuer bezahlst, meinst du nicht? Ich glaube nicht, dass er mich abweisen würde, wenn ich zu ihm ginge.« Bibulus sank in sich zusammen und begann zu weinen. »Bitte ... «, flüsterte er verzweifelt. Suetonius schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Wir werden nie wieder darüber sprechen, Bibulus. Freunde lassen einander doch nicht im Stich«, sagte er und rieb versöhnlich die schweißnasse Haut. »Einhundert Tage, Servilia«, sagte Julius nachdenklich, als er sie auf den Stufen des Senatsgebäudes in die Arme nahm. »Ich habe ein paar Leute, die sich anstehende Rechtsfälle ansehen und sie begutachten. Danach suche ich mir die besten aus, um mir einen Namen zu machen, und die Stämme werden kommen, um mir zuzuhören. Bei den Göttern, es gibt so viel zu tun! Du musst für mich mit all jenen Kontakt aufnehmen, die Schulden bei meiner Familie haben. Ich brauche Läufer, Organisationstalente und Leute, die von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in den Straßen für meine Sache werben. Und Brutus muss mit der Zehnten die Banden in Schach halten, denn dank Crassus bin ich ja jetzt dafür verantwortlich. Der alte Mann ist wirklich ein Genie, daran gibt es keinen Zweifel. Mit einem Schlag habe ich die nötige Macht, um zu beweisen, dass ich die Straßen wirklich sicher machen kann. Es ist alles so schnell gegangen, dass ich beinahe nicht ...« Servilia legte ihm die Finger auf die Lippen, um den Schwall seiner Worte einzudämmen. Sie lachte, als er trotzdem einfach weiterredete, Gedanken und Ideen, gerade so, wie sie ihm in den Kopf kamen. Selbst als sie ihn auf den Mund küsste, redete er noch einen Augenblick weiter, bis sie ihm schließlich mit der freien Hand einen Klaps auf die Wange gab. Er löste sich lachend von ihr. »Ich muss in den Senat, ich darf sie nicht warten lassen. Fang mit der Arbeit an, Servilia. Wir treffen uns am Mittag wieder hier.« Sie sah ihm nach, als er die Treppen hinaufrannte und im Halbdunkel des Senatsgebäudes verschwand. Dann ging sie leichtfüßig die Stufen hinunter, wo sie ihre Wachen erwarteten. Als Julius die Tür zur Vorhalle erreichte, traf er auf Crassus, der dort auf ihn wartete. Der ältere Mann sah seltsam unruhig aus, Schweißperlen rannen ihm über das Gesicht. »Ich muss mit dir reden, bevor du hineingehst, Julius«, sagte er. »Ich muss jetzt mit dir reden, nicht erst da drin, wo uns jeder zuhören kann.« »Was gibt es denn?«, fragte Julius überrascht, und eine böse Vorahnung erfasste ihn, als er die Nervosität des Konsuls bemerkte. »Ich bin nicht ganz ehrlich zu dir gewesen, mein Freund«, erwiderte Crassus. Die beiden Männer hörten das Gemurmel der Senatoren hinter sich, als sie sich auf den breiten Stufen der Treppe zum Forum niedersetzten. Julius schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich hätte niemals geglaubt, dass du dazu fähig bist, Crassus.« »Ich bin ja auch nicht dazu fähig«, schnappte Crassus beleidigt. »Deshalb sage ich es dir jetzt, bevor die Verschwörer sich gegen Pompeius erheben.« »Du hättest sie davon abhalten müssen, als sie zu dir gekommen sind. Du hättest direkt zum Senat gehen und diesen Catilina denunzieren müssen, bevor er noch mehr in der Hand hatte als bloße Ideen. Und jetzt sagst du mir, er hat bereits eine ganze Armee? Es ist wirklich ein bisschen spät, sich die Hände jetzt noch in Unschuld zu waschen, Crassus, ganz gleich, was du auch beteuerst.« »Sie hätten mich umgebracht, wenn ich mich geweigert hätte. Und, ja, natürlich war es eine große Versuchung für mich, als sie mir die Herrschaft über Rom angeboten haben. So! Jetzt hast du es mich laut aussprechen hören. Hätte ich sie etwa einfach Pompeius vor die Füße werfen sollen, damit er mit einem weiteren Sieg vor dem Volk glänzt? Hätte ich zusehen sollen, wie er zum Diktator auf Lebenszeit wird, wie Sulla vor ihm? Ich war versucht, Julius, und ich habe zu lange nichts gesagt. Aber ich gebe mir ja gerade Mühe, meinen Fehler wieder gutzumachen. Ich kenne ihre Pläne, und ich weiß, wo sie sich versammelt haben. Mit deiner Legion können wir sie schlagen, bevor Schaden entstanden ist.« »Hast du mich deswegen zum Ädilen gemacht?«, fragte Julius. Crassus zuckte die Schultern. »Natürlich. Jetzt liegt es in deiner Verantwortung, sie aufzuhalten. Es wäre außerdem eine gute Unterstützung für deine Kampagne, wenn die Leute sehen, dass Angehörige der Nobilitas wie Catilina genauso für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden wie alle anderen Bürger auch. Dann sehen sie, dass du wirklich über den lächerlichen Banden von Klassen und Stämmen stehst.« Julius sah den Konsul mitleidig an. »Und was wäre gewesen, wenn ich nicht aus Spanien zurückgekehrt wäre?« »Dann hätte ich schon einen anderen Weg gefunden, um sie zu schlagen, bevor es wirklich zum Schlimmsten kommt.« »Wirklich?«, bedrängte ihn Julius leise. Crassus drehte sich zu dem jungen Mann an seiner Seite um und funkelte ihn zornig an. »Zweifellos. Wie dem auch sei, du bist jetzt hier. Ich kann dir die Rädelsführer übergeben, und die Zehnte wird den Pöbel aufreiben, den sie um sich gesammelt haben. Sie sind nur deshalb eine Gefahr, weil niemand etwas von ihnen wusste. Ohne diesen Überraschungseffekt ist es ein Leichtes, sie zu zerschlagen, und das Amt des Konsuls gehört dir. Ich vertraue darauf, dass du dann deine Freunde nicht vergisst.« Julius stand abrupt auf und blickte auf den Konsul herab. Hatte er wirklich die ganze Wahrheit erfahren? Oder nur den Teil, den Crassus ihn hatte hören lassen wollen? Vielleicht hatten sich die Männer, die er verriet, ja nichts weiter zu Schulden kommen lassen, als Feinde von Crassus zu sein. Er konnte die Zehnte nicht einfach in die Häuser einflussreicher Männern schicken, bloß aufgrund einer Unterhaltung mit Crassus, die dieser jederzeit abstreiten konnte. Was seinem Gegenüber durchaus zuzutrauen wäre, da war sich Julius sicher. »Ich werde darüber nachdenken, was zu tun ist, Crassus. Aber ich werde nicht einfach nur das Schwert sein, das deine Feinde vernichtet.« Crassus erhob sich nun ebenfalls, und seine Augen funkelten vor unterdrücktem Zorn. »Politik ist nun einmal ein blutiges Geschäft, Julius. Es ist besser, du lernst das jetzt, als erst dann, wenn es zu spät ist. Ich habe zu lange gewartet, um etwas gegen diese Männer zu unternehmen. Pass auf, dass dir nicht der gleiche Fehler unterläuft.« Die beiden Männer betraten das Senatsgebäude gemeinsam, aber voneinander getrennt. 11 Das Haus, das Servilia für den Wahlkampf angemietet hatte, war drei Stockwerke hoch und voller Menschen. Wichtiger noch, es lag im Tal des Esquilin, einem geschäftigen Teil der Stadt, wo Julius mit all jenen Kontakt halten konnte, die ihn zu sehen wünschten. Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang eilten seine Klienten mit Aufträgen und Anweisungen durch die offenen Türen ein und aus, während Julius anfing, seine Strategie umzusetzen. Die Zehnte patrouillierte nachts in kleinen Gruppen, und nach drei heftigen Auseinandersetzungen mit Raptores-Banden hatten sie elf Straßen in den ärmsten Gegenden gesäubert und waren dabei, ihr Einflussgebiet zu vergrößern. Julius wusste, dass es illusorisch war, die Banden restlos zu zerschlagen, aber immerhin wagten sie sich in den Gegenden, die er ausgewählt hatte, nicht mehr offen zu zeigen. Früher oder später würden die Menschen merken, dass sie unter dem Schutz der Legion standen und sich wieder frei bewegen. Er hatte drei Fälle vor dem Gericht auf dem Forum angenommen und den ersten gewonnen. Die nächste Verhandlung sollte bereits in drei Tagen stattfinden. Die Menge war gekommen, um den jungen Redner zu sehen, und bejubelte den Ausgang zu seinen Gunsten, auch wenn es sich nur um ein relativ unbedeutendes Vergehen gehandelt hatte. Julius hoffte immer noch wider bessere Vernunft, gegen einen Mörder oder bei einem schwerwiegenderen Verbrechen auftreten zu können, bei dem die Menschen zu Tausenden kommen würden, um ihm zuzuhören. Alexandria hatte er schon zwei Wochen lang nicht mehr gesehen, seit sie den Auftrag angenommen hatte, die Kämpfer für ein großes Schwertturnier außerhalb der Stadt auszurüsten. Wenn Julius von der Arbeit erschöpft war, ritt er auf den Campus Martius hinaus, wo die Arena errichtet wurde. Brutus und Domitius hatten die Nachricht von diesem Wettkampf in allen römischen Siedlungen und Städten im Umkreis von 500 Meilen verbreiten lassen, um möglichst attraktive Herausforderer anzulocken. Trotzdem rechneten beide Männer damit, selbst das Finale zu erreichen, und Brutus war von seinem Sieg überzeugt, so sehr, dass er den Großteil eines Jahressolds auf seinen Erfolg setzte. Wenn Julius zum Forum ging oder zur Baustelle des Kampfrings hinausritt, nahm er mit Bedacht keine Wachen mit, weil er dem Volk sein Vertrauen beweisen wollte. Brutus hatte Einspruch gegen diese Entscheidung erhoben, dann aber erstaunlich schnell nachgegeben. Seine Soldaten standen an jeder Ecke, um nach Einbruch der Dunkelheit für Ruhe zu sorgen, und nach mehreren lautstarken Wortwechseln mit erregten Händlern hatten sie sich auch durchgesetzt. Als Ädile lag die Verantwortung für Ruhe und Ordnung in der Stadt in seiner Hand, und da ihn Crassus offen unterstützte, hatten ihm die anderen Senatsmitglieder nur wenige Beschränkungen auferlegt. Julius rieb sich die Müdigkeit aus den Augen, bis er Blitze sah. Seine Klienten und die Soldaten arbeiteten unablässig für ihn. Der Wahlkampf lief gut. Er hätte zufrieden sein können, wäre da nicht das Problem gewesen, das ihm Crassus eingebrockt hatte. Der Konsul drängte ihn täglich, etwas gegen diejenigen zu unternehmen, die er ihm als Verräter genannt hatte. Obgleich Julius noch zauderte, quälte ihn der Gedanke, dass sie zuschlagen und die Stadt in ein Chaos stürzen könnten, das er hätte verhindern können. Er ließ ihre Häuser von Spionen überwachen, doch wie sich herausstellte, trafen sie sich in privaten Räumen und Badehäusern, wo sie kein fremdes Ohr belauschen konnte. Trotzdem zögerte Julius noch. Wenn er auf die ruhigen Straßen rings um sein Wahlkampfquartier hinausblickte, konnte er einfach nicht an eine Verschwörung von der Größenordnung glauben, wie Crassus sie beschrieben hatte. Aber er hatte schon einmal erlebt, wie Rom vom Krieg heimgesucht wurde, und das war für ihn Grund genug, Brutus in den Richtungen, die Crassus genannt hatte, Erkundungen einholen zu lassen. Dies war die Last der Verantwortung, nach der er sich gesehnt hatte, gestand sich Julius ein. Auch wenn er sich wünschte, ein anderer würde Karriere und Leben aufs Spiel setzen, lag die Entscheidung doch ganz bei ihm. Er wusste genau, was er riskierte. Mit nicht mehr als ein paar Namen in der Hand konnte er nicht andere Senatoren des Verrats bezichtigen, ohne seinen eigenen Kopf in die Schlinge zu stecken. Wenn er seine Behauptungen nicht beweisen konnte, würde sich der Senat ohne zu zögern gegen ihn stellen. Und schlimmer noch: Die Menschen würden sich vor einer Rückkehr der Tage Sullas fürchten, in denen niemand gewusst hatte, wer als Nächstes unter dem Vorwurf des Verrats aus seinem Haus geholt würde. Durch einen Irrtum konnte Rom mehr Schaden nehmen, als wenn er nichts unternahm, und dieser Druck war kaum zu ertragen. In einem jener kostbaren Augenblicke, die er ganz für sich allein hatte, schlug Julius mit der Faust auf den Tisch, dass er wackelte. Wie sollte er Crassus nach einer solchen Offenbarung noch trauen? Als Konsul hätte er Catilinas Verschwörung anzeigen müssen, sobald er das Senatsgebäude betreten hatte. Von allen Männern Roms war ausgerechnet er seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, und trotz seiner Unschuldsbeteuerungen fiel es Julius nicht leicht, ihm diese Schwäche zu verzeihen. Seit Sulla hatte keine bewaffnete Streitmacht mehr damit gedroht, die Stadt zu betreten, und die Erinnerung an diese Nacht ließ Julius immer noch schaudern. Er hatte gesehen, wie Marius von Soldaten in dunklen Umhängen umgebracht worden war, von Männern, die sich wie die Ameisen in Afrika auf ihn gestürzt hatten. Crassus hätte nicht auf einen Mann wie Catilina hören sollen, was immer ihm dieser auch versprochen haben mochte. Ein Tumult im unteren Stockwerk des Hauses riss Julius aus seinen Gedanken. Die Hand glitt zum Gladius, der auf dem Tisch lag, ehe er Brutus’ Stimme erkannte und sich wieder entspannte. Genau das hatte die Beichte des Crassus bewirkt: das erneute Aufkeimen jener Angst, die er gespürt hatte, als Cato ihn bedrohte und er jeden Mann für einen Feind halten musste. Zorn wallte in ihm auf, als ihm klar wurde, wie Crassus ihn manipuliert hatte. Dabei wusste er, dass der alte Mann seine Absichten trotzdem durchsetzen würde. Die Verschwörer mussten aufgehalten werden, ehe sie zuschlagen konnten. Er fragte sich, ob man ihnen drohen konnte. Vielleicht sollte er eine Zenturie mit seinen besten Offizieren in ihre Häuser schicken. Wenn die Männer merkten, dass ihr Plan aufgeflogen war, ließ sich die Verschwörung vielleicht im Keim ersticken. Brutus klopfte und trat ein. Als Julius sein Gesicht sah, machte er sich auf schlechte Nachrichten gefasst. Brutus kam sofort zur Sache: »Ich habe meine Männer die Dörfer ausspähen lassen, vor denen dich Crassus gewarnt hat. Ich glaube, er sagt die Wahrheit.« Von Brutus’ gewohnter Heiterkeit war nichts zu sehen. »Wie viele Schwerter haben sie?«, erkundigte sich Julius. »Achttausend, vielleicht auch mehr, aber sie sind weit verstreut. In jeder Stadt dort wimmelt es von Männern, viel zu vielen, um sie zu versorgen. Keine Legionsabzeichen oder Fahnen, nur jede Menge Schwerter in der unmittelbaren Nähe von Rom. Wenn meine Legionäre nicht gezielt danach Ausschau gehalten hätten, wären sie ihnen vielleicht nicht einmal aufgefallen. Ich glaube, die Bedrohung ist echt, Julius.« »Dann muss ich handeln«, sagte Julius. »Die Verschwörung ist schon zu weit fortgeschritten, um sie noch davon abhalten zu können. Entsende Männer zu den Häusern, die wir beobachtet haben. Begib dich selbst in das Haus Catilinas. Verhafte die Verschwörer und bringe sie heute Nachmittag zur Senatssitzung. Ich werde dort eine Rede halten und unseren Senatoren mitteilen, wie knapp sie der Vernichtung entgangen sind.« Er erhob sich und band sich das Schwert an den Gürtel. »Sieh dich vor, Brutus. Um ihren Plan umzusetzen, müssen sie Gefolgsleute in der Stadt haben. Crassus meint, sie wollten als Signal Feuer in den armen Stadtgebieten legen, also brauchen wir Männer auf den Straßen, die darauf vorbereitet sind. Niemand weiß, wie viele daran beteiligt sind.« »Die Zehnte reicht nicht aus, um die ganze Stadt zu sichern, Julius. Ich kann nicht für Ruhe und Ordnung sorgen und gleichzeitig gegen die Söldner vorgehen.« »Gut. Ich werde Pompeius davon überzeugen, dass er seine Männer auf den Straßen einsetzt. Er wird die Notwendigkeit einsehen. Nachdem du die Männer zum Senat gebracht hast, lass mir eine Stunde Zeit, um den Fall vorzutragen, dann marschiere los. Wenn ich nicht dort bin, um euch anzuführen, geh alleine gegen sie vor.« Brutus schwieg einen Augenblick, als ihm klar wurde, was von ihm verlangt wurde. »Wenn ich ohne Befehl des Senats ins Feld ziehe, könnte das mein Ende bedeuten, ganz egal, ob wir siegreich sind oder nicht«, sagte er leise. »Kannst du Crassus wirklich so weit trauen, dass er dir bei dieser Angelegenheit nicht in den Rücken fällt?« Julius zögerte. Wenn sich Crassus weigerte, vor dem Senat seine Anschuldigungen zu wiederholen, bedeutete das ihrer aller Ende. Der alte Mann war gerissen genug, sich die ganze Verschwörung nur ausgedacht zu haben, um einige seiner Gegner loszuwerden. Crassus wäre seine Konkurrenten los, ohne selbst dabei Schaden zu nehmen. Trotzdem blieb Julius keine andere Wahl. Solange er sie noch verhindern konnte, durfte er nicht zulassen, dass eine Rebellion ausbrach. »Nein. Völlig trauen kann ich ihm nicht, aber ganz egal, wer für diese Ansammlung von Soldaten verantwortlich ist, ich darf eine Bedrohung Roms nicht zulassen. Verhafte die Männer, die er genannt hat, ehe wir durch unser Abwarten noch mehr Schaden anrichten. Wenn ich euch erreichen kann, übernehme ich die volle Verantwortung. Wenn ich nicht da bin, liegt die Entscheidung bei dir. Warte, solange du nur kannst.« Brutus machte sich mit Domitius und zwanzig seiner besten Männer auf den Weg, um Catilina in seinem Haus zu verhaften. Zu seinem großen Verdruss verloren sie entscheidende Augenblicke dabei, das Tor aufzubrechen. Bis sie die Privatgemächer des Catilina erreichten, wärmte sich dieser bereits die Hände über einem Kohlenbecken voller brennender Dokumente. Er wirkte äußerlich ruhig, als er die Soldaten begrüßte. Seine harten Gesichtszüge wirkten fast wie gemeißelt, und seine breiten Schultern wiesen ihn als einen Mann aus, der sich seine Körperkraft erhielt. Ungewöhnlich für einen Senator, hatte er einen Gladius in einer reich verzierten Scheide umgeschnallt. Brutus goss sofort einen Krug Wein in die Flammen und griff durch den zischend aufsteigenden Dampf in die feuchte Asche. Es war nichts übrig geblieben. »Dieses Mal hat euer Herr seine Befugnisse überschritten, meine Herren«, bemerkte Catilina. »Meine Befehle lauten, dich zur Curia zu bringen, Senator, wo du dich wegen Hochverrats zu verantworten hast«, beschied ihn Domitius. Catilina legte die Hand auf den Knauf des Gladius, und sowohl Brutus als auch Domitius erstarrten. »Wenn du das Schwert noch einmal anrührst, stirbst du noch hier«, warnte ihn Brutus leise. Catilina riss die Augen mit den schweren Lidern weit auf und versuchte die Gefahr, der er sich ausgesetzt sah, einzuschätzen. »Wie lautet dein Name?«, fragte er. »Marcus Brutus, von der Zehnten.« »Nun, Brutus, Konsul Crassus ist ein guter Freund von mir, und wenn ich wieder frei bin, werde ich mich mit dir noch einmal ausführlicher über dein Vorgehen unterhalten. Und jetzt tu, wie man dich geheißen hat, und bring mich zum Senat.« Domitius streckte die Hand aus, um den Arm des Senators zu ergreifen, aber Catilina schlug sie weg, wobei die Wut hinter seiner gespielten Ruhe hervortrat. »Wage es nicht, mich zu berühren! Ich bin ein Senator Roms. Glaube nicht, dass ich diese Beleidigung meiner Person einfach so vergesse, wenn das hier vorbei ist. Dein Herr kann dich nicht für alle Zeiten vor dem Gesetz schützen.« Dann schritt er mit wutverzerrtem Gesicht an ihnen vorbei. Die Soldaten der Zehnten wechselten besorgte Blicke und stellten sich rings um ihn auf. Domitius sagte nichts mehr, als sie die Straße erreichten, aber er hoffte inständig, dass die anderen Gruppen genug Beweise fänden, mit denen man die Festgenommen anklagen konnte. Wenn nicht, war es gut möglich, dass Julius damit seinen eigenen Untergang heraufbeschworen hatte. Draußen auf der Straße wogte die geschäftige vormittägliche Menge vorbei, und Brutus musste ihnen mit der flachen Seite des Schwerts einen Weg bahnen. Das Gedränge war zu groß, als dass die Passanten rechtzeitig aus dem Weg gehen konnten, und so kamen sie nur langsam voran. Als sie die erste Straßenecke erreicht hatten, fluchte Brutus leise vor sich hin und nahm die Veränderung in der Menge beinahe zu spät wahr. Mit einem Mal waren Kinder und Frauen verschwunden, und die Soldaten der Zehnten waren von Männern mit entschlossenen Mienen umringt. Brutus warf einen kurzen Blick nach hinten auf Catilina. Das Gesicht des Senators strahlte triumphierend. Brutus spürte, wie er gestoßen und eingekeilt wurde, und die Erkenntnis, dass Catilina auf sie vorbereitet gewesen war, verursachte ihm beinahe Übelkeit. »Wir werden angegriffen!«, brüllte Brutus und sah im gleichen Moment, wie Schwerter unter Umhängen und Tuniken hervorgezogen wurden und die Menge mit einem Schlag kampfbereit war. Catilinas Männer hatten sich unter die Passanten gemischt und auf eine günstige Gelegenheit gewartet, ihren Anführer zu befreien. Auf der Straße wimmelte es vor Schwertern, Schreie ertönten, als die ersten Soldaten der Zehnten vollkommen überrumpelt niedergestochen wurden. Brutus sah, wie Catilina von seinen Anhängern weggezogen wurde, und versuchte ihn festzuhalten. Aber noch während er den Arm ausstreckte, schlug jemand danach, und er verteidigte sich wütend. So dicht von Menschenleibern bedrängt, stand er kurz davor, in Panik zu geraten. Dann sah er Domitius, der sich auf der Straße eine blutige Nische freigekämpft hatte, und schlug sich an seine Seite. Die Soldaten der Zehnten behielten die Nerven und machten Catilinas Anhänger mit der grimmigen Routine nieder, die man ihnen in der Ausbildung beigebracht hatte. Es waren keine Schwächlinge darunter, aber jeder von ihnen sah sich zwei oder drei wild fuchtelnden Schwertern gegenüber. Auch wenn es den Angreifern an Können fehlte, kämpften sie doch mit fanatischem Einsatz, und auch die Rüstungen der Legionäre konnten nicht alle Schläge abwehren. Brutus packte einen Mann an der Kehle und schleuderte ihn zwei anderen in den Weg, die er mit gezielten Hieben tötete, als sie übereinander stolperten. Dann spürte er, wie sich sein wild hämmerndes Herz beruhigte und sich ihm die Gelegenheit bot, sich umzublicken. Er wich einem Gladius, der seinen Schwertarm abtrennen sollte, nach hinten aus und antwortete mit einem Gegenstoß in den Hals des Angreifers. Hals und Unterleib, das waren die tödlichsten Stöße. Brutus wankte, als ihn etwas tief unten am Rücken traf, und er spürte, wie einer der Riemen seines Brustpanzers riss und sich das Gewicht verschob. Er wirbelte herum, das Schwert im spitzen Winkel, und traf das Schlüsselbein eines Mannes, der in das Durcheinander aus Dreck und Fleisch auf der Erde fiel. Blut spritzte auf, und er sah sich blinzelnd nach Catilina um. Der Senator war verschwunden. »Räumt die verfluchte Straße, Zehnte!«, rief er. Seine Männer reagierten sofort und hieben sich den Weg frei. Die schweren Schwertklingen trafen auf den Feind, durchtrennten Gliedmaßen mit der Leichtigkeit von Schlachterbeilen. Da sich einige von Catilinas Männern mit dem Senator zurückgezogen hatten, war ihre Zahl geschrumpft, so dass es den Legionären gelang, die Verbliebenen zu isolieren. Wieder und wieder rammten sie ihre Klingen in die Körper der Gegner, um ihnen die Beleidigung des Angriffs mit der einzig passenden Münze zurückzuzahlen. Als es vollbracht war, standen die Legionäre keuchend da, in ihren vom Blut dunkel gefärbten Rüstungen, das langsam von dem polierten Metall tropfte. Einer oder zwei von ihnen gingen vorsichtig zu jedem von Catilinas Männern und stießen, um ganz sicherzugehen, ein letztes Mal mit den Klingen zu. Brutus wischte sein Schwert an einem Mann ab, den er niedergestreckt hatte, und schob es behutsam in die Scheide zurück, nachdem er die Schneide gründlich überprüft hatte. Cavallos Arbeit war ohne Fehler. Von seinen ursprünglich zwanzig Männern waren noch elf auf den Beinen, zwei weitere lagen im Sterben. Ohne dass Brutus es befehlen musste, hoben die anderen ihre Kameraden von der Straße und stützen sie, wechselten ein paar Worte mit ihnen, während sie ihr Leben aushauchten. Brutus versuchte, sich zu konzentrieren. Catilinas Männer hatten bereitgestanden, um ihn aus den Händen der Zehnten zu befreien. Schon jetzt konnte Catilina auf dem Weg zu den Aufständischen sein, oder sie zu ihm. Er wusste, dass er eine schnelle Entscheidung treffen musste. Seine Männer beobachteten ihn schweigend und warteten auf Befehle. »Domitius, lass unsere Verwundeten in der Obhut der umliegenden Häuser zurück. Ehe du uns folgst, überbringe Julius eine Nachricht. Wir können nicht mehr auf ihn warten. Der Rest kommt mit mir.« Ohne ein weiteres Wort rannte Brutus los. Seine Männer folgten ihm, so schnell sie konnten. Im Senat herrschte ein wüstes Durcheinander, als sich 300 Senatoren gegenseitig zu überbrüllen versuchten. Am lautesten erklangen die Proteste in der Mitte des Saals, wo vier Männer, die Julius hatte verhaften lassen, in Ketten standen und Beweise für die gegen sie erhobenen Vorwürfe forderten. Zu Anfang hatten sich die Männer in ihr Schicksal ergeben, doch als ihnen klar wurde, dass man Catilina nicht hereinzerren und zu ihnen gesellen würde, war ihre Zuversicht rasch zurückgekehrt. Pompeius wartete ungeduldig darauf, dass Ruhe einkehrte, und sah sich schließlich gezwungen, selbst die Stimme zu erheben und die anderen zu übertönen. »Nehmt eure Plätze ein und seid still!«, brüllte er die Männer an und funkelte wütend in die Runde. Diejenigen in seiner Nähe nahmen eilig ihre Plätze ein. Andere folgten, und alsbald kehrte wieder eine gewisse Ordnung ein. Pompeius wartete, bis nur noch leises Flüstern zu hören war. Seine Hände umklammerten das Rednerpult, aber ehe er zu dem ungebärdigen Senat sprechen konnte, hob einer der vier Angeklagten anklagend seine Ketten. »Ich verlange unsere Freilassung, Konsul! Wir wurden aus unseren Häusern gezerrt, nur ... « »Sei still, oder ich lasse dir einen Eisenknebel verpassen!«, fuhr ihn Pompeius an. Er sprach leise, doch jetzt erreichte seine Stimme auch die hinterste Ecke des Hauses. »Du bekommst schon noch Gelegenheit, auf die Anklage zu antworten, die Cäsar gegen dich erhoben hat.« Er holte tief Luft. »Senatoren! Diese Männer sind angeklagt, sich verschworen zu haben, Unruhen in der Stadt anzuzetteln, die zu einem allgemeinen Aufstand und der Entmachtung dieser Kammer führen und mit der Ermordung unserer Vertreter enden sollten. Diejenigen, die jetzt so laut nach Gerechtigkeit schreien, tun gut daran, die Schwere dieser Vorwürfe in Erwägung zu ziehen. Ich bitte um Ruhe für Cäsar, der die Anklage vorgebracht hat!« Als Julius zum Rednerpult ging, spürte er, wie ihm der Schweiß aus allen Poren strömte. Wo blieb Catilina? Brutus hatte genug Zeit gehabt, ihn hierher zu den anderen zu bringen ... Jetzt empfand Julius jeden Schritt wie einen langsamen Gang zu seinem eigenen Untergang. Er hatte nichts außer Crassus’ Wort, um die Männer anzugreifen oder seine eigenen Zweifel zu beschwichtigen. Er trat vor die Reihen seiner Kollegen und sah viele feindliche Gesichter unter ihnen. Suetonius saß ihm mit Bibulus fast direkt gegenüber. Die beiden zitterten geradezu vor Aufregung. Cinna war da, dessen Gesicht keine Regung preisgab, während er Julius zunickte. Seit dem Tod seiner Tochter war er nur noch selten im Senat zu sehen. Es konnte keine Freundschaft zwischen ihnen geben, aber Julius schätzte ihn nicht als Feind ein. Wenn er sich bei den anderen Senatsmitgliedern nur ebenso sicher sein könnte. Julius holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und ordnete seine Gedanken. Wenn er sich in dieser Angelegenheit täuschte, war für ihn alles zu Ende. Falls ihn Crassus in diese Position manövriert hatte, um ihn den Wölfen vorzuwerfen, erwartete ihn Schande oder vielleicht sogar die Verbannung. Julius suchte Crassus’ Blick und forschte darin nach einem Anzeichen von Triumph. Der alte Mann berührte leicht seine Brust, und Julius ließ sich nicht anmerken, dass er es gesehen hatte. »Ich klage diese Männer und einen weiteren mit dem Namen Lucius Sergius Catilina des Hochverrats gegen Rom und den Senat an«, begann Julius, und seine Worte hallten durch die absolute Stille. Der Atem schien ihm mit einem Schauder zu entweichen. Es gab kein Zurück mehr. »Ich kann bestätigen, dass sich in den Städten nördlich von Rom eine Armee versammelt hat, acht- bis zehntausend Mann stark. Mit Catilina als Anführer sollte sie auf das Signal von Feuern hin, die auf den Hügeln Roms gelegt werden sollten, angreifen, dazu sollte in der Stadt allgemeine Unruhen angezettelt werden.« Alle Augen richteten sich auf die vier Männer, deren Füße aneinander gekettet waren. Sie standen trotzig zusammen und erwiderten die Blicke voller Wut und Empörung. Einer von ihnen schüttelte bei Julius’ Worten ungläubig den Kopf. Ehe Julius fortfahren konnte, trat ein Bote in der Amtstracht des Senats an ihn heran und übergab ihm eine Wachstafel. Julius überflog sie und zog die Stirn in Falten. »Soeben erhalte ich die Nachricht, dass der Anführer dieser Männer den Leuten entkommen ist, die ich ausgesandt hatte, um ihn zu verhaften. Somit bitte ich um einen Senatsbefehl, die Zehnte Legion nach Norden gegen die Aufrührer zu führen, die sich dort versammelt haben. Ich darf hier keine Zeit mehr verlieren.« Ein Senator erhob sich langsam in den Sitzreihen. »Welche Beweise hast du für uns?« »Mein Wort, und das des Crassus«, erwiderte Julius rasch und unterdrückte seine eigenen Zweifel. »Es liegt in der Natur von Verschwörungen, dass sie kaum Spuren hinterlassen, Senator. Catilina hat bei seiner Flucht neun meiner Legionäre getötet. Mit den vier Männern, die hier vor uns stehen, ist er zu Konsul Crassus gekommen und hat ihm den Tod des Pompeius sowie eine neue Ordnung in Rom angeboten. Alles Weitere muss warten, bis ich die Bedrohung für die Stadt abgewendet habe.« Dann stand Crassus auf. Julius begegnete seinem Blick, immer noch unsicher, ob er ihm trauen konnte. Der Konsul blickte voll Zorn auf die in Ketten gelegten Verschwörer vor ihm hinab. »Ich nenne Catilina einen Verräter.« Crassus’ Worte ließen eine Woge der Erleichterung durch Julius hindurchfluten. Was immer der alte Mann auch vorhatte, zumindest war es nicht er, Julius, der zu Fall gebracht wurde. Crassus warf ihm einen kurzen Blick zu, ehe er fortfuhr, und Julius fragte sich, wie viel von seinen Gedanken er wohl erahnte. »Als Konsul gebe ich der Zehnten Legion die Erlaubnis, Rom zu verlassen und ins Feld zu ziehen. Pompeius?« Pompeius erhob sich und sah zuerst Julius und dann Crassus scharf an. Auch er spürte, dass hinter der Geschichte mehr steckte, als man ihn hier wissen ließ, aber nach einer langen Pause nickte er. »Dann mach dich auf den Weg. Ich verlasse mich darauf, dass die Not so groß ist, wie man mir sagt, Julius. Meine eigene Legion wird die Stadt vor einem Aufstand schützen. Trotzdem wird über diese Männer, die du als Verschwörer bezeichnest, erst dann gerichtet, wenn du zurückgekehrt bist und ich von der Angelegenheit überzeugt bin. Ich werde sie persönlich befragen.« Nach diesem angespannten Wortwechsel brach in den Reihen aufgeregtes Gemurmel aus, und die drei Männer versuchten schweigend, die Möglichkeiten einzuschätzen, die den anderen offen standen. Keiner von ihnen war bereit, nachzugeben. Crassus handelte als Erster und rief nach einem Schreiber, der den Befehl schriftlich festhalten sollte. Dann drückte er ihn Julius in die Hand, als dieser vom Rednerpult heruntertrat. »Tu deine Pflicht, dann wird dir nichts passieren«, flüsterte er. Julius sah ihn einen Augenblick stumm an und eilte dann hinaus aufs Forum. 12 Brutus und seine Extraordinarii an der Spitze der Zehnten legten ein Vielfaches der Strecke zurück, die die Reihen der Fußsoldaten absolvierten, während sie das Gebiet vor und neben der Marschkolonne auskundschafteten. Sie befanden sich gezwungenermaßen im Nordwesten der Stadt, da die Hauptstreitmacht der Legion aus dem Lager in der Nähe der Küste herbeigerufen werden musste und quer durchs Land marschierte, um sich mit der einen Zenturie zu vereinen, die Brutus aus der alten Kaserne der Primigenia mitgebracht hatte. Nachdem sie sich zusammengeschlossen hatten, legte sich die Nervosität, die Brutus befallen hatte, ein wenig und wich der Aufregung, zum ersten Mal eine Legion gegen einen Feind zu führen. Obwohl er einerseits hoffte, Julius hinter ihnen auftauchen zu sehen, wollte er sie andererseits alleine befehligen. Auf seinen Befehl hin schwenkten die Extraordinarii herum, als hätten sie schon seit Jahren zusammen gekämpft. Brutus genoss den Anblick und spürte, wie sich bei dem Gedanken, das Kommando über sie jemand anderem übertragen zu müssen, alles in ihm sträubte. Renius war mit fünf Zenturien an der Küste zurückgeblieben, um die Ausrüstung und das Gold aus Spanien zu bewachen. Das war nötig, aber Brutus vermisste jeden Mann, der ihm deshalb fehlte, während die Stärke des Feindes nicht bekannt war. Als er seinen Blick über die Marschkolonne schweifen ließ, erfüllte ihn Stolz auf die Männer, die für ihn marschierten. Anfangs hatten sie nichts besessen außer einem goldenen Adler und der Erinnerung an Marius, jetzt jedoch waren sie wieder eine Legion, und sie waren sein. Er blickte zum Himmel, um zu sehen, wo die Sonne stand, und erinnerte sich an die Karten, die ihm seine Späher gezeichnet hatten. Catilinas Streitmacht war mehr als einen Tagesmarsch von der Stadt entfernt, und er würde sich entscheiden müssen, ob er ein Marschlager aufschlagen oder seine Männer die Nacht hindurch marschieren ließ. Die Zehnte war zweifellos so ausgeruht, wie sie nur sein konnte, längst erholt von der Seereise, die sie in die Heimat zurückgebracht hatte. Außerdem schoss ihm der auf rührerische Gedanke durch den Kopf, dass Julius sie einholen würde, wenn sie Halt machten, und der Oberbefehl dann wieder auf ihn übergehen würde. Der unebene Boden würde im Dunkeln heimtückisch sein, aber Brutus beschloss, seine Männer weiterzutreiben, bis sie auf den Feind stießen. Die Region Etruria, deren südlichste Spitze Rom bildete, war ein Land der Hügel und Schluchten, nicht leicht zu durchqueren. Die Zehnte war gezwungen, ihre Reihen zu verbreitern, um sich den Weg an alten Felsen und Tälern vorbei zu bahnen, und Brutus sah mit Genugtuung, wie sich die Formationen schnell und diszipliniert veränderten. Octavian galoppierte durch sein Blickfeld und warf seinen Wallach mit demonstrativem Geschick herum, als er auf seine Höhe kam. »Wie weit noch?«, brüllte er über das Scheppern und Trampeln der Reihen hinweg. »Noch dreißig Meilen bis zu dem Dorf, das wir ausgekundschaftet haben«, erwiderte Brutus lächelnd. Er konnte sehen, wie sich seine eigene Erregung in Octavians Gesicht spiegelte. Der Junge hatte noch nie eine Schlacht miterlebt. Für ihn wurde der Marsch nicht durch Gedanken an Tod und Schmerz getrübt. Brutus hätte ungerührt bleiben sollen, aber die Zehnte strahlte in der Sonne, und der Junge, der er einmal gewesen war, freute sich an der Befehlsgewalt. »Nimm dir eine Zenturie und erkunde den Weg hinter uns«, befahl Brutus und ignorierte den enttäuschten Ausdruck, der sich im Gesicht des jüngeren Mannes breit machte. Es war hart für ihn, aber Brutus wollte ihn nicht die erste Attacke reiten lassen, ehe er nicht das wahre Gesicht der Schlacht gesehen hatte. Er beobachtete, wie Octavian Reiter zusammenstellte und in perfekter Formation ans Ende der Kolonne ritt. Brutus nickte befriedigt und genoss die Gelegenheit, wie ein General denken zu können. Er erinnerte sich daran, wie er Julius vor Jahren die Primigenia übergeben hatte, und ein bitteres Gefühl des Bedauerns überfiel ihn, ehe er es unterdrücken konnte. Die Befehlsgewalt, die er innehatte, trug er nur als Stellvertreter, bis Julius zu ihnen stieß, aber die Erinnerung an diesen Marsch würde ihm lange im Gedächtnis bleiben. Einer der Kundschafter kam eilig herangeritten. Das Pferd rutschte auf der lockeren Erde, als der Reiter kräftig an den Zügeln zog. Sein Gesicht war kreidebleich vor Aufregung. »Der Feind ist in Sicht. Er marschiert auf Rom zu.« »Wie viele?«, fuhr Brutus ihn mit wild schlagendem Herzen an. »Zwei Legionen Freischärler, Herr, in offener Aufstellung. Kavallerie konnte ich keine sehen.« Hinter ihnen ertönte ein Ruf, und Brutus drehte sich fast mit einem Gefühl der Furcht in seinem Sattel um. Hinter der Kolonne kamen zwei Reiter auf sie zugaloppiert. Da wusste er, dass Domitius seine Pflicht erfüllt und Julius zur Zehnten gebracht hatte. Heftig biss er die Zähne zusammen und versuchte, den Zorn zu unterdrücken, der ihn durchflutete. Er wandte sich wieder dem Kundschafter zu und zögerte. Sollte er warten, bis Julius kam und das Kommando übernahm? Nein, das würde er nicht tun. Er würde den Befehl geben, und er holte tief Luft. »Gib den Befehl weiter. Vorrücken und angreifen. Die Hornisten sollen zur Manipel-Aufstellung blasen. Die Velites nach ganz vorn, die Extraordinarii an die Flanken. Wir werden diese Dreckskerle gleich beim ersten Angriff in die Flucht schlagen.« Der Kundschafter salutierte, ehe er davongaloppierte, und Brutus fühlte sich leer, als er die Staubwolke sah, die Blut und Kampf versprach. Von hier an würde Julius sie in die Schlacht führen. Als sie die Legion erblickten, die auf sie zukam, gerieten die Marschreihen der Söldner ins Wanken und wurden langsamer. Die Zehnte glitt wie ein großes, silberglänzendes Tier auf sie zu, und der Boden bebte leise im Takt ihrer Schritte. Zahllose Fahnen wehten im Wind, und das Klagen der Cornicen schwebte dünn durch die Luft. 4000 der Männer, die Catilinas Gold angelockt hatte, stammten aus Gallien. Ihr Anführer drehte sich zu dem Römer um und legte ihm eine kräftige Hand auf die Schulter. »Du hast gesagt, die Stadt kann sich nicht verteidigen«, knurrte er. Catilina schüttelte die Hand ab. »Wir sind in der Überzahl und werden sie schlagen, Glavis«, fuhr er ihn an. »Du hast gewusst, dass du dich auf ein blutiges Geschäft einlässt.« Der Gallier nickte und spähte durch den Staub zu den Reihen der Römer hinüber. Er bleckte die Zähne unter dem Bart, zog ein schweres Schwert aus der Scheide, die quer über seinem Rücken hing, und ächzte unter dem Gewicht. Um ihn herum folgten die Männer seinem Beispiel, bis sie mit einem Wald von Klingen über ihren Köpfen den Angriff erwarteten. »Nur diese kleine Legion, und dann noch eine in der Stadt. Die fressen wir mit Haut und Haaren«, versprach Glavis, legte den Kopf in den Nacken und brüllte. Die Gallier um ihn herum antworteten. Die ersten Reihen lösten sich, wurden schneller und rannten über das unebene Gelände. Catilina zog sein eigenes Schwert und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Herz hämmerte vor ungewohnter Furcht, und er fragte sich, ob der Gallier es bemerkt hatte. Verbittert schüttelte er den Kopf und verfluchte Crassus für seine Lügen. Es hätte vielleicht möglich sein können, Rom in der Verwirrung und Panik der Dunkelheit zu erobern, aber eine Legion in offener Feldschlacht besiegen? »Wir sind in der Überzahl«, flüsterte er vor sich hin und schluckte schwer. Vor sich sah er eine wogende Masse von Pferden, die die Fußsoldaten überholte. Die Erde erzitterte unter der Wucht des Angriffs, und mit einem Mal war Catilina überzeugt, dass er sterben würde. In diesem Augenblick schwand alle Angst, und seine Füße wurden beim Laufen immer leichter. Julius übernahm ohne zu zögern das Kommando, kaum dass er auf seinem schweißnassen Pferd Brutus erreicht hatte. Er übergab ihm die Wachstafel, die von den Konsuln unterzeichnet worden war. »Damit sind wir legitimiert. Hast du den Angriffsbefehl bereits gegeben?« »Das habe ich«, erwiderte Brutus. Er versuchte die Kälte, die er spürte, zu verbergen, aber Julius sah ihn gar nicht an, sondern versuchte, das Vorgehen der Rebellenstreitmacht einzuschätzen. »Die Extraordinarii stehen an den Flanken bereit«, sagte Brutus. »Ich würde mich ihnen gerne anschließen.« Julius nickte. »Ich will diese Söldner möglichst schnell aufreiben. Übernimm die rechte Seite und führe sie auf mein Zeichen hin in die Schlacht. Zwei kurze Hornsignale. Hör gut hin.« Brutus salutierte, ritt davon und gab das Kommando ab, ohne sich noch einmal umzudrehen. Seine Extraordinarii hatten sich in Reihen aufgestellt. Sie ließen sein Pferd nach vorne durch, und ein paar fröhliche Stimmen hießen ihn willkommen. Brutus runzelte die Stirn; er hoffte, dass sie nicht zu übermütig waren. Wie bei Octavian war es auch für sie ein gehöriger Unterschied, ob man Übungsschilder in Stücke hieb oder Speere in lebende Menschen rammte. »Bleibt in Reih und Glied«, brüllte er und blickte sie finster an. Jetzt wurden sie ernster, obwohl ihre Aufregung immer noch spürbar war. Die Pferde wieherten und waren unruhig, weil sie losstürmen wollten, aber mit fester Hand im Zaum gehalten wurden. Brutus sah, wie nervös die Männer waren. Viele von ihnen überprüften ihre Speere wieder und wieder und lockerten sie in den langen Lederköchern, die seitlich an den Sätteln befestigt waren. Jetzt konnten sie die Gesichter der Aufständischen erkennen, eine Masse brüllender, rennender Männer, die ihre Schwerter hoch über den Schultern erhoben hielten, bereit zu einem todbringenden Schlag. Die Klingen glänzten in der Sonne. Die Zenturien der Zehnten Legion rückten enger zusammen, jeder Mann wartete mit gezogenem Schwert und schützte mit seinem Schild den linken Nebenmann. In ihren Linien gab es keine Lücken, auch nicht als sie vorrückten. Dann bliesen die Cornicen drei kurze Töne, und die Zehnte setzte sich in Bewegung, wobei die Männer weiterhin schwiegen, bis zum letzten Moment, als sie wie ein Mann losbrüllten und ihre Speere schleuderten. Die schweren Eisenspitzen rissen entlang der gesamten feindlichen Angriffslinie Männer von den Füßen. Gleich darauf ließ Brutus die Extraordinarii werfen, und ihre gezielteren Würfe galten hauptsächlich all jenen Feinden, die versuchten, Ordnung in ihre Reihen zu bringen. Auf diese Weise gab es schon Hunderte von Toten, ehe die Armeen aufeinander trafen, ohne dass es einen Römer das Leben gekostet hätte. Die Extraordinarii kreisten an den Flanken, und Julius sah, wie die Reiter beim Wenden reflexartig ihre Schilde herumrissen, um ihren Rücken zu schützen. Es war eine hervorragende Demonstration ihres Könnens und ihrer Ausbildung, und Julius jubelte innerlich über diesen Anblick, als die vordersten Reihen der beiden Heere aufeinander trafen. Glavis landete seinen ersten mächtigen Hieb auf einem Schild, der entzweibrach. Als er zum nächsten Schlag ausholte, traf ihn ein Schwert in den Magen. Er zuckte in der Erwartung des Schmerzes zusammen und riss seine Klinge wieder hoch. Als er seinen zweiten Hieb anzubringen versuchte, rammte ein anderer Römer ihn mit dem Schild und stieß ihn zur Seite, wobei dem Gallier das Schwert aus den tauben Fingern glitt. Glavis geriet in Panik, als er nach oben blickte und einen Wald von Beinen und Schwertern sah, der über ihn hinwegschritt. Sie traten und stampften auf ihn, und innerhalb weniger Augenblicke hatte sein Körper vier weitere Stichwunden abbekommen. Das Blut strömte aus ihm heraus, und er spuckte benommen aus, als er es in der Kehle schmeckte. Er versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, aber sie hieben weiter auf seinen Körper ein. Niemand hätte den genauen Zeitpunkt seines Todes bestimmen können. Ihm blieb nicht einmal mehr die Zeit, den Angriff seiner Gallier zusammenbrechen zu sehen, die rasch erkannten, dass sie den unbarmherzigen Kampfrhythmus der Zehnten nicht brechen konnten. Als sie Glavis fallen sahen, gerieten die Gallier ins Wanken, und das war der Augenblick, auf den Julius gewartet hatte. Er rief seinem Melder etwas zu, und zwei kurze Hornstöße erklangen. Brutus hörte sie und spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug. Trotz ihrer Überzahl brachen die Söldner unter dem Ansturm der Römer zusammen. Einige von ihnen suchten bereits das Weite und warfen ihre Waffen von sich. Brutus grinste, hob die Faust in die Luft und riss sie in Richtung Feind nach unten. Ihre Speerhalter waren leer; nun mussten sie ihren wahren Wert beweisen. Die Extraordinarii reagierten, als hätten sie schon ihr ganzes Leben lang zusammen gekämpft, schwenkten herum, um sich Platz zu verschaffen, bohrten sich dann wie ein Dolch in die feindlichen Reihen und rissen sie auseinander. Jeder Reiter dirigierte sein Pferd mit einer Hand am Zügel und der anderen am Griff des langen Spatha-Schwerts, mit dem er allen, die sich ihm in den Weg stellten, die Köpfe abschlug. Die Pferde waren schwer genug, um Männer umzureißen, und nichts konnte ihrem Gewicht standhalten, als sie tiefer und tiefer in die Reihen der Aufständischen eindrangen und sie zermalmten. Die erste Reihe der Zehnten schritt schnell über den Feind hinweg, und jeder Mann setzte Schwert und Schild in dem Bewusstsein ein, dass ihn sein Bruder zur Rechten deckte. Sie waren durch nichts aufzuhalten, und nachdem die ersten Reihen gefallen waren, erhöhten sie das Tempo und keuchten und stöhnten vor Anstrengung, als ihnen die Arme schwer wurden. Julius gab die Manipel-Befehle, und die Zenturios brüllten sie hinaus. Die Velites zogen sich leichtfüßig zurück und ließen die Triarii in ihren schwereren Rüstungen nach vorne. Der Widerstand der Aufständischen zerbrach, als sie von den frischen Soldaten angegriffen wurden. Hunderte warfen ihre Waffen weg, weitere Hunderte stoben in wilder Flucht davon, ohne sich um die wütenden Rufe ihrer Anführer zu scheren. Für diejenigen, die sich zu früh ergaben, konnte es keine Gnade geben. Die römischen Linien konnten es sich nicht erlauben, sie beim Vormarsch durch ihre Reihen hindurchzulassen, sie wurden wie alle anderen getötet. Die Extraordinarii brandeten um die Aufständischen herum, eine schwarze Masse von schnaubenden Pferden und brüllenden Reitern, rot vom verspritzten Blut und so wild, als wären sie einem Albtraum entsprungen. Sie schlossen den Feind ein, und wie auf ein Zeichen hin ließen Tausende von Männern ihre Schwerter fallen und hoben keuchend die leeren Hände. Julius zögerte, als er das Ende sah. Wenn er die Cornicen nicht den Befehl zur Einstellung der Kampfhandlungen geben ließ, würde die Zehnte weitermachen, bis auch der Letzte der Aufständischen tot war. Er war versucht, es geschehen zu lassen. Was sollte er mit so vielen Gefangenen anfangen? Tausende waren noch am Leben, und man konnte ihnen nicht gestatten, auf ihre Felder und in ihre Häuser zurückzukehren. Er wartete, während er die Augen der Zenturios auf sich spürte, die ihrerseits auf das Signal warteten, das das Ende des Tötens verkündete. Inzwischen war es ein reines Gemetzel, und diejenigen, die in der Nähe der römischen Reihen standen, wollten schon wieder zu ihren Waffen greifen, ehe sie unbewaffnet starben. Julius fluchte leise vor sich hin und riss die offene Hand nach unten. Die Cornicen sahen die Geste und bliesen einen tiefer werdenden Ton. Dann war es vorbei. Die Überlebenden waren so schnell entwaffnet worden, wie sich die Soldaten der Zehnten unter sie mischen konnten. In kleinen Gruppen durchsuchten sie die Söldner. Ein Römer nahm ihnen die Schwerter ab, während die anderen grimmig und aufmerksam zusahen, bereit, jede plötzliche Bewegung zu bestrafen. Die Offiziere der Söldner waren aus den Reihen hervorgerufen worden und mussten sich vor Julius aufstellen. Sie musterten ihn in stiller Resignation, eine seltsame Gruppe, in grobe Stoffe und wild zusammengewürfelte Rüstungen gekleidet. Die Sonne versank hinter dem Horizont. Ein kalter Wind blies über das Schlachtfeld. Julius betrachtete die Gefangenen, die in Reihen nebeneinander knieten, wobei die Linien immer wieder von Leichen unterbrochen wurden. Catilinas Leichnam war gefunden und nach vorne geschleift worden. Julius hatte auf das vielfach durchbohrte, blutige Etwas hinabgeblickt. Von ihm waren keine Antworten mehr zu erwarten. Obwohl Julius glaubte, die Wahrheit des gescheiterten Aufstands zu kennen, nahm er an, dass Crassus für seine Rolle darin nicht belangt werden würde. Vielleicht war es besser, der Öffentlichkeit gegenüber gewisse Geheimnisse zu wahren. Es konnte nicht schaden, den reichsten Mann Roms in seiner Schuld zu wissen. Er warf einen Blick zu Octavian hinüber, der gerade den Hals seines Pferdes tätschelte und im vergehenden Hochgefühl der Geschwindigkeit und der Angst immer noch glühte. Endlich hatten die Extraordinarii ihre Feuertaufe erlebt. Pferde und Männer waren mit Blut und Erde bespritzt, die bei dem Angriff hochgeschleudert worden war. Brutus stand unter ihnen und sprach leise Worte der Anerkennung, während er darauf wartete, dass Julius den Befehl gab, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Es war kein Befehl, den er gerne gegeben hätte, aber Rom durfte keine Gnade zeigen. Julius gab den Männern der Zehnten ein Zeichen, die Offiziere zu ihm zu bringen. Die Optios schlugen mit ihren Stöcken auf die Söldner ein und stießen einen zu Boden. Dieser schrie wütend auf und hätte sich auf sie gestürzt, wenn ihn nicht ein anderer festgehalten hätte. Julius hörte, wie sie miteinander diskutierten, aber die Sprache war ihm unbekannt. »Habt ihr einen Heerführer?«, fragte er sie schließlich. Die Anführer blickten sich an, und dann trat einer vor. »Für uns Gallier war das Glavis«, sagte er. Er zeigte mit dem Daumen hinter sich auf die Leichenhaufen, die überall verstreut lagen. »Er muss dort irgendwo liegen.« Der Mann erwiderte Julius’ kalten, abschätzenden Blick, ehe er die Augen abwandte. Er blickte voll Trauer über das Schlachtfeld, ehe er wieder Julius ansah. »Du hast unsere Waffen, Römer. Wir sind keine Bedrohung mehr für euch. Lass uns ziehen.« Julius schüttelte langsam den Kopf. »Ihr seid nie eine Bedrohung für uns gewesen«, sagte er und sah das Blitzen in den Augen des Gegners, bevor dieser es verbergen konnte. Er hob die Stimme, damit sie ihn alle hören konnten. »Ihr habt die Wahl, meine Herren. Ihr könnt entweder auf ein Wort von mir sterben ...« Er zögerte. Pompeius würde einen Wutanfall bekommen, wenn er davon hörte. »Oder ihr könnt mir gegenüber den Eid der Legionäre schwören und euch unter mein Kommando begeben.« Das wilde Stimmengewirr, das sich erhob, war nicht nur auf die Söldner beschränkt. Den Soldaten der Zehnten war bei seinen Worten der Mund offen stehen geblieben. »Ihr werdet am ersten Tag eines jeden Monats euren Sold erhalten. Fünfundsiebzig Silbermünzen für jeden Mann, obwohl ein Teil davon einbehalten werden wird.« »Wie viel?«, rief jemand. Julius wandte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. »Genug für Salz, Essen, Waffen, Rüstung und einen Zehnten für die Witwen und Waisen. Zweiundvierzig bleiben jedem Mann, die er nach Belieben ausgeben kann.« Ein Gedanke durchzuckte ihn und ließ ihn zögern. Der Sold für so viele Männer würde sich auf Tausende von Münzen belaufen. Es war unglaublich kostspielig, zwei Legionen zu unterhalten, und sogar das Gold, das er aus Spanien mitgebracht hatte, würde unter diesen Bedingungen rasch dahinschwinden. Wo hatte Catilina das viele Geld hergehabt? Er schob den Verdacht beiseite und fuhr fort: »Ich werde eure Reihen mit meinen Offizieren durchsetzen und euch so ausbilden, dass ihr wie die Männer kämpft, die euch heute wie Kinder haben aussehen lassen. Ihr werdet gute Schwerter und Rüstungen bekommen, und euer Sold wird pünktlich bezahlt werden. Entweder das, oder ihr sterbt auf der Stelle. Geht zurück zu euren Männern und sagt es ihnen. Und warnt sie, falls sie vorhaben, sich davonzumachen, denn dann werde ich jeden einzelnen jagen und hängen. Diejenigen, die sich für das Leben entscheiden, werden nach Rom marschieren, aber nicht als Gefangene. Die Ausbildung wird hart, aber sie besitzen genug Mut, um es zu versuchen. Alles andere kann ihnen beigebracht werden.« »Gibst du uns unsere Waffen wieder?«, fragte einer der Offiziere. »Mach dich nicht lächerlich!«, erwiderte Julius. »Und jetzt bewegt euch! So oder so wird das hier bei Sonnenuntergang erledigt sein.« Die Söldner, die seinem Blick nicht mehr standhalten konnten, gingen davon, zurück zu ihren Brüdern, die im Dreck knieten. Die Legionäre ließen sie passieren und sahen sich verblüfft an. Während sie warteten, trat Brutus neben Julius. »Dem Senat wird das nicht gefallen, Julius. Du hast schon genug Feinde.« »Ich bin im Felde«, erwiderte Julius. »Und ob es ihnen nun gefällt oder nicht, im Feld spreche ich für die Stadt. Hier bin ich Rom, und die Entscheidung liegt bei mir.« »Aber wir hatten den Befehl, sie zu vernichten«, sagte Brutus so leise, dass ihn sonst niemand hören konnte. Julius zuckte die Achseln. »Dazu kann es immer noch kommen, mein Freund, aber du solltest hoffen, dass sie den Eid ablegen.« »Warum sollte ich das hoffen?«, fragte Brutus argwöhnisch. Julius lächelte ihn an und klopfte ihm dann auf die Schulter. »Weil das deine Legion werden soll.« Brutus rührte sich nicht und ließ die Worte auf sich wirken. »Sie haben gegen uns verloren, Julius. Selbst Mars könnte aus diesem Haufen keine Legion machen.« »Es ist dir schon einmal gelungen, mit der Primigenia. Und es wird dir auch mit diesen Männern gelingen. Sag ihnen, sie hätten einen Angriff der besten Legion, die Rom jemals zu bieten hatte, überlebt, unter einem General, der gesegnet ist. Richte sie auf, Brutus, und sie werden dir folgen.« »Sie werden mir gehören, mir allein?«, fragte Brutus. Julius blickte ihm in die Augen. »Wenn du weiter mein Schwert sein wirst, dann schwöre ich dir, dass ich mich nicht einmische, obwohl ich selbstverständlich das Oberkommando habe, wenn wir gemeinsam kämpfen. Ansonsten wird es, wenn du meinen Weg gehst, deine eigene Entscheidung sein – so wie es immer gewesen ist.« Jetzt kamen die Söldneroffiziere einer nach dem anderen zurück. Als sie wieder zusammentrafen, nickten sie sich knapp zu, nun sichtlich entspannt. Noch ehe ihr Sprecher auf ihn zutrat, wusste Julius, dass er sie gewonnen hatte. »Es war keine schwere Entscheidung«, sagte er. »Gibt es keinen, der ... anderer Meinung ist?«, fragte Julius leise. Der Gallier schüttelte den Kopf. »Gut. Dann sollen sie aufstehen. Sobald alle den Eid abgelegt haben, zünden wir Fackeln an und marschieren die Nacht durch nach Rom zurück. Dort warten saubere Unterkünfte und eine warme Mahlzeit auf euch.« Julius wandte sich an Brutus. »Schick die ausgeruhtesten Reiter los, um dem Senat Meldung zu machen. Sie können nicht wissen, ob wir der Feind sind oder nicht, und ich möchte nicht den Aufstand auslösen, den zu verhindern wir ausgezogen sind.« »Wir sind der Feind«, murmelte Brutus. »Jetzt nicht mehr, Brutus. Keiner von ihnen wird einen Schritt tun, ehe er nicht durch den Eid gebunden ist. Danach gehören sie uns, ob sie es nun wissen oder nicht.« Als Julius mit einer ausgesuchten Leibwache aus Extraordinarii auf die Stadt zuritt, sah er, dass man die Tore vor ihnen verschlossen hatte. Das erste graue Licht des Morgens zeigte sich bereits am Horizont, und er spürte die knirschende Müdigkeit in seinen Gelenken. Doch es gab noch viel zu tun, ehe er schlafen konnte. »Macht das Tor auf! «, rief er, während er das Pferd zum Stehen brachte und an der dunklen Masse aus Holz und Eisen hinaufblickte, die ihm den Weg versperrte. Ein Legionär in der Rüstung des Pompeius erschien auf der Mauer und sah zu ihnen herab. Nach einem kurzen Blick auf die kleine berittene Einheit spähte er die Straße entlang, um sicherzustellen, dass dort keine Streitmacht im Hinterhalt lag, um in die Stadt zu stürmen. »Nicht vor Tagesanbruch, Herr«, rief er hinunter, nachdem er Julius’ Rüstung erkannt hatte. »Befehl von Pompeius.« Julius fluchte leise vor sich hin. »Dann wirf mir ein Seil herunter. Ich habe etwas Dringendes mit dem Konsul zu besprechen, das keinen Aufschub duldet.« Der Soldat verschwand, vermutlich um mit seinem Vorgesetzten zu sprechen. Die Extraordinarii warteten unruhig. »Wir haben den Befehl, dich zum Senat zu begleiten, General«, sagte einer von ihnen vorsichtig. Julius drehte sich im Sattel um und blickte den Reiter an. »Wenn Pompeius die Stadt abgeriegelt hat, wird seine Legion überall auf den Straßen zu finden sein. Mir droht kein Gefahr.« »Ja, Herr«, erwiderte der Reiter. Der Gehorsam hielt ihn davon ab, den Befehl in Frage zu stellen. Auf der Mauer erschien ein Offizier in voller Rüstung. Der Federbusch auf seinem Helm wehte leicht im Nachtwind. »Ädile Cäsar? Ich lasse dir ein Seil hinunter, wenn du mir dein Wort gibst, alleine zu kommen. Die Konsuln haben nicht damit gerechnet, dass du so früh zurückkehrst.« »Du hast mein Wort«, erwiderte Julius. Er sah, wie der Mann ein Zeichen gab und schwere Seilschlingen am Fuß des Tores auf den Boden schlugen. Er erblickte auch Bogenschützen, die ihn von den Türmen am Tor aus ins Visier nahmen, und nickte vor sich hin. Pompeius war kein Dummkopf. Nachdem er abgestiegen war und das Seil ergriffen hatte, drehte er sich zu den Extraordinarii um. »Kehrt mit den anderen in die alten Kasernen der Primigenia zurück. Bis zu meiner Rückkehr hat Brutus das Kommando.« Ohne ein weiteres Wort machte er sich daran, die Mauer zu erklettern. 13 Ein leichter Regen setzte ein, als Julius durch die leere Stadt ging. Jetzt, da sich der Morgen bereits am Horizont abzeichnete, hätten die Straßen voller Arbeiter, Dienstboten und Sklaven sein müssen, die mit tausenderlei Aufträgen unterwegs waren. Die Schreie der Markthändler hätten zu hören sein müssen, ebenso der Lärm der verschiedenen Werkstätten. Stattdessen war es überall geisterhaft still. Julius zog die Schultern gegen den Regen hoch und hörte, wie seine Schritte von den Mauern der Häuser zu beiden Seiten widerhallten. Er sah Gesichter in den hohen Fenstern der Mietskasernen, aber niemand rief ihn an. Also eilte er weiter zum Forum. Die Soldaten des Pompeius standen in kleinen Gruppen an allen Ecken, um bei Bedarf sofort die Ausgangssperre durchzusetzen. Einer von ihnen legte die Hand auf den Schwertgriff, als er die einsame Gestalt erblickte. Julius warf den Reitumhang zurück und gab den Blick auf die Rüstung darunter frei. Sie ließen ihn passieren. Die ganze Stadt war nervös, und Julius verspürte wachsenden Zorn über die Rolle, die Crassus dabei gespielt hatte. Er schritt eilig die Alta Semita hinab, die am Quirinal entlang zum Forum führte. Die großen, flachen Trittsteine verhinderten, dass er in den träge dahinfließenden Dreck des Straßenbettes treten musste. Der Regen machte sich daran, die Stadt zu reinigen, aber es bedurfte mehr als eines kurzen Schauers, um diese Aufgabe zu Ende zu führen. Noch nie in seinem Leben hatte er das weite Areal des Forums so leer und verlassen gesehen. Der Wind, den die Häuserreihen vorher abgehalten hatten, traf ihn mit voller Wucht, als er auf den Platz hinaustrat, und ließ den Umhang hinter ihm herflattern. Vor den Tempeleingängen und dem Tor zum Senat waren Soldaten postiert, drinnen jedoch waren keine Lichter zu sehen. Die Tempelpriester hatten flackernde Fackeln für die Betenden angezündet, aber dafür hatte Julius keine Zeit. Als er am Tempel der Minerva vorbeikam, bat er die Göttin leise um die Weisheit, seinen Weg durch das Durcheinander zu finden, das Crassus verursacht hatte. Die eisernen Nägel seiner Sandalen klangen laut auf den Steinplatten des großen Platzes, den er auf dem Weg zum Senat überquerte. Dort standen zwei Legionäre vollkommen regungslos auf ihrem Posten, obwohl Regen und Wind auf ihre ungeschützte Haut trafen. Als Julius seinen Fuß auf die erste Stufe setzte, zückten beide ihre Schwerter. Julius blickte sie finster an. Sie waren beide noch sehr jung. Erfahrene Männer hätten nicht schon bei einem so geringen Anlass blank gezogen. »Auf Befehl von Konsul Pompeius darf niemand eintreten, bis der Senat wieder zusammengerufen wird«, sagte einer zu Julius, erfüllt von der Wichtigkeit seiner Pflicht. »Ich muss noch vor dieser Sitzung mit den Konsuln sprechen«, erwiderte Julius. »Wo sind sie?« Die beiden Soldaten wechselten einen kurzen Blick und überlegten angestrengt, ob sie diese Information weitergeben durften. Julius, der inzwischen bis auf die Haut durchnässt war, wurde allmählich ungeduldig. »Mir wurde aufgetragen, mich zu melden, sobald ich nach Rom zurückgekehrt bin. Hier bin ich. Wo finde ich euren Befehlshaber?« »Im Gefängnis, Herr«, antwortete der Soldat. Er wollte noch mehr sagen, überlegte es sich aber anders, nahm wieder die ursprüngliche Haltung ein und steckte das Schwert weg. Nun standen die beiden wieder wie Statuen im Regen. Mittlerweile hingen schwarze Wolken über der Stadt, und der immer stärker werdende Wind heulte über das menschenleere Forum. Julius widerstand dem Bedürfnis, sich rasch irgendwo unterzustellen und schritt hinüber zum Gefängnis, das an das Senatsgebäude angrenzte. Es war ein kleines Gebäude, in dem sich lediglich zwei unterirdische Zellen befanden, wo die zum Tode Verurteilten in der Nacht vor ihrer Hinrichtung untergebracht wurden. Andere Gefängnisse gab es nicht in der Stadt: Hinrichtungen und Verbannungen machten ihren Bau überflüssig. Die Tatsache, dass Pompeius dort zu finden war, ließ Julius ahnen, was ihn dort erwartete, und er bereitete sich darauf vor, nicht mit der Wimper zu zucken. Zwei weitere Soldaten des Pompeius bewachten die äußere Tür. Als sich Julius näherte, nickten sie ihm zu, als hätten sie ihn erwartet und öffneten den Riegel. Da Julius’ Rüstung die Insignien der Zehnten trug, wurde er nicht aufgehalten, bis er die Treppe erreichte, die hinunter zu den Zellen führte. Drei Männer machten ihm Platz, nachdem er seinen Namen genannt hatte, ein vierter folgte ihm die Stufen hinunter. Julius wartete geduldig, während unten irgendwo sein Name genannt wurde und Pompeius’ grollende Stimme antwortete. Die Männer, die ihn beobachteten, erstarrten, woraufhin er sich so entspannt wie möglich an die Wand lehnte, sich das Wasser von der Rüstung wischte und es aus seinem Haar drückte. Damit gelang es ihm, sich unter ihren stummen Blicken zu lockern, und als Pompeius mit dem Soldaten die Treppe heraufkam, konnte er ihn mit einem Lächeln begrüßen. »Das ist Cäsar«, sagte Pompeius mit hartem Blick und ohne das Lächeln zu erwidern. Nach der Bestätigung durch ihren Feldherrn nahmen die Männer im Raum die Hände von den Schwertgriffen, gingen auseinander und gaben den Weg zur Treppe frei. »Ist die Stadt noch in Gefahr?«, fragte Pompeius. »Es ist vorbei«, antwortete Julius. »Catilina hat die Schlacht nicht überlebt.« Pompeius fluchte leise. »Das ist bedauerlich. Komm mit mir hinunter, Cäsar. Du solltest auch daran teilhaben«, sagte er. Während er sprach, wischte er sich den Schweiß vom Haaransatz, und Julius sah eine Blutschliere auf seinem Handrücken. Er folgte Pompeius die Treppe hinunter, während sein Herz in banger Vorahnung wild hämmerte. Auch Crassus hielt sich in den Zellen auf. Alles Blut schien aus seinem Gesicht gewichen zu sein, so dass er im Schein der Lampen wie eine Wachsfigur aussah. Als Julius den niedrigen Raum betrat, blickte er auf. In seinen Augen lag ein böses Glitzern. Ein Übelkeit erregender Geruch hing in der Luft, und Julius versuchte die Gestalten, die in der Mitte des Raumes an Stühle gefesselt waren, nicht anzusehen. Es waren vier Männer, und der Geruch von frischem Blut war ihm wohl bekannt. »Was ist mit Catilina? Hast du ihn mitgebracht?«, fragte Crassus und legte Julius die Hand auf den Arm. »Er wurde beim ersten Angriff getötet, Konsul«, erwiderte Julius und beobachtete die Augen des anderen dabei. Genau wie erwartet, sah er die Angst aus ihnen weichen. Catilinas Geheimnisse waren zusammen mit ihm gestorben. Pompeius knurrte und deutete auf die Folterknechte, die neben den geschundenen Körpern der Verschwörer standen. »Wie schade. Diese Kreaturen haben ihn als ihren Anführer genannt, aber sie kennen keine der Einzelheiten, die ich so gerne wissen wollte. Sie hätten sie uns inzwischen bestimmt verraten.« Julius sah die Männer an und unterdrückte ein Schaudern angesichts dessen, was man ihnen angetan hatte. Pompeius war sehr gründlich vorgegangen, und auch er bezweifelte, dass die Männer irgendetwas verheimlicht hätten. Drei von ihnen lagen wie tot regungslos da, nur der Letzte riss den Kopf mit einer plötzlichen Bewegung hoch. Ein Auge war ihm ausgestochen worden, Flüssigkeit rann ihm in einem glänzenden Bach die Wange herunter, aber das andere spähte ziellos umher und leuchtete auf, als es Julius erkannte. »Du! Ich klage dich an!«, spuckte er aus und kicherte leise, wobei ihm Blut über das Kinn lief. Julius musste gegen die aufsteigende Übelkeit ankämpfen, die ihn befiel, als er die weißen Splitter auf dem Steinfußboden liegen sah. An einigen hingen noch die Wurzeln. »Er hat den Verstand verloren«, sagte er leise, und zu seiner Erleichterung nickte Pompeius. »Ja, obwohl er am längsten durchgehalten hat. Sie werden noch lange genug leben, um hingerichtet zu werden, und damit ist der Fall erledigt. Ich bin euch beiden zu Dank verpflichtet, weil ihr den Senat rechtzeitig gewarnt habt. Das war eine edle Tat und eures Ranges würdig.« Pompeius sah den Mann an, der sich in zwei Monaten als Konsul zur Wahl stellen würde. »Sobald die Ausgangssperre aufgehoben ist, werden die Menschen jubeln, weil man sie vor einem blutigen Aufstand bewahrt hat. Sie werden dich wählen, meinst du nicht? Wie könnte es anders sein?« Seine Augen straften seinen leichten Tonfall Lügen, und Julius sah ihn nicht an, als er den Blick des anderen spürte. Er schämte sich für die ganze Angelegenheit. »Gut möglich«, sagte Crassus leise. »Wir drei müssen uns gemeinsam für Rom einsetzen. Ein Triumvirat bringt gewiss seine eigenen Probleme mit sich. Vielleicht sollten wir ...« »Ein anderes Mal, Crassus«, fuhr ihn Pompeius an. »Nicht hier, mit dem Gestank dieses unsäglichen Ortes in der Lunge. Vor der Senatssitzung bei Sonnenaufgang möchte ich noch das Badehaus aufsuchen.« »Der Tag ist bereits angebrochen«, sagte Julius. Pompeius fluchte leise und wischte sich mit einem Lappen die Finger ab. »Hier unten ist es immer Nacht. Mit denen da bin ich fertig.« Er befahl den Folterknechten, die Männer zu waschen und herzurichten, ehe er sich wieder Crassus zuwandte. Julius sah, wie dunkle Schwämme in Eimer getaucht und die gröbsten Blutspuren abgespült wurden. Die schmutzige Brühe lief in einer Steinrinne zwischen seinen Füßen hindurch ab. »Ich lasse die Hinrichtung für die Mittagsstunde ansetzen«, versprach Pompeius und führte sie die Treppen hinauf in die kühlen Räume, die über ihnen lagen. Als Julius und Crassus auf das Forum hinaustraten, hatte das graue Licht inzwischen eine rötliche Färbung angenommen. Der Regen prasselte auf die Steine und ließ auf dem leeren Platz Tausende winziger Fontänen aufsteigen. Obwohl Julius seinen Namen rief, ging Crassus hastig durch den strömenden Regen davon. Zweifellos würden ein Bad und frische Kleidung etwas von seiner kränklichen Blässe vertreiben, dachte Julius. Er beeilte sich, den Konsul einzuholen. »Als ich die Aufständischen vernichtet habe, die sich in deinem Namen versammelt hatten, kam mir ein Gedanke«, sagte Julius. Seine Stimme hallte über den Platz. Der Konsul blieb auf der Stelle stehen und blickte sich um. Es war niemand in der Nähe. »In meinem Namen, Julius? Catilina hat sie angeführt. Haben seine Anhänger nicht deine Soldaten auf der Straße umgebracht?« »Das mag sein, aber das Haus, das du mir gezeigt hast, war eher bescheiden, Crassus. Woher sollte Catilina genug Gold haben, um zehntausend Mann zu bezahlen? Nur sehr wenige Männer in dieser Stadt könnten eine solche Armee aufstellen. Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn ich seine Bücher untersuchen lassen würde. Würde ich dort einen Verräter mit einem gewaltigen, geheim gehaltenen Vermögen finden, oder sollte ich eher nach jemand anderem suchen, nach einem Zahlmeister?« Crassus konnte nichts von den verbrannten Papieren wissen, die er in Catilinas Haus vorgefunden hatte. Der Funke der Besorgnis, den er jetzt in Crassus’ Augen sah, genügte ihm völlig, um seinen Verdacht zu bestätigen. »Ich denke, eine so große Streitmacht an Söldnern, in Verbindung mit Aufruhr und Feuern in der Stadt, hätte durchaus ausgereicht, wenn die Stadt lediglich unter dem Schutz der Legion des Pompeius gestanden hätte. Das Angebot, das sie dir gemacht haben, hatte Hand und Fuß, Crassus, das ist dir doch klar? Die Stadt hätte dir gehören können. Ich bin überrascht, dass du nicht in Versuchung gekommen bist. Du hättest auf einem Berg von Leichen gestanden, und Rom wäre vielleicht sogar reif für eine Diktatur gewesen.« Als Crassus etwas erwidern wollte, änderte sich Julius’ Gesichtsausdruck, sein spöttischer Tonfall wurde mit einem Mal ernst. »Aber dann ist ohne Vorwarnung eine zweite Legion in Rom eingetroffen, und auf einmal ...? Es muss eine ziemlich brenzlige Lage für dich gewesen sein. Die Truppen stehen bereit, die Verschwörung ist vorbereitet, aber plötzlich wird Rom von zehntausend Mann bewacht, der Sieg ist nicht mehr gewiss. Ein Spieler wäre das Risiko vielleicht eingegangen, aber du nicht. Du bist ein Mann, der weiß, wann ein Spiel aus ist. Ich frage mich, wann genau du beschlossen hast, lieber Catilina zu verraten, als den Plan durchzuführen? War es, als du auf mein Anwesen gekommen bist und meinen Wahlkampf mit mir geplant hast?« Crassus legte eine Hand auf Julius’ Schulter. »Wie ich bereits sagte, bin ich ein Freund deines Hauses, Julius, deshalb will ich nichts auf deine Worte geben, und das zu deinem eigenen Besten.« Er hielt einen Augenblick inne. »Die Verschwörer sind tot, Rom ist in Sicherheit. Das ist ein ausgezeichnetes Ergebnis. Lass es dabei bewenden. Du solltest dir keine weiteren Sorgen machen. Lass es gut sein.« Crassus zog den Kopf ein, stapfte im Regen davon und ließ Julius stehen, der ihm unverwandt nachstarrte. 14 Kalte, graue Wolken hingen tief über der riesigen Menschenmenge, die auf dem Campus Martius wartete. Der Boden unter den Füßen war aufgeweicht, aber Tausende hatten ihre Häuser und Arbeitsstellen verlassen, um auf dem großen Feld Zeuge der Hinrichtungen zu werden. Pompeius’ Soldaten warteten in makellosen, schimmernden Reihen und ließen sich nichts von der Schwerarbeit anmerken, die der Bau der Plattform für die Gefangenen oder der Reihen von hölzernen Bänken für den Senat erfordert hatte. Sogar der Boden war mit trockenen Binsen bedeckt worden, die unter den Füßen knisterten. Kinder wurden von ihren Eltern hochgehalten, damit sie einen Blick auf die vier Männer werfen konnten, die jämmerlich auf der hölzernen Plattform warteten. In der Menge wurde leise gemurmelt, jeder spürte etwas von dem Ernst des Augenblicks. Als die Mittagsstunde näher rückte, hatte der Senat seine Beratungen in der Curia unterbrochen und war geschlossen zum Campus hinausgezogen. Soldaten der Zehnten hatten Pompeius’ Männern dabei geholfen, Rom abzuriegeln, die Tore mit wächsernen Siegeln zu verschließen und die Fahne auf dem Janiculum zu hissen. Während der Abwesenheit des Senats und bis zu seiner Rückkehr galt für die Stadt der Belagerungszustand. Viele Senatoren blickten zu der Fahne hinüber, die in einiger Entfernung im Westen flatterte. So lange sie wehte, war die Stadt in Sicherheit; sollte sie zur Warnung vor einem heranrückenden Feind eingeholt werden, würde man sogar die Hinrichtung der Verräter unterbrechen. Julius hatte den feuchten Stoff seines besten Umhangs fest um sich geschlungen. Selbst mit der Tunika und der schweren Toga darunter zitterte er beim Anblick der unglücklichen Männer, die sein Eingreifen an diesen Ort des Todes gebracht hatte. Die Gefangenen waren dem schneidenden Wind schutzlos ausgeliefert. Nur zwei von ihnen konnten stehen, krümmten sich vor Schmerzen vornüber und pressten die zusammengeketteten Hände in stillem Jammer auf die Wunden der Nacht. In der unmittelbaren Nähe des Todes sogen sie gierig die kalte Luft ein, füllten ihre Lungen und ignorierten die beißende Kälte auf ihrer ungeschützten Haut. Der Größere der beiden hatte langes, dunkles Haar, das ihm ins Gesicht wehte. Seine Augen waren geschwollen, aber Julius konnte ein Blitzen darin erkennen, das von dem zerschlagenen Fleisch fast verborgen wurde, das fiebrige Leuchten eines eingesperrten Tieres. Der Mann, der im Gefängnis wirr auf Julius eingeredet hatte, schluchzte vor sich hin, den Kopf mit einem Tuch umwickelt. Ein runder Blutfleck auf dem Stoff markierte die Stelle, an der sich sein Auge befunden hatte. Die Erinnerung an die Szene im Verlies jagte Julius einen Schauer über den Rücken, und er wickelte den Umhang fester um sich, wobei das kalte Metall einer von Alexandrias Spangen seinen Hals berührte. Er sah hinüber zu Pompeius und Crassus, die auf den über den Morast gestreuten Binsen standen. Die beiden Konsuln unterhielten sich leise, und die Menge wartete mit erwartungsfroh leuchtenden Augen auf sie. Endlich trennten sich die beiden Männer. Pompeius begegnete dem Blick eines Magistraten aus der Stadt; die inzwischen aufgeregt plaudernde Menge geriet in Bewegung, als der Mann die Plattform bestieg und sich an sie wandte. »Diese vier Männer sind des Verrats an der Stadt für schuldig befunden worden. Auf Befehl der Konsuln Crassus und Pompeius und auf Befehl des Senats werden sie hingerichtet. Ihre Leichname werden zerteilt und den Vögeln vorgeworfen. Ihre Köpfe werden auf den vier Toren aufgespießt, als Warnung für alle, die Rom bedrohen. Das ist der Wille unserer Konsuln, die für Rom sprechen.« Der Henker war Schlachter von Beruf, ein kräftig gebauter Mann mit kurz geschnittenem, grauen Haar. Er trug eine Toga aus grober, brauner Wolle, ein breiter Gürtel hielt den üppigen Leib in der Mitte zusammen. Die Silbermünzen, die er für seine Arbeit erhalten würde, zählten nichts im Vergleich zu der Befriedigung, die er daraus schöpfte. Julius sah zu, wie er theatralisch sein Messer begutachtete und ein letztes Mal mit einem Stein darüber hinwegging. Es war eine grausame Klinge, ein schmales Hackmesser, so lang wie sein Unterarm, mit einem stabilen, hölzernen Griff. Der Messerrücken war fast fingerbreit. Ein Kind lachte nervös und wurde von seinen Eltern zum Schweigen gebracht. Der langhaarige Gefangene begann mit glasigen Augen laut zu beten. Vielleicht war es das, oder einfach nur seine Art, sich in Szene zu setzen, aber der Schlachter kam zuerst zu ihm und legte ihm das Messer an den Hals. Der Mann zuckte zusammen, seine Stimme wurde schriller. Er atmete zischend und in kurzen Stößen. Seine Hände zitterten, und die blasse Haut wurde weiß wie Wachs. Fasziniert beobachtete die Menge, wie der Schlachter ihn an den Haaren packte und den Kopf langsam zur Seite bog, seinem Publikum den Hals deutlich zur Schau stellte. Die Stimme des Mannes war jetzt nur noch ein tiefes Brummen. »Nein, nein ... nein«, murmelte er, während die Menge sich bemühte, seine letzen Worte zu verstehen. Es gab keine Fanfare oder sonstige Warnung. Der Schlachter packte die Haare fester und begann langsam in das Fleisch zu schneiden. Blut spritzte und durchnässte sie beide. Der Verurteilte hob die Hände, um schwach nach der Klinge zu greifen, die sich in seinen Hals fraß, sich mit grausiger Präzision hin- und herbewegte. Er stieß einen leisen Laut aus, einen hässlichen Schrei, der nur einen Augenblick dauerte. Seine Beine gaben nach, aber der Schlachter war kräftig und hielt ihn hoch, bis das Messer auf Knochen stieß. Dann zog er es heraus, und mit zwei kurzen Schlägen hatte er die Wirbelsäule durchtrennt. Der Kopf löste sich, und der Körper fiel zu Boden. Die Wangenmuskeln zitterten immer noch, die Augen blieben wie in einer Parodie des Lebens offen. In der Menge schlug man vor schaurigem Vergnügen die Hände vor den Mund, als der Leichnam von der Plattform schlaff auf die darunter liegenden Binsen glitt. Alles stand auf Zehenspitzen und drängelte nach vorne, um den Kopf besser sehen zu können, den der Schlachter für sie hochhielt, während das Blut an seinem Arm hinunterlief und die Toga fast schwarz färbte. Der Kiefer klappte bei der Bewegung herunter und gab den Blick auf Zähne und Zunge frei. Einer der anderen Gefangenen übergab sich und schrie dann laut auf. Wie auf ein Signal hin fingen auch die beiden anderen an zu jammern und zu flehen. Das Klagegeheul riss auch das Publikum aus seiner lähmenden Starre, und es machte sich mit Johlen und wildem Gelächter Luft. Der Schlachter stopfte den Kopf in einen Stoffsack, drehte sich langsam um und griff nach dem Mann, der ihm am nächsten lag. Er packte ihn mit grobem Griff am Ohr und zog die schreiende Gestalt auf die Füße. Julius wandte den Blick ab, bis alles vorbei war. Dabei sah er, wie Crassus den Kopf zur Seite drehte, aber er ignorierte seinen Blick. Die Menge jubelte, wenn die Köpfe für sie hochgehalten wurden, und Julius beobachtete sie verwundert. Er fragte sich, ob die Veranstaltungen, die Crassus bezahlte, sie nur halb so sehr fesselten wie die Unterhaltung des heutigen Tages. Das hier war sein Volk, diese Menschen, die sich hier auf dem nassen Campus Martius versammelt hatten. Die nominellen Herren der Stadt, satt vom mitempfundenen Schrecken und durch ihn geläutert. Als es zu Ende war, sah er, wie sich die Gesichter entspannten, als ob eine schwere Last von ihnen genommen worden wäre. Ehepaare lachten erleichtert, und er wusste, dass an diesem Tag in der Stadt nicht mehr viel gearbeitet werden würde. Sie würden durch die großen Tore zurückkehren und die Weinstuben und Gasthäuser aufsuchen, um über das Gesehene zu diskutieren. Für die Dauer einiger weniger Stunden hatten ihre eigenen Probleme ihre Bedeutung verloren. Der Abend würde über die Stadt hereinbrechen, ohne dass das übliche Geschiebe und Gedränge auf den Straßen herrschte. Sie würden gut schlafen und erholt aufwachen. Die Reihen von Pompeius’ Männern machten Platz, um die Senatsmitglieder passieren zu lassen. Julius erhob sich gemeinsam mit den anderen und ging mit ihnen zurück zum Tor. Dort wurden die Siegel erbrochen, und ein Streifen Licht erschien zwischen ihnen. Julius musste heute noch zwei Fälle für das Gericht auf dem Forum vorbereiten, außerdem sollte sein Schwertturnier in wenigen Tagen stattfinden, aber wie die Menge der Bürger spürte er einen seltsamen Frieden, wenn er an die Arbeit dachte, die vor ihm lag. An einem solchen Tag konnte man sich nicht allzu sehr mühen, die feuchte Luft schmeckte sauber und frisch. An diesem Abend stand Julius an der langen Tafel im Wahlkampfhaus auf und klopfte auf den Tisch. Es wurde so schnell still, wie es der hervorragende Rotwein gestattete. Während er wartete, blickte er sich um und betrachtete diejenigen, die sich mit ihm in das Rennen um den Konsulposten geworfen hatten. Jeder hier am Tisch war mit seiner öffentlichen Unterstützung für ihn ein großes Risiko eingegangen. Wenn er verlor, würden sie alle auf die eine oder andere Art darunter leiden müssen. Alexandrias Kunden würden auf ein einziges Wort des Pompeius hin fernbleiben, ihr Geschäft wäre ruiniert. Falls man Julius gestattete, einen Posten an einem weit entfernten Ort des Reiches zu bekleiden, würden die, die mit ihm gingen, ihre Laufbahn aufgeben, vergessene Männer, die von Glück reden durften, wenn sie die Stadt vor ihrer Pensionierung noch einmal wiedersahen. Als langsam Ruhe einkehrte, blickte Julius zu Octavian hinüber, dem Einzigen am Tisch, mit dem er durch Blutsbande verbunden war. Es schmerzte ihn zu sehen, wie bedingungslos ihn der junge Mann verehrte, wenn er dabei an die grauen Jahre dachte, die auf Niederlage und Verbannung folgen würden. Ob Octavian dann mit Bitterkeit auf diesen Wahlkampf zurückblicken würde? »Wir sind sehr weit gekommen«, sagte er zu ihnen. »Einige von euch sind fast von Anfang an bei mir gewesen. Ich kann mich schon gar nicht mehr an eine Zeit ohne Renius oder ohne Cabera erinnern. Mein Vater wäre sehr stolz darauf, seinen Sohn im Kreise solcher Freunden zu sehen.« »Was meinst du, ob er mich auch noch erwähnt?«, sagte Brutus zu Alexandria. Julius lächelte sanft. Er hatte einen einfachen Trinkspruch auf die ausbringen wollen, die an dem Schwertturnier teilnahmen, aber die Hinrichtungen vom Vormittag waren ihm den ganzen Tag über nicht aus dem Kopf gegangen und hatten einen grauen Schleier über seine Stimmung gelegt. »Ich wünschte, andere säßen mit an diesem Tisch«, sagte Julius. »Marius zum Beispiel. Wenn ich zurückblicke, verlieren sich die guten Erinnerungen im trüben Rest. Aber ich habe große Männer gekannt.« Julius spürte, wie ihm bei diesen Worten das Herz in der Brust hämmerte. »Mein Leben ist nie einem geraden Weg gefolgt. Ich stand an Marius’ Seite, als wir durch Rom fuhren und Münzen in die Menge warfen. Die Luft war voller Blütenblätter und Jubel, und ich hörte den Sklaven, dessen Aufgabe es war, ihm ins Ohr zu flüstern: ›Bedenke, du bist sterblich.‹« Julius seufzte, als er sich an die Farben und die Begeisterung jenes Tages erinnerte. »Ich stand so kurz vor dem Tod, dass mich Cabera schon aufgegeben hatte. Ich habe Freunde verloren, und ich habe die Hoffnung verloren, und ich habe Könige fallen sehen, und wie sich Cato auf dem Forum selbst die Kehle durchgeschnitten hat. Ich war so vom Tod durchdrungen, dass ich dachte, ich könnte nie wieder lachen oder etwas für jemanden empfinden.« Sie starrten ihn über die Teller auf dem Tisch hinweg an, aber sein Blick war irgendwo in die Ferne gerichtet; er nahm die Wirkung seiner Worte nicht einmal wahr. »Ich habe Tubruk sterben sehen, ich habe Cornelias Leichnam gesehen, so weiß, dass sie nur noch unwirklich aussah, bis ich sie berührte.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern, und Brutus blickte zu seiner Mutter hinüber. Sie war blass geworden und hielt eine Hand vor den Mund, während Julius sprach. »Ich sage euch, was ich gesehen habe, wünsche ich niemandem«, murmelte Julius. Er schien wieder zu ihnen zurückzukehren und der Kälte im Raum gewahr zu werden. »Aber ich bin immer noch hier. Ich ehre die Toten, aber ich werde meine Zeit nutzen. Rom hat erst den Anfang meines Kampfes erlebt. Ich habe die Verzweiflung kennen gelernt und fürchte mich nicht mehr vor ihr. Das hier ist meine Stadt, mein Sommer. Ich habe ihr meine Jugend geschenkt, und ich würde ihr diese Jahre erneut schenken, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte.« Er hob seinen Becher vor der sprachlosen Tischgesellschaft. »Wenn ich euch ansehe, kann ich mir keine Macht auf Erden vorstellen, die uns aufhalten könnte«, sagte er. »Trinkt auf die Freundschaft und die Liebe, denn alles andere ist bloßer Tand.« Sie standen langsam auf, hoben die Becher und tranken den blutroten Wein. 15 Der Anblick 20000 römischer Bürger, die sich von ihren Sitzreihen erhoben hatten, würde ihm noch lange in Erinnerung bleiben, dachte Julius, als er den Blick über sie wandern ließ. An allen Tagen des Schwertturniers waren sämtliche Plätze besetzt gewesen, und die Tonmarken, die den Zuschauern Eintritt zum Sechzehntel- finale gewährten, wechselten immer noch jeden Morgen für ständig steigende Summen den Besitzer. Zu Anfang war Julius überrascht gewesen, an allen vier Eingangstoren zum Zirkus Männer zu sehen, die der Menge lauthals anboten, ihnen die Marken abzukaufen. Nach den ersten Runden gingen nur noch wenige auf die Offerte ein. Die Loge der Konsuln befand sich im kühlen Schatten eines Baldachins aus hellem Leinen, der zwischen schlanken Säulen gespannt worden war. Von dort aus hatte man den besten Blick auf den Ring, und keiner der Männer, die Julius eingeladen hatte, hatte das Angebot abgelehnt. Alle Kandidaten waren mitsamt ihren Familien gekommen, und Julius hatte mit Vergnügen beobachtet, wie schwer es Suetonius und seinem Vater gefallen war, seine großzügige Einladung anzunehmen. Die Hitze hatte den ganzen Vormittag über zugenommen, und bis zum Mittag würde der Sand so heiß sein, dass er auf der nackten Haut brannte. Viele in der Menge hatten Wasser und Wein mitgebracht, trotzdem glaubte Julius, mit den Getränken und Speisen, die seine Klienten für ihn verkauften, einen anständigen Ertrag erzielen zu können. Ein Mietkissen für den ganzen Tag kostete nur wenige Kupfermünzen, und die Vorräte waren schnell vergriffen. Pompeius hatte die Einladung wohlwollend angenommen, und als er und Crassus ihre Plätze eingenommen hatten, war die Menge respektvoll aufgestanden, bis die Hörner die ersten Kämpfe ankündigten. Auch Renius war da, und Julius hatte Läufer in seiner Nähe postiert, falls es Ärger in der Kaserne geben sollte. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, dem alten Gladiator einen Platz zu verweigern. Da aber Brutus, ebenso wie Octavian und Domitius, immer noch unter den letzten 32 Kämpfern war, hoffte er, die neuen Rekruten und ehemaligen Söldner würden keine Probleme machen. Dies eingedenk, hatte er dem größten Teil der Zehnten den Besuch der Kämpfe verwehren müssen, obwohl er die Wachen im Stadion dreimal am Tag wechseln ließ, damit möglichst viele etwas davon miterleben konnten. In Ausübung seiner neuen Autorität hatte Brutus auch zehn der vielversprechendsten neuen Männer als Wachen eingeteilt. Julius hielt das für verfrüht, aber er hatte seinen Willen nicht durchgesetzt, weil er andererseits wusste, wie wichtig es war, dass sie sahen, wie sich ihr General auszeichnete. Obwohl sich die Männer in ihren Legionärsuniformen augenscheinlich unbehaglich fühlten, schienen sie fügsam zu sein. Beim Wetten ging es wie immer hoch her. Sein Volk liebte es zu wetten, und Julius zweifelte nicht daran, dass Vermögen gewonnen und verloren werden würden, ehe die letzten Kämpfe beendet waren. Selbst Crassus hatte auf Julius’ Wort hin eine Handvoll Silber auf Brutus gesetzt. Soweit Julius wusste, hatte Brutus alles, was er besaß, auf seinen eigenen Sieg im Finale gesetzt. Falls er gewann, war er, was die Versorgung seiner Truppe betraf, weniger abhängig von Julius und den Gläubigern. Sein Freund hatte die Runde der letzten 32 ohne Probleme erreicht, aber der Standard war hoch, und ein wenig Pech konnte auch die besten Chancen zunichte machen. Unterhalb der Loge der Konsuln traten die letzten Kämpfer aus den Unterkünften hinaus auf den brennenden Sand. Ihre silbernen Rüstungen strahlten beinahe weiß in der Sonne, und dem Publikum stockte bei ihrem Anblick der Atem, ehe sie ihren Favoriten zujubelten. Alexandria hatte sich mit dem Glanz des Metalls, das sie trugen, selbst übertroffen. Julius war überzeugt, dass die hohe Qualität der Finalisten zum Teil an dem Versprechen lag, nach dem Ende der Kämpfe die Rüstung behalten zu dürfen. Rein vom Gewicht her konnte sich jeder Mann einen kleinen Hof davon leisten, wenn er sie verkaufte, und wenn sich der Ruhm des Turniers verbreitete, konnte sie sogar noch mehr einbringen. Julius versuchte, nicht daran zu denken, wie viel die Rüstungen ihn gekostet hatten. Ganz Rom hatte über seine Großzügigkeit gesprochen, und im Sonnenschein sahen sie wirklich herrlich aus. Einige der Kämpfer hatten blaue Flecken aus den ersten Runden. Es war in diesen ersten Tagen sehr zivilisiert zugegangen. Nur vier Männer waren umgekommen, und auch sie nur durch unglückliche Treffer in der Hitze des Gefechts. Das erste Blut beendete jeden Kampf, sonst gab es keine Begrenzung, außer der Erschöpfung. Der längste Kampf vor der Finalrunde hatte fast eine Stunde gedauert, und am Ende hatten beide Männer kaum noch stehen können, als das Duell durch einen ungeschickten Treffer an der Rückseite eines Oberschenkels entschieden wurde. Das Publikum hatte den Verlierer ebenso laut gefeiert wie den Mann, der in die nächste Runde eingezogen war. Die ersten Runden waren ein wildes Durcheinander von Geschick und Stärke gewesen, bei dem mehr als hundert Paare gleichzeitig in der Arena gekämpft hatten. In gewisser Weise war der Anblick so vieler blitzender Schwerter ebenso aufregend wie die Einzelkämpfe der letzten 32, auch wenn die echten Kenner diese bevorzugten, weil sie sich dort auf Stil und wahres Können konzentrieren konnten. Die Vielfalt war unglaublich, und Julius hatte sich schon eine Reihe von Männern notiert, die er für die neue Legion in der Kaserne rekrutieren wollte. Bis jetzt hatte er schon drei gute Schwertkämpfer verpflichtet. Es war unumgänglich gewesen, diejenigen zu nehmen, die im römischen Stil kämpften, aber es hatte ihn geschmerzt, andere übergehen zu müssen. Der Ruf nach Kämpfern war weit über die Gegenden hinausgedrungen, die seine Boten aufgesucht hatten, und so waren Männer aus allen römischen Ländern und von noch weiter her gekommen. Afrikaner mischten sich unter mahagonifarbene Ägypter und Inder. Einer von ihnen, ein Mann namens Sung, hatte die schmalen Augen jener Volksstämme, die so weit im Osten lebten, dass sie fast schon der Welt der Märchen und Sagen entsprungen zu sein schienen. Julius hatte Wachen für ihn abstellen müssen, um die Leute auf den Straßen davon abzuhalten, ihn ständig anzufassen. Nur die Götter wussten, was er hier, so fern von seiner Heimat, zu suchen hatte, aber Sung führte das lange Schwert, das er bei sich trug, mit einer solchen Geschicklichkeit, dass er die letzten Runden nach den kürzesten Kämpfen von allen erreicht hatte. Julius beobachtete ihn, wie er die Konsuln grüßte, und beschloss, dem Mann, wenn er das Viertelfinale erreichte, ein Angebot zu machen, ob er nun im römischen Stil kämpfte oder nicht. In dieser späten Phase wurden dem Publikum die Namen der Männer in der Arena verkündet, und jeder trat einzeln vor, um sich von den Massen Roms bejubeln zu lassen. Brutus und Octavian standen neben Domitius. Ihre Rüstungen glänzten in der Sonne. Julius lächelte, als er die Freude in ihren Gesichtern sah. Ganz egal, wer das Siegerschwert gewann, keiner von ihnen würde dieses Erlebnis jemals vergessen. Die drei Römer hoben die Schwerter, um zuerst das Publikum und dann die Konsuln zu grüßen. Die Menge brüllte, eine Mauer aus Lärm, die überraschend und fast schon schmerzhaft war. Der Tag hatte begonnen. Der Ringmeister trat an die Messingtrichter, die seine Stimme verstärkten, und rief die Namen der ersten Kämpfer auf. Domitius sollte gegen einen Mann aus dem Norden antreten, der mit der Erlaubnis seines Legionskommandeurs nach Hause gereist war, um an dem Turnier teilzunehmen. Der Kämpfer war ein großer Mann mit kräftigen Unterarmen und schmaler, geschmeidiger Taille. Während die anderen die Arena verließen, betrachtete er Domitius argwöhnisch und sah ihm bei seinen Dehnübungen zu. Selbst aus der Ferne konnte Julius nicht das geringste Anzeichen von Nervosität auf Domitius’ Gesicht ausmachen. Er fühlte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann, während die Spannung wuchs, und die anderen in der Loge spürten es auch. Pompeius stand auf und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Soll ich auf deinen Mann wetten, Julius? Wird er das Achtelfinale erreichen?« Julius drehte sich um und sah das Glitzern in den Augen des Konsuls. Pompeius’ Stirn glänzte vor Schweiß, seine Augen leuchteten erwartungsvoll. Julius nickte. »Domitius ist der zweitbeste Schwertkämpfer, den ich je gesehen habe. Rufe die Wettsklaven, wir sollten ein Vermögen auf ihn setzen«, sagte er. Sie grinsten wie kleine Jungen, und es fiel ihm schwer, daran zu denken, dass dieser Mann nicht sein Freund war. Der Sklave kam, um ihre Wetten anzunehmen. Pompeius verdrehte ärgerlich die Augen, als er sah, wie Crassus drei Silbermünzen abzählte, um sie dem Burschen zu geben. »Nur ein Mal, Crassus. Nur ein einziges Mal möchte ich sehen, dass du genug wettest, dass es dir wehtun könnte. Kleingeld macht doch keinen Spaß. Es muss ein bisschen schmerzen.« Crassus legte die Stirn in Falten und blickte zu Julius hinüber. Seine Wangen röteten sich, als er seine Münzen wegsteckte. »Nun gut. Junge, gib mir deine Wetttafel.« Der Junge zog ein viereckiges Holzstück hervor, das mit einer dünnen Wachsschicht überzogen war. Crassus drückte seinen Ring hinein und schrieb seinen Namen und Ziffern daneben, ohne sie den anderen zu zeigen. Als er die Tafel zurückgeben wollte, griff Pompeius danach und riss sie an sich. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Der Sklave wartete geduldig. »Alle Achtung, Crassus, das ist wirklich ein Vermögen. Ich habe dich noch nie ein ganzes Goldstück auf einmal setzen gesehen.« Crassus schnaubte verächtlich und wandte seinen Blick den beiden Kämpfern zu, die sich auf ihre Positionen begaben und das Hornsignal erwarteten. »Ich will hundert auf deinen Mann setzen, Julius. Hältst du mit?«, fragte Pompeius. »Tausend für mich. Ich kenne meinen Mann«, erwiderte Julius. Pompeius’ Gesicht erstarrte bei der Herausforderung. »Dann will ich es dir gleichtun, Julius.« Beide Männer schrieben die Summen und ihren Namen auf die Wachstafel. Renius räusperte sich. »Für mich fünf Goldstücke auf Domitius «, knurrte er. Als Einziger von ihnen konnte er die Münzen tatsächlich vorweisen und hielt sie linkisch in der Hand, bis der Sklave sie ihm abnahm. Der alte Gladiator blickte ihnen nach, bis ihr Glanz in einem Stoffbeutel verschwand, dann lehnte er sich schwitzend zurück. Suetonius hatte selbst einen Wetteinsatz abgeben wollen, aber nachdem er das gesehen hatte, ging er zu seinem Vater, um sich Geld zu borgen. Sie setzten zehn Goldstücke, und als die Wachstafel noch einmal die Runde machte, riskierte auch Bibulus ein wenig Silber aus seinem Geldbeutel. Der Sklave eilte zurück zu seinem Herrn, und Julius erhob sich, um den Cornicen das Zeichen zu geben. Die Menge verstummte, als sie ihn aufstehen sahen, und er fragte sich, wie viele von ihnen sich bei den Wahlen an seinen Namen erinnern würden. Einen Augenblick lang genoss er die Stille, dann ließ er die Hand fallen. Das laute Klagen der Hörner schallte durch die Arena. Domitius hatte sich, wenn er nicht selbst antreten musste, so viele der Kämpfe angesehen wie möglich. Er hatte sich Notizen über diejenigen gemacht, mit denen er in den späteren Runden rechnete, und von den letzten 32 war nur die Hälfte wirklich gefährlich. Der Mann aus dem Norden, der ihm gegenüberstand, war gut genug, um es bis hier geschafft zu haben, geriet aber schnell in Panik, wenn er bedrängt wurde, und Domitius hatte vor, ihn vom ersten Augenblick an zu bedrängen. Er spürte den Blick seines Gegners auf sich, als er Rücken und Beine dehnte, und versuchte, so friedlich und gelassen wie möglich auszusehen. Er hatte schon oft genug an Turnieren teilgenommen, um zu wissen, dass viele Kämpfe nicht mit dem Schwert, sondern in den Augenblicken davor gewonnen wurden. Sein alter Ausbilder hatte die Angewohnheit gehabt, mit gespreizten, flach auf dem Boden ausgestreckten Beinen vollkommen unbeweglich auf der Erde vor seinen Gegnern zu sitzen. Während diese herumhüpften und -sprangen, um ihre Muskeln zu lockern, blieb er ruhig wie ein Fels, und nichts machte sie nervöser als das. Wenn er sich dann endlich geschmeidig wie Rauch erhob, hatte er den Kampf schon halb gewonnen. Domitius hatte diese Lektion verstanden, und er ließ sich bei seinen Bewegungen nichts von seiner Müdigkeit anmerken. In Wahrheit war sein rechtes Knie steif und schmerzte von einem Stoß, den er in einem vorhergehenden Kampf abbekommen hatte, aber er verzog keine Miene, während er langsam und fließend seine Übungen machte, deren Eleganz eine hypnotisierende Wirkung ausstrahlte. Er spürte, wie eine große Ruhe über ihn kam, und sprach ein stummes Gebet für seinen alten Lehrer. Domitius hielt sein Schwert mit der Spitze nach unten vom Körper weg, stellte sich auf seine Markierung und blieb regungslos stehen. Sein Gegner rollte nervös die Schultern und warf den Kopf hin und her. Als sich ihre Blicke trafen, funkelte ihn der Mann aus dem Norden wütend an und versuchte, nicht als Erster wegzuschauen. Domitius stand da wie eine Statue, die hervortretenden Muskeln an seinen Schultern glänzten vor Schweiß. Die silbernen Panzer schützten zwar den Oberkörper der Kämpfer, aber Domitius konnte einem vorbeilaufenden Mann eine Haarsträhne abrasieren. Er fühlte sich stark. Die Hörner rissen ihn aus seiner Ruhe, und er stürzte vor, ehe der andere den Klang richtig registriert hatte. Die Beinarbeit des Mannes aus dem Norden hatte ihn in die Finalrunde gebracht. Ehe ihn eine Klinge erwischen konnte, war er ihr schon ausgewichen. Domitius konnte seinen Atem hören und konzentrierte sich darauf, während der andere zum Gegenangriff ansetzte. Der Nordmann setzte seinen Atem ein, um die Kraft des Schlages zu verstärken, und stöhnte bei jedem Hieb. Domitius ließ ihn seinen Rhythmus finden und wich seinem Angriff einige Schritte nach hinten aus, wobei er auf weitere Schwächen achtete. Beim letzten Schritt spürte Domitius einen stechenden Schmerz, als er das rechte Bein belastete, als hätte ihm jemand eine Nadel in die Kniescheibe gestoßen. Das Bein gab nach und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Augenblicklich geriet er unter Druck, denn sein Gegner spürte diese Schwäche sofort. Domitius versuchte, sie zu vergessen, aber er wagte es nicht mehr, sich auf sein Bein zu verlassen. Mit schleppenden Schritten griff er abermals an, bis der Schweiß, der an ihnen herunterrann, wild durcheinander spritzte. Der Mann aus dem Norden wich zurück, aber Domitius ließ nicht nach und unterbrach den Rhythmus der Hiebe, als sich ihre Klingen ineinander verhakten, mit einem kurzen Faustschlag. Sein Gegner torkelte rückwärts. Sie wichen auseinander und fingen an, einander zu umkreisen. Domitius lauschte auf seinen Atem und warte auf das kurze Luftholen, das vor jeder Attacke kam. Er wagte nicht, zu seinem Knie hinabzusehen, aber bei jedem Schritt durchfuhr ihn ein neuerlicher Schmerz. Der Nordmann versuchte, ihn mit einer raschen Schlagfolge zu ermüden, aber Domitius wehrte sie ab, lauschte auf den Atem des Gegners und wartete auf den richtigen Augenblick. Die Sonne stand hoch über den Männern, und der Schweiß brannte ihnen in den Augen. Der Gegner holte Luft, und Domitius machte einen Ausfall. Noch vor der Berührung wusste er, dass der Stoß perfekt war. Er riss dem anderen die Kopfhaut auf. Ein kleines Stück des Ohrs fiel zu Boden, Blut schoss hervor. Der Mann aus dem Norden schlug wild um sich, während Domitius zurückzuweichen versuchte. Da gab sein Knie wieder nach, und ein höllischer Schmerz schoss ihm bis in die Leiste. Der andere zögerte, und seine Augen wurden klarer, als er den wachsenden Schmerz der Wunde spürte. Das Blut rann an seinem Schädel herab. Domitius beobachtete ihn genau und versuchte, nicht auf den Schmerz in seinem Knie zu achten. Der Mann aus dem Norden berührte das warme Nass an seinem Hals und starrte auf seine blutigen Finger. Wütende Enttäuschung zeigte sich auf seinem Gesicht, und er nickte Domitius zu, ehe sie beide wieder auf ihre Ausgangspositionen zurückkehrten. »Du solltest dein Knie verbinden, mein Freund. Die anderen haben es bestimmt bemerkt«, sagte der Mann aus dem Norden leise und deutete auf die anderen Finalisten, die aus dem Schatten der Sonnensegel über ihrem abgesteckten Bereich zusahen. Domitius zuckte die Achseln. Er versuchte, das Gelenk zu belasten und fuhr zusammen, wobei er einen Aufschrei unterdrückte. Der Nordmann, der verstanden hatte, schüttelte den Kopf, als sie das Publikum und die Konsuln grüßten. Domitius versuchte, sich die plötzliche Angst, die ihn ergriffen hatte, nicht anmerken zu lassen. Das Gelenk fühlte sich merkwürdig an, und er betete, dass es nur eine Verstauchung oder eine Verrenkung war, die sich wieder einrenken ließ. Die Alternative war unerträglich für einen Mann, der in seinem Leben nichts außer seinem Schwert und der Zehnten besaß. Während die beiden über den glühenden Sand zurückgingen, biss Domitius vor Schmerz die Zähne zusammen und gab sich krampfhaft Mühe, nicht zu humpeln. Ein weiteres Paar in silberner Rüstung trat zum nächsten Kampf in die Sonne hinaus, und Domitius spürte ihr Selbstvertrauen, als sie ihn ansahen und lächelten. Julius sah seinen Freund im Schatten verschwinden und verzog mitfühlend das Gesicht. »Entschuldigt mich, meine Herren, ich möchte rasch nach unten gehen und nachsehen, ob die Wunden auch gut versorgt werden.« Pompeius schlug ihm zur Antwort auf den Rücken, da er vom vielen Brüllen zu heiser zum Antworten war. Crassus rief nach kühlen Getränken für alle, und die Stimmung war ansteckend heiter, während sie es sich für den nächsten Kampf auf ihren Sitzen bequem machten. Man würde ihnen Essen zu ihren Plätzen bringen, und sämtliche Anwesenden waren dem Rausch von Blut und Geschicklichkeit verfallen. Suetonius führte seinem Vater eine Finte vor, und der ältere Mann lächelte ihm, von der allgemeinen Aufregung angesteckt, wohlwollend zu. Renius erhob sich, als Julius seinen Sitz am Rande der Loge erreichte. Ohne ein Wort schloss er sich ihm an, und schweigend traten sie aus der Hitze in die Kühle der Passage unter den Tribünen. Dort unten trat man in eine völlig andere Welt ein. Hier klang das Geschrei gedämpft und irgendwie weit entfernt. Das Sonnenlicht drang durch die Ritzen zwischen den dicken Brettern und fiel als gefleckte Streifen auf den Boden, die sich veränderten, sobald sich die Menschen über ihnen bewegten. Der Boden war die weiche Erde des Campus Martius, ohne die Deckschicht Sand, die man von der Küste herbeigeschafft hatte. »Kann er weiterkämpfen?«, fragte Julius. Renius zuckte die Achseln. » Cabera wird ihm helfen. Der Alte hat Macht.« Julius antwortete nicht. Er erinnerte sich daran, wie Cabera Tubruk mit seinen Händen berührt hatte, als er nach dem Angriff auf das Landgut, bei dem Cornelia getötet worden war, von zahllosen Schwertern durchbohrt dalag. Cabera weigerte sich, über seine Heilkünste zu reden, aber Julius fiel ein, dass er einmal gesagt hatte, es wäre eine Frage der Pfade. Wenn ein Pfad zu Ende war, gab es nichts, was er noch tun konnte, aber für manche, wie Renius, hatte er noch etwas Zeit gewinnen können. Julius betrachtete den alten Gladiator aus den Augenwinkeln. Im Lauf der Jahre hatte das Alter den kurzen Energieschub der Jugend wieder verdrängt. Sein Gesicht wies nun wieder die tiefen, bitteren Furchen eines alten Mannes auf, und Julius wusste immer noch nicht, warum er damals vor dem Tod gerettet worden war. Cabera glaubte, dass die Götter sie alle mit eifersüchtiger Liebe beobachteten, und Julius beneidete ihn um seine Überzeugung. Wenn er betete, war es, als würde er in einen leeren Raum schreien, ohne Antwort, bis er verzweifelte. Über ihnen sprang das Publikum von den Sitzen, um einen Hieb zu bejubeln, und das Licht auf dem staubigen Boden veränderte sich. Julius trat zwischen den letzten beiden Holzsäulen hindurch auf die offene Fläche dahinter hinaus, und die aufgestaute Hitze ließ seinen Atem stocken. Er blickte hinaus auf den Sand und musste des gleißenden Lichts wegen die Augen zusammenkneifen, um die beiden Kämpfer auszumachen, die aufeinander losgingen, als wollten sie miteinander tanzen. Ihre Schwerter warfen das Licht in hellen Blitzen zurück, und die Menge blieb auf den Beinen und stampfte rhythmisch mit den Füßen. Julius blinzelte, als ihm von oben Staub auf die Haut rieselte. Er blickte hinauf zu den schweren Bolzen, die die Tribünen zusammenhielten, legte die Hand darauf und spürte, wie das Holz bebte. Er hoffte nur, dass die Konstruktion hielt. Cabera wickelte gerade ein dünnes Tuch um Domitius’ Knie. Brutus und Octavian kauerten neben den beiden. Der Kampf in der Arena interessierte sie nicht mehr. Sie blickten auf, als Julius zu ihnen trat, und Domitius hob die Hand und lächelte schwach. »Ich spüre genau, wie mich die anderen alle beobachten. Aasgeier, alle miteinander«, sagte er und atmete pfeifend ein, als Cabera das Tuch enger zog. »Ist es schlimm?«, fragte Julius. Domitius antwortete nicht, aber die Angst in seinen Augen ließ sie alle schaudern. »Ich weiß es nicht«, knurrte Cabera auf ihr drängendes Schweigen. »Die Kniescheibe ist gebrochen, ich verstehe überhaupt nicht, wie sie ihn so lange halten konnte. Eigentlich hätte er überhaupt nicht mehr in der Lage sein sollen zu laufen, und vielleicht ist auch das Gelenk ... wer weiß? Ich werde mein Bestes tun.« »Er braucht es, Cabera«, sagte Julius leise. Der alte Heiler schnaubte verächtlich. »Was spielt es denn für eine Rolle, ob er noch einmal da draußen kämpft. Es ist doch nicht ...« »Nein, nicht deswegen. Er ist einer von uns. Er hat einen Pfad, dem er folgen muss«, sagte Julius eindringlicher. Wenn es sein musste, würde er den alten Mann anflehen. Cabera erstarrte und setzte sich auf die Fersen. »Du weißt nicht, was du da von mir verlangst, mein Freund. Die Gabe, die ich besitze, ist nicht dafür da, jeden Kratzer oder gebrochenen Knochen zu heilen.« Er blickte zu Julius auf und schien vor Müdigkeit in sich zusammenzusinken. »Soll ich sie wegen einer Laune verlieren? Der Trancezustand ist ... eine Höllenqual, die ich dir nicht einmal annähernd beschreiben kann. Und jedes Mal weiß ich nicht, ob ich den Schmerz umsonst erleide, oder ob es Götter gibt, die meine Hände führen.« Alle schwiegen, nur Julius sah ihm weiter in die Augen, um ihn mit reiner Willenskraft dazu zu bewegen, es trotzdem zu versuchen. Einer der letzten 32 Kämpfer räusperte sich, als er näher trat, und Julius drehte sich zu dem Mann um. Er erkannte ihn als einen derjenigen, die er sich wegen ihrer Geschicklichkeit gemerkt hatte. Sein Gesicht hatte die Farbe von altem Teakholz, und als Einziger trug er nicht die Rüstung, die man ihm gegeben hatte, sondern bevorzugte die Freiheit eines einfachen Gewandes. »Mein Name ist Salomin«, sagte er und machte eine Pause, als müssten sie seinen Namen kennen. Als sie nicht reagierten, zuckte er die Achseln. »Du hast gut gekämpft«, sagte er zu Domitius. »Kannst du weitermachen?« Domitius zwang sich zu einem Lächeln. »Ich muss mich ein wenig ausruhen, dann sehen wir weiter.« »Du musst kalte Tücher gegen die Schwellung darauf legen, mein Freund. So kalt, wie du sie bei dieser Hitze kriegen kannst. Ich hoffe, du bist bereit, wenn wir aufgerufen werden. Ich würde nicht gern gegen einen verletzten Mann kämpfen.« »Ich schon«, erwiderte Domitius. Salomin sah verwirrt aus, als Brutus auflachte, und fragte sich, was für ein Witz hier wohl gemacht wurde. Er verbeugte sich vor ihnen und ging davon. Domitius betrachtete sein Knie, das ausgestreckt vor ihm lag. »Ich bin erledigt, wenn ich nicht mehr marschieren kann«, sagte er beinahe flüsternd. Cabera massierte mit den Fingern Flüssigkeit vom Gelenk weg. Seine Züge waren wie versteinert. Das Schweigen zog sich in die Länge, und ein Schweißtropfen rann dem alten Mann vom Haaransatz bis zur Nasenspitze, wo er zitternd und unbeachtet hängen blieb. Keiner von ihnen hörte, als Brutus zum ersten Mal aufgerufen wurde. Der Mann, der gegen ihn kämpfen sollte, schritt an ihnen vorbei hinaus in die Sonne, ohne sich noch einmal umzudrehen, aber Salomin trat zu ihnen und riss den Römer mit einem freundschaftlichen Stoß aus seiner Konzentration. »Du bist dran«, sagte Salomin, dessen große Augen sogar im Vergleich zu seiner Haut dunkel waren. »Ich beeile mich«, antwortete Brutus, zog sein Schwert und folgte seinem Gegner hinaus. Salomin schüttelte verblüfft den Kopf und hielt die Hand über die Augen, als er an den Rand des Schattens trat, um sich den Kampf anzusehen. Julius spürte, dass Cabera nicht in Trance verfallen würde, während er ihn anstarrte, und nutzte die Gelegenheit, um ihn mit Domitius allein zu lassen. »Lass ihnen etwas Platz, Octavian«, sagte er und gab Renius ein Zeichen, ihm zu folgen. Octavian verstand den Wink und verschwand mit besorgtem Gesicht. Auch er schützte seine Augen mit der Hand gegen die Sonne und blickte zu Brutus hinaus, der ungeduldig auf das Zeichen der Hörner wartete. Unter der Tribüne hörte Julius das laute Klagen der Cornicen und eilte weiter. Ehe er und Renius auch nur ein paar Schritte weit gekommen waren, verstummte der Jubel des Publikums jäh, und ein gespenstisches Schweigen breitete sich aus. Julius rannte los und erreichte keuchend die Konsulloge. Auch dort waren alle vor Überraschung erstarrt. Brutus marschierte schon wieder zum Bereich der Kämpfer zurück und ließ eine im Sand ausgestreckte Gestalt zurück. »Was ist passiert?«, verlangte Julius zu wissen. Pompeius schüttelte erstaunt den Kopf. »Es ging so schnell, Julius. So etwas habe ich noch nie gesehen.« Von allen schien einzig Crassus ungerührt. »Dein Mann ist einfach ganz ruhig stehen geblieben und zwei Hieben ausgewichen, ohne die Füße zu bewegen, und dann hat er seinen Gegner niedergeschlagen und ihm ins Bein geschnitten. Hat er überhaupt gewonnen? Das schien mir kein gerechter Schlagabtausch zu sein.« Pompeius, der an die große Summe dachte, die er auf Brutus gesetzt hatte, antwortete schnell. »Brutus hat ihm das erste Blut fließen lassen. Das zählt, auch wenn der Mann ohnmächtig war.« Das Schweigen der Menge löste sich, als sich die Leute überall die gleiche Frage stellten. Viele Gesichter blickten Rat suchend zur Loge der Konsuln, und Julius schickte einen Läufer zu den Cornicen, um den Sieg zu bestätigen. Diejenigen, die gegen den jungen Römer gewettet hatten, murrten, aber die Mehrheit des Publikums schien mit der Entscheidung zufrieden zu sein. Julius sah, wie sie lachend den Schlag nachahmten. Zwei Soldaten der Zehnten weckten den gefallenen Kämpfer mit einem Klaps auf die Wange und halfen ihm aus der Arena. Als er sein Bewusstsein wiedererlangte, wehrte er sich gegen ihren Griff und protestierte wütend gegen das Ergebnis. Die Soldaten blieben davon vollkommen ungerührt und führten ihn in den Schatten der Sonnensegel und aus dem Blickfeld der Loge. Der Nachmittag verging mit den restlichen Kämpfen des Sechzehntelfinales. Octavian besiegte seinen Gegner mit einem Treffer am Oberschenkel, als dieser einem Hieb nach außen auswich. Die Menge litt unter der Sonne, wollte jedoch keinen Augenblick verpassen. Die sechzehn Sieger traten am Ende noch einmal in voller Rüstung in die Arena und ließen sich vom Publikum bejubeln. Die nächste Runde sollte bei Sonnenuntergang im Fackellicht beginnen, um die Zahl der Teilnehmer vor dem Finaltag weiter zu verringern, ehe die Sieger die Gelegenheit erhielten, sich über Nacht zu erholen. Münzen regneten vor ihren Füßen in den Sand, als sie ihre Schwerter hoben, und Blumen, die man seit dem Morgen aufgehoben hatte, flogen als Farbtupfer herab. Julius sah genau hin, als Domitius aufgerufen wurde, und sein Herz machte einen Sprung, als dieser sich genauso geschmeidig und sicher bewegte wie immer. Es waren keine Worte nötig, aber er sah, wie Renius’ Fingerknöchel am Geländer weiß wurden, während sie in die Arena hinausblickten und ebenso laut jubelten wie alle anderen. 16 Am letzten Tag des Turniers gesellte sich Servilia in der Loge zu ihnen. Sie trug ein weit geschnittenes Kleid aus weißer Seide, das am Hals offen stand. Julius amüsierte sich über die anderen Männer, die von dem tiefen Dekolleté völlig fasziniert zu sein schienen, das sich ihnen offenbarte, als Servilia aufstand, um den Männern der Zehnten zuzujubeln, die es bis unter die letzten sechzehn geschafft hatten. Octavian bekam im letzten Kampf des Achtelfinales einen Schnitt auf der Wange ab. Er verlor gegen Salomin, der gemeinsam mit Domitius, Brutus und fünf anderen, die Julius bis auf seine Notizen nicht kannte, siegreich in die Runde der letzten acht einzog. Wenn Unbekannte im Ring standen, diktierte Julius Adàn Briefe in schneller Abfolge und verstummte nur, wenn ein Kampf kurz vor der Entscheidung stand und der junge Spanier seinen Blick nicht von den Männern in der Arena losreißen konnte. Adàn war von dem Schauspiel wie gebannt und staunte über die gewaltige Zahl der anwesenden Menschen. Die ständig steigenden Summen, die Julius und Pompeius setzten, ließen ihn in stiller Verwunderung den Kopf schütteln, auch wenn er sich Mühe gab, nach außen hin ebenso gelassen zu wirken wie die anderen Zuschauer in der Loge. Die erste Runde des Tages war lang und heiß gewesen, und das Tempo der Kämpfe hatte stetig abgenommen. Jeder, der jetzt noch im Ring stand, war ein Meister seines Fachs. Schnelle Siege gab es nicht mehr. Auch die Stimmung im Publikum hatte sich verändert. Inzwischen wurde fast nur noch über Technik und Stil diskutiert, während man den Kämpfen zusah und die besseren Schläge bejubelte. Salomin geriet schwer unter Druck, als er sich bemühte, unter die letzten vier zu kommen, die am Abend den Höhepunkt bestreiten sollten. Trotz seiner Arbeitsbelastung unterbrach Julius das Diktat, nachdem Adàn bereits zum zweiten Mal den Faden verloren hatte. Die Entscheidung, ohne die silberne Rüstung zu kämpfen, hob Salomin von allen anderen Kämpfern ab; schon jetzt war er ein Liebling der Menge. Sein Stil bezeugte die Weisheit seiner Entscheidung. Der kleine Mann kämpfte wie ein Akrobat und stand niemals still. Er bewegte sich, immer wieder unerwartete Hiebe austeilend, so elegant hin und her, dass seine Gegner im Vergleich unbeholfen wirkten. Aber der Mann, mit dem er um den Einzug ins Halbfinale kämpfte, war kein Anfänger, der sich zu Dummheiten hinreißen ließ. Renius nickte zustimmend, als er dessen Beinarbeit sah, die gut genug war, um dem rastlosen Salomin keine Lücke in der Verteidigung zu bieten. »Salomin muss bald müde sein«, meinte Crassus. Niemand antwortete, weil alle gebannt das Schauspiel verfolgten. Salomins Schwert war ein gutes Stück länger als die Gladii, die die anderen benutzten, was ihm beim Ausfall eine Furcht einflößende Reichweite verlieh. Diese zusätzliche Länge der Klinge entschied schließlich den Kampf, nachdem die Sonne in der Nachmittagshitze schon einen halben Spann am Himmel weitergezogen war. Beiden Männern rann der Schweiß in Strömen herab, und Salomin verschätzte sich bei einem geraden Stoß, den er mit einer Körpertäuschung getarnt hatte. Der andere Mann sah das Schwert gar nicht, als es in seine Kehle drang. Er brach zusammen und verströmte sein Blut in den Sand. Da sie in unmittelbarer Nähe saßen, konnte Julius sehen, dass Salomin keinen tödlichen Streich hatte führen wollen. Der kleine Mann beugte sich entsetzt und mit zitternden Händen über seinen gefallenen Gegner. Dann kniete er neben dem Leichnam nieder und senkte den Kopf. Die Menge erhob sich, um ihm zuzujubeln, aber der Lärm schien erst nach einer Weile bis zu ihm durchzudringen. Salomin sah die grölenden Bürgern wütend an. Ohne sein Schwert wie üblich zum Gruß zu heben, wischte er seine Klinge mit Finger und Daumen sauber und stapfte in die schattige Einfriedung zurück. »Das ist eindeutig keiner von uns«, fällte Pompeius amüsiert sein Urteil. Er hatte wieder eine große Wette gewonnen, und nichts konnte ihm seine gute Laune verderben, auch wenn ein paar Leute aus der Menge abfällig zu brüllen begannen, als sie merkten, dass es keine Ehrenbezeugung für die Konsuln geben würde. Der Leichnam wurde weggeschleift und der nächste Kampf rasch aufgerufen, ehe die Unruhe in der Menge noch weiter um sich greifen konnte. »Aber er hat sich einen Platz unter den letzten vier gesichert«, sagte Julius. Domitius hatte sich mühsam durch das Viertelfinale gekämpft, aber auch er würde sich in einem der letzten beiden Paare des Wettbewerbs wiederfinden. Jetzt war nur noch ein Platz im Halbfinale zu erringen, und Brutus würde darum kämpfen. Mittlerweile hatte das Publikum sie alle schon seit Tagen beobachtet, und ganz Rom verfolgte den Verlauf der Kämpfe, indem Läufer denen, die keine Plätze bekommen hatten, die Neuigkeiten überbrachten. Weniger als einen Monat vor der Wahl wurde Julius behandelt, als hätte er bereits einen Sitz als Konsul errungen. Pompeius war ihm gegenüber inzwischen deutlich freundlicher geworden. Julius hatte Treffen mit beiden Männern, bei denen sie mit ihm über die Zukunft reden wollten, strikt abgelehnt. Er wollte das Schicksal nicht herausfordern, ehe sein Volk nicht gewählt hatte, aber in ruhigen Augenblicken träumte er schon davon, als einer der Führer Roms vor dem Senat Reden zu halten. Bibulus hatte sich erst am letzten Tag gemeldet, und Julius fragte sich, aus welchem Grund er wohl im Rennen um das Konsulsamt blieb. Viele der ursprünglichen Kandidaten hatten sich zurückgezogen, als der Wahltermin näher rückte, nachdem sie ihren Kollegen gegenüber vorübergehend an Ansehen gewonnen hatten. Bibulus jedoch schien seine Kandidatur nicht zurückziehen zu wollen. Trotz seiner offensichtlichen Hartnäckigkeit war er ein schlechter Redner, und der Versuch, einen wegen Diebstahls angeklagten Mann zu verteidigen, hatte als lächerliches Debakel geendet. Trotzdem zogen seine Klienten mit seinem Namen auf den Lippen durch die Stadt, und Roms Jugend schien ihn als Maskottchen adoptiert zu haben. Es war durchaus möglich, dass der alte Geldadel Roms Julius einen der ihren vorzog, deshalb durfte man Bibulus keineswegs außer Acht lassen. Während Julius darauf wartete, dass Brutus zum Kampf aufgerufen wurde, machte er sich Sorgen wegen der Kosten seines Wahlkampfes. Mehr als 1000 Männer holten sich jeden Morgen in dem Haus am Fuße des Esquilin ihren Lohn ab. Julius war sich nicht sicher, was sie wirklich bei einer geheimen Wahl erreichen konnten, aber er hatte Servilias Argument nachvollziehen können, dass seine Parteigänger auf den Straßen zu sehen sein mussten. Es war ein gefährliches Spiel, denn bei einer zu großen Anhängerschaft blieben womöglich viele Römer in dem Glauben, ihr Kandidat könne ohnehin nicht verlieren, am Wahltag zu Hause. Dass die Freien Roms in Zenturien abstimmten, war ein Fehler im System. Wenn nur einige wenige aus der benannten Gruppe anwesend waren, konnten sie die Stimmen für alle abgeben. Bibulus konnte von solch einem unangebrachten Vertrauen profitieren, oder auch Senator Prandus, der ebenso viele Männer zu bezahlen schien wie Julius. Trotzdem, seine Rolle bei dem glorreichen Sieg über Catilina sprach sich allmählich herum, und sogar seine Gegner mussten eingestehen, dass das Schwertturnier ein Erfolg war. Außerdem hatte Julius mit Wetten auf seine Männer genug gewonnen, um einen Teil seiner Wahlkampfschulden zurückzahlen zu können. Adàn führte genau Buch, und mit jedem Tag nahm das spanische Gold ab und zwang ihn, Kredite aufzunehmen. Manchmal bereiteten ihm die Schulden Kopfzerbrechen, aber sobald er Konsul war, würde das alles keine Rolle mehr spielen. »Mein Sohn!«, sagte Servilia plötzlich, als Brutus zusammen mit Aulus, einem schlanken Kämpfer von den Hängen des Vesuvs im Süden, die Arena betrat. Beide Männer waren in ihren silbernen Rüstungen prachtvoll anzusehen, und Julius lächelte Brutus zu, der zur Konsulloge hinaufgrüßte und seiner Mutter zuzwinkerte, ehe er sich umdrehte und sein Schwert für das Publikum emporriss. Die Leute antworteten mit zustimmendem Gebrüll, und die beiden Männer gingen leichten Schrittes zu ihren Markierungen in der Mitte. Renius schnaubte leise vor sich hin, aber Julius sah ihm die Anspannung an, als er sich nach vorne beugte, damit ihm auch ja nichts entging. Julius hoffte, dass Brutus eine Niederlage genauso gut verkraften würde wie seine Siege. Schon das Erreichen der Runde der letzten acht war eine Leistung, von der er seinen Enkeln erzählen konnte, aber Brutus hatte von Anfang an gesagt, er würde im Finale stehen. Selbst Julius hatte davor zurückgeschreckt, zu behaupten, dass Brutus das Turnier gewinnen würde, aber sein Selbstvertrauen war ihm deutlich anzusehen. »Setze alles auf ihn, Pompeius. Ich nehme deine Wette persönlich an«, sagte Julius, von der Aufregung mitgerissen. Pompeius zögerte nur einen Augenblick. »Die Wettenden scheinen deine Zuversicht zu teilen, Julius. Wenn du mir eine vernünftige Quote anbietest, nehme ich dein Angebot vielleicht an.« »Eine Münze gegen fünfzig von deinen auf Brutus. Fünf Münzen für eine von deinen auf Aulus«, sagte Julius schnell. Pompeius lächelte. »Bist du so sehr davon überzeugt, dass Marcus Brutus gewinnt? Mit einer solchen Quote führst du mich in Versuchung, auf diesen Aulus zu setzen. Fünftausend Goldstücke gegen deinen Mann, zu dieser Quote. Nimmst du an?« Julius blickte hinaus in die Arena. Mit einem Mal schwand seine gute Laune. Es war der letzte Kampf des Viertelfinales. Salomin und Domitius waren bereits weitergekommen. Es konnte doch wohl keinen Kämpfer geben, der gut genug war, um seinen ältesten Freund zu schlagen? »Ich nehme an, Pompeius. Du hast mein Wort«, sagte er und spürte, wie ihm erneut der Schweiß aus den Poren trat. Adàn war ganz offensichtlich entsetzt, und Julius schaute ihn nicht an. Er blieb nach außen hin völlig ruhig, während er sich zu erinnern versuchte, um wie viel seine Reserven nach dem Kauf der neuen Rüstungen für die Söldner und den Löhnen für die Klienten jede Woche geschrumpft waren. Falls Brutus verlor, reichten 25000 Goldstücke Schulden aus, um ihn zu ruinieren, aber ihn tröstete der Gedanke, als Konsul für jeden Kredit gut zu sein. Die Geldverleiher würden bei ihm Schlange stehen. »Dieser Aulus. Ist er gut?«, fragte Servilia, um das Schweigen zu brechen, das sich in der Loge ausbreitete. Bibulus hatte den Platz gewechselt, um in ihrer Nähe sitzen zu können. Er antwortete mit einem Lächeln, das er für gewinnend hielt. »In dieser Phase sind sie alle gut, Herrin. Beide haben bis jetzt sieben Kämpfe für sich entschieden, um so weit zu kommen, obwohl ich mir sicher bin, dass dein Sohn siegen wird. Er ist der Publikumsliebling, und man sagt, das kann einen Mann auf wundervolle Weise beflügeln.« »Vielen Dank«, erwiderte Servilia und schenkte ihm ein Lächeln. Bibulus wurde rot und verknotete seine Finger ineinander. Julius betrachtete ihn nicht gerade wohlwollend und fragte sich, ob hinter seinem tölpelhaften Benehmen ein schärferer Verstand lauerte oder ob Bibulus wirklich der hoffnungslose Narr war, als der er sich zur Schau stellte. Die Hörner erklangen, und beim ersten Scheppern der Schwerter drängten alle ohne jede Rücksicht auf Rang und Namen an die Balustrade, um einen guten Platz zu ergattern. Servilia atmete hastig, und ihre Nervosität war ihr so deutlich anzumerken, dass Julius ihren Arm berührte. Sie schien es nicht zu bemerken. In der Arena blitzten die Schwerter, und die beiden Männer wirbelten mit einer Geschwindigkeit umeinander herum, die der Hitze Hohn sprach. Sie belauerten sich, unterbrachen dann die Schrittfolge, um in die andere Richtung zu wechseln, und das Ganze erfolgte mit einer Geschicklichkeit, die wunderschön anzusehen war. Aulus ähnelte vom Körperbau her Brutus’ muskulöser Gestalt. Die beiden Männer schienen einander ebenbürtig zu sein. Adàn zählte leise und fast unbewusst die Schläge mit und ballte dabei aufgeregt die Fäuste. Seine Notizen und Briefe lagen vergessen auf dem Stuhl hinter ihm. Innerhalb kürzester Zeit landete Brutus drei Treffer auf dem Panzer seines Gegners. Aulus ließ Schläge gegen seine Verteidigung passieren, in der Hoffnung, einen Gegentreffer anbringen zu können, und jedes Mal rettete sich Brutus nur durch seine Beinarbeit. Beide Männer waren schweißüberströmt, die Haare schwarz und klatschnass. Sie lösten sich voneinander, um sich eine angespannte Pause zu gönnen. Julius hörte Brutus’ Stimme über den Sand hallen. In der Loge war kein Wort zu verstehen, aber Julius wusste, dass es spöttische Bemerkungen waren, die Aulus wütend machen sollten. Aulus lachte über den Versuch, und die beiden gingen wieder aufeinander los. Sie standen beängstigend dicht voreinander, während ihre Schwerter wirbelten und blitzten. Griffe und Klingen trafen rasend schnell aufeinander, und Adàn kam mit dem Zählen nicht mehr hinterher. Dem jungen Spanier blieb vor Staunen über solche Kunstfertigkeit der Mund offen stehen, und das gesamte Publikum verstummte. In der unglaublichen Spannung hielten viele den Atem an, während sie auf das erste Blut warteten, das das kämpfende Paar vergießen würde. »Da!«, rief Servilia aus, als ein Streifen auf Aulus’ rechtem Oberschenkel zu sehen war. »Seht ihr das? Seht nur, dort!« Sie deutete wie wild, noch während der Schwertkampf in der Arena eine wahnsinnige Wildheit erreichte. Ob Brutus es nun wusste oder nicht, offensichtlich hatte Aulus keine Ahnung, dass er verwundet worden war, und Brutus konnte so dicht am Gegner den Kampf nicht abbrechen, ohne einen tödlichen Hieb zu riskieren. Sie kämpften im gleichen Rhythmus weiter, während der Schweiß an ihnen herunterrann. Auf Julius’ Zeichen hin bliesen die Cornicen einen warnenden Ton durch die Arena. Es war gefährlich, die Kämpfer auf diese Weise zu stören, aber beide traten augenblicklich zurück und atmeten keuchend ein und aus. Aulus berührte seinen Oberschenkel mit der Hand und streckte Brutus die rote Handfläche hin. Keiner von ihnen war in der Lage zu sprechen, und Brutus stützte die Hände auf die Knie und atmete tief durch, um sein hämmerndes Herz zu beruhigen, das durch seinen ganzen Körper zu pulsieren schien. Er spuckte zähen Speichel aus und musste abermals spucken, um den langen Faden loszuwerden, der bis auf den Boden hing. Erst als ihr Puls zu rasen aufhörte, vernahmen die Schwertkämpfer den Jubel der Menge. Sie umarmten sich kurz, ehe sie erneut die Schwerter zum Gruß erhoben. Servilia schlang die Arme um ihren Oberkörper und lachte vor Begeisterung. »Dann ist er also unter den letzten vier? Mein lieber Sohn. Er war unglaublich, nicht wahr?« »Jetzt hat er die Chance zu gewinnen und Ehre für Rom zu erringen«, erwiderte Pompeius mit einem säuerlichen Seitenblick auf Julius. »Zwei Römer in den letzten beiden Paaren. Die Götter allein wissen, wo die anderen beiden herstammen. Dieser Salomin ist so dunkel wie der Pfuhl der Unterwelt, und der andere, der mit den Schlitzaugen ... wer weiß? Wollen wir hoffen, dass ein Römer dein Schwert entgegennehmen wird, Julius. Es wäre eine Schande, jetzt noch einen Barbaren gewinnen zu sehen.« Julius zuckte die Achseln. »Das liegt in den Händen der Götter.« Er wartete darauf, dass der Konsul die Wette zur Sprache brachte, die zwischen ihnen stand, aber Pompeius, der seine Gedanken erriet, zog lediglich die Stirn in Falten. »Ich lasse es dir von einem Boten vorbeibringen, Julius. Du brauchst nicht dazustehen wie eine schwangere Henne.« Julius nickte sofort. Trotz des friedlichen Anscheins war jeder Wortwechsel in der Loge ein Duell ohne Blut, bei dem jeder seinen Vorteil zu erzielen versuchte. Er freute sich schon auf die letzten Kämpfe am Abend, und wenn nur, um das Ende mitzuerleben. »Selbstverständlich, Konsul. Du findest mich in dem Haus am Esquilin, bis die letzten Kämpfe heute Abend beginnen.« Pompeius blickte finster drein. Er hatte nicht damit gerechnet, eine so große Summe so schnell auftreiben zu müssen, aber jetzt beobachteten ihn alle anderen Gäste in der Loge genau, und um Crassus’ Lippen spielte ein hässliches kleines Lächeln. Pompeius kochte innerlich. Er würde seine Gewinne eintreiben müssen, um zu bezahlen, und sein bisheriger Wetterfolg würde dadurch vollkommen zunichte gemacht werden. Nur Crassus hatte so viel Gold flüssig. Zweifellos dachte der alte Geier selbstgefällig an die eine Münze, die er durch Brutus gewonnen hatte. »Ausgezeichnet«, sagte Pompeius, der sich nicht endgültig festlegen wollte. Selbst mit seinen Gewinnen reichte das Geld nicht aus, aber er würde eher Rom brennen sehen, als sich wegen eines neuerlichen Kredits an Crassus zu wenden. »Auf Wiedersehen, meine Herren, Servilia«, sagte Pompeius mit einem gezwungenen Lächeln. Er gab seinen Wachen ein Zeichen und verließ steif die Loge. Julius sah ihm nach, ehe er vergnügt grinste. 5000! Mit einer einzigen Wette hatte er wieder genug Geld für seinen Wahlkampf. »Ich liebe diese Stadt«, sagte er laut. Auch Suetonius war mit seinem Vater aufgestanden, um zu gehen, und obwohl es die Höflichkeit gebot, etwas Belangloses zu sagen, zeigte sich in seinem schmalen Gesicht keine Freude. Bibulus erhob sich gemeinsam mit ihnen und blickte nervös zu seinem Freund hinüber, als auch er seinen Dank murmelte und ihnen folgte. Servilia blieb zurück, und in ihren Augen spiegelte sich die gleiche Erregung, die sie auch in Julius’ sah. Die Menge strömte davon, um etwas zu essen zu suchen, und die Soldaten der Zehnten konnten sie ungehindert dabei beobachten, als sie ihn voller Verlangen küsste. »Wenn du deine Männer den Baldachin etwas verstellen und dann wegtreten lässt, wären wir hier so ungestört, dass wir uns wie ungezogene Kinder benehmen könnten, Julius.« »Du bist zu alt, um ungezogen zu sein, meine schöne Geliebte«, erwiderte Julius und breitete die Arme aus, um sie zu umarmen. Sie erstarrte, und plötzlicher Zorn ließ ihr das Blut in die Wangen steigen. Ihre Augen blitzten, als sie sprach, und Julius war entsetzt, wie schnell ihre Stimmung umgeschlagen war. »Dann ein anderes Mal«, fauchte sie ihn an und rauschte an ihm vorbei. »Servilia!«, rief er ihr nach, aber sie drehte sich nicht um. Er blieb allein in der leeren Loge zurück und ärgerte sich über seinen Ausrutscher. 17 In der Kühle des Abends schritt Julius nervös in der Loge auf und ab und wartete auf Servilia. Der Bote des Pompeius hatte ihm erst wenige Minuten, ehe er zu den letzten Kämpfen aufgebrochen war, eine Kiste voll Münzen gebracht, und dann hatte er noch mehr Zeit verloren, weil er genug Männer herbeirufen musste, um ein solches Vermögen zu bewachen. Selbst bei Menschen, denen er eigentlich vertraute, machte ihn der Gedanke nervös, dass so viel Geld offen herumstand. Alle anderen waren schon lange vor ihm eingetroffen, und Pompeius lächelte freudlos, als er Julius die Stufen heraufeilen und mit sorgenvollem Gesicht seinen Platz einnehmen sah. Wo blieb Servilia? Sie war nicht ins Wahlhaus gekommen, aber sie würde doch bestimmt die Finalkämpfe ihres Sohnes nicht verpassen wollen? Julius hielt es nicht auf seinem Platz. Er stand auf und ging unruhig am Rande der Loge auf und ab. Die Arena wurde von flackerndem Fackellicht erhellt. Mit dem Abend hatte sich eine kühle Brise eingefunden, die die Hitze des Tages linderte. In den Sitzreihen drängten sich die Bürger, auch sämtliche Mitglieder des Senats waren anwesend. Bis zum Ende des Turniers arbeitete in der ganzen Stadt niemand mehr, und die Spannung schien sich bis in die ärmsten Viertel ausgebreitet zu haben. Die Menschen versammelten sich in einer ungeordneten Menge auf dem Campus Martius, so wie sie es am Wahltag wieder tun würden. Servilias Eintreffen fiel mit dem ersten Hornstoß der Cornicen zusammen, der die letzten vier Kämpfer in die Arena rief. Julius sah sie fragend an, als sie sich niederließ, aber seine Geliebte erwiderte den Blick nicht und wirkte abweisender, als er sie jemals gesehen hatte. »Es tut mir Leid«, flüsterte er zu ihr geneigt. Sie gab nicht zu erkennen, ob sie ihn gehört hatte, und er lehnte sich verärgert zurück und schwor sich, es nicht noch einmal zu versuchen. Die Menge erhob sich, um ihre Favoriten zu bejubeln, und die Wettsklaven warteten. Julius sah, dass Pompeius keinen von ihnen herbeiwinkte, und es bereitete ihm ein bösartiges Vergnügen, den Stimmungswandel zu beobachten, den er herbeigeführt hatte. Er blickte kurz zu Servilia hinüber, ob sie es auch bemerkt hatte, und seine Entschlossenheit verflog, als er die kalte Maske sah, die sie ihm zuwandte. »Bedeute ich dir denn so wenig?«, flüsterte er ein wenig zu laut. Bibulus und Adàn zuckten auf ihren Sitzen zusammen, taten dann aber so, als hätten sie nichts gehört. Servilia antwortete nicht, und Julius starrte wütend und mit versteinertem Gesicht in die dunkle Arena hinaus. Die letzten Wettstreiter traten langsam in den Schein der Fackeln hinaus. Bei ihrem Anblick erhob sich die Menge, und der Lärm war ohrenbetäubend, als 20000 Menschen wie aus einer Kehle brüllten. Brutus ging neben Domitius und versuchte, sich trotz des Lärms mit ihm zu unterhalten. Salomin ging hinter ihnen, danach folgte der letzte Kämpfer, von dem die Menge kaum Notiz nahm. Aus irgendeinem Grund hatten Sungs Stil und seine Siege keinen Anklang gefunden. Er zeigte keine Gefühle, und seine Ehrenbezeugungen waren reine Formalität. Er war größer und kräftiger gebaut als Salomin; sein plattes Gesicht und der rasierte Schädel ließen ihn abstoßend wirken, und wie er so hinter den anderen hertrottete, sah es fast so aus, als schleiche er sich an sie heran. Sung hatte das längste Schwert der vier Verbliebenen. Das war zweifellos ein Vorteil für ihn, auch wenn die anderen Kämpfer eine ebenso lange Klinge hätten benutzen können, wenn sie es gewollt hätten. Julius wusste, dass Brutus darüber nachgedacht hatte, da er einige Erfahrungen mit dem Spatha-Schwert besaß, letztendlich jedoch hatte die größere Vertrautheit mit dem Gladius doch den Ausschlag gegeben. Julius betrachtete die vier Männer genau und achtete auf Anzeichen von Steifheit und Schonhaltungen. Vor allem Salomin schien Schmerzen zu haben und ging mit gesenktem Kopf. Alle vier waren mit Blutergüssen übersät; man sah ihnen die Erschöpfung der letzten Tage deutlich an. In gewissem Maß würde der endgültige Sieger vielleicht nicht nur von seinem kämpferischen Können, sondern auch von seinem Durchhaltevermögen bestimmt werden. Julius fragte sich, welche Paare ausgelost werden würden, und hoffte, Brutus würde gegen Domitius kämpfen, damit auf jeden Fall ein Römer das Finale erreichte. Dem Politiker in ihm war durchaus bewusst, dass das Interesse des Publikums schwinden würde, falls sich beim letzten Kampf Salomin und Sung in der Arena gegenüberstanden. Das wäre ein ungebührender Ausgang für eine aufregende Woche, und zu seiner Enttäuschung hörte er, wie die Paare ausgerufen wurden: Brutus sollte gegen Salomin antreten und Domitius gegen Sung. Sofort flammten die Wetten in einem lauten Durcheinander aus Rufen und nervösem Gelächter wieder auf. Die Spannung hing über ihnen, und Julius spürte, wie ihm trotz der Brise, die durch die Arena wehte, der Schweiß in den Achselhöhlen ausbrach. Die vier Männer sahen gebannt zu, wie ein Ringmeister eine Münze in die Luft warf. Sung nickte, als er das Ergebnis sah, und Domitius sagte etwas zu ihm, das im Lärm der Menge unterging. Bei jeder Bewegung wurde deutlich, dass die Männer Respekt voreinander empfanden. Sie hatten sich gegenseitig ein ums andere Mal gewinnen gesehen und machten sich hinsichtlich der bevorstehenden Kämpfe keine Illusionen. Brutus warf Domitius über die Schulter noch ein paar aufmunternde Worte zu und ging mit Salomin zurück zur Einfriedung. Er registrierte die steifen Bewegungen des anderen und fragte sich, ob er sich wohl einen Muskel gezerrt hatte. Eine solche Kleinigkeit konnte den Ausschlag geben, ob man ins Finale einzog oder mit leeren Händen dastand. Brutus sah genauer hin und fragte sich, ob ihm der kleine Mann nur etwas vormachte. Es hätte ihn nicht überrascht. In dieser Phase ließ keiner etwas unversucht, um den kleinsten Vorteil zu erzielen. Das Publikum verstummte so schnell, dass hier und dort vereinzeltes nervöses Lachen zu hören war. Die Cornicen standen bereit, den Blick abwartend zu Julius nach oben gerichtet. Julius wartete geduldig, während Domitius mit seinen Dehnübungen begann. Sung ignorierte den Römer, gegen den er kämpfen sollte, und starrte stattdessen ins Publikum, bis es einige bemerkten, auf ihn zeigten und den finsteren Blick erwiderten. Das alles gehörte mit zur Spannung des letzten Abends, und Julius konnte Hunderte von Kindern neben ihren Eltern sitzen sehen, die sich freuten, noch nicht ins Bett zu müssen. Domitius beendete seine langsamen Bewegungen mit einem plötzlichen Sprung auf sein rechtes Knie, und Julius sah, wie sich ein Lächeln auf seinem dunklen Gesicht breit machte, als er keine Schmerzen spürte. Er dankte den Göttern für Cabera, auch wenn er ein schlechtes Gewissen hatte, weil er ihn darum gebeten hatte. Der alte Heiler war nach der Heilung zusammengebrochen und sah jetzt elender und grauer aus, als Julius es jemals erlebt hatte. Wenn alles vorbei war, wollte er dem alten Mann jede Belohnung zukommen lassen, die er sich wünschte, das hatte er sich geschworen. Der Gedanke, ohne ihn weitermachen zu müssen, ängstigte ihn, aber wer wusste schon, wie alt Cabera war? Julius ließ die Hand fallen, und die Hörner erklangen. Vom ersten Augenblick an war klar, dass Sung den Vorteil seines langen Schwertes auszunutzen gedachte. Seine Handgelenke mussten wie aus Eisen sein, um es so weit vom Körper entfernt zu halten und die Wucht von Domitius’ Schlägen abzufangen, dachte Julius. Aber seine kräftigen Beine schienen im Sand verankert zu sein, und das lange, silberne Stück Metall hielt Domitius auf Distanz, während jeder den anderen mit Finten und Hieben aus der Reserve zu locken versuchte. Inzwischen kannten beide Männer den Stil des anderen beinahe ebenso gut wie den eigenen, und das Resultat war ein Patt. Domitius wagte es nicht, sich in Reichweite von Sungs langem Schwert zu begeben, andererseits fand sein Gegner bei keiner Attacke auch nur eine winzige Lücke in Domitius’ Verteidigung. Renius schlug mit der Faust auf das Geländer und feuerte Domitius mit bellenden Rufen an, als dieser Sung auf den hinteren Fuß zurückdrängte und ihn einen Augenblick lang aus dem Gleichgewicht brachte. Die lange Klinge wirbelte durch die Luft, Domitius tauchte darunter hinweg und stürzte endlich doch vor. Sein Ausfall war makellos, aber Sung wich elegant zur Seite aus, ließ ihn an seiner gepanzerten Brust vorbeigleiten und landete selbst einen Treffer mit dem Schwertknauf gegen Domitius’ Wange. Der Schlag streifte ihn nur, aber der größte Teil des Publikums fuhr unwillkürlich zusammen. Julius schüttelte angesichts dieses Ausmaßes an Geschicklichkeit bewundernd den Kopf, aber für das ungeübte Auge konnte der Kampf auch unsauber wirken. Hier gab es nicht mehr die perfekten Angriffe und Gegenangriffe, wie man sie in den ersten Runden bewundern konnte, in denen gute Kämpfer gegen Anfänger angetreten waren. Bei diesem Kampf wurde jede Parade und jede Riposte sofort vereitelt, und das Ergebnis war ein Wirbel von hässlichen Schlägen, bei denen aber nicht ein Tropfen Blut floss. Domitius zog sich als Erster zurück. Seine Wange war an der Stelle, wo ihn der Schwertknauf getroffen hatte, geschwollen, und er berührte die Stelle mit der Handfläche. Sung wartete geduldig, das Schwert bereit, bis ihm Domitius die unbefleckte Hand zeigte. Da die Haut nicht aufgeplatzt war, stürzten sie sich mit noch wilderer Entschlossenheit aufeinander. Erst als sein Puls in den Schläfen pochte, merkte Julius, dass er den Atem anhielt. Ein solches Tempo konnten sie nicht lange durchhalten, das wusste er genau; jeden Augenblick würde einer von ihnen verwundet werden. Wieder ließen sie voneinander ab und umkreisten einander beinahe im Laufschritt, wobei sie ständig innehielten und die Richtung wechselten, sobald der andere den Rhythmus erkannt hatte. Zweimal konnte Domitius Sung mit seinen Richtungsänderungen fast zu einem falschen Schritt verleiten, und beim zweiten Mal führte er einen Streich, der Sungs Arm vom Rumpf getrennt hätte, wenn er ihn nicht nach hinten gerissen und die Wucht des Schlages mit der Rüstung abgefangen hätte. Beiden Männern konnte man nun die Erschöpfung der letzten Tage ansehen; Domitius, der sichtlich nach Atem rang, vielleicht sogar etwas deutlicher. Julius wusste, dass der Kampf, den er sah, ebenso im Kopf ausgefochten wurde wie mit dem Schwert, und er konnte nicht sagen, ob das ein weiterer Trick war, oder ob Domitius wirklich litt. Seine Kraft schien in Schüben zu kommen, und die Geschwindigkeit seines Arms schwankte, während dieser allmählich schwer wurde. Auch Sung war unsicher und ließ zweimal Gelegenheiten verstreichen, bei denen er eine späte Parade hätte ausnutzen können. Er legte den Kopf zur Seite, als wolle er sich ein Urteil bilden, und hielt dann den Römer wieder mit einer Folge glänzender Figuren mit der Schwertspitze auf Distanz. Ein unglaublich schneller Richtungswechsel brachte dann fast die Entscheidung, als Domitius mit der Hand gegen die flache Klinge schlug und so schnell die Richtung wechselte, dass sich Sung eilig auf den Rücken warf. Renius schrie vor Erregung auf. Nur wenige verstanden genug vom Schwertkampf, um erkennen zu können, dass dieser Sturz absichtlich und kontrolliert erfolgt war. Es gab keine schnellere Möglichkeit, einem Streich auszuweichen, aber die Menge jubelte, als hätte ihr Favorit schon gewonnen – und schrie auf, als sie sah, wie Sung einem Taschenkrebs gleich vor Domitius’ Hieben davonhuschte und plötzlich wie durch ein Wunder wieder auf den Beinen stand. Vielleicht lag es an der Enttäuschung, so kurz vor dem Sieg gestanden zu haben, aber Domitius war bei seinem Angriff nicht vorsichtig genug, und plötzlich fuhr die Spitze von Sungs Schwert hoch und erwischte den Gegner unterhalb des Panzers. Beide Männer erstarrten, und diejenigen, die scharfe Augen besaßen, heulten enttäuscht auf, während ihre Nachbarn noch die Hälse reckten, um zu sehen, wer gewonnen hatte. Domitius rann das Blut am Bein hinunter, und Julius konnte sehen, wie er wütend fluchte, ehe er sich zusammenriss und wieder auf die Anfangsposition ging. Sungs Miene hatte sich die ganze Zeit über nicht verändert, doch als sich beide Männer gegenüberstanden, verbeugte er sich zum ersten Mal während des Wettbewerbs. Zum Vergnügen des Publikums erwiderte Domitius die Geste und grinste trotz seiner Erschöpfung über das ganze Gesicht, als sie der Menge gemeinsam ihren Gruß entboten. Renius wandte sich mit leuchtenden Augen an Julius. »Mit deiner Erlaubnis, Herr. Wenn ich Domitius hätte, ginge die Ausbildung der Männer wesentlich besser vonstatten. Er ist ein Kämpfer mit Köpfchen, und auf ihn würden die Soldaten bestimmt hören.« Julius spürte, wie alle bei der Erwähnung der neuen, noch ungeschliffenen Legion die Ohren spitzten. »Wenn er und Brutus einverstanden sind, schicke ich ihn zu dir. Ich habe versprochen, meine besten Zenturios und Optios für diese Aufgabe abzustellen. Er wird dabei sein.« »Wir brauchen auch dringend Schmiede und Gerber ... «, fing Renius an, verstummte aber, als Julius den Kopf schüttelte. Servilia stand auf, als Brutus und Salomin in die Arena hinaustraten. Sie zitterte unwillkürlich, als sie ihren Sohn sah, und ballte die Hand zur Faust. Dieser vom Fackellicht erleuchtete Ring hatte etwas Bedrohliches. Julius wollte sie berühren, unterdrückte die Regung jedoch, obwohl er sich jeder ihrer Bewegungen direkt neben sich deutlich bewusst war. Es quälte ihn, ihren Duft in der Abendluft zu riechen. Sein Zorn und seine Verwirrung machten beinahe die Freude an dem Augenblick zunichte, als er mit seinem Ring eine Wette um 5000 Münzen auf Brutus besiegelte. Pompeius’ Gesichtsausdruck war ein Genuss, und trotz Servilias Unterkühltheit spürte er, wie sich seine Stimmung hob. Auch Adàn versuchte einen entsetzten Blick zu unterdrücken, und Julius zwinkerte ihm zu. Sie waren gemeinsam die Reserven durchgegangen, wobei sich herausgestellt hatte, dass es mit dem spanischen Gold, das er mitgebracht hatte, rapide bergab ging. Wenn er die 5000 verlor, mussten sie bis zum Ende des Wahlkampfs auf Kredite zurückgreifen. Julius beschloss, dem jungen Spanier lieber nichts von der schwarzen Perle zu erzählen, die er für Servilia gekauft hatte. Er spürte ihr Gewicht in dem Beutel auf seiner Brust und war so stolz darauf, dass er sie ihr trotz ihrer Missstimmung überreichen wollte. Der Preis ließ ihn schaudern, wenn er daran dachte, wie viele Rüstungen und Vorräte er dafür hätte kaufen können. 60000 Goldstücke. Er war verrückt. Zweifellos war die Summe viel zu hoch, um sie in den Büchern auftauchen zu lassen. Der Händler hatte beim Blut seiner Mutter geschworen, den Preis niemals zu verraten, was bedeutete, dass es zumindest noch ein paar Tage dauern würde, bis der Verkauf in jedem Gasthaus und Freudenhaus Roms bekannt war. Julius spürte, wie ihr Gewicht an seiner Toga zog, und hin und wieder griff er unwillkürlich danach, um die Rundung der Perle unter dem Stoff zu ertasten. Auch Salomin hatte jeden von Brutus’ Kämpfen gesehen, einschließlich dem, bei dem er seinen Gegner bewusstlos geschlagen und ihm dann fast verächtlich eine blutende Wunde am Bein beigebracht hatte. Selbst in Bestform wäre er lieber gegen Domitius oder Sung, den trägen Chinesen, angetreten. Er hatte gesehen, wie der junge Römer ohne das geringste Zögern gekämpft hatte, ohne nachzudenken oder zu taktieren, als wären sein Körper und seine Muskeln dazu ausgebildet worden, ohne bewusste Anleitung zu handeln. Jetzt, da er ihm in der Arena gegenüberstand, schluckte Salomin trocken und zwang sich, sich zu konzentrieren. Verzweiflung stieg in ihm auf, während er die Schultermuskeln lockerte und die blauen Flecken und verschorften Schrammen auf dem Rücken spürte. Mit schweißnasser Stirn wartete er auf den Klang der Hörner. Die Soldaten hatten ihn am Nachmittag in dem einfachen Gasthaus unweit der Stadtmauer aufgesucht, in dem er eine Mahlzeit zu sich genommen und sich ein wenig ausgeruht hatte. Er wusste nicht, warum sie ihn auf die Straße gezerrt, ihn dort festgehalten und so lange verprügelt hatten, bis ihre Stöcke zerbrachen. Er hatte Gänsefett auf alle Wunden geschmiert und versucht, beweglich zu bleiben, aber sämtliche Chancen auf einen Sieg waren dahin. Nur der Stolz ließ in überhaupt antreten. Leise sprach er ein kurzes Gebet in der Sprache seiner Heimat und spürte, wie es ihn beruhigte. Als die Hörner erklangen, reagierte er instinktiv und wollte zur Seite ausweichen. Ein höllischer Schmerz fuhr ihm über den Rücken, Tränen schossen ihm in die Augen und ließen die Fackeln zu Sternen zerfließen. Fast blind riss er das Schwert hoch, und Brutus wich aus. Salomin schrie vor Schmerz und Enttäuschung auf, als seine steifen Muskeln schmerzhaft zerrten. Er versuchte, einen weiteren Schlag anzubringen, der seinen Gegner jedoch vollkommen verfehlte. Der Schweiß rann ihm in großen Tropfen vom Gesicht, als er dastand und sich zwang weiterzukämpfen. Brutus trat verwirrt zurück und runzelte die Stirn. Er zeigte auf den Arm seines Gegners. Einen Augenblick lang wagte Salomin nicht hinzusehen, aber als er das Brennen spürte, fiel sein Blick auf eine kleine Wunde auf seiner Haut, und er nickte resigniert. »Das ist nicht die schlimmste Wunde, die ich heute abbekommen habe, mein Freund. Ich hoffe nur, dass du mit den anderen nichts zu tun hattest«, sagte Salomin leise. Brutus sah ihn verständnislos an, während er sein Schwert vor der Menge hob, bis ihm plötzlich bewusst wurde, wie verkrampft der normalerweise so geschmeidige kleine Mann dastand. Mit einem Mal wurde ihm alles entsetzlich klar. »Wer war das?« Salomin zuckte die Achseln. »Wer kann schon einen Römer vom anderen unterscheiden? Es waren Soldaten. Es ist geschehen.« Brutus wurde bleich vor Wut, und sein Blick wanderte misstrauisch zu Julius, der ihm begeistert zujubelte. Dann stapfte er aus der Arena und hörte nicht, wie die Leute begeistert seinen Namen riefen. Während der zwei Stunden vor dem Finale wurde der Sand säuberlich geharkt, während viele Bürger sich aufgeregt plaudernd auf den Weg machten, um sich zu waschen und etwas zu essen. Die Loge leerte sich rasch, und Julius fiel auf, dass Senator Prandus vor seinem Sohn ging, der sich gemeinsam mit Bibulus in die Menge stürzte und von seinem Vater kaum Notiz nahm, als sie ihn überholten. Julius hörte Brutus kommen, als die wogende Menge in der Nähe der Loge ihren Helden erkannte und ihm wieder enthusiastisch zujubelte. Obwohl er vor Erregung zitterte, war Brutus doch vernünftig genug, sein Schwert wegzustecken, ehe er sich den Wachen vor der Loge näherte. Es wäre ihre Pflicht gewesen, ihn aufzuhalten, ungeachtet seines neuen Status. Julius und Servilia gingen ihm entgegen, aber Julius’ Glückwünsche blieben ihm in der Kehle stecken, als er das Gesicht seines Freundes sah. Brutus kochte vor Wut. »Hast du Salomin zusammenschlagen lassen?«, fuhr er Julius an. »Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Warst du das?« »Ich ... «, begann Julius entsetzt. Er wurde unterbrochen, als die Soldaten des Pompeius plötzlich Haltung annahmen und der Konsul hinter dem Vorhang hervortrat. Vor unterdrückter Erregung bebend, salutierte Brutus und stand stramm, während Pompeius ihn musterte. »Ich habe den Befehl dazu gegeben. Ob du davon profitiert hast oder nicht, interessiert mich nicht. Ein Fremder, der die Ehrenbezeugung unterlässt, kann nichts Besseres erwarten und hätte Schlimmeres verdient. Wäre er nicht unter den letzten vier gewesen, würde er inzwischen irgendwo im Wind baumeln.« Gleichmütig hielt er ihren erstaunten Blicken stand. »Auch einem Fremden kann man Respekt beibringen, denke ich. Und jetzt, Brutus, ruh dich für das Finale aus.« Beim Wegtreten konnte Brutus seinem Freund und seiner Mutter nur noch einen kurzen Blick der Entschuldigung zuwerfen. »Vielleicht wäre es besser gewesen, damit zu warten, bis das Turnier vorbei ist«, sagte Julius, nachdem Brutus gegangen war. Etwas in Pompeius’ reptilienhaftem Blick ließ ihn seine Worte mit Bedacht wählen. Seine Arroganz war größer, als Julius es je geahnt hatte. »Oder sollte ich es vielleicht einfach vergessen?«, erwiderte Pompeius. »Ein Konsul ist Rom, Cäsar. Er darf weder verhöhnt noch verächtlich behandelt werden. Vielleicht wirst du das eines Tages verstehen, wenn dir die Bürger die Chance geben, dort zu stehen, wo ich heute stehe.« Julius wollte Pompeius schon fragen, ob er auf Brutus gewettet hatte, hielt sich aber gerade noch rechtzeitig zurück, ehe er seinen eigenen Untergang besiegelte. Er erinnerte sich, dass Pompeius nicht gewettet hatte; offensichtlich hatte es ihm sein seltsames Ehrgefühl verboten, von der Bestrafung zu profitieren. Julius fühlte sich plötzlich nur noch müde und allem überdrüssig. Er nickte, als hätte er verstanden, und hielt den Vorhang auf, damit Servilia und Pompeius hindurchgehen konnten. Selbst jetzt würdigte sie ihn keines Blickes, und er seufzte verbittert, als er ihnen folgte. Wahrscheinlich erwartete sie von ihm, dass er zu ihr kam. Auch wenn ihn der Gedanke ärgerte, blieb ihm keine andere Wahl. Seine Hand wanderte zu der Perle, und er klopfte nachdenklich auf die Rundung unter dem Stoff. Von dem scharfen Ritt immer noch außer Atem, holte Julius tief Luft, ehe er an die Tür klopfte. Der Besitzer der Taverne hatte ihm bestätigt, dass Servilia in ihr Zimmer zurückgekehrt war, und Julius konnte drinnen Wasser plätschern hören. Vor dem letzten Kampf nahm sie noch ein Bad. Trotz seiner Verärgerung verspürte Julius die ersten leisen Anzeichen des Verlangens, als er Schritte näherkommen hörte, aber die Stimme, die erklang, gehörte dem Sklavenmädchen, das die Bäder für die Gäste füllte. »Julius«, antwortete er auf ihre Frage. Hätte er seine Titel genannt, wäre das Mädchen vielleicht etwas flinker gewesen, aber links und rechts des kleines Korridors gab es Ohren, und es war ein wenig lächerlich, wie er gleich einem liebeskranken Jüngling mit einer geschlossenen Tür sprach. Also ließ er die Finger knacken und wartete. Wenigstens befand sich die Taverne nahe genug bei der Stadtmauer, so dass er es noch rechtzeitig zurückschaffen würde. Sein Pferd fraß Heu in einem kleinen Stall, und er würde nur eine Minute brauchen, um Servilia die Perle zu geben, ihre entzückten Umarmungen über sich ergehen zu lassen und mit ihr zum Campus zurückzugaloppieren, um den letzten Kampf um Mitternacht zu sehen. Endlich öffnete das Sklavenmädchen die Tür und verbeugte sich vor ihm. Julius sah ein amüsiertes Glitzern in ihren Augen, als sie an ihm vorbei in den Gang hinaustrat, aber als sich die Tür hinter ihm schloss, hatte er sie bereits vergessen. Servilia trug ein einfaches weißes Kleid und hatte das Haar im Nacken aufgedreht. Ein Teil von ihm fragte sich, wann sie die Zeit gefunden hatte, die Farben und Öle auf ihr Gesicht aufzutragen, doch er eilte auf sie zu. »Die Jahre, die uns trennen, sind mir egal. Haben sie in Spanien eine Rolle gespielt?«, fragte er eindringlich. Ehe er sie berühren konnte, hob sie die Hand, den Rücken gestreckt wie eine Königin. »Du verstehst überhaupt nichts, Julius, und das ist die schlichte Wahrheit.« Er versuchte zu widersprechen, aber sie übertönte ihn mit lauter Stimme und blitzenden Augen. »Ich wusste schon in Spanien, dass es unmöglich ist, aber dort war alles anders. Ich kann es nicht erklären ... es war, als wäre Rom ganz weit weg, und du warst das Einzige, was zählte. Wenn ich hier bin, spüre ich die Jahre, die Jahrzehnte, Julius. Uns trennen Jahrzehnte. Gestern war mein dreiundvierzigster Geburtstag. Wenn du vierzig bist, bin ich eine alte Frau mit grauen Haaren. Ich habe jetzt schon welche, aber verborgen unter den besten Färbemitteln aus Ägypten. Lass mich gehen, Julius. Wir können nicht mehr zusammen sein.« »Das ist mir egal!«, platzte Julius heraus. »Du bist immer noch wunderschön ...« Servilia lachte unfreundlich. »Immer noch wunderschön, Julius? Ja, es ist ein Wunder, dass ich immer noch so gut aussehe, auch wenn du keine Ahnung hast, wie viel Arbeit es erfordert, der Welt ein glattes Gesicht zu präsentieren.« Einen Augenblick wurden ihre Augen faltig, und sie kämpfte gegen die Tränen an. Als sie weitersprach, war ihre Stimme von einer grenzenlosen Müdigkeit gezeichnet. »Ich werde nicht zulassen, dass du mich alt werden siehst, Julius. Du nicht. Geh zu deinen Freunden, ehe ich die Tavernenwache rufe und dich hinauswerfen lasse. Lass mich allein, damit ich mich zu Ende anziehen kann.« Julius öffnete die Hand und zeigte ihr die Perle. Er wusste, dass es falsch war, aber er hatte die Geste den ganzen Weg vom Campus hierher geplant, und jetzt war es, als bewege sich sein Arm ohne seinen Willen. Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Soll ich mich jetzt in deine Arme werfen, Julius? Soll ich weinen und mich bei dir entschuldigen, weil ich dich für einen Knaben gehalten habe?« Mit einer trotzigen, schnellen Bewegung schnappte sie sich die Perle und warf sie nach ihm. Sie traf ihn an der Stirn und ließ ihn zusammenzucken. Er hörte, wie das Kleinod in eine Zimmerecke rollte, das Geräusch schien nicht enden zu wollen. Sie sprach langsam, wie zu jemandem, der nicht richtig bei Verstand ist: »Und jetzt verschwinde.« Als sich die Tür hinter ihm schloss, wischte sie sich wütend die Augen und stand auf, um nach der Perle zu suchen. Nachdem ihre Finger sie ertastet hatten, hielt sie sie ins Licht der Lampe, und einen Augenblick lang wurden ihre Züge weich. Trotz ihrer Schönheit fühlte sich die Perle in ihrer Hand kalt und hart an, ganz so wie Servilia selbst nach außen hin zu sein vorgab. Servilia strich mit den Kuppen ihrer langen Finger über die Perle und dachte an Julius. Er war noch keine 30 Jahre alt. Auch wenn er es jetzt noch nicht wahrhaben wollte, würde er eine Frau wollen, die ihm Söhne schenken konnte. Tränen glitzerten auf ihren Wimpern, als sie an ihren welkenden Schoß dachte. Seit drei Monaten hatte sie nicht mehr geblutet, und sie spürte kein Leben in sich. Eine Weile hatte sie auf ein Kind gehofft, aber als eine weitere Periode ausgeblieben war, wusste sie, dass ihre Jugend endgültig hinter ihr lag. Von ihr würde er keinen Sohn bekommen, und es war besser, ihn jetzt fortzuschicken, ehe er an Kinder dachte, die sie ihm nicht schenken konnte. Besser, als darauf zu warten, von ihm verstoßen zu werden. Er trug seine Stärke mit solcher Selbstverständlichkeit, dass er ihre Furcht niemals würde verstehen können. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Er würde darüber hinwegkommen, bei jungen Männern war das immer so. Als Brutus und Sung um Mitternacht die Arena betraten, waren die Fackeln mit Öl nachgefüllt worden, und der Ring leuchtete in der Dunkelheit des Campus. Die Wettsklaven hatten sich diskret zurückgezogen; jetzt wurde kein Geld mehr angenommen. Viele Bürger hatten den ganzen Nachmittag über stetig getrunken, um sich auf den Höhepunkt vorzubereiten, und Julius sandte Läufer aus, die noch mehr Soldaten der Zehnten herbeiholen sollten, falls es am Ende zu Ausschreitungen kam. Trotz der Müdigkeit, die sich seiner Seele bemächtigt hatte, verspürte er Stolz, als er sah, wie Brutus zum letzten Mal eines von Cavallos Schwertern empor- streckte. Die Geste hatte eine persönliche, schmerzvolle Bedeutung für alle, die sie verstanden. Ohne nachzudenken streckte Julius die Hand aus, um Servilias zu ergreifen, und ließ sie dann wieder sinken. Ihre Stimmung würde sich ändern, wenn Brutus gewann, da war er sich fast sicher. Die schmale Sichel des Mondes hing über dem Fackelkreis. Obwohl es schon spät war, hatte die Nachricht von den beiden Finalisten schnell die Runde durch die Stadt gemacht. Ganz Rom war wach und wartete auf das Ergebnis. Falls er den Sieg davontrug, würde Brutus berühmt sein, und Julius kam der ironische Gedanke, dass sein Freund dann mit größter Wahrscheinlichkeit zum Konsul gewählt werden würde, falls er sich zu einer Kandidatur entschließen sollte. Beim Klang der Cornicen griff Sung ohne Vorwarnung an, um die Partie gleich im ersten Augenblick für sich zu entscheiden. Sein Schwert fuhr zischend auf Brutus’ Beine zu, und der junge Römer schlug es mit einem metallischen Klirren nach unten. Er konterte nicht, und einen Augenblick geriet Sung aus dem Gleichgewicht. Die schmalen Schlitze seiner Augen verrieten nichts, als er die Achseln zuckte und erneut angriff, wobei sein langes Schwert einen weiten Bogen in die Luft zog. Wieder schlug Brutus die Klinge zur Seite, und das Scheppern des Metalls war wie der Klang einer Glocke, die über dem schweigenden Publikum ertönte. Alle sahen vollkommen fasziniert dem Kampf zu, der so ganz anders war als alle vorangegangenen. Julius konnte noch immer rote Zornesflecken auf Brutus’ Gesicht und Hals erkennen, und er fragte sich, ob er Sung töten oder selbst getötet werden würde, weil seine Gedanken immer noch dem ungerechten Sieg gegen Salomin nachhingen. Der Kampf entwickelte sich zu einer Abfolge von Schlägen und scheppernder Abwehr, aber Brutus war noch keinen Schritt von seiner Markierung gewichen. Wenn Sungs Klinge ihm zu nahe kam, blockte er sie mit einer kurzen Bewegung seines Gladius’ ab. War der Streich nur eine Finte, ignorierte er ihn, selbst wenn das Metall dicht genug an ihm vorbeistrich, dass er es durch die Luft zischen hörte. Sung atmete schwer. Bei jedem seiner Angriffe schrie das Publikum auf, verstummte bei dem ausgeführten Schlag und atmete zischend wieder aus, was wie Hohn klang. Wahrscheinlich dachten sie, Brutus würde Sung eine Lektion erteilen. Als Julius ihm zusah, begriff er, dass Brutus ganz alleine gegen sich selbst kämpfte. Er wünschte sich geradezu verzweifelt den Sieg, aber die Scham über die Behandlung Salomins nagte an ihm, also hielt er sich Sung lediglich vom Leib, während er nachdachte. Julius wurde klar, dass er Zeuge der Vorführung eines perfekten Schwertkämpfers wurde. Es war eine unglaubliche Feststellung, aber der Junge, den er gekannt hatte, war zu einem Meister geworden, besser als Renius oder jeder andere. Auch Sung wusste dies, der Schweiß brannte ihm in den Augen, und der Römer stand immer noch vor ihm. In Sungs Gesicht spiegelten sich Wut und Verzweiflung. Er stöhnte nun bei jedem Hieb laut, und ohne eine bewusste Entscheidung getroffen zu haben, schlug er nun nicht länger zu, um den Gegner eine Wunde beizubringen, sondern um ihn zu töten. Julius konnte es nicht länger mit ansehen. Er beugte sich über das Geländer und schrie seinem Freund quer durch die Arena zu: »Gewinne, Brutus! Gewinne für uns!« Sein Volk brüllte begeistert auf, als es ihn hörte. Brutus hebelte Sungs Schwert mit dem seinen zur Seite und klemmte es lange genug fest, um dem Gegner den Ellbogen in den Mund zu rammen. Für alle sichtbar lief das Blut über Sungs blasse Haut, und er wankte benommen einen Schritt zurück. Julius sah, wie Brutus die Hand hob und etwas zu dem anderen sagte, und dann schüttelte Sung den Kopf und griff erneut an. Da erwachte Brutus zum Leben, und es war, als beobachtete man eine Katze beim Sprung. Er ließ die lange Klinge an seinen Rippen entlanggleiten, um die Deckung zu durchbrechen, und rammte Sung dann den Gladius mit all seiner angestauten Wut in den Halsansatz. Die Klinge verschwand unter der silbernen Rüstung, und Brutus schritt über den Sand davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sung sah ihm mit verzerrtem Gesicht nach. Seine linke Hand zog an der Klinge, er versuchte zu schreien, aber seine Lunge war zerfetzt, und in der Todesstille war nur ein heiseres Krächzen zu hören. Das Publikum brach in lauten Jubel aus, und Julius schämte sich für sie. Er stand auf und brüllte nach Ruhe, was diejenigen, die ihn hören konnten, zum Schweigen brachte. Der Rest folgte langsam, und in der angespannten Stille wartete das Volk Roms darauf, dass Sung fiel. Sung spuckte wütend in den Sand, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Selbst aus einiger Entfernung konnte man jeden schweren Atemzug hören. Langsam und mit größter Vorsicht schnallte er seinen Panzer ab und ließ ihn zu Boden fallen. Der Stoff darunter war durchweicht und sah im Licht der Fackeln schwarz aus. Sung betrachtete ihn erstaunt, ehe er die dunklen Augen blinzelnd auf die Reihen der Römer richtete, die ihn anstarrten. »Komm schon, du Schweinehund«, flüsterte Renius vor sich hin. »Zeig ihnen, wie man stirbt.« Mit der Präzision des Todeskampfes schob Sung das lange Schwert in die Scheide zurück, dann gaben seine Beine nach, und er fiel auf die Knie. Trotzdem sah er sie weiterhin alle an, und seine schweren Atemzüge waren wie Schreie, die immer kürzer wurden. Dann fiel er, und die Menge, die wie Statuen richtender Götter dasaß, atmete erleichtert aus. Pompeius wischte sich die Stirn und schüttelte den Kopf. »Du musst deinem Mann gratulieren, Cäsar. Ich habe noch nie einen besseren Kämpfer gesehen«, sagte er. Julius sah ihn kalt an. Pompeius nickte beiläufig und rief nach seinen Wachen, damit sie ihn zur Stadtmauer eskortierten. 18 Bibulus sah Suetonius stumm und finster dabei zu, wie er in dem langen Zimmer, in dem Bibulus seine Besucher empfing, auf und ab ging. Wie jeder andere Raum im Haus war er nach seinem Geschmack eingerichtet. Sogar jetzt empfand er Freude an den einfachen Farben der Liegen und den mit Gold gekrönten Säulen. Irgendwie hatte die nüchterne Schlichtheit stets eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er brauchte einen beliebigen Raum der Villa nur zu betreten, um sofort zu wissen, ob etwas nicht an seinem Platz stand. Der schwarze Marmorboden war auf Hochglanz poliert, und jeden Schritt, den Suetonius machte, begleitete ein farbiger Schatten unter seinen Füßen, als wandele er über Wasser. Sie waren allein, sogar die Sklaven waren weggeschickt worden. Das Feuer war schon lange erloschen, die Luft war kalt, so dass man seinen Atem sehen konnte. Bibulus hätte gerne nach mit einem heißen Eisen erhitzten Wein oder etwas zu essen gerufen, wagte es aber nicht, seinen Freund zu unterbrechen. Er fing an zu zählen, wie oft Suetonius beim Gehen kehrt machte. Man sah ihm die Anspannung an den starren Schultern und den auf dem Rücken verkrampften Händen an. Bibulus ärgerte sich über diese nächtliche Heimsuchung seines Hauses, aber Suetonius besaß Macht über ihn, also musste er ihm zuhören, auch wenn er ihn immer mehr verabscheute. Suetonius’ schneidende Stimme zerriss ohne Warnung die Stille, als könne er seinen Zorn nicht länger zurückhalten. »Ich schwöre dir, wenn ich nur an ihn herankäme, ich würde ihn auf der Stelle umbringen lassen, Bibi. Ich schwöre es beim Kopf des Jupiter!« »Sag so was nicht«, stammelte Bibulus schockiert. Selbst in seinen eigenen vier Wänden sollte man manche Dinge besser nicht aussprechen. Suetonius blieb abrupt stehen, als hätte ihn jemand herausgefordert, und Bibulus sank in die Polster der Liege zurück. Weiße Speicheltropfen hatten sich an Suetonius’ Mundwinkeln gebildet, und Bibulus starrte sie an, ohne den Blick abwenden zu können. »Du kennst ihn nicht, Bibulus. Du hast nie miterlebt, wie er die Rolle des edlen Römers spielt, genau wie damals sein Onkel. Als ob seine Familie etwas Besseres wäre als Kaufleute! Er schmeichelt sich bei denen ein, die er braucht, und in seinem Gefolge plustern sie sich auf wie Gockel. Oh, das muss ich ihm lassen! Er ist ein Meister darin, Menschen zu finden, die ihn lieben. Dabei ist alles nur auf Lügen erbaut, Bibulus. Ich habe es gesehen.« Er funkelte seinen Freund an, als erwarte er Widerspruch. »Seine Eitelkeit ist weithin sichtbar, und ich kann es kaum fassen, dass ich der Einzige bin, dem das auffällt. Aber alle anderen fallen auf ihn herein und nennen ihn den jungen Löwen Roms.« Suetonius spuckte auf den polierten Boden, und Bibulus blickte mit Entsetzen auf den nassen Schleimbatzen. Suetonius grinste höhnisch, die Verbitterung verzerrte sein Gesicht zu einer hässlichen Maske. »Für sie alle ist es nur ein Spiel ... Pompeius und Crassus, und wie sie alle heißen. Ich habe es gesehen, als wir aus Griechenland zurückkehrten. Die Stadt war arm, die Sklaven kurz vor dem größten Aufstand unserer Geschichte, und sie haben Cäsar zum Tribun ernannt. Schon damals hätte ich wissen müssen, dass mir niemals Gerechtigkeit widerfahren würde. Womit hatte er das verdient? Ich war dabei, als wir gegen Mithridates gekämpft haben, Bibi. Cäsar war nicht mehr Anführer als ich, auch wenn er hinterher so getan hat. Mithridates hat uns den Sieg praktisch geschenkt, aber ich habe Julius niemals kämpfen gesehen. Habe ich das schon erzählt? Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass er sein Schwert gezogen hätte, um uns zu helfen, selbst als das Blut in Strömen floss.« Bibulus seufzte. Er hatte das alles schon oft gehört, öfter als er zählen konnte. Früher einmal hatte er den Zorn des Suetonius als gerecht empfunden, aber jedes Mal, wenn er dieses Klagelied hörte, wurde Cäsar zu einem noch größeren Schurken, ganz so, wie ihn Suetonius sehen wollte. »Und Spanien? Oh, Bibi, ich weiß Bescheid über Spanien. Er geht dort mit leeren Händen hin, kommt aber mit genug Gold zurück, um als Konsul zu kandidieren. Stellt ihn irgendjemand in Frage? Wird er von den Gerichten verurteilt? Ich habe an den Mann geschrieben, der dort seinen Posten übernommen hat, und habe nach den Zahlen gefragt, die er dem Senat vorgelegt hat. Ich habe die Arbeit für diese alten Narren erledigt, Bibi.« »Und was hat er geantwortet?«, fragte Bibulus und hob den Blick von seinen Handrücken. Dieser Teil der Hasstirade war neu und weckte sein Interesse. Er sah, wie Suetonius nach Worten suchte, und hoffte, er würde nicht noch einmal ausspucken. »Nichts! Ich habe wieder und wieder geschrieben, bis der Kerl mich schließlich in einem knappen Brief gewarnt hat, mich nicht in die Angelegenheiten der Regierung Roms einzumischen. Eine Drohung, Bibulus, eine widerliche kleine Drohung. Da wusste ich, dass er einer von Cäsars Männern ist. Ohne jeden Zweifel sind seine Hände genauso schmutzig wie die seines Vorgängers. Er hält sich sehr bedeckt, unser Julius, aber ich kriege ihn noch.« Müde und hungrig wie er war, konnte sich Bibulus eine kleine Spitze nicht verkneifen. »Als Konsul ist er gegen jede Anklage immun, Suetonius, sogar bei Kapitalverbrechen. Dann kannst du ihm nichts mehr anhaben.« Suetonius grinste hämisch und zögerte, ehe er sprach. Er dachte an die finsteren Männer, die er auf ihrem Weg zu Cäsars Landgut beobachtet hatte, wo sie Cornelia und ihre Diener ermordet hatten. Manchmal war diese Erinnerung das Einzige, was ihn davon abhielt, verrückt zu werden. An jenem Tag hatten die Götter nicht ihre schützende Hand über Julius gehalten. Julius war nach Spanien geschickt worden, die Gerüchteküche wusste etwas von Schande zu berichten, und seiner schönen Frau war die Kehle durchgeschnitten worden. Damals hatte Suetonius gedacht, er habe seinen Zorn endgültig überwunden. Der Tod Cornelias war wie das Aufbrechen einer Eiterbeule gewesen, so dass das ganze Gift abgeflossen war. Suetonius seufzte, weil er diesen Frieden verloren hatte. Julius hatte seinen Posten in Spanien missbraucht und das Land seines Goldes beraubt. Man hätte ihn in den Straßen steinigen sollen, aber er war zurückgekehrt und hatte dem Pöbel seine billigen Lügen erzählt und ihn damit auf seine Seite gezogen. Dieses Turnier hatte seinen Namen in der ganzen Stadt bekannt gemacht. »Kam es etwa überraschend, dass ausgerechnet sein bester Freund das Schwertturnier gewinnt, Bibi? Nein, sie jubeln ihm einfach zu, diese elenden Hohlköpfe, obwohl jeder, der Augen im Kopf hat, sehen konnte, dass Salomin kaum bis zu seiner Markierung gehen konnte. Das war der wahre Cäsar, der, den ich kenne. Vor den Augen Tausender, aber sie wollten es nicht sehen. Wo war denn da die Ehre, auf die er solchen Wert legt?« Suetonius begann wieder auf und ab zu schreiten und trat bei jedem Schritt scheppernd auf sein Spiegelbild. »Er darf nicht Konsul werden, Bibulus. Ich werde tun, was ich kann, aber das darf einfach nicht passieren. Du bist meine einzige Hoffnung, mein Freund. Vielleicht wirst du es schaffen, ihm genug Stimmen der Zenturien wegzunehmen, und wenn das nicht reicht, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen.« »Wenn man dich bei irgendetwas erwischt, werde ich ... «, hob Bibulus an. Suetonius brachte ihm mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Erledige du deine Arbeit, Bibulus, ich kümmere mich um die meine. Wink der Menge zu, erscheine vor Gericht, halte deine Reden.« »Und wenn das nicht reicht?«, fragte Bibulus und fürchtete sich zugleich vor der Antwort. »Enttäusche mich nicht, Bibulus. Du hältst bis zum Ende durch, es sei denn, dein Rückzug hilft meinem Vater. Ist das etwa zu viel verlangt? Das ist gar nichts.« »Aber was ist, wenn ...« »Ich bin deine ewigen Einwände leid, mein Freund«, sagte Suetonius leise. »Wenn du willst, gehe ich auf dem schnellsten Wege zu Pompeius und erkläre ihm unmissverständlich, warum du Rom nicht vertreten kannst. Möchtest du das etwa, Bibulus? Soll er von deinen Geheimnissen erfahren?« »Nein ... nicht«, sagte Bibulus, dem die Tränen in die Augen traten. In solchen Augenblicken empfand er nichts als Hass für den Mann, der vor ihm stand. Aus dem Mund des Suetonius klang alles so schmutzig. Suetonius trat auf ihn zu und packte ihn an seinem Doppelkinn. »Sogar kleine Hunde können beißen, nicht wahr, Bibulus? Ob du mich wohl verraten würdest, frage ich mich? Ja, natürlich würdest du das tun, wenn ich dir die Chance dazu bieten würde. Aber du würdest mit mir fallen, und noch viel tiefer. Das weißt du doch, oder?« Suetonius packte eine Hautfalte seines Freundes mit zwei Fingern und fing an zu drehen. Bibulus wand sich vor Schmerzen. »Du bist wirklich ein dreckiges Schwein, Bibulus. Aber ich brauche dich, und das verbindet uns mehr als Freundschaft, enger als Blutsbande. Vergiss das nicht, Bibi. Du würdest keiner Folter standhalten, und Pompeius ist bekannt dafür, dass er sehr gründlich ist.« Bibulus riss sich mit einem Ruck los und drückte seine weichen, weißen Hände gegen die schmerzende Kehle. »Ruf deine hübschen Kinder, sie sollen das Feuer wieder anzünden. Es ist kalt hier«, sagte Suetonius mit einem boshaften Funkeln in den Augen. Brutus stand im Esszimmer des Wahlhauses am Kopf der Tafel, hob den Becher und sah seine Freunde an. Sie erhoben sich ihm zu Ehren, und die Bitterkeit, die er immer noch wegen Salomin verspürte, fiel in ihrer Gesellschaft ein wenig von ihm ab. Julius begegnete seinem Blick, und Brutus zwang sich zu einem Lächeln. Er schämte sich, weil er einen Augenblick gedacht hatte, sein Freund sei möglicherweise für die Prügel verantwortlich. »Worauf sollen wir trinken?«, fragte Brutus. Alexandria räusperte sich, und alle Blicke richteten sich auf sie. »Wir brauchen bestimmt mehr als nur einen Trinkspruch, aber als Erstes sollten wir auf Brutus trinken, das beste Schwert Roms.« Sie lächelten und wiederholten die Worte, und Brutus hörte Renius’ tiefe Stimme lauter als alle anderen knurren. Der alte Gladiator hatte nach seinem Sieg bei dem Turnier lange mit ihm gesprochen, und da er es war, hatte Brutus zugehört. Brutus hob seinen Becher, als sich ihre Blicke begegneten, und bedankte sich so noch einmal persönlich bei ihm. Renius antwortete mit einem Grinsen, und Brutus spürte, wie sich seine Stimmung hob. »Dann gebührt der nächste meiner schönen Goldschmiedin«, sagte er, »die einem guten Schwertkämpfer auf mehr als nur eine Weise zugetan ist.« Bei dem darauf einsetzenden Gelächter lief Alexandria rot an, und Brutus glotzte ihr ungeniert in den Ausschnitt. »Du bist betrunken, du Lustmolch«, antwortete sie, und ihre Augen funkelten vor Vergnügen. Julius ließ die Becher nachfüllen. »Auf die, die wir lieben und die nicht hier sind«, sagte er, und etwas an seinem Tonfall ließ die anderen innehalten. Cabera lag oben auf seinem Bett; die besten Ärzte Roms waren an seiner Seite, von denen keiner auch nur über die Hälfte seines Könnens verfügte. Nachdem er Domitius geheilt hatte, war er zusammengebrochen, und sein Siechtum trübte die Stimmung der anderen. Sie wiederholten den Trinkspruch und schwiegen, während sie sich an diejenigen erinnerten, die sie verloren hatten. Julius dachte nicht nur an den alten Heiler, sondern auch an Servilia, und sein Blick fiel auf den leeren Stuhl, der für sie bereitstand. Nachdenklich rieb er sich die Stelle an der Stirn, wo ihn die Perle getroffen hatte. »Sollen wir etwa die ganze Nacht stehen bleiben?«, fragte Domitius. »Octavian müsste sowieso schon lange im Bett liegen.« Octavian setzte den Becher an und leerte ihn. »Ihr habt doch gesagt, wenn ich brav bin, darf ich länger aufbleiben«, erwiderte er fröhlich. Sie setzten sich wieder, und Julius musterte seinen jungen Verwandten liebevoll. Octavian wuchs zu einem prächtigen Mann heran, auch wenn seine Manieren noch einiges zu wünschen übrig ließen. Selbst Brutus war aufgefallen, wie oft er in Servilias Haus anzutreffen war. Allem Anschein nach hatte er sich dort zum Liebling der Mädchen entwickelt. Julius sah, wie Octavian über etwas lachte, das Renius gesagt hatte, und hoffte, dass ihm das außergewöhnliche Selbstvertrauen der Jugend nicht auf allzu brutale Art genommen würde. Aber wenn der junge Mann niemals ernsthaft geprüft wurde, blieb er nichts als eine leere Hülle. Es gab viele Dinge in seiner Vergangenheit, die er ändern würde, aber ohne sie, das wusste er, wäre er immer noch der stolze, zornige kleine Junge, den Renius ausgebildet hatte. Der Gedanke daran war schrecklich, aber er hoffte, dass Octavian auch Leid und Schmerz erfahren würde, damit er zum Mann werden konnte. Es war die einzige Möglichkeit, die er kannte, und selbst wenn Julius seine Triumphe vergessen konnte, so waren es doch seine Niederlagen gewesen, die ihn geformt hatten. Das Essen wurde auf Julius’ persönlichen, noch in Spanien angefertigten Silbertellern serviert. Alle Gäste waren hungrig, und eine ganze Weile war nur noch das Geräusch kauender Münder zu vernehmen. Dann lehnte sich Brutus zurück, hielt sich die Hand vor den Mund und rülpste leise. »Also, wirst du nun Konsul, Julius?«, fragte er. »Wenn genügend Leute zur Wahl gehen«, antwortete Julius. »Alexandria macht dir eine Konsulspange für deinen Umhang. Sie wird sehr schön«, fuhr Brutus fort. Alexandria stützte den Kopf auf die Hand. »Das war eine Überraschung, hast du das vergessen, Brutus? Es sollte eine Überraschung werden. Was dachtest du denn, was damit gemeint war?« Brutus ergriff ihre Hand und drückte sie. »Tut mir Leid. Aber sie ist wirklich sehr schön, Julius.« »Ich hoffe, dass ich Gelegenheit habe, sie zu tragen. Vielen Dank, Alexandria«, erwiderte Julius. »Ich wünschte nur, ich könnte mir meines Sieges ebenso sicher sein wie Brutus.« »Warum solltest du das nicht? Du hast einen Fall auf dem Forum verloren, den niemand hätte gewinnen können. Du hast drei gewonnen, die du hättest verlieren müssen. Deine Klienten sind jeden Abend für dich unterwegs, ihre Berichte klingen gut.« Julius nickte und dachte an die Schulden, die er angehäuft hatte, um das alles zu erreichen. Das Gold, das er von Pompeius gewonnen hatte, war schon nach wenigen Wahlkampftagen aufgebraucht gewesen. Trotz des ausgezeichneten Rufes, den er sich erworben hatte, bedauerte er einige der unvernünftigeren Ausgaben, vor allem die Perle. Schlimmer noch war die plumpe Vertraulichkeit, die die Geldverleiher ihm gegenüber mit den steigenden Schulden an den Tag legten, gerade so, als gehörte ihnen ein Teil von ihm, und er sehnte sich nach dem Tag, an dem er ihre habgierigen Hände wieder loswurde. Mit vom Wein geröteten Gesicht stand Brutus ein weiteres Mal auf. »Wir sollten auf noch etwas trinken«, sagte er. »Auf den Sieg, aber auf einen ehrenvollen Sieg.« Alle standen auf und erhoben die Becher. Julius wünschte sich, sein Vater hätte sie sehen können. 19 Eine große Feierlichkeit lag über der gewaltigen Menschenmenge, die zum Wählen aus der Stadt herausgekommen war. Julius beobachtete voll Stolz, wie sie sich zur Wahl in ihre Zenturien aufteilten und die Wachstafeln zu den Diribitores brachten, wo sie in Körben auf die Auszählung warteten. Die Stadt ragte hinter ihnen auf, und im Westen wehte die Fahne auf dem fernen Janiculum als Zeichen dafür, dass die Stadt für die Dauer der Wahl geschützt und versiegelt war. An Schlaf war in der Nacht zuvor nicht zu denken gewesen, und als die Auguren bereitstanden, um hinauszuziehen und den Boden zu weihen, hatte Julius bei ihnen am Tor gestanden und ihnen nervös und mit einem merkwürdigen Schwindelgefühl dabei zugesehen, wie sie die Messer vorbereiteten und einen großen, weißen Bullen aus der Stadt hinausführten. Dessen lebloser Körper lag nun nicht weit von der Stelle entfernt, wo er schweigend dastand und die Stimmung der Menge einzuschätzen versuchte. Viele nickten und lächelten ihm zu, während sie ihre Stimmen in die Weidenkörbe legten, aber Julius empfand keine Freude dabei. Was zählte, waren allein die Stimmen ihrer Zenturien, und da die wohlhabenden Klassen als Erste abstimmten, hatte Prandus sieben gegen vier für Bibulus gewonnen. Keine einzige der ersten elf Zenturien hatte sich für Julius ausgesprochen, und während der Tag immer heißer wurde, spürte er, wie ihm der Schweiß aus den Achselhöhlen lief. Er hatte gewusst, dass es am schwierigsten sein würde, unter den reichen Freien Stimmen zu gewinnen, aber nun tatsächlich mitzuerleben, wie er eine Stimme nach der anderen verlor, war eine bittere Erfahrung. Die Konsuln und Kandidaten standen als würdevolle Gruppe neben ihm, aber Pompeius konnte sein Vergnügen nicht verbergen und schwatzte munter mit einem Sklaven, der neben ihm stand, während er sich seinen Becher mit einem kühlen Getränk füllen ließ. Julius versuchte verzweifelt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Trotz seiner gewissenhaften Vorbereitung konnten die frühen Stimmen die späteren Zenturien beeinflussen, was zu einer überwältigenden Mehrheit führen könnte, neben der für ihn kein Platz war. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr in die Stadt fragte er sich, was er tun sollte, wenn er verlor. Wenn er in der Stadt blieb, die Bibulus und Prandus regierten, würde das sein Ende bedeuten, daran zweifelte er keine Sekunde. Pompeius würde Mittel und Wege finden, ihn zu vernichten, wenn ihm Suetonius nicht zuvorkam. Nur um dieses Jahr zu überleben, würde er um eine Versetzung in irgendeine trostlose Garnison am Rande des römischen Einflussgebiets betteln müssen. Julius schüttelte unwillkürlich den Kopf, während die Stimmergebnisse ausgerufen wurden und er im Stillen an immer schlimmere Möglichkeiten dachte. Die Anhänger von Prandus und Bibulus jubelten bei jedem Erfolg, und Julius sah sich gezwungen, freundlich zu lächeln, auch wenn es wie Säure in ihm brannte. Er rief sich in Erinnerung, dass er nichts tun konnte, und fand bei diesem Gedanken einen Augenblick Ruhe. Die Männer Roms wählten in kleinen, hölzernen Kabinen und gaben den Diribitores ihre Täfelchen mit der beschriebenen Seite nach unten, um ihre Wahl geheim zu halten. In dieser Phase konnte man keinen Einfluss mehr nehmen, Bestechungen und Ränke zählten nichts mehr, wenn die Bürger aufgerufen waren, neben dem Namen ihrer Favoriten im Wachs zwei Abdrücke zu hinterlassen. Trotzdem hörten die Wartenden jedes Ergebnis, und bald würden sie ebenso wählen wie die Männer vor ihnen. Julius hatte schon bei vielen Wahlen miterlebt, wie die ärmeren Klassen unverrichteter Dinge nach Rom zurückgeschickt wurden, sobald eine Mehrheit ausgerufen worden war. Er betete, dass dies heute nicht der Fall sein würde. »... Cäsar«, rief der Magistrat, und Julius riss den Kopf hoch, als er das hörte. Es war die letzte Zenturie der Ersten Klasse. Endlich konnte er eine Stimme für sich verbuchen. Jetzt kamen die weniger Wohlhabenden an die Reihe. Er lächelte und versuchte, sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen. Die meiste Zustimmung fand er unter den Ärmsten, bei denen er als Mann galt, der sich seine Stellung selbst erarbeitet hatte, aber ohne weitere Stimmen von den Reichen würden seine Anhänger gar nicht erst die Möglichkeit bekommen, ihr Zeichen neben seinem Namen ins Wachs zu drücken. Die Ergebnisse der Zweiten Klasse waren ausgeglichener, und Julius stand etwas aufrechter da, als sein Stimmenanteil gemeinsam mit dem der anderen wuchs. Prandus hatte 17 gegenüber 14 für Bibulus, und fünf weitere Zenturien hatten sich für Julius erklärt und ließen seine Hoffnungen wachsen. Wie er sah, war er nicht der Einzige, der litt. Suetonius’ Vater war unter der unglaublichen Spannung blass geworden, und Julius vermutete, dass er sich genauso gerne hingesetzt hätte wie er selbst. Auch Bibulus war nervös. Sein Blick glitt immer wieder zu Suetonius hinüber, und es schien fast so, als wolle er ihn anflehen. Im Laufe der nächsten Stunde wechselte die Führung dreimal, und am Ende lag Suetonius’ Vater dem Ergebnis nach nur noch auf dem dritten Platz und fiel weiter zurück. Julius beobachtete, wie Suetonius an Bibulus’ Seite trat. Der dicke Römer wollte zurückweichen, aber Suetonius packte ihn am Arm und flüsterte ihm schroff etwas ins Ohr. Seine Wut machte das Gesagte für alle hörbar, und Bibulus wurde knallrot. »Steig aus, Bibi. Du musst jetzt aussteigen!«, fauchte ihn Suetonius an, ohne auf Pompeius’ erstaunten Blick zu achten. Bibulus nickte nervös, als hätte er einen Krampf, aber Pompeius legte ihm schwer eine Hand auf die Schulter, als wäre Suetonius gar nicht da, womit er den jungen Römer zwang, rasch einen Schritt zur Seite zu treten, wenn er den Konsul nicht berühren wollte. »Ich hoffe, du denkst nicht daran, die Listen zu verlassen, Bibulus«, sagte Pompeius. Bibulus gab einen Laut von sich, der eine Antwort hätte sein können, aber Pompeius redete einfach weiter. »Du hast unter den Ersten Klassen gute Ergebnisse erzielt, vielleicht wird es ja am Ende sogar noch besser. Bleib dabei, denn wer weiß? Selbst wenn du nicht erfolgreich bist, für die alten Familien ist immer ein Platz im Senat frei.« Bibulus lächelte gequält, und Pompeius tätschelte ihm den Arm. Dann ließ er ihn los. Suetonius wagte keinen weiteren Versuch, schlenderte davon und sah teilnahmslos zu, wie Bibulus drei weitere Stimmen einstrich. Zur Mittagsstunde wurde jedes Ergebnis mit lautem Jubel begrüßt, denn die Weinhändler hatten hervorragenden Umsatz gemacht. Julius fühlte sich entspannt genug, um einen Becher zu trinken, aber er schmeckte nichts. Er tauschte ein paar Belanglosigkeiten mit Bibulus aus, aber Senator Prandus blieb reserviert und nickte lediglich steif, als Julius ihm zu seinem Ergebnis gratulierte. Suetonius dagegen mangelte es völlig an dem Talent seines Vaters, seine Gefühle zu verbergen, und Julius spürte ständig seinen Blick auf sich, was ihm auf die Nerven ging. Als die Sonne ihren Höchststand erreichte, ließ Pompeius Baldachine aufstellen, um ihnen Schatten zu spenden. 100 Zenturien hatten abgestimmt, und Julius lag auf dem zweiten Platz, 17 Stimmen vor Prandus. Nach Lage der Dinge würden Bibulus und Julius die Posten erringen, und die Menge begann ihr Interesse jetzt offener zu zeigen. Sie jubelten und drängelten, um die Kandidaten sehen zu können. Julius sah, wie Suetonius ein großes rotes Tuch aus seiner Toga hervorzog und sich damit die Stirn abtupfte. Es war eine merkwürdig auffällige Geste, und Julius blickte grimmig lächelnd nach Westen, wo man die Fahne auf dem Janiculum sehen konnte. Vom Janiculum aus hatte man einen ungehinderten Blick über die gesamte Stadt und das umliegende Land. An der höchsten Stelle erhob sich ein hoher Mast auf einem Fundament aus Steinen, und die Männer, die nach einer Invasion Ausschau hielten, blieben stets wachsam. Es war normalerweise ein leichter Dienst, der eher in eine frühere Zeit passte, als Rom noch mit der ständigen Bedrohung durch feindliche Stämme oder Armeen leben musste. In diesem Jahr hatte die Verschwörung des Catilina noch einmal gezeigt, wie wichtig die Aufgabe war, und die, denen sie durch Losentscheid zugefallen war, nahmen sie konzentriert und aufmerksam wahr. Insgesamt waren es sechs Mann, vier Jungen und zwei Veteranen aus der Legion des Pompeius. Sie unterhielten sich über die Kandidaten, während sie ein kaltes Mittagessen verspeisten, und genossen die Abwechslung von ihrem normalen Dienst in vollen Zügen. Bei Sonnenuntergang würden sie ihren Tag mit einem Signal aus einem langen Horn und dem feierlichen Einholen der Fahne beenden. Die Männer, die hinter ihnen den Hügel heraufgekrochen kamen, sahen sie nicht kommen, ehe ein Kieselstein gegen einen Felsen klickte und den steilen Hang unterhalb des Gipfels hinunterkollerte. Die Jungen sahen sich an und überlegten, was für ein Tier sie wohl aufgescheucht haben könnten, und einer von ihnen stieß einen Warnruf aus, als er bewaffnete Männer auf sie zuklettern sah. Es waren sieben kräftige, narbenübersäte Raptores, die die Zähne bleckten, als sie sahen, mit wie wenig Verteidigern sie es zu tun hatten. Pompeius’ Männer sprangen auf, das Essen flog in hohem Bogen durch die Luft, ein mit Wasser gefüllter Tonkrug stürzte um und hinterließ einen dunklen Fleck auf dem staubigen Boden. Bevor sie die Schwerter gezogen hatten, waren sie bereits umstellt, aber sie kannten ihre Pflicht: Der erste der Raptores wurde niedergeschlagen, als er sich zu nahe heranwagte. Die anderen griffen wütend an, doch dann zerschnitt eine Stimme die Luft. »Halt! Wer sich bewegt, ist ein toter Mann!«, brüllte Brutus, der mit zwanzig Soldaten in seinem Gefolge auf sie zugerannt kam. Auch wenn er alleine gewesen wäre, hätte sein Auftauchen womöglich ausgereicht, denn es gab kaum jemanden in Rom, der seine silberne Rüstung nicht erkannt hätte, oder das Schwert mit dem goldenen Griff, das er beim Turnier gewonnen hatte. Die Raptores erstarrten. Sie waren Diebe und Mörder und keineswegs darauf vorbereitet, in ihrer eigenen Stadt gut ausgebildeten Soldaten gegenübertreten zu müssen. Sofort gaben sie ihren Angriff auf die Fahne auf und flüchteten in alle Richtungen den steilen Hang hinunter. Einige von ihnen gerieten ins Straucheln und kugelten kopfüber hinab, wobei sie ihre Waffen panisch von sich warfen. Als Brutus am Fahnenmast ankam, war er ein wenig außer Atem. Pompeius’ Männer salutierten mit roten Köpfen vor ihm. »Es wäre doch eine Schande, wenn ein paar Diebe die Wahl stören würden, oder?«, sagte Brutus und blickte den immer kleiner werdenden Gestalten nach. »Ich glaube, Brinius und ich hätten sie aufhalten können, Herr«, antwortete einer von Pompeius’ Männern, »aber diese Jungen sind anständige Burschen, und wir hätten bestimmt den einen oder anderen von ihnen verloren.« Er hielt inne, als ihm klar wurde, dass er sich nicht besonders dankbar anhörte. »Natürlich waren wir froh, dich zu sehen, Herr. Willst du sie entkommen lassen?« Der Legionär trat gemeinsam mit Brutus an den Rand und beobachtete die wilde Flucht der Raptores. Brutus schüttelte den Kopf. »Ich habe unten ein paar Reiter postiert. Diese Schurken werden die Stadt nicht erreichen.« »Danke, Herr«, erwiderte der Soldat grimmig lächelnd. »Das hätten sie auch nicht verdient.« »Kannst du von hier aus erkennen, welcher der Kandidaten im Augenblick hinten liegt?«, fragte Brutus und spähte zu der dunklen Masse der Bürger in der Ferne hinaus. Er konnte erkennen, wo Julius stand, und sah bei einem der Männer in seiner Nähe wiederholt einen roten Fleck aufblitzen. Er nickte befriedigt. Julius’ Vermutung hatte sich als richtig erwiesen. Der Soldat des Pompeius zuckte die Achseln. »Wir können von hier aus nicht viel sehen, Herr. Glaubst du, das rote Tuch war ihr Zeichen?« Brutus lachte. »Tja, das werden wir wohl nie beweisen können. Natürlich ist es verlockend, diese Halunken mit ein paar Goldmünzen zu bestechen und sie auf ihren Auftraggeber zu hetzen. Besser, als lediglich ihre Leichen hier draußen liegen zu lassen, meinst du nicht?« Der Soldat nickte verunsichert. Sein oberster Heerführer war kein Freund des Mannes, der neben ihm stand, aber die silberne Rüstung versetzte ihn in Ehrfurcht. Jetzt konnte er seinen Kindern erzählen, dass er mit dem größten Schwertkämpfer Roms gesprochen hatte. »Das wäre viel besser, Herr«, sagte er. »Falls es ihnen gelingt.« »Ach, daran zweifle ich nicht. Meine Reiter können sehr überzeugend sein«, antwortete Brutus und sah zu der Fahne hinauf, die hoch über ihm im Wind flatterte. Suetonius ließ den Blick so unauffällig wie möglich zur Fahne auf dem Janiculum wandern. Sie wehte immer noch. Er biss sich wütend auf die Unterlippe und fragte sich, ob er das rote Tuch noch ein weiteres Mal aus seiner Toga hervorziehen sollte. Schliefen sie? Oder hatten sie etwa bloß sein Geld genommen und saßen jetzt irgendwo in einer Taverne und betranken sich? Er bildete sich ein, auf dem dunklen Hügelkamm Gestalten auszumachen, die sich bewegten, und fragte sich, ob die Männer, die er angeheuert hatte, sein Zeichen nicht sehen konnten. Schuldbewusst blickte er sich um und langte noch einmal in den weichen Stoff seines Gewandes. In diesem Augenblick sah er, dass Julius ihn anlächelte; sein belustigter Blick schien jeden Gedanken in seinem Kopf zu lesen. Suetonius erstarrte mitten in der Bewegung und spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Octavian lag im hohen Gras, sein Pferd, dessen Brust sich in langen, langsamen Atemzügen hob und senkte, neben sich. Sie hatten ihre Tiere monatelang darauf trainiert, in dieser unnatürlichen Lage zu verharren, jetzt brauchten die Extraordinarii ihnen nur noch eine Hand auf das weiche Maul zu legen, damit sie still liegen blieben. Sie beobachteten, wie die Raptores den Janiculum hinuntergestolpert und -gesprungen kamen, und Octavian grinste. Julius hatte Recht damit gehabt, dass womöglich jemand versuchen würde, die Fahne einzuholen, falls die Wahl anders verlief als erwartet. Obwohl es ein einfacher Plan war, hätte er verheerende Auswirkungen gehabt. Die Bürger Roms wären in die Stadt zurückgeströmt, und das bisherige Wahlergebnis wäre für ungültig erklärt worden. Dann wäre bis zum nächsten Termin vielleicht ein weiterer Monat vergangen, eine lange Zeit, in der sich so manches ändern konnte. Octavian wartete, bis die Flüchtenden ganz nahe heran waren. Dann stieß er einen leisen Pfiff aus und schwang sein Bein über den Sattel, als sein Pferd aufstand. Der Rest sprang mit ihm zusammen auf und saß im Sattel, ehe die Pferde ganz aufrecht standen. Den fliehenden Dieben erschien es, als wüchse ein voll bewaffneter Trupp Kavallerie vor ihnen aus dem Boden. Die sieben Männer gerieten vollkommen in Panik und warfen sich entweder flach auf den Boden oder rissen die Hände in die Luft, um sich auf der Stelle zu ergeben. Octavian zog sein Schwert und blickte sie an. Ihr Anführer betrachtete ihn schicksalsergeben, drehte den Kopf zur Seite und spuckte ins tiefe Gras. »Na kommt schon! Bringt es hinter euch«, sagte er. Trotz seines augenscheinlichen Fatalismus beobachtete der Dieb die Positionen der Reiter ganz genau und entspannte sich erst, als ihm jeder Ausweg versperrt war. Er hatte gehört, dass ein Mensch über eine kurze Distanz schneller laufen konnte als ein Pferd, aber wenn er die glänzenden Rösser der Extraordinarii so betrachtete, erschien ihm das eher unwahrscheinlich. Als sie den Männern die Schwerter abgenommen hatten, löste Octavian seinen Helm vom Sattel und setzte ihn auf. Der Federbusch wehte sanfte im Wind, machte den Reiter noch größer und verlieh ihm einen Furcht einflößenden Anblick. Der Teil seines Solds, den der Helm gekostet hatte, war eine gute Investition gewesen. Die Raptores blickten ihn jetzt alle an und warteten erbittert auf den Befehl, auf den hin die Reiter kurzen Prozess mit ihnen machen würden. »Ich schätze, euren Herrn kann man wohl kaum vor Gericht stellen«, sagte Octavian. Der Anführer spuckte wieder aus. »Wir kennen keinen Herrn, Soldat, außer vielleicht das Silber«, sagte er, und als er spürte, dass etwas in der Luft lag, nahm sein Gesicht blitzschnell einen gerissenen Ausdruck an. »Es wäre doch schade, wenn er ohne eine ordentliche Tracht Prügel davonkommen würde, oder?«, fragte Octavian naiv. Die Raptores nickten. Selbst der Langsamste unter ihnen hatte inzwischen verstanden, dass der Befehl, sie zu töten, nicht erfolgen würde. »Ich kann ihn wiederfinden, wenn du uns laufen lässt«, sagte der Anführer, wagte aber noch nicht vollends zu hoffen. Für einen Mann, der in der Stadt aufgewachsen war, hatten die Pferde etwas Beängstigendes. Er hatte eigentlich nie gewusst, wie groß diese Tiere waren, und zuckte zusammen, als eines hinter ihm schnaubte. Octavian warf einen kleinen Beutel in die Luft, den der Anführer auffing und sofort in der Hand wog. Dann ließ er ihn in seiner Tunika verschwinden. »Ich erwarte gründliche Arbeit«, sagte Octavian und ließ sein Pferd ein paar Schritte zurücktreten, damit die Männer passieren konnten. Einige von ihnen machten Anstalten, vor den Reitern zu salutieren, als sie sich ihren Weg zwischen ihnen hindurchbahnten und den Rückweg in die Stadt antraten. Keiner von ihnen wagte es, sich umzublicken. Noch bevor die letzten Zenturien gewählt hatten, wusste Julius, dass er und Bibulus die Sitze als Konsuln für das nächste Jahr gewonnen hatten. Die Senatoren, die sie beide umschwärmten, erinnerten ihn an Bienen, und er musste grinsen, als er Bibulus’ verwirrten Gesichtsausdruck sah. Viele Männer, die Julius kaum kannte, klopften ihm auf die Schulter und drückten ihm die Hand, und noch ehe ihm sein veränderter Status richtig klar geworden war, war er schon dabei, Fragen und Bitten um Unterredungen zu beantworten und sich von überaus lohnenden Investitionen erzählen zu lassen. In ihrer Rolle als offizielle » Comitia Centuriata« hatten die Bürger Roms zwei neue Würdenträger geschaffen, die von der Stadt ausgesaugt werden konnten, und Julius fühlte sich von der vielen Aufmerksamkeit überwältigt und irritiert. Wo hatten all diese lächelnden Anhänger während des Wahlkampfs gesteckt? Im Vergleich zu der oberflächlichen Herzlichkeit des Senats waren die Glückwünsche von Pompeius und Crassus ein wirkliches Vergnügen, vor allem weil Julius wusste, dass Pompeius lieber Glasscherben gefressen hätte, als diese Worte auszusprechen. Julius schüttelte die dargebotene Hand ohne jedes Anzeichen von Schadenfreude, die Gedanken bereits auf die Zukunft gerichtet. Ganz egal, wen das Volk als neue Senatsführer gewählt hatte, die scheidenden Konsuln waren immer noch ein Machtfaktor in der Stadt. Nur ein Narr würde sie im Augenblick des Triumphs verärgern. Der Magistrat kletterte auf ein kleines Podest, um die letzten Zenturien nach Hause zu schicken. Sie senkten die Köpfe, als er lauthals ein Dankgebet zu ihnen sprach, das mit dem traditionellen Befehl »Discedite! « endete. Die Bürger taten wie befohlen und zerstreuten sich lachend und scherzend, während sie sich auf den Rückweg in die versiegelte Stadt machten. Suetonius und sein Vater hatten Julius ihre Aufwartung gemacht, und Julius hatte sich freundlich mit ihnen unterhalten, weil er wusste, dass es eine Gelegenheit war, die Beziehungen, die in der Vergangenheit und während des Wahlkampfs gelitten hatten, etwas zu kitten. Er konnte sich die Geste leisten, und auch Prandus schien seine Freundlichkeit anzunehmen, als er sich vor dem designierten Konsul Roms verbeugte. Sein Sohn Suetonius hingegen hatte Julius nicht angesehen, und seinem Gesicht war die Enttäuschung anzusehen. Pompeius’ Männer hatten Pferde gebracht, und Julius hob den Blick, als man ihm Zügel in die Hand drückte. Vom Rücken eines grauen Wallachs aus sah Pompeius mit unergründlicher Miene zu ihm herab. »Es wird noch Stunden dauern, bis der Senat wieder zusammentritt, um die Posten zu bestätigen, Julius. Wenn du gleich mit uns reitest, haben wir die Curia für uns allein.« Crassus beugte sich über den Hals seines Pferdes, um vertraulicher mit ihm zu sprechen: »Vertraust du mir – dieses eine Mal noch?« Julius sah zu den beiden Männern auf und spürte die Anspannung, mit der beide seine Antwort erwarteten. Er zögerte nicht, schwang sich in den Sattel und hob den Arm für diejenigen in der Menge, die ihre Unterhaltung beobachteten. Sie jubelten ihm zu, als er sein Pferd herumwarf und mit den beiden Konsuln über das weite Feld ritt, gefolgt von einer Zenturie aus Pompeius’ Kavallerie als Eskorte. Die Menge machte ihnen bereitwillig Platz, und ihre langen Schatten folgten ihnen. 20 Ohne die wählenden Hundertschaften wirkte die Stadt merkwürdig leer, als die drei Männer durch die Straßen ritten. Julius fühlte sich an die stürmische Nacht erinnert, in der er zu den Gefängniszellen hinuntergestiegen war und Catilinas gefolterte Männer vorgefunden hatte. Als sie vor dem Senatsgebäude von den Pferden stiegen, sah er zu Crassus hinüber. Der alte Mann hob die Augenbrauen und ahnte, was der Grund für diesen Blick war. Julius hatte die Hallen des Senatsgebäudes noch nie zuvor betreten, ohne dass die Bänke darin voll besetzt gewesen wären. Die ungewohnte Leere ließ jeden ihrer Schritte widerhallen. Schließlich setzten sie sich in der Nähe des Rednerpults zusammen. Die Tür war offen geblieben; ein goldener Sonnenstrahl fiel schräg herein und ließ die Marmorwände leicht und luftig wirken. Die normalen Prozeduren waren durch die Besonderheit der Lage außer Kraft gesetzt worden, und Julius lehnte sich mit einem ungekannten Gefühl der Zufriedenheit auf der harten Holzbank zurück. Seine Wahl wurde ihm erst jetzt richtig bewusst, und er konnte sich bei dem Gedanken daran kaum ein Grinsen verkneifen. Pompeius ergriff das Wort: » Crassus und ich dachten uns, wir alle könnten von einem privaten Gespräch vor der Senatssitzung profitieren.« Er stand wieder auf und fing an, beim Reden auf und ab zu gehen. »Wenn wir die blumigen Worte für die Öffentlichkeit beiseite lassen, besteht zwischen uns dreien keine große Freundschaft. Wir respektieren einander, wie ich hoffe, aber wir mögen uns nicht besonders.« Er machte eine Pause, und Crassus zuckte die Achseln. Julius sagte nichts. »Wenn es uns nicht gelingt, für das nächste Jahr eine Vereinbarung zu erreichen«, fuhr Pompeius fort, »rechne ich für die Stadt mit einem sinnlos vergeudeten Jahr. Ihr habt gesehen, welchen Einfluss Suetonius auf Bibulus hat. Bereits in den letzten Jahren musste sich der ganze Senat seine weinerlichen Beschwerden über dich anhören. Gemeinsam werden sie jeden deiner Vorschläge zunichte machen, verzögern oder verhindern, bis gar nichts mehr getan wird. Das wäre nicht gut für Rom.« Julius sah ihn an und erinnerte sich an ihre erste Begegnung, hier in diesem Saal. Pompeius war ein ausgezeichneter Taktiker, sowohl im Feld als auch im Senat, aber ihm und Crassus stand der Verlust der Macht und des Respekts bevor, den sie beide so sehr genossen. Das war der wahre Grund für dieses Privattreffen, nicht die Sorge darum, wie Julius sein Jahr als Konsul am besten nutzen konnte. Ein Abkommen zwischen ihnen dreien war möglich – falls sich Bedingungen fanden, die sie alle zufrieden stellten. »Ich habe bereits darüber nachgedacht«, sagte Julius. Suetonius ritt zum Stall des Gasthauses zurück, in dem er sich für den Wahltag ein Zimmer genommen hatte. Sein Vater hatte kaum mit ihm geredet und nur genickt, als der Sohn ihm sein Beileid für die Niederlage ausgesprochen hatte. Senator Prandus hatte schnell und ohne ein Wort gegessen, war dann nach oben auf sein Zimmer gegangen und hatte seinen Sohn alleine gelassen, der seine Enttäuschung in billigem Wein zu ertränken versuchte. Die Tür zur Taverne ging auf, und Suetonius hob den Blick in der Hoffnung, es könnte Bibulus sein, der ihm Gesellschaft leisten wollte. Zweifellos war sein Freund inzwischen längst wieder in seinem palastartigen Haus und ließ sich völlig unbeschwert von hübschen Sklaven massieren. Suetonius hatte noch nicht darüber nachgedacht, was es bedeutete, dass Bibulus Konsul war. Sein erster, panischer Gedanken war gewesen, dass die Immunität als Konsul ihn seiner Macht über ihn berauben könnte, doch dies hatte er gleich wieder verworfen. Immunität hin oder her, Bibulus würde nicht wollen, dass seine Gewohnheiten in der Stadt bekannt wurden. Vielleicht konnte er sogar davon profitieren, dass sein fetter Freund den Senat anführte. Er hatte es nicht so geplant, aber einen Konsul zu haben, der alles tat, was er wollte, konnte durchaus interessant werden. Suetonius beschloss, Bibulus in seinem Haus aufzusuchen und ihn an ihre Beziehung zu erinnern. Der Mann, der eingetreten war, war ein Fremder, und Suetonius ignorierte ihn nach kurzem Blickkontakt. Er war zu betrunken, um zu erschrecken, als sich der Mann räusperte und ihn ansprach. »Herr, der Stallbursche sagt, es gäbe da ein Problem mit deinem Pferd. Er glaubt, es hat einen Dorn im Huf.« »Wenn dem so ist, lasse ich ihn auspeitschen«, stieß Suetonius hervor und stand zu schnell auf. Er bemerkte die stützende Hand auf seiner Schulter nicht, die ihn aus dem Gasthaus in die Dunkelheit hinausführte. Die Nachtluft lichtete den Nebel etwas, den der Wein über seine Gedanken gelegt hatte. Er machte sich von dem Arm los, der ihn festhielt, als sie den niedrigen Stall betraten. Im Stall hielten sich zu viele Männer auf, um sich nur um die Pferde zu kümmern. Sie grinsten ihn an, und kalte Angst machte sich in seinem heftig strömenden Blut breit. »Was wollt ihr? Wer seid ihr?«, tobte Suetonius. Der Anführer der Raptores trat aus dem Schatten, und Suetonius wich zurück, als er seinen Gesichtsausdruck sah. »Für mich ist das nur ein Auftrag, aber ich versuche, meine Aufträge immer so gut wie möglich auszuführen«, sagte er und ging langsam auf den jungen Römer zu. Suetonius wollte sich wehren, wurde aber sofort an beiden Armen festgehalten, und eine Hand hielt ihm den Mund zu. Der Anführer krümmte und streckte bedrohlich die Finger. »Macht die Lampen aus, Jungs. Dafür brauche ich kein Licht«, sagte er, und in der plötzlichen Dunkelheit hörte man nur noch das Geräusch schwerer Schläge. Julius wünschte, er hätte die Nacht zuvor geschlafen. Die Müdigkeit lastete schwer auf ihm, aber ausgerechnet jetzt musste er hellwach sein, um mit den beiden Männern zu verhandeln. »Gemeinsam habt ihr doch immer noch genug Unterstützung im Senat, um alles durchzubringen.« »Aber nicht gegen das Veto eines Konsuls«, erwiderte Pompeius sofort. Julius zuckte die Achseln. »Mach dir deswegen keine Gedanken. Um Bibulus kümmere ich mich, wenn es so weit ist.« Pompeius blinzelte ihn an, während Julius weitersprach. »Ohne dieses Hindernis habt ihr mehr als genug Anhänger im Senat. Die Frage ist nur, was ich euch bieten muss, um mich eurer Unterstützung zu versichern.« »Ich glaube nicht ... «, setzte Crassus an, aber Pompeius hob die Hand. »Lass ihn ausreden, Crassus. Du und ich, wir haben schon oft genug darüber geredet, ohne zu einer Lösung zu kommen. Ich möchte hören, was er für Vorstellungen hat.« Julius lachte über ihre Ungeduld. »Crassus will den Handel. Zusammen, Pompeius, könnten wir ihm ein absolutes Monopol innerhalb der römischen Gebiete gewähren. Sagen wir ... eine Lizenz für zwei Jahre. Damit hätte er jede Münze in unserem Herrschaftsgebiet in seiner Gewalt, trotzdem würde ich nicht daran zweifeln, dass der allgemeine Wohlstand in seinen Händen noch zunimmt. Wie ich Crassus kenne, ist die Schatzkammer Roms in weniger als einem Jahr zum Bersten gefüllt.« Crassus quittierte das Kompliment mit einem Lächeln, aber er schien nicht sonderlich gerührt zu sein. Julius hatte gehofft, den alten Mann alleine mit der Lizenz ködern zu können, aber das Abkommen musste sie alle zufrieden stellen, sonst würde es bei der ersten Prüfung zerbrechen. »Vielleicht ist das nicht genug?«, sagte Julius und beobachtete die beiden genau. Pompeius’ Augen funkelten vor Interesse, und Crassus war tief in Gedanken versunken. Der Gedanke an eine totale Kontrolle über den Handel berauschte ihn, und er wusste besser als Julius, was er mit einer solchen Macht erreichen konnte. Seine Konkurrenten würden auf einen Streich zu Bettlern werden, ihre Häuser und Sklaven unter den Hammer kommen. Innerhalb kürzester Zeit würde er seinen Landbesitz verdreifachen können und eine Handelsflotte besitzen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Er würde die Verluste durch Stürme in weit entfernten Regionen ignorieren können und seine Schiffe in exotische Länder schicken, nach Ägypten, nach Indien, sogar in Länder, die nicht einmal einen Namen hatten. Aber nichts davon war ihm anzusehen. Er zog die Stirn in Falten, damit der junge Mann dachte, er müsste noch überzeugt werden, während er in Gedanken ganz benommen war von dem Gedanken an die Flotte, die er zusammenkaufen würde. »Und was verlangst du für dich selbst, Julius?«, fragte Pompeius ungeduldig. »Ich möchte sechs Monate lang im Senat mit eurer Unterstützung arbeiten. Die Versprechen, die ich dem Volk von Rom gegeben habe, will ich erfüllen. Ich will neue Gesetze und Bestimmungen verabschieden. Einige werden die etwas altmodischeren Mitglieder des Senats verärgern, deshalb brauche ich eure Stimmen, um mich über ihre Einwände hinwegzusetzen. Das Volk hat mich gewählt, da werden wir uns nicht von Bibulus oder einem Haufen zahnloser alter Männer aufhalten lassen.« »Ich sehe nicht, welchen Vorteil eine solche Vereinbarung für mich haben sollte«, warf Pompeius ein. Julius hob die Augenbrauen. »Außer dem Wohle Roms, natürlich.« Er lächelte, um seiner Spitze ein wenig die Schärfe zu nehmen, als Pompeius rot anlief. Er wusste, dass er mit einem falschen Schritt immer noch alles verlieren konnte. »Deine eigenen Wünsche sind doch ganz einfach, mein Freund«, sagte Julius. »Du willst die Diktatur, auch wenn du dich vielleicht gegen den Namen wehrst. Crassus und ich werden jeden Antrag und jede Abstimmung unterstützen, die du vor dem Senat vorschlägst. Gemeinsam haben wir den Senat völlig in der Hand.« »Das ist keine Kleinigkeit«, sagte Pompeius leise. Julius’ Vorschläge widersprachen vollkommen dem ursprünglichen Konzept von zwei Konsuln, nämlich dem, dass sie sich gegenseitig kontrollierten, aber Pompeius hielt es nicht für nötig, das zu erwähnen. Julius nickte. »Ich würde das nicht vorschlagen, wenn ich nicht solche Achtung vor dir hätte, Pompeius. Wir waren in der Vergangenheit oft unterschiedlicher Meinung, aber deine Liebe für die Stadt habe ich niemals in Frage gestellt, und wer kennt dich besser als ich? Wir haben Cato zusammen besiegt, weißt du noch? Rom wird unter dir nicht leiden.« Die Schmeichelei war vielleicht etwas offensichtlich, obwohl Julius zu seiner eigenen Überraschung merkte, dass er wenigstens zum Teil selbst daran glaubte. Pompeius war ein guter Führer und würde die römischen Interessen, auch wenn er sie nicht ausweitete, mit Überzeugung und Stärke vertreten. »Ich traue dir nicht, Cäsar«, sagte Pompeius offen. »Diese ganzen Versprechungen sind nichts wert, wenn wir nicht fester gebunden sind.« Er räusperte sich. »Ich brauche ein Zeichen des guten Willens von dir, einen Beweis, dass deine Unterstützung mehr wert ist als nur schöne Worte.« »Sag mir, was du willst«, sagte Julius achselzuckend. »Wie alt ist deine Tochter?«, fragte Pompeius. Sein Gesicht war todernst, aber Julius verstand sofort, worauf er hinauswollte. »Sie wird dieses Jahr zehn«, erwiderte er. »Zu jung für dich, Pompeius.« »Aber das wird nicht immer so bleiben. Verbinde dein Blut mit mir, und ich nehme deine Versprechen an. Meine Frau liegt jetzt schon mehr als drei Jahre im Grab. Ein Mann sollte nicht alleine sein. Schick sie zu mir, wenn sie vierzehn ist, dann werde ich sie heiraten.« Julius rieb sich die Augen. Es hing so viel davon ab, dass er sich mit diesen beiden alten Wölfen einigte. Wenn seine Tochter eine von seinen Soldaten gewesen wäre, hätte er sie bei diesem Einsatz geopfert, ohne einen Augenblick nachzudenken, das wusste er. »Sechzehn. Sie soll deine Braut werden, wenn sie sechzehn ist«, sagte er schließlich. Pompeius strahlte ihn an, nickte und streckte ihm die Hand hin. Julius wurde kalt, als er sie ergriff. Jetzt hatte er sie beide, wenn er die letzten Mosaiksteinchen liefern konnte, aber das Problem Crassus lastete immer noch auf seinem Gemüt. In der stillen Curia konnte er die Schritte von Pompeius’ Soldaten hören, die über das Forum marschierten. Sie lieferten ihm die Lösung. »Außerdem noch eine Legion, Crassus«, sagte Julius und dachte schnell nach. »Ein neuer Adler, der auf dem Campus Martius in deinem Namen aufgestellt wird. Männer, die ich ausbilden und deren Reihen ich ein halbes Jahr lang mit meinen besten Offizieren auffüllen werde. Wir heben sie auf dem Land aus, unter den Zehntausenden von Männern, die noch nie die Gelegenheit hatten, für Rom zu kämpfen. Sie sollen dir gehören, Crassus, und ich kann dir sagen, es gibt keine größere Aufgabe oder Freude, als sie zu einer Legion zu formen. Ich werde sie für dich zu Legionären machen, aber du wirst den Federbusch ihres Heerführers tragen.« Crassus blickte die beiden Männer scharf an und dachte über das Angebot nach. Seit der Katastrophe gegen Spartakus hatte er sich ein Kommando gewünscht und sich nur von dem nagenden Zweifel abhalten lassen, kein so guter militärischer Führer zu sein wie Pompeius oder Cäsar. Wenn er Julius so zuhörte, schien es möglich zu sein, aber er versuchte zu sprechen, seine Zweifel zu erläutern. Julius legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich habe Männer aus Afrika und Griechenland geholt und Soldaten aus ihnen gemacht, Crassus. Mit Männern, die römisches Blut in sich haben, erreiche ich noch viel mehr. Catilina hat eine Schwäche erkannt, die wir beseitigen müssen, wenn Rom durch deinen Handel erblühen soll, meinst du nicht? Die Stadt braucht vor allem gute Männer auf den Mauern.« Crassus wurde rot. »Ich bin ... vielleicht nicht der Richtige, um sie anzuführen, Cäsar«, sagte er zähneknirschend. Julius konnte sich vorstellen, was ihn dieses Eingeständnis vor Pompeius gekostet hatte, aber er schnaubte nur verächtlich. »Das war ich auch nicht, ehe es mir Marius und Renius und, ja, auch Pompeius gezeigt haben. Durch ihre Ausbildung und ihr Beispiel. Niemand wird in diese Rolle hineingeboren, Crassus. Ich begleite dich auf den ersten Schritten, und Pompeius ist immer hier, an deiner Seite. Er weiß, wie sehr Rom eine zweite Legion zu seinem Schutz braucht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich in einer Stadt, die auf sein Wort hört, mit weniger zufrieden geben würde.« Beide blickten Pompeius an, der ohne zu zögern antwortete. »Was immer du willst, Crassus. An dem, was er sagt, ist etwas Wahres.« Ehe die beiden mehr als lächeln konnten, fuhr Pompeius fort. »Du malst uns da ein schönes Bild, Julius. Crassus bekommt seinen Handel, ich eine Braut und die Stadt, die ich liebe. Aber du hast uns den Preis für deine Großzügigkeit noch nicht genannt. Verrate ihn uns. Jetzt.« Crassus unterbrach ihn. »Ich werde die Bedingungen annehmen, mit zwei Zusätzen. Eine Lizenz für fünf Jahre, nicht für zwei, und mein ältester Sohn Publius soll in der Zehnten als Offizier dienen, als Zenturio. Ich bin ein alter Mann, Julius. Mein Sohn wird diese neue Legion nach mir führen.« »Dem kann ich zustimmen«, sagte Julius. Pompeius räusperte sich ungeduldig. »Aber was willst du, Cäsar?« Julius rieb sich wieder die Augen. Er hatte nicht daran gedacht, seine Familie mit der Linie des Pompeius zu verbinden, aber seine Tochter würde dadurch auf einen Schlag in die höchsten Gesellschaftskreise Roms aufsteigen. Es war ein durchaus faires Geschäft. Sie waren beide schon viel zu lange in der Politik, um eine solche Vereinbarung auszuschlagen, und er bot ihnen etwas, das besser war als der jämmerliche Verlust ihrer Macht und ihres Einflusses, auch wenn er nur teilweise erfolgen sollte. Julius wusste, wie süchtig Befehlsgewalt machte. Es gab keine größere Befriedigung, als andere anzuführen. Als er zu ihnen aufblickte, leuchteten seine Augen klar und hell. »Wenn meine sechs Monate in der Stadt um sind und die Gesetze, die ich durchsetzen will, in den Rollen stehen, ist es ganz einfach. Ich möchte meine beiden Legionen in neue Länder führen. Ich werde meine Vollmacht an Pompeius abgeben, und ich will, dass ihr beide Befehle unterschreibt, die mir die vollkommene Freiheit geben, im Namen Roms Soldaten auszuheben, Verhandlungen zu führen und Gesetze zu erlassen. Ich werde nur dann Bericht erstatten, wenn ich es für richtig erachte. Ich werde niemandem Rechenschaft schuldig sein außer mir selbst.« »Ist das denn legal?«, fragte Crassus. Pompeius nickte. »Wenn ich die Vollmacht des Konsuls habe, dann ja. Es gibt Präzedenzfälle.« Pompeius machte ein nachdenkliches Gesicht. »Und wo willst du mit deinen Legionen hinziehen? «, fragte er. Julius grinste, von seiner eigenen Begeisterung übermannt. Wie lange hatte er schon mit seinen Freunden darüber diskutiert, welche Richtung sie einschlagen würden. Und doch hatte es am Ende nur eine vernünftige Möglichkeit gegeben. Alexander war nach Osten gezogen; dieser Weg war ausgetreten. Er wollte sich nach Westen wenden. »Ich will die wilden Länder, meine Herren«, sagte er. »Ich will Gallien.« In voller Rüstung ging Julius durch die Nacht auf Bibulus’ Haus zu. Pompeius und Crassus glaubten, er wüsste eine Möglichkeit, seinem Mitkonsul einen Maulkorb zu verpassen, aber in Wahrheit hatte er keine Ahnung, wie er verhindern sollte, dass Bibulus und Suetonius ihre Pläne durchkreuzten. Julius ballte beim Gehen die Fäuste. Er hatte seine Tochter hergegeben, hatte Zeit, Geld und Macht an Pompeius und Crassus verpfändet. Im Gegenzug würde er mehr Freiheiten erhalten, als sie je ein Heerführer in der Geschichte der Stadt gehabt hatte. Sogar Scipio Africanus hatte nicht die Machtbefugnisse gehabt, über die Julius in Gallien verfügen würde. Selbst Marius war dem Senat Rechenschaft schuldig gewesen. Julius wusste, dass er sich so etwas nicht von einem einzigen Mann aus der Hand nehmen lassen würde, ganz egal, was er dafür tun musste. Die Menge machte dem entschlossen ausschreitenden Mann Platz. Diejenigen, die ihn erkannten, schwiegen. Der Gesichtsausdruck des neuen Konsuls verbat sich jeden Versuch, ihn zu grüßen oder ihm zu gratulieren. Viele Leute fragten sich, was für Nachrichten einen Mann am Tag seiner Wahl so erzürnt haben konnten. Julius ließ sie murmelnd hinter sich zurück und näherte sich allmählich den hohen Säulen und Toren von Bibulus’ Haus. Entschlossen hämmerte er mit der Faust gegen die Eichentür. Diesen letzten Schritt würde er durch nichts vereiteln lassen. Der Sklave, der ihm die Tür öffnete, war ein Knabe mit stark geschminktem Gesicht, das ihm einen lasziven Ausdruck verlieh, selbst dann noch, als er den Besucher erkannte und die Augen weit aufriss. »Ich bin ein Konsul Roms. Kennst du das Gesetz?« Der Sklave nickte voller Angst. »Dann verwehre mir nicht den Zutritt. Wenn du nur meinen Ärmel berührst, stirbst du. Ich bin hier, um deinen Herrn zu sprechen. Führ mich hinein.« »K-Konsul ...« Der junge Mann wollte vor ihm niederknien, doch Julius fuhr ihn unwirsch an. »Sofort!« Der bemalte Knabe brauchte keine weitere Aufforderung. Er drehte sich um, rannte fast vor Julius davon und ließ die Tür zur Straße hinter sich sperrangelweit offen stehen. Julius marschierte hinterher, durch Räume, in denen ihn ein Dutzend weiterer geschminkter Kinder wie versteinert anstarrten, als er zwischen ihnen hindurchging. Ein oder zwei schrien überrascht auf, und Julius funkelte sie wütend an. Gab es denn in diesem Haus keine Erwachsenen? So wie sie angezogen waren, erinnerten sie ihn mehr an Servilias Huren als an ... Er hätte den Jungen, der um eine Ecke bog, beinahe aus den Augen verloren, als ihm der Gedanke kam. Dann eilte er hinter dem Sklaven her, der jetzt noch schneller durch Vorräume und Flure lief, bis sie zusammen in einen hell erleuchteten Raum platzten. »Herr!«, rief der junge Mann. »Konsul Cäsar ist hier!« Julius blieb stehen und keuchte ein wenig; Zorn rauschte durch seine Adern. Bibulus war im Zimmer, und Suetonius stand über ihn gebeugt und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Am gegenüberliegenden Ende des Zimmers standen noch mehr hübsche Sklaven, und zwei nackte Knaben rekelten sich zu den Füßen der beiden Männer. Julius sah, dass ihre Gesichter vom Wein gerötet waren, und ihre Augen waren älter als ihre Haut. Er schauderte, als er sich Suetonius zuwandte. »Verschwinde!«, sagte er. Suetonius hatte sich langsam, wie in Trance, aufgerichtet, als Julius das Zimmer betrat. Seine Züge waren von Bosheit entstellt, während er mit den widersprüchlichen Gefühlen kämpfte, die auf ihn einstürzten. Ein Konsul durfte nicht berührt, nicht angefasst werden. Selbst Suetonius’ Position im Senat hätte ihn nach einer solchen Beleidigung nicht retten können. Langsam legte Julius die Hand auf sein Schwert. Er wusste, dass Bibulus ohne seinen Freund schwächer sein würde. Das hatte er schon gewusst, als er noch keinen Hebel in der Hand gehabt hatte, den er dem fetten Mann in die Eingeweide rammen konnte. Jetzt hatte er einen gefunden. Als Suetonius Bibulus Hilfe suchend anblickte, sah er nichts als blanke Angst im fleischigen Gesicht des Konsuls. Suetonius hörte, wie Julius quer über den Marmorboden auf sie zukam, trotzdem zögerte er und wartete auf ein einziges Wort, das ihm gestatten würde, zu bleiben. Bibulus sah wie versteinert zu, als Julius sich Suetonius näherte und sich zu ihm vorbeugte. Suetonius wich zurück. »Verschwinde!«, wiederholte Julius leise, und Suetonius floh. Als sich Julius zu Bibulus umdrehte, begann der Konsul zu stammeln. »Das ist mein H-Haus ... «, setzte er an. Julius brüllte ihn mit einer Lautstärke an, die Bibulus auf seiner Liege hastig rückwärts kriechen ließ. »Du Stück Dreck! Du wagst es, mit mir zu reden, während diese Kinder zu deinen Füßen sitzen! Wenn ich dich auf der Stelle umbringen würde, wäre das ein Gewinn für Rom! Nein, noch besser, ich sollte dir das Letzte abschneiden, das dich noch zum Mann macht. Genau das werde ich jetzt tun.« Julius zog das Schwert und näherte sich der Liege. Bibulus schrie auf, krallte sich in den Stoff und versuchte verzweifelt zu fliehen. Dicke Tränen rollten ihm über das Gesicht, als ihm Julius die glänzende Klinge über den Schritt hielt. Bibulus erstarrte. »Bitte!«, wimmerte er. Julius drehte die Klinge und schob sie tiefer in die Falten des Gewands. Bibulus drückte sich gegen die Lehne der Liege, konnte jedoch nicht weiter zurückweichen. »Bitte, was immer du willst ... « Er fing an, würgend zu schluchzen, wodurch sich glänzender Schleim zu den Tränen gesellte, bis sein Gesicht kaum noch als menschlich zu erkennen war. Julius wusste, dass ihm das Schicksal alles in die Hände gespielt hatte. Der kälteste Teil seines Wesens freute sich über die Schwäche, die Bibulus zeigte. Ein paar ausgesuchte Drohungen, und er würde es nie wieder wagen, sich im Senat blicken zu lassen. Doch als er zu sprechen begann, regte sich einer der Knaben, und Julius sah zu ihm hinab. Der Junge sah nicht ihn an, sondern seinen Herrn, reckte den Hals, um besser sehen zu können. Hass spiegelte sich in dem jungen Gesicht, ein schrecklicher Anblick. Seine Rippen waren deutlich zu sehen, an seinem Hals prangte ein dunkler Bluterguss. Der Junge mochte etwa so alt sein wie seine Tochter, dachte Julius. Er richtete seine Wut wieder auf Bibulus. »Verkaufe deine Sklaven. Verkaufe sie dahin, wo man ihnen nichts zu Leide tut, und schick mir die Adressen, damit ich mich nach jedem Einzelnen von ihnen erkundigen kann. Du wirst alleine leben, falls ich dich überhaupt am Leben lasse.« Bibulus nickte mit zitternden Hängebacken. »Ja, ja, das werde ich tun ... nur tu mir nichts.« Er brach wieder zusammen und schluchzte jämmerlich. Julius schlug ihm zweimal ins Gesicht, so dass sein Kopf nach hinten flog. Ein dünner Blutfaden rann über seine Lippen, und er zitterte deutlich sichtbar. »Wenn ich dich noch einmal im Senat sehe, wird dich auch deine Immunität nicht mehr schützen, das schwöre ich bei allen Göttern. Ich werde dich an einen abgeschiedenen Ort bringen und tagelang foltern lassen. Du wirst um dein Ende betteln.« »Aber ich bin ein Konsul!«, begehrte Bibulus auf. Julius schob die Schwertspitze vor, und Bibulus schnappte nach Luft. »Nur noch dem Namen nach. Ich will einen Mann wie dich nicht in meinem Senat haben. Nicht solange ich lebe. Deine Zeit dort ist um.« »Kann er mir jetzt noch wehtun?«, fragte der Sklavenjunge plötzlich. Julius drehte den Kopf und sah, dass der Knabe aufgestanden war. Er schüttelte den Kopf. »Dann gib mir ein Messer. Ich werde ihm wehtun«, sagte der Junge. Julius blickte ihm in die Augen und sah nur wilde Entschlossenheit. »Wenn du das tust, wird man dich töten«, sagte er leise. Der Junge zuckte die Achseln. »Das ist es wert«, sagte er. »Gib mir ein Messer, dann mache ich es.« Bibulus öffnete den Mund, und Julius drehte grob die Klinge. »Du sei still. Hier reden Männer. Da hast du nichts zu sagen.« Er wandte sich wieder dem Sklaven zu und sah, dass dieser sich bei seinen Worten höher aufrichtete. »Ich werde dich nicht aufhalten, Junge, wenn du das willst, aber lebendig ist er für mich nützlicher als tot. Wenigstens im Augenblick.« Eine Leiche würde eine weitere Wahl nach sich ziehen, und einen neuen Gegenspieler, der vielleicht nicht Bibulus’ Schwächen besaß. Trotzdem schickte Julius den Jungen nicht weg. »Du willst ihn lebend?«, fragte das Kind. Julius sah ihm lange in die Augen, ehe er nickte. »In Ordnung, aber ich will noch heute Nacht hier weg.« »Ich werde einen Platz für dich finden, Junge. Du hast meine Dankbarkeit.« »Nicht nur ich. Wir alle. Wir wollen hier keine einzige Nacht mehr verbringen.« Julius sah ihn überrascht an. »Ihr alle?« »Wir alle«, sagte der Sklave und hielt seinem Blick ohne das geringste Zittern stand. Julius schaute als Erster weg. »Nun gut, Junge. Bringe sie alle zum Eingang. Lasst mich noch eine Weile mit Bibulus allein, dann komme ich zu euch.« »Vielen Dank, Herr«, sagte der Junge. In wenigen Augenblicken waren alle Kinder mit ihm zusammen aus dem Raum verschwunden. Jetzt war nur noch Bibulus’ keuchender Atem zu vernehmen. »Wie h-hast du davon erfahren?«, flüsterte Bibulus. »Ehe ich hier hereinkam, hatte ich keine Ahnung, was du bist. Aber selbst wenn ich es nicht gesehen hätte – du triefst vor Schuld«, knurrte Julius. »Denk daran, ich werde es erfahren, wenn du dir wieder Kinder ins Haus holst. Wenn ich höre, dass auch nur ein einziger Knabe oder ein einziges Mädchen über deine Schwelle tritt, kenne ich keine Gnade mehr. Hast du mich verstanden? Der Senat gehört jetzt mir. Vollkommen.« Bei dem letzten Wort zuckte Julius mit dem Schwert. Bibulus schrie auf und verlor vor Angst die Kontrolle über seine Blase. Stöhnend fasste er nach dem sich rasch ausbreitenden Urinfleck, der sich mit ein wenig Blut vermischte. Julius steckte sein Schwert wieder in die Scheide und ging zur Eingangstür, wo sich mehr als 30 Sklaven versammelt hatten. Jeder der Flüchtlinge hielt ein kleines Bündel mit Kleidungsstücken im Arm. Ihre Augen waren im Licht der Lampen groß und verängstigt, und die Stille war fast schmerzhaft, als sie sich umdrehten und ihn ansahen. »Nun gut. Heute Nacht könnt ihr in meinem Haus bleiben«, sagte Julius. »Ich suche Familien für euch, die ein Kind verloren haben und euch lieben werden.« Ihre glücklichen Mienen beschämten ihn mehr als Messerklingen. Wegen ihnen war er nicht hierher gekommen. 21 Der Sommer voller langer, geschäftiger Tage war bereits vorbei, aber der Winter lag noch in weiter Ferne, als sich Julius am Quirinal-Tor in den Sattel schwang, um sich seinen Legionen auf dem Campus anzuschließen. Er ergriff die Zügel, blickte sich um und versuchte, diesen letzten Anblick der Stadt in seinem Gedächtnis festzuhalten. Wer konnte schon wissen, wie lange er im fernen Gallien davon würde zehren müssen? Die Reisenden und Kaufleute, die in dem kleinen römischen Lager am fernen Fuß der Alpen gewesen waren, wussten von einem trostlosen Ort zu berichten, kälter als jeder andere, wo sie je gewesen seien. Julius hatte seinen Kredit nahezu ausgeschöpft, um Pelze und Vorräte für 10000 Soldaten zu kaufen. Er wusste, dass er diese Schulden irgendwann begleichen musste, aber jetzt wollte er sich von diesem Gedanken nicht die letzten Augenblicke in seiner Heimatstadt verderben lassen. Das Quirinal-Tor stand offen, dahinter erblickte Julius den Campus Martius, auf dem seine Soldaten, zu schimmernden Rechtecken aufgestellt, geduldig warteten. Julius bezweifelte, dass es irgendwo eine Legion gab, die es mit der Zehnten aufnehmen konnte, und Brutus hatte hart gearbeitet, um aus den Männern, die er verpflichtet hatte, etwas Größeres zu machen. Julius war zufrieden mit dem Namen, den Brutus für sie ausgewählt hatte. Die Dritte Gallica würde in dem Land gehärtet werden, nach dem sie benannt worden war. Brutus und Octavian schwangen sich neben ihm auf die Pferde, während Domitius ein letztes Mal seinen Sattelgurt überprüfte. Julius lächelte, als er ihre silbernen Rüstungen sah. Alle drei hatten sich das Recht, sie zu tragen, redlich verdient, aber in den Straßen beim Tor boten sie darin einen ungewöhnlichen Anblick, und schon jetzt war eine Horde Gassenjungen zusammengekommen, um mit den Fingern auf sie zu zeigen und sie anzustarren. Und das zu Recht. Jedes Teil ihrer Rüstungen strahlte so hell, wie man es mit Politur und Tüchern nur erreichen konnte, und Julius war begeistert von dem Gedanken, mit diesen Männern für Rom reiten zu dürfen. Wenn Salomin mit ihnen geritten wäre, wäre es perfekt gewesen, dachte Julius. Mit Bedauern dachte er daran, dass es ihm nicht gelungen war, den kleinen Kämpfer davon zu überzeugen, mit ihnen nach Gallien zu ziehen. Salomin hatte lange von der römischen Ehre gesprochen, und Julius hatte ihm zugehört. Mehr konnte er nach Pompeius’ schändlichem Verhalten nicht für ihn tun, aber er hatte ihn nach der ersten Ablehnung nicht weiter bedrängt. Die Monate im Senat hatten Julius’ Erwartungen bei weitem übertroffen, und das Triumvirat hielt besser, als er es zu hoffen gewagt hatte. Crassus hatte zügig die Fäden des Handels übernommen, seine Flotte konnte sich schon jetzt mit allem messen, was Karthago jemals hatte zur See fahren lassen. Seine neu gegründete Legion war von den besten Offizieren der Zehnten halbwegs in Form gebracht worden, und Pompeius würde die Arbeit nach dem Abmarsch der Zehnten und der Dritten Gallica fortsetzen. Die drei Männer hatten in ihren gemeinsamen Monaten widerwillig Respekt voreinander entwickelt, und Julius hatte das Abkommen, das er mit ihnen getroffen hatte, nicht bereut. Nach der Wahlnacht war Bibulus zu keiner einzigen Sitzung im Senat erschienen. Gerüchte über eine langwierige Krankheit machten in der Stadt die Runde, aber Julius hatte über das, was geschehen war, Stillschweigen bewahrt. Er hatte sein Versprechen gegenüber den Kindern gehalten und sie nach Norden geschickt, wo sie bei liebevollen Familien aufwachsen würden. Aus Scham darüber, von ihrem Unglück profitiert zu haben, hatte er sie freigekauft, auch wenn das seine ohnehin schon knappen Mittel zusätzlich strapaziert hatte. Seltsamerweise hatte ihm diese einfache Tat mehr Befriedigung verschafft als fast alles andere in seinen Monaten als Konsul. »Brutus!«, rief eine Stimme und riss ihn aus den Gedanken. Julius wendete sein Pferd, und Brutus lachte laut auf, als er Alexandria entdeckte, die sich durch die Menge zum Tor vorkämpfte. Als sie ihn erreichte, stellte sie sich auf Zehenspitzen, um sich küssen zu lassen, aber Brutus griff nach ihr und zog sie zu sich in den Sattel. Julius wandte den Blick ab, obwohl sie das kaum bemerkt haben durften. Es war schwer, nicht an Servilia zu denken, als er sah, wie glücklich sie zusammen waren. Als Alexandria wieder auf der Straße abgesetzt wurde, fiel Julius ein Stoffbündel auf, das sie bei sich trug. Er hob die Augenbrauen, als sie es ihm hinhielt, noch immer rot im Gesicht von der Umarmung, die er mit angesehen hatte. Julius nahm das Bündel entgegen und wickelte es langsam aus. Er machte große Augen, als er einen kunstvoll gearbeiteten Helm erblickte. Er war aus poliertem Eisen gefertigt und glänzte vor Öl, aber das Merkwürdigste daran war der Gesichtsschutz, der seinen eigenen Zügen nachgebildet war. Ehrfurchtsvoll hob ihn Julius über den Kopf und setzte ihn auf, wobei er die an Scharnieren befestigte Gesichtsmaske an ihren Platz schob, bis sie einrastete. Der Helm passte wie angegossen. Die Augen waren groß genug, um gut hindurchsehen zu können, und an den Reaktionen seiner Gefährten erkannte er, dass der Helm die Wirkung erzielte, die Alexandria erhofft hatte. »Er hat einen kalten Gesichtsausdruck«, murmelte Octavian und starrte ihn an. Brutus nickte, und Alexandria griff nach Julius’ Steigbügel, um ein paar Worte unter vier Augen mit ihm zu wechseln. »Ich dachte, er wird deinen Kopf besser schützen als der Helm, den du normalerweise trägst. Oben ist eine Halterung für einen Federbusch, wenn du willst. In ganz Rom gibt es nichts Vergleichbares.« Julius blickte sie durch die eiserne Maske an und wünschte sich einen schmerzhaften Augenblick lang, sie würde ihm gehören und nicht seinem Freund. »Er ist vollkommen«, sagte er. »Ich danke dir.« Er beugte sich hinunter und umarmte sie, roch den kräftigen Duft, den sie immer trug. Einer plötzlichen Eingebung folgend nahm er den Helm ab, während sie zurücktrat, das Gesicht nicht nur von der Hitze gerötet. Die Legion würde noch etwas länger warten müssen. Vielleicht blieb ihm doch noch genug Zeit, Servilia zu besuchen, ehe er fort musste. »Alexandria, ich muss dich bitten, uns zu entschuldigen«, sagte Julius. »Meine Herren? Ich habe in der Stadt noch etwas zu erledigen, ehe wir uns den Männern anschließen.« Domitius schwang sich als Antwort in den Sattel, und die beiden anderen schlossen zu ihnen auf. Alexandria warf Julius eine Kusshand zu, als dieser seinem Pferd die Fersen in die Seiten drückte und sie durch die zurückweichende Menge die Straße hinunterritten. Als sie sich Servilias Haus näherten, verlor Brutus etwas von dem Strahlen, das Alexandria auf sein Gesicht gezaubert hatte. Eigentlich war es ihm ganz recht gewesen, dass die Beziehung zwischen Julius und seiner Mutter zu Ende gegangen war. Jetzt jedoch, da er den erwartungsvollen Gesichtsausdruck seines Freundes sah, stöhnte er innerlich auf. Er hätte wissen sollen, dass Julius nicht so einfach aufgeben würde. »Bist du dir sicher?«, fragte Brutus ihn, als sie vor der Tür abstiegen und die Pferde Servilias Sklaven übergaben. »Allerdings«, erwiderte Julius und trat ein. Als Konsul konnte Julius sich überall in der Stadt frei bewegen, aber sie alle vier waren in dem Haus auf verschiedene Art bekannt, und Octavian und Domitius blieben in einem Vorraum zurück, um die unerwartete Gelegenheit zu nutzen, sich von ihren Favoritinnen zu verabschieden. Brutus warf sich auf eine lange Liegebank und wartete dort. Als Einziger hatte er das Haus stets nur betreten, um seine Mutter zu besuchen. Alles andere hatte für ihn einen leicht inzestuösen Beigeschmack, und er ignorierte das Interesse der Mädchen, die für sie arbeiteten. Außerdem gab es ja noch Alexandria, wie er sich tugendhaft in Erinnerung rief. Julius schritt durch die langen Flure zu Servilias Privatgemächern. Was sollte er ihr sagen? Sie hatten seit Monaten nicht mehr miteinander geredet, aber der Augenblick des Abschieds hatte etwas Magisches an sich, einen Mangel an Konsequenz, der es ihnen vielleicht ermöglichte, zumindest zu ihrer alten Freundschaft zurückzufinden. Seine Stimmung hob sich, als er sie erblickte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das ihre Schultern freiließ, und er lächelte, als er die schwarze Perle sah, die in Gold gefasst auf ihrem Brustansatz lag. Alexandria hatte ihren guten Ruf wirklich verdient, dachte er. »Ich gehe fort, Servilia«, sagte er und ging auf sie zu. »Nach Gallien. Ich war schon am Tor, aber dann musste ich an dich denken.« Er glaubte ein leichtes Lächeln in ihren Mundwinkeln wahrzunehmen und fühlte sich dadurch ermutigt. Sie hatte noch nie so schön ausgesehen wie jetzt, und er wusste, dass er sich auf dem langen Marsch, der vor ihnen lag, jederzeit an ihr Gesicht würde erinnern können. Er ergriff ihre Hände, drückte sie und sah ihr in die Augen. »Warum kommst du nicht mit?«, fragte er. »Ich könnte die beste Kutsche Roms im Tross mitführen. Im Süden Galliens gibt es eine römische Siedlung. Du könntest bei mir sein.« »Damit du nicht selber nach Huren suchen musst, Julius?«, sagte sie leise. »Hast du Angst, so weit von Zuhause ohne Frau sein zu müssen?« Er starrte sie entsetzt an und sah eine Kälte und Härte, deren Intensität beinahe Furcht erregend war. »Ich verstehe dich nicht«, sagte er. Sie zog ihre Hand zurück, und er schwankte. Er stand nahe genug bei ihr, um ihr Parfum riechen zu können, und es trieb ihn fast zum Wahnsinn, sie nicht berühren zu dürfen, nachdem sie ihm einmal ganz gehört hatte. Er spürte Zorn in sich aufsteigen. »Du bist grausam, Servilia«, murmelte er, und sie lachte ihn aus. »Weißt du, wie viele abgewiesene Liebhaber ich in diesem Haus schon habe herumbrüllen sehen? Auch Konsuln, Julius, oder glaubst du, die wären zu erhaben für derlei Szenen? Was immer du von mir willst, du wirst es hier nicht finden. Hast du verstanden?« Irgendwo hinter ihr hörte Julius eine Männerstimme rufen. Er erstarrte. »Crassus? Ist er hier?« Servilia trat einen Schritt vor und drückte ihm die Hand gegen die Brust. Sie entblößte beim Sprechen die Zähne, und ihre Stimme hatte alles von der Weichheit verloren, die er so liebte. »Es geht dich überhaupt nichts an, mit wem ich mich treffe, Julius.« Julius verlor die Beherrschung und ballte die Fäuste. In seiner Wut dachte er daran, ihr die Perle vom Hals zu reißen, und sie wich vor ihm zurück, als hätte sie es gespürt. »Bist du jetzt etwa seine Hure? Zumindest vom Alter her passt er ja auch besser zu dir«, sagte Julius. Sie verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige, und er antwortete mit einem Schlag, der ihren Kopf nach hinten warf und so schnell kam, dass die Geräusche beinahe gleichzeitig ertönten. Servilia krallte mit ihrer anderen Hand nach seinen Augen und zerkratzte ihm die Wange. Julius fauchte sie an und ging auf sie los. Er war blind vor Wut, als sie vor ihm zurückwich, und dann verflog der Zorn und ließ ihn keuchend und dumpf zurück, mit verbittertem Gesicht. Ein Tropfen Blut aus einem der Kratzer fiel von seinem Kinn. Sein Blick folgte ihm. »Das ist also dein wahres Wesen, Julius«, sagte sie und stand steif vor ihm. Er sah, dass ihr Mund bereits anzuschwellen begann, und die Scham übermannte ihn. Höhnisch verzog sie das Gesicht. »Ich frage mich, was mein Sohn wohl sagen wird, wenn du ihn das nächste Mal siehst.« Ihre Augen funkelten vor Bosheit, und Julius schüttelte den Kopf. »Ich hätte dir alles gegeben, Servilia. Alles, was du wolltest«, sagte er leise. Dann ließ sie ihn stehen und ging davon. Brutus war aufgestanden, als Julius durch die äußeren Räume des Hauses zurückeilte. Octavian und Domitius waren bei ihm, undJulius sah ihnen an, dass sie alles mit angehört hatten. Brutus war kreidebleich, seine Augen wirkten leblos, und Julius verspürte einen unwillkürlichen Schauer der Furcht, als er seinen Freund ansah. »Hast du sie geschlagen, Julius?«, fragte Brutus. Julius berührte seine blutende Wange. »Ich werde mich nicht vor dir rechtfertigen, nicht einmal vor dir«, erwiderte er und wollte an den drei Männern vorbeigehen. Brutus’ Hand zuckte nach dem goldenen Griff des Schwertes, das er gewonnen hatte, aber Domitius und Octavian griffen nach ihren Klingen und stellten sich zwischen ihn und Julius. »Lass das! «, fuhr ihn Domitius an. »Geh einen Schritt zurück!« Brutus wandte seinen Blick von Julius ab und sah die beiden Männer an, die drohend vor ihm standen. »Glaubst du wirklich, ihr könntet mich aufhalten?«, sagte er. Domitius erwiderte seinen finsteren Blick. »Wenn es sein muss. Glaubst du, dass du irgendetwas änderst, wenn du dein Schwert gegen ihn erhebst? Was zwischen ihnen ist, geht dich genauso wenig an wie mich. Lass es gut sein.« Brutus nahm die Hand vom Schwert. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, dann jedoch stürmte er an ihnen vorbei, hinaus zu den Pferden, sprang in den Sattel und galoppierte zum Stadttor zurück. Domitius wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Er schaute zu Octavian hinüber und sah die Besorgnis im Gesicht des jungen Mannes, der sich zwischen Mächten gefangen sah, denen er nichts entgegenzusetzen hatte. »Er wird sich wieder beruhigen, Octavian, verlass dich drauf.« »Auf dem langen Marsch wird er es schon ausschwitzen«, sagte Julius und sah seinem Freund nach. Er hoffte, dass es stimmte. Noch einmal betastete er seine zerkratzte Wange und zuckte zusammen. »Nicht gerade das beste Omen«, murmelte er vor sich hin. »Gehen wir, meine Herren. Fürs Erste habe ich genug von dieser Stadt. Sobald wir aus dem Tor geritten sind, lassen wir das alles hinter uns.« »Das will ich hoffen«, sagte Domitius, aberJulius hörte ihn nicht. Als sie auf das Quirinal-Tor zugeritten kamen, wartete Brutus dort im Schatten. Julius sah, dass seine Augen blutunterlaufene Löcher in einem mordlustigen Gesicht waren, und dirigierte sein Pferd neben ihn. »Es war ein großer Fehler, noch einmal zu ihr zu gehen, Brutus«, sagte Julius und beobachtete ihn dabei genau. Er liebte seinen Freund mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, aber wenn er mit der Hand nach dem Schwert greifen sollte, war Julius darauf vorbereitet, ihn niederzureiten, um einem Angriff zuvorzukommen. Jeder Muskel in seinen Beinen war angespannt und bereit, als Brutus aufblickte. »Die Legionen sind marschbereit. Es wird Zeit«, sagte er. Seine Augen waren kalt, und Julius atmete langsam aus, während ihm die Worte in der Kehle erstarben. »Dann führe uns hinaus«, sagte er leise. Brutus nickte. Ohne ein weiteres Wort ritt er durch das Tor und hinaus auf den Campus und sah sich nicht noch einmal um. Julius trieb sein Pferd an, um ihm zu folgen. »Konsul!«, ertönte ein Schrei aus der Menge. Julius stöhnte laut. Nahm das denn nie ein Ende? Der Schatten des Tors war so verlockend nahe. Mit grimmigem Gesicht sah er eine Gruppe Männer auf die Pferde zulaufen. Herminius, der Geldverleiher, führte sie an, und als Julius ihn erkannte, blickte er voller Sehnsucht zum Tor. »Herr, ich bin froh, dass ich dich noch erwische. Du willst doch bestimmt nicht die Stadt verlassen, ohne deine Schulden zu begleichen, nicht wahr?«, stieß Herminius vor Anstrengung keuchend hervor. »Komm her!«, sagte Julius und winkte ihn zu sich. Er führte sein Pferd durch das Tor und auf den Campus hinaus, und Herminius folgte ihm verständnislos. Julius blickte auf den Mann hinab. »Siehst du diese Linie dort, wo das Tor eine Rille im Stein hinterlassen hat?«, fragte er. Herminius nickte verdutzt, und Julius lächelte. »Gut. Dann kann ich dir ja sagen, dass ich auch die letzte Kupfermünze, die ich mir borgen oder erbetteln konnte, darauf verwendet habe, meine Männer für Gallien auszurüsten. Allein die Vorräte und die Ochsen und Esel, die sie tragen, haben ein kleines Vermögen gekostet. Salz, Leder, Roheisen, Gold für Bestechungen, Pferde, Speere, Sättel, Zelte, Werkzeuge, die Liste hat kein Ende.« »Herr? Willst du damit etwa sagen ... «, sagte Herminius, der allmählich zu verstehen begann. »Ich will damit sagen, dass ich in dem Augenblick, als ich diese Linie überquert habe, meine Schulden hinter mir gelassen habe. Du hast mein Wort, Herminius. Ich werde dich bezahlen, sobald ich zurückkehre, bei meiner Ehre. Aber heute wirst du nicht eine Münze von mir bekommen.« Herminius erstarrte vor hilfloser Wut. Sein Blick fiel auf die silbernen Rüstungen der Männer, die neben Julius ritten. Dann seufzte er und versuchte zu lächeln. »Ich freue mich auf deine Rückkehr, Konsul.« »Natürlich, Herminius«, antwortete Julius und neigte spöttisch den Kopf zum Gruß. Als der Geldverleiher wieder verschwunden war, warf Julius noch einen letzten Blick zurück durch das Tor. Die Probleme der Stadt gingen ihn nichts mehr an, zumindest eine Zeit lang. »Und jetzt«, sagte er und drehte sich zu Domitius und Octavian um, »ziehen wir nach Norden.« Zweiter Teil Gallien  22 »Und warum bleibst du dann bei ihm?«, fragte Cabera. In dem Krieger in der silbernen Rüstung war nur noch selten etwas von dem Jungen zu erkennen, der er früher einmal gewesen war, und nur wenige andere im Lager hätten es gewagt, Brutus eine solche Frage zu stellen. Sie beobachteten, wie Julius die Eichenstufen zur Bogenschützenmauer der Sperranlagen hinaufstieg, die sie gebaut hatten. Er war zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen, aber Brutus sah, wie sich das Sonnenlicht auf seinem Brustpanzer spiegelte. Endlich riss er seinen Blick los und funkelte Cabera scharf an, als hätte er sich eben erst an dessen Anwesenheit erinnert. »Sieh ihn dir doch an«, erwiderte er. »Vor weniger als zwei Jahren hat er Spanien mit nichts verlassen, und jetzt ist er Konsul, mit Generalvollmacht vom Senat. Wer sonst hätte mich hierher bringen können, mit dem Befehl über meine eigene Legion? Wem sollte ich deiner Meinung nach sonst folgen?« Seine Stimme klang verbittert, und Cabera hatte Angst um die beiden Männer, die er schon als Kinder gekannt hatte. Ihm waren Einzelheiten über Julius’ Abschied von Servilia zu Ohren gekommen, obwohl ihr Sohn nie darüber gesprochen hatte. Er hätte Brutus gerne danach gefragt, wenn auch nur, um festzustellen, wie viel Schaden dabei angerichtet worden war. »Er ist dein ältester Freund«, sagte Cabera, und Brutus schien bei diesen Worten wieder munter zu werden. »Und ich bin sein Schwert. Wenn ich das, was er erreicht hat, ganz nüchtern betrachte, raubt es mir schier den Atem, Cabera. Sind sie denn Narren in Rom, dass sie seinen Ehrgeiz nicht erkennen? Julius hat mir von dem Abkommen erzählt, das er mit ihnen getroffen hat. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich frage mich, ob Pompeius wirklich der Meinung ist, er habe dabei für sich das Beste herausgeschlagen? Er mag jetzt die Stadt in seiner Hand haben, aber er ist lediglich ein Mieter, der darauf wartet, dass der Besitzer nach Hause zurückkehrt. Das Volk weiß es. Du hast die Massen gesehen, die auf den Campus hinausgekommen sind, um uns zu verabschieden. Pompeius muss ein Dummkopf sein, wenn er glaubt, Julius würde sich mit weniger als einer Krone zufrieden geben.« Dann brach er ab und sah sich um, ob sie jemand hören konnte. Die beiden Männer lehnten an Befestigungsmauern, deren Errichtung Monate gedauert hatte. Zwölf Meilen Mauer und Erdwall, nirgends weniger als drei Mannslängen hoch. Das Bollwerk überragte die Rhone und beherrschte ihren Verlauf entlang der Nordgrenze der römischen Provinz. Als Hindernis war die Anlage ebenso unüberwindbar wie die Alpen im Osten. Auf der Mauer hatte man genug Steine und Eisen angehäuft, um jede Armee zu versenken, die den Fluss zu überqueren versuchte. Die Legionäre waren voller Selbstvertrauen, während sie Wache hielten, doch nicht einer von ihnen glaubte, dass sich Julius mit der Verteidigung zufrieden geben würde. Nicht mit dem Dokument, das er bei sich trug. Julius hatte dieses Dokument dem Prätor der winzigen römischen Provinz, die sich an den Fuß der Alpen schmiegte, vorgelegt, und der Mann war beim Lesen blass geworden und hatte ehrfurchtsvoll mit dem Finger über das Siegel des Senats gestrichen. Nie zuvor hatte er einen so vage formulierten Befehl gesehen, und er konnte nur den Kopf neigen, während er über die Auswirkungen nachdachte. Pompeius und Crassus hatten sich nicht lange mit Einzelheiten aufgehalten; Brutus wusste sogar, dass Julius den Brief Adàn diktiert und ihn dann den beiden ehemaligen Konsuln geschickt hatte, um ihn siegeln und im Senat darüber abstimmen zu lassen. Das Schreiben war nicht sehr umfangreich und räumte Julius in Gallien sämtliche Vollmachten ein, und alle Legionäre, die er mitgenommen hatte, wussten dies. Cabera rieb die schlaffen Muskeln seiner einen Gesichtshälfte, und Brutus betrachtete ihn voller Mitgefühl. Nachdem er Domitius geheilt hatte, war er erschöpft zusammengebrochen. Seitdem war eine Gesichtshälfte wie gelähmt, und auch die eine Körperseite war nahezu unbrauchbar geworden. Er würde nie wieder einen Bogen spannen können, bei dem Marsch über die Alpen war er von den Männern der Zehnten in einer Sänfte getragen worden. Er hatte sich nie beklagt. Brutus glaubte, dass es allein die ungebrochene Neugierde war, die den alten Mann am Leben hielt. Er wollte einfach nicht sterben, solange es noch etwas zu sehen gab, und Gallien war für ihn genauso wild und fremd wie für alle anderen. »Hast du Schmerzen?«, erkundigte sich Brutus. Cabera zuckte die Achseln, so gut er es vermochte, und ließ die Hand fallen. Ein Augenlid hing herunter, als er den Blick erwiderte, und hin und wieder tupfte er sich den linken Mundwinkel ab, um den Speichel zu entfernen, ehe er heruntertropfte. Die Handbewegung war zu einem Teil seines Lebens geworden. »Es ging mir nie besser, geliebter Heerführer Roms, den ich schon als rotznäsigen kleinen Jungen gekannt habe. Nie besser, obwohl ich gerne einmal den Ausblick von oben genießen würde und jemand brauchen könnte, der mich hinaufträgt. Die Schwäche hat mich gepackt, und der Aufstieg erfordert ein Paar kräftige Beine.« Brutus stand auf. »Ich wollte sowieso hinauf, jetzt, wo sich die Helvetier am anderen Ufer versammeln. Wenn sie hören, dass Julius sie nicht durch unsere kleine Provinz ziehen lässt, könnte es ganz interessant werden. Hoch mit dir, alter Mann. Ihr Götter, du wiegst ja überhaupt nichts!« Cabera ließ sich auf Brutus’ Rücken ziehen, wo die kräftigen Arme des Generals seine Beine umfassten, während er sich selbst mit dem rechten Arm festhielt. Der andere hing nutzlos herab. »Es ist die Qualität deiner Last, die du in Betracht ziehen musst, Brutus, nicht ihr Gewicht«, sagte er, und obwohl die Worte durch die Krankheit undeutlich waren, verstand Brutus sie und lächelte. Julius stand an der Brustwehr und blickte über das schnell dahinfließende Wasser der Rhone hinweg, auf dem sich an manchen Stellen durch die Gewalt des Frühlingshochwassers weiße Schaumkronen zeigten. Das andere Ufer des breiten Flusses war bis zum Horizont mit Menschen bedeckt, Männer, Frauen und Kinder. Manche saßen da und ließen die Füße im Wasser baumeln, als hätten sie nichts weiter geplant als einen vergnüglichen Nachmittag. Die Kinder und die Alten trugen einfache Gewänder, die von einem Gürtel oder einer Kordel zusammengehalten wurden. Unter ihnen sah er auch gelbe oder rote Haarschöpfe neben dem häufigeren Braun. Sie führten Ochsen und Esel mit sich, die die riesigen Mengen an Lebensmitteln und Vorräten schleppten, die man brauchte, um eine so große Armee unterwegs zu versorgen. Julius hatte Verständnis für ihre Schwierigkeiten, weil er wusste, wie schwer es war, die Legionen unter seinem Kommando zu ernähren. Bei so vielen hungrigen Mäulern war es einfach nicht möglich, lange an einem Ort zu bleiben, und die Länder, durch die sie zogen, würden aller Lebewesen beraubt, der Viehbestand für Generationen dezimiert werden. Die Helvetier ließen auf ihrem Weg Armut hinter sich zurück. Die Soldaten waren an einer Art Rüstung aus dunklem Leder zu erkennen. Sie schritten durch die Menge und ermahnten diejenigen, die zu nah ans Wasser gingen. Julius beobachtete einen dabei, wie er sein Schwert zog und mit der flachen Seite Raum für ein Boot schaffte, das herbeigetragen wurde. Es war eine chaotische Szene, und Julius konnte die Töne eines Liedes hören, die durch die kalte Luft hinüberwehten; der Musiker war in der Menge nicht auszumachen. Die Helvetier ließen das Boot unter rhythmischem Sprechgesang in den Fluss hinunter und hielten es im seichten Wasser fest, bis eine Mannschaft von Ruderern ihre Plätze eingenommen hatte. Selbst mit drei Mann auf jeder Seite würden sie es schwer haben, gegen die reißende Strömung anzukämpfen. Der Gedanke an eine folgende Massenüberquerung war absurd, und die Römer, die sie beobachteten, blieben vollkommen gelassen. Selbst eine grobe Schätzung nach Zenturien war unmöglich. Julius war berichtet worden, dass die Helvetier das Land hinter sich verbrannt hatten, ehe sie nach Süden aufgebrochen waren. Er zweifelte nicht daran. Der riesige Stamm hatte seine Heimat bis auf den letzten Mann verlassen, und wenn es den Römern nicht gelang, sie aufzuhalten, würde sie ihr Weg direkt durch die schmale römische Provinz am Fuß der Alpen führen. »Eine solche Völkerwanderung habe ich noch nie gesehen«, sagte Julius wie zu sich selbst. Der römische Offizier neben ihm sah ihn an. Er hatte die Legionen, die Julius mitgebracht hatte, begrüßt, vor allem die Veteranen der Zehnten. Einige Leute im Handelsposten hatten sich über den Wechsel der Amtsgewalt geärgert, für andere jedoch war es wie ein plötzliches Bad in der Energie ihrer alten Heimatstadt gewesen. Wenn sie sich jetzt unterhielten, taten sie es mit kaum verhohlener Fröhlichkeit und einem neuen Selbstbewusstsein. Nie wieder würden sie die Verachtung der gallischen Händler zu spüren bekommen, die ihnen immer das Gefühl gegeben hatten, geduldet, aber niemals akzeptiert zu sein. Mit nur einer Legion war der Außenposten von Rom kaum anerkannt gewesen, und ohne den Weinhandel hätte man die Provinz womöglich schon längst aufgegeben. Diejenigen, die immer noch an Beförderungen und eine Karriere dachten, hießen Cäsar mit offenen Armen willkommen, und niemand mehr als ihr Befehlshaber Marcus Antonius. Als Julius ihm den Befehl des Senats gezeigt hatte, hatte er das breite Grinsen, das sich auf sein Gesicht stahl, nicht unterdrücken können. »Dann werden wir hier wohl bald was erleben«, hatte er zu Julius gesagt. »Ich habe schon so viele Briefe geschrieben, dass ich die Hoffnung fast aufgegeben hatte.« Julius hatte mit Entsetzen gerechnet, sogar mit drohender Befehlsverweigerung. Er war mit finsterem Gesicht in die römische Stadt eingeritten, um seine Entschlossenheit kundzutun, aber bei dieser Reaktion war jegliche Anspannung von ihm gewichen, und er hatte laut über Marcus Antonius’ offene Fröhlichkeit gelacht. Sie schätzten einander ab und fanden beide etwas am anderen, das ihnen gefiel. Julius hatte dem Befehlshaber fasziniert zugehört, als er ihm Bericht über die Region und den brüchigen Frieden mit den Stämmen der Gegend erstattete. Marcus Antonius hatte die Probleme, denen sie sich gegenübersahen, nicht verheimlicht, aber seine Worte hatten von einem tiefen Verständnis gezeugt, woraufhin Julius ihn sofort an seinen Beratungen beteiligt hatte. Falls die anderen sich über den schnellen Aufstieg des neuen Mannes ärgerten, ließen sie es sich nicht anmerken. Marcus Antonius war schon seit vier Jahren in der Provinz und konnte ein detailliertes Bild des Netzes von Bündnissen und Fehden zeichnen, das ein großes Hindernis für den Handel darstellte und eine effiziente Verwaltung unmöglich machte. »Es ist eigentlich weniger eine Völkerwanderung als ein Eroberungsfeldzug, Herr«, sagte Marcus Antonius. »Alle kleineren Stämme werden ihre Frauen verlieren, ihre Getreidevorräte, einfach alles.« Er hatte große Ehrfurcht vor dem Mann, den Rom gesandt hatte, aber ihm war aufgetragen worden, offen zu reden, und er genoss den neuen Status, den er dadurch erworben hatte, vor allem bei seinen eigenen Männern. »Dann lassen sie sich wohl nicht zur Umkehr bewegen?«, fragte Julius und beobachtete dabei die Massen am anderen Ufer. Marcus Antonius blickte von der Brustwehr zu den Legionen hinab, die dort in voller Schlachtordnung aufgestellt waren. Ein angenehmer Schauer lief ihm über den Rücken bei dem Gedanken an die Stärke, die diese Quadrate darstellten. Neben den 10000 Mann, die Julius mitgebracht hatte, waren drei weitere Legionen aus Norditalien herbeigerufen worden. Die Tatsache, dass er lediglich Reiter mit seinen Befehlen aussenden musste, die dann mit 15000 Soldaten im Gewaltmarsch über die Alpen zurückkehren würden, zeigte besser als alles andere die neue Macht, die Julius verliehen worden war. »Wenn sie umkehren, werden sie im Winter alle verhungern, Herr. Meine Kundschafter haben von 400 Dörfern berichtet, die in Flammen aufgegangen sind, mit ihrem gesamten Wintergetreide. Sie wissen, dass sie nicht umkehren können, und werden deshalb umso entschlossener kämpfen.« Brutus erreichte hinter ihnen die Plattform und ließ Cabera von seinem Rücken gleiten, damit er sich mit seinem gesunden Arm an der hölzernen Brüstung festhalten und das Geschehen beobachten konnte. Brutus salutierte, als er auf Julius zutrat, wobei er vor dem Neuling mehr als sonst auf den Anschein von Disziplin achtete. Er mochte Marcus Antonius nicht besonders. Irgendetwas an der Art und Weise, wie er mit Julius’ Zielen und Ambitionen so vollkommen übereinstimmte, kam Brutus seltsam vor, aber er hatte nichts gesagt, weil er nicht eifersüchtig erscheinen wollte. Dabei verspürte er gerade jetzt einen Anflug von Eifersucht, als er die beiden Männer sich wie alte Freunde unterhalten sah, während sie die Armee der Helvetier am anderen Ufer beobachteten. Brutus zog eine finstere Miene, als Marcus Antonius eine witzige Bemerkung über die riesige Streitmacht von sich gab. Er und Julius schienen sich gegenseitig bei der Demonstration ihrer Gelassenheit übertreffen zu wollen. Dass Marcus Antonius ein so kräftiger, herzlicher Mann von der Sorte war, die Julius zum Lachen bringen konnte, machte es nicht einfacher. Brutus wusste, wie sehr Julius das schallende Gelächter und den Mut von Männern vom Schlage seines Onkels Marius schätzte, und Marcus Antonius entsprach diesem Bild, als hätte er Marius persönlich gekannt. Er war einen Kopf größer als Julius, und seine Nase verkündete der ganzen Welt, dass er von altem römischen Blut war. Sie beherrschte sein Gesicht unter den dichten Augenbrauen, und wenn er nicht gerade lachte, wirkte er auf natürliche Art ernst und würdevoll. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit erwähnte er seine Familienabstammung, und Marcus Antonius schien sein adliges Blut allein durch die Anzahl der Ahnen, die er aufzählen konnte, beweisen zu wollen. Sulla hätte diesen Mann ohne Zweifel gemocht, dachte Brutus gereizt. Marcus Antonius war voller Ideen, die jetzt, nach Julius’ Ankunft, in die Tat umgesetzt werden konnten, aber irgendwie hatte er nichts davon alleine zuwege gebracht. Brutus fragte sich, ob diesem edlen Römer wohl klar war, was Julius an seiner Stelle erreicht hätte, auch mit nur einer Legion. Er schob diese Gedanken beiseite und lehnte sich ebenfalls gegen die Brüstung. Jetzt sah er, wie sich das Boot dem römischen Ufer näherte und die Ruderer ins seichte Wasser sprangen, um es an Land zu ziehen. Sie standen im Schatten der Mauer, die die Römer errichtet hatten, um sie aufzuhalten. Brutus glaubte nicht, dass sie versuchen würden, die römischen Linien zu durchbrechen, trotz ihrer Überzahl. »Die müssen doch sehen, dass wir jedes Boot mit Speeren und Steinen versenken könnten, ehe sie landen. Ein Angriff wäre glatter Selbstmord«, sagte Julius. »Und wenn sie friedlich abziehen?«, fragte Marcus Antonius, ohne den Blick von den Boten abzuwenden, die unten standen, ein Stück abseits von den Ruderern. Julius zuckte die Achseln. »Dann habe ich sie trotzdem die römische Autorität spüren lassen. So oder so werde ich Fuß in diesem Land gefasst haben.« Brutus und Cabera drehten sich gleichzeitig um und sahen den Mann an, den sie kannten. Sie bemerkten eine wilde Freude in seinem Gesicht, als er so stolz und aufrecht auf der Sperrmauer stand, um die Worte der Helvetier anzuhören. Einen ähnlichen Gesichtsausdruck hatten sie schon einmal bei ihm gesehen, als Marcus Antonius vor einigen Monaten zum ersten Mal vor den versammelten Heerführern gesprochen hatte. »Ich freue mich, dass ihr hier seid, meine Herren«, hatte Marcus Antonius gesagt. »Wir stehen kurz davor, überrannt zu werden.« Julius hatte beabsichtigt, ein wildes Land zu erobern, dachte Brutus. Die Helvetier waren nur einer von vielen Stämmen in diesem Gebiet, ganz zu schweigen von dem gesamten unerforschten Land, das Julius für Rom in Besitz nehmen wollte. Es war kaum vorstellbar, in welch finstere Stimmungen er in Spanien verfallen war, wenn man den Mann betrachtete, der neben ihnen auf der Brustwehr stand. Sie alle konnten es spüren, und Cabera schloss die Augen, als seine Sinne sich gegen seinen Willen die Pfade in die Zukunft hinabstürzten. Der alte Mann sackte in sich zusammen und wäre gefallen, wenn ihn Brutus nicht aufgefangen hätte. Niemand bewegte sich, während die Boten sprachen, und Julius wandte sich an seinen Übersetzer, der die Worte in holpriges Latein übertrug. Ohne dass ihn die Krieger unten sehen konnten, grinste er vor sich hin, bevor er sich ihnen wieder zuwandte und beide Hände auf die breite Brüstung legte. »Nein!«, rief er hinunter. »Ihr dürft nicht passieren!« Julius sah Marcus Antonius an. »Wenn sie entlang der Rhone nach Westen ziehen, ehe sie sich nach Süden wenden, welche Stämme liegen dann auf ihrem Weg?« »Die Haeduer siedeln direkt westlich von uns, deshalb würden sie am meisten zu leiden haben, obwohl die Ambarrer und die Allobroger ... «, fing Marcus Antonius an. »Welcher Stamm ist der reichste von ihnen?«, unterbrach ihn Julius. Marcus Antonius zögerte. »Die Haeduer sollen riesige Viehherden besitzen, und ...« »Ruf ihre Anführer zu mir, mit den schnellsten Reitern und der Zusage sicheren Geleits«, sagte Julius und blickte wieder über die Brüstung. Das Boot war schon wieder auf dem Weg zum anderen Ufer, aber er konnte trotzdem erkennen, wie wütend die Männer darin waren. Zwei Tage später lag die kleine Festung ruhig da, obwohl Julius die Schritte hörte, als die Wachen auf den Mauern abgelöst wurden. Neue Unterkünfte waren für die Soldaten, die er aus Rom mitgebracht hatte, gebaut worden, aber die drei Legionen aus Ariminum nächtigten immer noch in ihren Zelten in befestigten Lagern. Julius hatte nicht vor, für sie etwas Dauerhaftes zu errichten. Er hoffte, dass es nicht nötig sein würde. Ungeduldig wartete er, als seine Worte dem Häuptling der Haeduer von dem Dolmetscher, den Marcus Antonius gestellt hatte, übersetzt wurden. Der Mann schien viel länger zu reden, als es Julius für gerechtfertigt hielt, aber er hatte beschlossen, ihnen nicht zu verraten, dass Adàn ihre Sprache sprach, um daraus womöglich einen geheimen Nutzen zu ziehen. Sein spanischer Schreiber hatte sich bei den ersten Worten der Gallier überrascht gezeigt. Sein Volk sprach eine Variante der gleichen Sprache, zumindest ähnlich genug, um den größten Teil der Unterhaltungen verstehen zu können. Julius fragte sich, ob sie vielleicht in der fernen Vergangenheit ein Volk gewesen seien, ein Nomadenstamm, der Gallien und Spanien besiedelt hatte, als Rom noch ein kleines Dorf zwischen sieben Hügeln gewesen war. Adàn wohnte danach jedem Treffen bei, wobei er fleißig die von Julius diktierten Botschaften und Briefe kopierte, um nicht als Zuhörer aufzufallen. Wenn sie alleine waren, fragte ihn Julius aus, und sein Gedächtnis erwies sich meistens als fehlerlos. Julius warf dem eifrigen jungen Spanier einen kurzen Blick zu, während der Dolmetscher die Gefahren, die von den Helvetiern ausgingen, in endlosen Details wiederholte. Der Stammesführer der Haeduer war ein typischer Vertreter seiner Rasse, ein dunkelhaariger Mann mit schwarzen Augen und energischem, hageren Gesicht, das zum Teil unter einem ölglänzenden Bart verborgen war. Die Haeduer behaupteten, keinen König zu haben, aber Mhorbaine war ihr oberster Richter, durch eine Wahl bestimmt, nicht Kraft seiner Geburt. Julius trommelte mit den Fingern einer Hand auf den Rücken der anderen, als Mhorbaine antwortete und der Dolmetscher überlegte, wie er seine Worte übersetzen sollte. »Die Haeduer sind gewillt, deine Hilfe anzunehmen, um die Helvetier von ihren Grenzen zurückzuschlagen«, sagte der Mann dann endlich. Julius lachte laut auf, und Mhorbaine zuckte zusammen. »Sind gewillt?«, sagte er spöttisch. »Sag ihm, ich werde sein Volk vor der Vernichtung retten, wenn sie mich dafür mit Getreide und Fleisch bezahlen. Meine Männer müssen essen. Für dreißigtausend Mann müssen jeden Tag mindestens zweihundert Rinder geschlachtet werden. Ich akzeptiere auch die gleiche Menge an Wild oder Hammelfleisch, dazu Getreide, Brot, Öl, Fisch und Gewürze. Ohne Verpflegung rühren wir uns nicht von der Stelle.« Nun begannen ernsthaft die Verhandlungen, immer wieder von der langsamen Übersetzung behindert. Julius sehnte sich danach, den Dolmetscher zu entlassen und ihn durch Adàn mit seiner schnellen Auffassungsgabe zu ersetzen, aber er riss sich zusammen, während die Stunden zäh verrannen und der orangefarbene Mond über den Bergen hinter ihnen aufging. Mhorbaine hingegen schien langsam die Geduld zu verlieren, und als sie alle wieder auf den Übersetzer warteten, der gerade zögernd einen Satz zu Ende bringen wollte, schnitt ihm der Gallier mit einer Handbewegung das Wort ab und begann in sauberem Latein mit römischem Akzent zu sprechen. »Ich habe genug von diesem Trottel. Ich verstehe dich gut genug, um ohne ihn auszukommen.« Julius musste bei dieser Offenbarung laut auflachen. »Meine Sprache verhunzt er auf jeden Fall, so viel weiß ich. Wer hat dich die Sprache Roms gelehrt?« Mhorbaine zuckte die Achseln. »Marcus Antonius hat Männer zu allen Stämmen geschickt, als er hierher kam. Die meisten wurden umgebracht und ihre Leichen zu ihm zurückgeschickt, aber ich habe den meinen bei mir behalten. Dieser erbärmliche Wicht hat die Sprache von demselben Mann gelernt, aber nur schlecht. Er hat kein Ohr für Sprachen, aber ich hatte keinen anderen.« Danach gingen die Verhandlungen schneller voran, und Mhorbaines Versuch, seine Kenntnisse zu verbergen, erheiterte Julius. Er fragte sich, ob dieser auch Adàns Funktion bei diesem Treffen erraten hatte. Es war anzunehmen. Der Führer der Haeduer war ein sehr kluger Kopf, und Julius spürte bis zum Ende, wie ihn der andere kühl einzuschätzen versuchte. Als sie fertig waren, stand Julius auf und packte Mhorbaine bei der Schulter. Unter dem Wollstoff spürte er Muskeln. Der Mann war wohl eher ein Kriegsherr als ein Richter, wenigstens nach dem zu urteilen, was Julius darunter verstand. Er führte Mhorbaine hinaus zu den Pferden, ging dann aber noch einmal hinein, wo Adàn auf ihn wartete. »Nun?«, sagte Julius. »Habe ich irgendetwas Wichtiges verpasst, ehe Mhorbaine die Geduld verloren hat?« Adàn musste über Julius’ Belustigung lächeln. »Mhorbaine hat den Übersetzer gefragt, ob du stark genug bist, um die Helvetier abzuwehren, und der hat geantwortet, dass er das für wahrscheinlich hält. Das war alles, was du nicht gehört hast. Ihnen bleibt keine andere Wahl, wenn sie ihre Herden nicht an die Helvetier verlieren wollen.« »Perfekt. So habe ich mich von einem fremden Eroberer, der genauso gefährlich ist wie die Helvetier, in einen Römer verwandelt, der von einem Stamm in Not zu Hilfe gerufen wird. Schreib das in die Berichte für Rom. Ich will, dass mein Volk gut über das denkt, was wir hier tun.« »Ist das wichtig?«, fragte Adàn. Julius schnaubte verächtlich. »Du hast keine Ahnung, wie wichtig das ist. Die Bürger wollen nicht wissen, wie andere Länder gewonnen werden. Sie glauben lieber, dass sich die feindlichen Armeen unserer moralischen Überlegenheit beugen, nicht unserer Stärke. Ich muss hier sehr vorsichtig vorgehen, trotz Freiheiten, die mir der Senat zugebilligt hat. Wenn sich die Machtverhältnisse in Rom ändern, kann ich jederzeit zurückbeordert werden, und es wird immer Feinde geben, die es gerne sehen, wenn ich in Ungnade falle. Schick die Berichte mit genügend Geld los, damit sie auf jeder Straße und auf dem Forum verlesen werden. Die Menschen sollen erfahren, welche Fortschritte wir in ihrem Namen machen.« Julius hielt inne, und seine Heiterkeit verflog, als er an die Probleme dachte, die ihm bevorstanden. »Jetzt müssen wir nur noch die größte Armee schlagen, die ich je gesehen habe, dann können wir gute Nachrichten nach Rom schicken«, sagte er. »Ruf Brutus, Marcus Antonius, Octavian und Domitius zusammen, meinen ganzen Beraterstab. Und Renius auch, sein Rat ist immer vernünftig. Richte Brutus aus, er soll seine Kundschafter ausschwärmen lassen. Ich will wissen, wo sich die Helvetier befinden und wie sie organisiert sind. Beeil dich, mein Junge. Wir müssen eine Schlacht planen, und bei Morgengrauen will ich unterwegs sein.« 23 Julius lag auf dem Bauch und beobachtete, wie die Helvetier über die Ebene zogen. Bei aller Konzentration fiel ihm doch auf, wie üppig grün das Land war. Die Erde Roms wirkte im Vergleich dazu trocken und karg. Statt der kahlen Berge des Südens, die er kannte, an deren Hängen die Bauern unter großen Mühen ihren Lebensunterhalt verdienten, boten sich seinen Blicken hier gewaltige, weite Ebenen voller fruchtbarer Erde. Es verlangte ihn danach, mit dem primitiven Begehren eines Mannes, der selbst schon eigenes Land bestellt hatte. Gallien konnte ein ganzes Imperium ernähren. Das Tageslicht schwand bereits, und er ballte vor Erregung die Fäuste, als der Wind die klagenden Töne von Hörnern herüber- wehte. Die riesige Marschkolonne schlug ihr Nachtlager auf. Einer seiner Kundschafter kam herbeigeeilt und warf sich keuchend neben ihn. »Sieht so aus, als wären das alle, Herr. Ich konnte keine Nachhut oder Reserve entdecken. Sie marschieren schnell, aber sie müssen heute Nacht rasten, sonst werden sie bald anfangen, Leichen hinter sich zurückzulassen.« Julius zog ein flaches Lederbündel unter seiner Rüstung hervor und breitete es auf dem Boden aus. Der Kundschafter sah fasziniert zu, wie sein Feldherr zwei polierte Scheiben aus Bergkristall hervorzog und sie in ein Rohr aus Leder einfügte, das er schließlich mit zwei Ringen verschloss, die beim Zuschnappen leise klickten. Das Teleskop hatte Marius gehört, und es war zu alt und zu wertvoll, um es aus der Hand zu geben. Julius musterte damit die Helvetier und nickte, als er sie erspähte. »Sie machen Halt. Siehst du, wie sich die Soldaten zu Gruppen um den Kern herum zusammenfinden? Das sieht mir nach einer griechischen Speer-Phalanx aus. Ich frage mich, ob sie selbst darauf gekommen sind oder ob ihre Vorfahren jemals in Griechenland waren. Sobald ich Gelegenheit dazu habe, muss ich einen von ihnen dazu befragen.« Er suchte die Ebene ab und überlegte, welche Möglichkeiten er hatte. Eine Meile hinter ihm standen 30000 Legionäre bereit, um sich auf die Helvetier zu stürzen, aber nach einem Gewaltmarsch von fast 40 Meilen, mit dem sie dem Stamm den Weg abgeschnitten hatten, waren die Männer erschöpft. Zu Julius’ großer Enttäuschung hatte er die riesigen Wurfmaschinen und Skorpione, die einen großen Anteil der Stärke der Legion ausmachten, nicht dabei. Die Ebene wäre perfekt für sie gewesen, aber bis er Straßen durch das Land gebaut hatte, mussten sie, in Einzelteile zerlegt, auf den Karren bleiben, die er aus Rom mitgebracht hatte. »Kannst du erkennen, wie viele Krieger sie haben?«, fragte der Kundschafter, beeindruckt von der Armee, der sie gegenüberstanden. Die Helvetier waren zu weit entfernt, um sie hören zu können, aber die gewaltige Größe des Völkerzugs war erdrückend. »Achtzigtausend, schätze ich, aber wegen der vielen anderen bin ich mir nicht sicher. Es sind mehr Menschen, als ich jemals auf einem Haufen gesehen habe«, erwiderte Julius leise. Es waren zu viele, um die Legionen zum offenen Angriff übergehen zu lassen, selbst wenn sie nicht so erschöpft gewesen wären. »Hol Brutus her!«, befahl er. Es dauerte nicht lange, bis er hörte, wie jemand angerannt kam, und Brutus sich neben ihn ins feuchte Laub kauerte. Die Helvetier waren durch ein breites Tal marschiert, das in das Gebiet der Haeduer führte. Sie hatten bei der Umgehung des Flusses ein schnelles Tempo vorgelegt, und Julius war beeindruckt von ihrer Ausdauer und ihrer Organisation, als sie jetzt ihr Nachtlager vor ihren Augen in der Ebene aufschlugen. Falls sie noch tiefer in das Land der Haeduer vorstießen, würden sie in dichte Waldgebiete kommen, in denen der Vorteil der Legionen verloren wäre. Die Wälder hier waren nicht so licht wie die, die er aus Rom kannte. Dichtes Unterholz behinderte das Vorankommen der Pferde und machte jede Art von koordiniertem Kampf unmöglich. Die reine Überzahl wäre dann entscheidend, und die Helvetier hatten eine riesige Menge an Kriegern und keine andere Möglichkeit, als weiterzumarschieren. Der Stamm hatte das erste Dorf, auf das sie an der Grenze der Haeduer stießen, niedergebrannt, und die Kundschafter hatten gemeldet, dass es keine Überlebenden gab. Frauen und Tiere hatte man im Tross mitgenommen, den Rest niedergemetzelt. Dorf für Dorf würden sie das Land wie Heuschrecken durchqueren, falls es Julius nicht gelang, sie in der Ebene zu stellen. Er dankte seinen Göttern, dass sie nicht die Nacht hindurch weitermarschierten. Ohne Zweifel wiegte sie ihre große Zahl in falscher Sicherheit, obwohl es selbst mit den bereitstehenden Legionen schwer vorstellbar war, wie er sie angreifen und gegen sie gewinnen sollte. Julius wandte sich an Brutus. »Siehst du diesen Hügel dort im Westen?« Er zeigte auf eine grün und grau gestreifte Felsenspitze in der diesigen Ferne. Brutus nickte. »Das ist eine starke Stellung. Besetze mit der Zehnten und der Dritten den Kamm, damit ihr bei Tagesanbruch bereit seid. Die Helvetier werden die Bedrohung sehen, und sie können euch nicht einfach da oben lassen, weil ihr von dort aus über sie herfallen könntet. Nimm die Bogenschützen aus Ariminum mit, aber halte sie im Hintergrund. Sie werden dir auf dem Hügel mehr nützen als in der Ebene.« Er lächelte grimmig und schlug Brutus auf die Schulter. »Diese Stammeskrieger haben noch nie gegen eine Legion gekämpft, Brutus. Wenn die Sonne aufgeht, werden sie sich gerade mal zehntausend Mann gegenübersehen. Du wirst ihnen eine Lektion erteilen.« Brutus sah ihn an. Die Sonne stand dicht über dem Horizont und schien in Julius’ wild entschlossenes Gesicht. »Es wird dunkel sein, ehe ich dort bin«, erwiderte Brutus. Den Befehl ausdrücklicher in Frage zu stellen, wagte er nicht vor den Kundschaftern. Julius schien seine Bedenken nicht zu bemerken und fuhr schnell fort: »Ihr müsst leise sein, wenn ihr dort hinaufsteigt. Wenn sie euch sehen und angreifen, falle ich ihnen in den Rücken. Beeilt euch.« Brutus rutschte rückwärts fort, bis er von den Helvetiern nicht mehr gesehen werden konnte, dann rannte er zu seinen Männern. »Auf die Beine, Jungs«, sagte er, als er die ersten Reihen der Zehnten erreichte. »Ihr werdet heute Nacht nicht viel Schlaf bekommen.« Noch vor Tagesanbruch blickte Julius wieder über die Ebene. Die Sonne ging hinter ihm auf, und alles war in graues Licht getaucht, lange bevor sie sich über den Bergen erhob. Die Helvetier nahmen ihre Marschordnung wieder ein, und Julius beobachtete, wie die Krieger die anderen Stammesangehörigen zum Aufstehen zwangen. Diejenigen, die Schwerter und Speere bei sich trugen, hatten eine besondere Stellung, wie Julius sehen konnte. Sie brauchten keine Vorräte zu tragen, um unbehindert kämpfen und rennen zu können. Julius wartete auf den Augenblick, wenn sie die Legionen entdeckten, die ihre Position auf dem Hügel eingenommen hatten. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Hinter ihm wartete Marcus Antonius mit seiner und drei anderen Legionen, frierend und grimmig, ohne Frühstück und wärmende Feuer. Sie schienen kaum auszureichen, um es mit einer so riesigen Armee aufzunehmen, aber Julius fiel nichts Besseres ein, um ihre Chancen zu vergrößern. Ein Pferd kam hinter ihm angaloppiert, und Julius drehte sich wütend um, um den Reiter zum Halten zu bringen, ehe er gesehen werden konnte. Er erhob sich und nahm eine geduckte Haltung ein, als er das bleiche Gesicht des Kundschafters sah. Als der Reiter aus dem Sattel glitt, konnte er zuerst nicht sprechen, so sehr war er außer Atem. »Herr, eine feindliche Einheit befindet sich auf dem Hügel im Westen! Es sind sehr viele.« Julius blickte im schwachen Licht wieder zu den Helvetiern hinüber. Sie waren dabei, das Lager abzubrechen, ohne die geringsten Anzeichen von Panik oder Aufruhr. Hatten sie die Kundschafter gesichtet und bereiteten ein Flankenmanöver vor? Sein Respekt vor dem Stamm stieg. Und wo war Brutus? Die beiden Heere waren offensichtlich in der Dunkelheit nicht aufeinander gestoßen, denn der Schlachtenlärm wäre meilenweit zu hören gewesen. War Brutus im Dunkel der Nacht auf den falschen Hügel gestiegen? Julius fluchte wütend über den Rückschlag. Er setzte das Fernrohr ans Auge, aber bei dem schwachen Licht konnte er nichts erkennen. Es gab keine Möglichkeit, mit den verschwundenen Legionen Kontakt aufzunehmen, und ehe sie wieder auftauchten, wagte er nicht anzugreifen. »Dafür wird er mir büßen«, versprach er und wandte sich dann an die Männer neben ihm. »Keine Hörner oder Signale. Einfach zurückziehen. Sagt allen, sie sollen sich am Fluss sammeln.« Als sie davongingen, hörte Julius das blecherne Scheppern der Hörner, die den Abmarsch der Helvetier verkündeten. Seine Enttäuschung war gewaltig, und der Gedanke, dass er sich bald in den Tiefen der Wälder mit ihnen messen musste, war etwas ganz anderes als der überwältigende Sieg, auf den er gehofft hatte. Verärgert nahm er das Fernrohr wieder auseinander, bevor er zu seinen Männern zurückkehrte. Brutus wartete darauf, dass die Sonne die dunklen Schatten auf dem Hügel vertrieb. Er hatte die Zehnte vor der Dritten Gallica aufgestellt und verließ sich auf ihre größere Erfahrung im Kampf, um alles abzuwehren, was die Helvetier gegen sie zum Einsatz bringen konnten. Außerdem bestand seine eigene Legion zum Teil aus Galliern. Julius hatte gesagt, man könne eine Legion in weniger als einem Jahr aufstellen. Das gemeinsame Leben, Arbeiten und Kämpfen verband die Männer stärker miteinander als alles andere, aber der nagende Zweifel, was geschehen würde, wenn diese Männer gegen ihr eigenes Volk kämpfen mussten, blieb bestehen. Als Brutus sie nach den Helvetiern gefragt hatte, hatten sie nur die Achseln gezuckt, als gäbe es in dieser Hinsicht keine Probleme. Keiner von ihnen kam von diesem Stamm; diejenigen, die des Goldes wegen nach Rom gekommen waren, schienen keine große Loyalität gegenüber denen zu empfinden, die sie zurückgelassen hatten. Sie waren Söldner gewesen, die nur für ihren Sold lebten und nichts als die Kameradschaft unter ihresgleichen brauchten. Brutus wusste, dass das zuverlässig ausbezahlte Silber und die regelmäßigen Mahlzeiten vielen von ihnen wie ein Traum erscheinen musste; trotzdem hatte er die Zehnte so aufgestellt, dass sie den ersten Angriff aufhalten würde. Obwohl er nach dem Aufstieg unglaublich müde gewesen war, musste er zugeben, dass Julius einen guten Blick für das Gelände hatte. Wenn er etwas bedauerte, dann nur, die Extraordinarii im Lager zurückgelassen zu haben, aber er hatte nicht wissen können, wie leicht der Aufstieg war. Es hatte nur ein paar Verstauchungen und einen gebrochenen Arm bei einem bösen Sturz im Dunkeln gegeben. Drei Mann hatten ihre Schwerter verloren und waren nun mit Dolchen bewaffnet, aber sie hatten den Hügel vor dem Morgengrauen erstiegen und waren auf den gegenüberliegenden Hang gezogen, ohne einen einzigen Mann zu verlieren. Der Legionär mit dem gebrochenen Arm hatte ihn sich vor die Brust geschnallt und würde mit links kämpfen. Er hatte es abgelehnt, zurückgeschickt zu werden, und hatte auf Ciro in der ersten Reihe der Zehnten gezeigt und gesagt, der große Mann könne seine Speere werfen. Beim ersten grauen Licht der Dämmerung hatte Brutus im Flüsterton den Befehl ausgegeben, die Formation auszurichten, die sich über den Hang erstreckte. Selbst die Veteranen der Zehnten sahen etwas mitgenommen aus, nachdem sie ihre Positionen im Dunkeln hatten einnehmen müssen, und bei seiner eigenen Legion bedurfte es der Stöcke der Optios, um Ordnung herzustellen. Er beobachtete die Männer dabei, wie sie ihre Speere losschnallten. Bei vier Stück pro Mann, das wusste Brutus, würden sie jeden Angriff gegen sie aufhalten können. Die Helvetier trugen ovale Schilde bei sich, aber die schweren Speere würden sie mitsamt den Schilden an den Boden nageln. Gerade als die Helvetier nichts ahnend auf ihre Positionen zumarschierten, ging die Sonne über den Bergen auf. Brutus spürte, wie die Erregung in ihm aufstieg, während er darauf wartete, dass ihre Krieger die Soldaten der Zehnten und Dritten entdeckten, die auf sie herabblickten. Er grinste in Erwartung der ersten Lichtstrahlen und lachte bei ihrem Anblick laut auf, als es so weit war. Die Sonne, die hinter den Gipfeln hervorkam, tauchte sie in strahlendes Licht. 10000 Helme und Rüstungen verwandelten sich innerhalb von Minuten von mattem Grau in glänzendes Gold. Die gelben Rosshaarbüsche der Zenturios schienen zu leuchten, und die Kolonne der Helvetier unten in der Ebene geriet ins Stocken, als einzelne Männer auf sie zeigten und Warnrufe ausstießen. Dem Stamm musste es so vorgekommen sein, als wären sie aus dem Nichts aufgetaucht, aber sie waren mutig. Sobald der erste Schreck verflogen war, erkannten sie die kleine Armee, die dort am Hang stand, und fast wie ein Mann brüllten sie ihren Trotz heraus. Sie erstreckten sich fast über das gesamte Tal. »Beim Mars«, sagte Brutus leise. »Das muss eine halbe Million sein, ich schwöre es.« Er sah, wie die Phalanxen nach vorne schwärmten, ein Wald von Speeren, als sie immer schneller über das Gelände zwischen den beiden Armeen vorrückten. Die ersten Reihen trugen breite Schilde, mit denen sie den Feind rammen sollten, aber ihre Formation würde das unebene Terrain des Hügels niemals überstehen. Sie rannten wie Wölfe über loses Geröll, und Brutus schüttelte den Kopf, als er sah, wie viele auf ihn zustürmten. »Bogenschützen ... Reichweite ermitteln!«, schrie Brutus. Dann beobachtete er, wie vier Pfeile in hohem Bogen durch die Luft flogen und die maximale Reichweite markierten. Er hatte nur 300 Mann der Legionen aus Ariminum dabei und wusste nicht, wie gut sie waren. Gegen ungeschützte Gegner konnte ihr Feuer vernichtend sein, aber er bezweifelte, dass sie mehr ausrichten konnten, als die Helvetier unter ihren Schilden zu ärgern. »Speere bereit machen!«, brüllte er. Die Zehnte nahm ihre vier Speere auf und überprüfte die Spitzen ein letztes Mal. Sie würden sie nicht gezielt werfen, sondern die Waffen mit den schweren Eisenköpfen hoch in die Luft schleudern, damit sie im Augenblick des Auftreffens fast senkrecht herabfielen. Das erforderte viel Geschicklichkeit, aber so hatten sie es gelernt. Sie waren Experten darin. »Reichweite!«, rief Brutus. Er sah zu, wie Ciro ein rotes Tuch um den Schaft eines seiner Speere band und ihn mit einem Ächzen hoch in die Luft schleuderte. Keiner von ihnen kam auf eine ähnliche Weite wie der große Mann, und als der Speer sich zitternd in den Erdboden bohrte, hatte Brutus eine Markierung für die weiteste Distanz, 50 Schritte kürzer als die der Pfeile, die weiter unten am felsigen Hang steckten. Sobald die Helvetier diese Linie überschritten, würden sie durch einen Hagel von Geschossen rennen müssen. Wenn sie an Ciros Speer vorbeikamen, würden 40000 weitere in weniger als zehn Herzschlägen auf sie geschleudert werden. Die Helvetier brüllten, als sie den Hang hinaufzustampfen begannen, und eine Morgenbrise fegte über den Abhang und wehte den Staub aus der Ebene auf. »Bogenschützen!«, rief Brutus, und zehn Reihen weiter hinten feuerten die Schützen mit Ruhe und Geschick, bis ihre Köcher leer waren. Brutus sah, wie die Salve auf die schreienden Männer unter ihnen niederging, die sich immer noch außerhalb der Reichweite der weitaus tödlicheren Speere befanden. Viele Pfeile prallten von den Schilden ab, die die Stammeskrieger schützend hochhoben, während sie weiterrannten. Nur wenige blieben tot oder verwundet liegen. Das erste Blut war geflossen. Brutus hoffte, dass Julius bereit war. Julius saß im Sattel, als er den Stamm brüllen hörte. Er riss sein Pferd herum und suchte nach dem Kundschafter, der ihm die Nachricht überbracht hatte. »Wo ist der Mann, der mir erzählt hat, der Feind befände sich auf dem Hügel?«, rief er, während sich sein Magen zusammen- krampfte. Der Ruf wurde weitergegeben, und der Kundschafter kam auf seinem Pferd herangetrabt. Er war sehr jung, seine Wangen waren von der Kälte des Morgens gerötet. Julius, der einen schlimmen Verdacht hegte, funkelte ihn finster an. »Der Feind, den du gemeldet hast. Berichte mir, was du gesehen hast«, sagte Julius. Der junge Mann stammelte nervös, während ihn sein General anstarrte. »Auf dem Hügel waren Tausende, Herr. Im Dunkeln konnte ich ihre genaue Anzahl nicht erkennen, aber es waren viele, Herr. Ein Hinterhalt.« Julius schloss einen Augenblick die Augen. »Verhaftet diesen Mann und haltet ihn fest, bis er bestraft wird. Das waren unsere Legionen, du blöder Idiot!« Julius riss sein Pferd herum und dachte verzweifelt nach. Sie waren erst ein paar Meilen von der Ebene entfernt. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Er löste den Helm vom Sattelhorn, setzte ihn auf und sah die versammelten Männer durch die eiserne Maske hindurch an. »Die Zehnte und die Dritte Gallica brauchen unsere Unterstützung. Wir werden im schnellsten Eiltempo marschieren und die Helvetier angreifen. Mitten hinein, meine Herren. Mitten hinein.« Als die Helvetier an der Speermarkierung vorbeiströmten, wartete Brutus, bis sie nicht mehr zu sehen war. Wenn er den Befehl zu früh gab, warf die Dritte hinter ihnen vielleicht zu kurz. Wenn er zu lange wartete, wurde der vernichtende Eindruck, die ersten Reihen des Angriffs niedergemäht zu sehen, verfehlt, weil die Wurfgeschosse über sie hinwegflogen. »Speere!«, rief Brutus, so laut er konnte, und schleuderte seinen eigenen hoch in die Luft. 10000 Soldaten rissen die Arme nach vorne und griffen dann gleich nach dem nächsten Speer, der vor ihren Füßen lag. Noch ehe die erste Salve landete, das wusste Brutus, würde die Zehnte schon zwei weitere in der Luft haben. Die Dritte Gallica schleuderte ihre Speere langsamer, aber nicht viel, angestachelt vom Vorbild der Veteranen und der Angst vor dem Angriff. Er hatte den Zeitpunkt perfekt gewählt. Die verschiedenen Reihen der Zehnten und Dritten schickten ihre Speere wie einen Teppich aus pfeifendem Eisen auf den Feind. Nicht nur die erste Reihe, sondern die ersten zehn Reihen verwandelten sich innerhalb von Sekunden von rennenden Kriegern in blutige Leichen. Hunderte starben durch die erste Welle, und die Überlebenden sahen bereits die schwarze Wolke der zweiten Salve auf sich zukommen, während sie sich gegenseitig weitertrieben. Dem Tod von oben konnte niemand ausweichen. Die Speere fielen in Gruppen oder weit auseinander aus der Luft. Ein einzelner Mann konnte von mehreren zugleich durchbohrt oder eine ganze Reihe niedergestreckt werden, in der ein Einziger wie durch ein Wunder unversehrt blieb. Obwohl sich die Helvetier unter ihren Schilden bargen, bohrten sich die schweren Eisenköpfe durch Holz und Knochen gleichermaßen in den weichen Erdboden unter ihnen. Brutus sah, wie viele Stammeskrieger verzweifelt versuchten, ihre Schilde voneinander zu lösen, die zum Teil mit denen anderer fest zusammengeheftet waren. Viele lebten noch, konnten aber nicht mehr aufstehen, während das Blut aus ihnen herausströmte. Brutus sah, wie der Angriff ins Stocken kam. Die dritte Welle richtete weniger Schaden an, und noch vor der letzten zogen sie sich zurück und rannten in wilder Flucht vor den Männern auf dem Hügel davon. Die Zehnte brach in Jubel aus, als die Gallier die Flucht ergriffen, und Brutus blickte nach Osten und hielt nach Julius Ausschau. Wenn er seine Legionen in diesem Augenblick angreifen ließe, hätten sie die Helvetier leicht in Panik versetzen und ihnen eine vernichtende Niederlage beibringen können. Doch es war nichts von ihm zu sehen. Die Helvetier formierten sich außerhalb ihrer Reichweite neu und schickten sich an, über die Leichen ihrer besten Krieger hinweg vorzurücken. »Diese Männer haben noch nie gegen die Legionen Roms gekämpft!«, rief Brutus den Männern um sich herum zu. Einige lächelten, aber ihre Augen waren auf die vorrückenden Horden gerichtet, die die leblosen Körper der Gefallenen unter sich verschwinden ließen, als sie den Hügel abermals erklommen. Einige der römischen Speere wurden aus den Leichen gezogen und nach der Zehnten geworfen, flogen aber aufgrund des ansteigenden Terrains nicht weit genug. »Schwerter bereit!«, befahl Brutus, und zum ersten Mal zogen beide Legionen die Klingen und hielten sie hoch, so dass sie das Sonnenlicht reflektierten. Brutus sah sich um und hob stolz den Kopf. Sollten sie nur klettern, dachte er. Keuchend und schnaufend brachen die Phalanx-Formationen auseinander, als sich die Helvetier den Linien der Römer näherten. Die Zehnte wartete geduldig auf sie, jeder Mann neben Freunden, die er seit Jahren kannte. In den römischen Reihen gab es keine Angst. Sie standen in makelloser Formation und wussten, dass die Cornicen die ersten Reihen würden wechseln lassen, sobald sie müde wurden. Sie trugen Schwerter aus gehärtetem Eisen, und Brutus sah überall ungeduldige Erwartung in den Gesichtern. Einige Legionäre winkten den Kriegern sogar zu und feuerten sie an. Einen Augenblick lang sah er sie vor seinem inneren Auge, wie die Helvetier sie sehen mussten: eine Mauer aus Männern und Schilden, ohne eine Lücke. Die ersten Helvetier trafen auf die Zehnte und wurden mit geübter Unerbittlichkeit niedergemacht. Die harten römischen Klingen schlugen überall entlang der Linien auf sie ein und trennten Arme und Köpfe mit einem einzigen Streich ab. Die langen Speere der Helvetier konnten die römischen Schilde nicht durchdringen, und Brutus frohlockte über den Blutzoll. Er stand auf der rechten Seite in der dritten Reihe und musste sich von dem faszinierenden Anblick losreißen. Er überblickte ihre Position. Eine riesige Horde von Männern kämpfte sich den Berg hoch, um ihre Kameraden zu unterstützen, viele andere strömten um den Hügel herum, um von der Flanke her anzugreifen. Er spürte, wie ihm erneut der Schweiß ausbrach, als er nach Julius Ausschau hielt. Die Sonne blendete ihn aus diesem Winkel, aber er kniff die Augen zusammen und spähte durch das grelle Licht hinüber zur Baumlinie. »Komm schon, komm schon«, sagte er laut. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Helvetier seine Männer eingekreist hatten, aber wenn sie die Kammlinie hinter ihnen erreichten, gab es keine Rückzugsmöglichkeit mehr für die Zehnte und die Dritte. Er stöhnte vor Wut und Enttäuschung auf, als er sah, wie wenig Krieger die Helvetier als Wachen bei den Frauen und Kindern zurückgelassen hatten. Ein Angriff in ihrem Rücken würde sie augenblicklich in Panik versetzen. Die schiere Überzahl der Angreifer begann Lücken in die vordersten Reihen der Römer zu schlagen. Die Velites waren schnell und nur leicht gepanzert, und obwohl sie ohne Unterbrechung zwei Stunden hintereinander kämpfen konnten, dachte Brutus daran, die schweren Reihen nach vorne zu schicken, um sie für den Rückzug, den er vielleicht befehlen musste, frisch zu erhalten. Falls Julius nicht bald kam, würde Brutus sich mit den Legionen auf den Hügelkamm zurückziehen und dabei um jeden Zoll kämpfen müssen. Noch schwerer würde der Kampf allerdings, wenn sie erst den Schwertern der Krieger hinter ihnen ausgeliefert waren. Brutus blickte über die Köpfe seiner Männer hinweg, und sein Herz raste vor Wut. Falls er den Rückzug überlebte, würde Julius für die Vernichtung der Zehnten büßen. Nach all den Jahren in Spanien kannte er fast jeden einzelnen von ihnen, und jeder Gefallene war für ihn wie ein persönlicher Schicksalsschlag. Dann schrie er vor Freude und Erleichterung auf, als er plötzlich in der Ferne die silbernen Reihen von Julius’ Legionen auf die Ebene stürmen sah. Die Helvetier im Tross bliesen Warnsignale auf ihren Hörnern, und Brutus sah, wie die Reserve-Phalanxen augenblicklich kehrtmachten, um der neuen Bedrohung zu begegnen. Weitere Hörner erklangen auf dem Hügel, die Stammeskrieger blieben stehen und blickten in die Ebene hinab. Brutus brüllte ihnen triumphierend unverständliches Zeug entgegen, als sie sich von der Zehnten zurückzuziehen begannen und eine Lücke zwischen den beiden Armeen entstand. Jetzt würde es keine Flankenmanöver mehr geben, denn jeder Krieger versuchte verzweifelt, seinen Besitz und seine Familie zu beschützen. »Zehnte und Dritte!«, rief Brutus immer wieder nach links und nach rechts. Sie warteten auf seine Befehle, und er hob den Arm und senkte ihn in Richtung Ebene. »Schließt die Reihen! Bogenschützen, sammelt alle Pfeile auf, die ihr finden könnt! Zum Angriff, Zehnte! Zum Angriff, Dritte!« 10000 Legionäre setzten sich auf sein Wort hin wie ein einziger Mann in Bewegung, und Brutus meinte, seine Brust müsse vor Stolz bersten. Die Helvetier hatten keine Kavallerie. Julius schickte die Extraordinarii los, um ihre Linien anzugreifen, während sie verzweifelt versuchten, sich neu zu formieren, um den neuen Angriff abzuwehren. Julius marschierte neben Marcus Antonius und behielt Octavian im Auge, der die Linien seiner Reiter im spitzen Winkel an die helvetischen Phalanxen heranführte. Im vollen Galopp griff jeder Mann hinunter zu der langen Lederröhre an seinem Bein und zog einen dünnen Speer hervor, den er dann mit tödlicher Präzision warf. Die Helvetier brüllten und schwangen drohend ihre Schilde, aber Octavian griff sie erst direkt an, nachdem die letzten Speere geschleudert waren. Bis Julius das Ende der Marschkolonne erreicht hatte, befanden sich die Reserven in wilder Auflösung, und es war nicht schwer, den Rest aufzureiben. Auf seinen Befehl bliesen die Cornicen das Signal zum doppelten Tempo, und 20000 Legionäre verfielen in einen lockeren Trab, in dem sie meilenweit rennen konnten, direkt auf den Feind zu. Den riesigen Zug der helvetischen Sippen beobachteten sie schweigend, als sie ohne einen Zuruf an ihnen vorbeiströmten. Von ihnen ging keine Gefahr aus, und Julius dachte angestrengt darüber nach, wie er den größten Nutzen aus dieser Lage ziehen konnte. Die Krieger, die den Hügel angegriffen hatten, flohen inzwischen in wilder Panik zurück zum Tross, und Julius lächelte, als er die schimmernden Rechtecke der Zehnten und Dritten sah, die ihnen dicht auf den Fersen waren. Ihre eng gehaltenen Formationen ließen sie in der Morgensonne wie Silberplatten funkeln. Der Hügel war mit Leichen übersät, und Julius sah, dass die Helvetier jede Ordnung aufgegeben hatten und nicht mehr an Phalanxen dachten. Ihre Angst schwächte sie, und Julius setzte alles daran, diese Angst noch zu verstärken. Er überlegte, ob er die Extraordinarii zurückrufen und die Kolonne angreifen lassen sollte, aber in diesem Augenblick gab Octavian das Signal zum Angriff, und die Masse der Pferde bildete einen großen Keil, der die rennenden Krieger wie ein Faustschlag traf. Julius wartete, bis sich die Extraordinarii wieder vom Gegner gelöst hatten und die Pferde herumrissen, um eine erneute Attacke zu reiten, ehe er ihnen das Signal gab, ihre Position zu halten. »Speere bereit machen!«, rief Julius. Er nahm seinen eigenen in die Hand und spürte das Gewicht des hölzernen Schafts. Schon konnte er die Gesichter der Krieger erkennen, die auf ihn zugerannt kamen. Es würde gerade genug Zeit für einen Wurf bleiben, ehe die Armeen aufeinander prallten. »Speere!«, schrie er und schleuderte den seinen in die Luft. Die Reihen um ihn herum ließen den Himmel vor Eisen dunkel werden, und die vordersten Linien der Helvetier wurden niedergestreckt. Ehe sie sich erholen konnten, prallten die ersten Legionäre auf sie und brachen durch. Die Zenturios in den hinteren Linien hielten das Sperrfeuer aufrecht, als eine Gruppe nach der anderen in Reichweite kam, und Julius brüllte, als sie sich unaufhaltsam in die Masse der Stammeskrieger ergossen. Es waren so viele! Seine Legionäre vernichteten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, und der Durchmarsch erfolgte so schnell, dass Julius sich sorgte, sie könnten Opfer eines Flankenmanövers werden. Die Cornicen bliesen seinen Warnruf, die Linie zu verbreitern, und hinter ihm schwärmten die Legionen aus Ariminum aus, um den Feind zu umklammern. Die Extraordinarii folgten ihnen und warteten auf das Zeichen zum Angriff. Blut spritzte Julius in den Mund, und er wurde langsamer. Er spuckte aus und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Dann befahl er, die zweiten Speere in Gruppen von jeweils zehn Reihen zu werfen, auch wenn er nicht sehen konnte, wo die Eisenspitzen landeten, die über ihn hinwegflogen. Das war ein gefährliches Unterfangen, denn nichts war so schädlich für die Kampfmoral wie Wurfgeschosse, die in den eigenen Reihen niedergingen, aber Julius musste jeden erdenklichen Vorteil nutzen, um die ungeheuerliche Streitmacht des Stammes zu dezimieren. Die Helvetier kämpften mit wilder Verzweiflung und versuchten, zu ihrem Haupttross zu gelangen, der sich nun ungeschützt hinter den römischen Legionen befand. Diejenigen, die nicht an vorderster Front kämpften, irrten wie Bienen an den Rändern umher und breiteten sich immer weiter über die Ebene aus. Julius reagierte, indem er die Front immer wieder verbreiterte, bis seine vier Legionen nur noch sechs Reihen tief gestaffelt waren und alles vor sich hertrieben. Eine Weile konnte Julius nicht viel von der Schlacht sehen. Er kämpfte als Fußsoldat und wünschte, er wäre irgendwo auf einer Anhöhe geblieben, um von dort aus die Kämpfe zu leiten. Auch Brutus dehnte die Legionäre der Zehnten und Dritten auf breiter Front aus, um den Helvetiern den Rückzug abzuschneiden, und beide Legionen kämpften sich durch die feindlichen Linien, während die Sonne immer höher stieg und auf sie niederbrannte. Jungen rannten mit ledernen Schläuchen voll Wasser zwischen den Reihen hin und her, für diejenigen, die die Ration, die sie bei sich trugen, schon ausgetrunken hatten und weiterkämpften. Julius befahl seinen Männern, die letzten beiden Speere, die sie bei sich trugen, blind zu werfen. Im flachen Gelände wurden viele davon umgehend zurückgeschleudert, aber die weichen Spitzen waren beim Aufprall verbogen und flogen nur noch schlecht und ohne Kraft. Julius sah, wie ein Mann, der nur wenige Fuß entfernt stand, in die Luft griff und einen Speer wegschlug, der auf ihn zu- getrudelt kam. Julius konnte hören, wie sein Arm brach. Ihm wurde klar, dass die Helvetier bis zum letzten Mann kämpfen würden, und er rief den dienstältesten Feldherrn aus Ariminum zu sich. Als General Bericus eintraf, sah er ruhig und frisch aus, als wäre das Ganze kaum mehr als ein Übungsmanöver. »Heerführer«, sagte Julius. »Nimm tausend Mann und greife den Tross hinter uns an.« Bericus erstarrte, als er den Befehl hörte. »Herr, ich glaube nicht, dass sie eine Bedrohung darstellen. Ich habe nur Frauen und Kinder gesehen, als wir an ihnen vorbeimarschiert sind.« Julius nickte und fragte sich, ob er es wohl einmal bereuen würde, einen so anständigen Mann seine Soldaten führen zu lassen. »So lautet mein Befehl! Du hast jedoch meine Erlaubnis, während des Abrückens so viel Lärm zu machen, wie du nur kannst.« Einen Augenblick verstand ihn Bericus nicht, dann jedoch zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel. »Wir werden brüllen wie die Irren, Herr«, sagte er und salutierte. Julius blickte ihm nach und rief einen Meldegänger zu sich. »Sag den Extraordinarii, dass sie angreifen können, wann immer sie wollen«, sagte er. Sobald Bericus seine Leute erreicht hatte, sah Julius, wie Bewegung in sie kam, während die Befehle weitergegeben wurden. Nach kurzer Zeit hatten sich zwei Kohorten vom Kampf gelöst, und die Lücken, die sie hinterlassen hatten, schlossen sich wieder. Julius hörte sie brüllen, als sie kehrtmachten und ihren entschlossenen Marsch auf die Kolonne zu begannen, die sie angreifen sollten. Bericus hatte die Hörner mitgenommen, und die Cornicen machten einen Heidenlärm, bis auch dem letzten Mann auf der Ebene klar war, welche Bedrohung von ihnen ausging. Zunächst kämpften die Helvetier mit neuer Energie, aber die Extraordinarii hatten ihre sensenartigen Attacken wieder aufgenommen, und die Disziplin der Römer hielt den wilden Angriffen der Stammeskrieger stand. Dann brach jäh Verzweiflung unter ihnen aus; sie fürchteten den Anblick, wenn die Reihen der Legionäre auf die entblößte Marschkolonne trafen. In der Ferne ertönte Jubelgeschrei, und Julius reckte den Hals und versuchte, den Grund dafür zu erkennen. Er gab den Befehl zum Wechseln der Manipel, die Velites schoben sich wieder in die vordersten Reihen, und er ging vor Erschöpfung keuchend mit ihnen. Wie lange kämpften sie schon? Die Sonne schien am Himmel stillzustehen. Der Jubel auf dem linken Flügel wurde lauter, aber obwohl er seine Hoffnung weckte, sah Julius sich nun zwei Männern gegenüber, die mit ihren Schilden den römischen Reihen schwer zu schaffen machten. Er sah kurz einen von weißem Speichel umrandeten Mund, ehe er vorstürzte und spürte, wie sich sein Gladius in menschliches Fleisch bohrte. Der Erste ging schreiend zu Boden, und Marcus Antonius schnitt ihm die Kehle durch, als sie über ihn hinwegschritten. Der Zweite wurde von einem Legionär umgeworfen, und Julius hörte seine Rippen krachen, als der Soldat sein ganzes Gewicht auf ein Knie legte und ihm den Brustkasten eindrückte. Als der Legionär wieder aufstand, warfen die Helvetier ihre Waffen mit einem lauten Scheppern, das in den Ohren dröhnte, zu Boden und blieben keuchend und benommen stehen. Julius gab den Befehl einzuhalten und ließ den Blick über die Ebene zurück- schweifen, über die Massen von Leichen, die sie zurückgelassen hatten. Es waren mehr Tote als Gras zu sehen, nur die beiden römischen Kohorten bewegten sich noch über den roten Boden. Ein großes, dumpfes Wehklagen hob in der Kolonne der Angehörigen an, als sie sahen, dass sich die Krieger ergaben, und wieder vernahm Julius den Jubel, den er jetzt als die Stimmen der Zehnten und Dritten erkannte. Er nahm dem ihm an nächsten stehenden Cornicus das Horn ab und blies einen langen Ton, um Bericus von seinem Angriff abzuhalten. Dessen Legionäre machten in perfekter Formation Halt, sobald der Klang sie erreichte, und Julius lächelte. Was immer sich auch sonst gegen ihn verschworen haben mochte, er konnte sich nicht über die Qualität der Legionen beschweren, die er befehligte. Dann nahm er den Helm ab und hielt das Gesicht in den Wind. Er ließ den Zenturios und Optios den Befehl geben, die Männer wieder in ihren Einheiten zu sammeln. Das musste schnell und manchmal auch brutal geschehen, wenn die Kapitulation Bestand haben sollte. Zu den Traditionen der Armee gehörte es, den Erlös, der dadurch erzielt wurde, die gefangenen feindlichen Soldaten als Sklaven zu verkaufen, unter den Legionen aufzuteilen, was normalerweise Massaker an Gegnern verhinderte, die sich ergaben. Aber in der Hitze des Gefechts, das wusste Julius, würden sich viele seiner Legionäre nichts weiter dabei denken, einen unbewaffneten Feind niederzumachen, vor allem wenn dieser sie eben noch verwundet hatte. Julius ließ die Cornicen immer wieder das Signal zum Einstellen der Kampfhandlungen blasen, bis es jeder vernommen hatte und in der Ebene wieder so etwas wie Ordnung einkehrte. Speere und Schwerter wurden eingesammelt und unter der Aufsicht der Extraordinarii vom Schlachtfeld geschafft. Die Krieger der Helvetier mussten niederknien und sich die Arme auf dem Rücken fesseln lassen. Wer um Wasser bat, bekam welches von denselben Jungen, die vorher die Legionen versorgt hatten, und Julius ließ Reihen von Gefangenen bilden. Er ging zwischen seinen Männern hin und her, sprach dort, wo es angebracht war, seine Glückwünsche aus und ließ sich sehen. Die Legionäre schritten voller Stolz umher, als sie die ungeheure Zahl der Gefangenen und Toten sahen. Sie wussten, dass sie eine zahlenmäßig weit überlegene Streitmacht besiegt hatten, und Julius sah mit Freude, wie einer seiner Männer einen Wasserträger zu einem gefangenen Krieger hinüberrief und ihm die Bronzeöffnung an den Mund hielt. Während Julius zwischen ihnen hindurchging und die Verluste einzuschätzen versuchte, starrten die Römer ihn an, in der Hoffnung, dass er ihren Blick erwidern würde, und wenn er es tat, nickten sie ihm wie Kinder voller Respekt zu. Brutus kam auf einem Pferd, das er gefunden hatte und dessen Reiter unter den Toten lag, angetrabt. »Was für ein Sieg, Julius!«, rief er und sprang aus dem Sattel. Die Soldaten um ihn herum zeigten auf ihn und flüsterten, als sie seine silberne Rüstung erkannten, und Julius grinste über ihre ehrfürchtigen Gesichter. Er hatte es für gefährlich gehalten, sie in der Schlacht zu tragen, weil Silber viel weicher war als gutes Eisen, aber Brutus hatte sie anbehalten und gesagt, es würde die Kampfmoral der Männer heben, wenn sie mit dem Besten ihrer Generation kämpften. Julius lachte, als er sich daran erinnerte. »Ich war heilfroh, als ich dich über die Ebene kommen sah, das kann ich dir sagen«, sagte Brutus. Julius musterte ihn scharf, als er die Frage spürte, die dahinter steckte. Er musste sich ein Lächeln verkneifen, als er nach dem Kundschafter rief, und Brutus hob die Augenbrauen, als er den bedauernswerten Römer sah, dessen Händen ebenso fest gefesselt waren wie die der Gefangenen. Der junge Mann war gezwungen worden, mit den Legionen zu marschieren, und hatte jedes Mal den Stock eines Optios im Rücken gespürt, wenn er langsamer wurde. Julius war froh, dass er überlebt hatte, und im Gefühl des Sieges beschloss er, ihn nicht auspeitschen zu lassen, wie er es verdient gehabt hätte. »Binde ihn los! «, sagte Julius zu dem Optio des Kundschafters, der seine Fesseln mit einem Messer durchtrennte. Der Kundschafter sah aus, als müsse er mit den Tränen kämpfen, während er versuchte, vor seinem Heerführer und dem Gewinner des Schwertturniers in Rom Haltung anzunehmen. »Dieser junge Herr hier hat mir berichtet, dass der Feind den Hügel besetzt hätte, auf den ich dich geschickt hatte. In der Dunkelheit hat er zwei anständige römische Legionen für einen Haufen von Stammeskriegern gehalten.« Brutus brach in schallendes Gelächter aus. »Du bist doch nicht etwa abgezogen? Julius, das ist ... « Er konnte vor Lachen nicht weiterreden, und Julius drehte sich mit gespielt strengem Gesicht zu dem bekümmerten jungen Kundschafter um. »Hast du eine Vorstellung davon, wie schwer es ist, sich einen Ruf als taktisches Genie zu erarbeiten, wenn man dabei ertappt wird, wie man sich vor seinen eigenen Männern zurückzieht?« »Es tut mir Leid, Herr. Ich dachte, ich hätte gallische Stimmen gehört«, stammelte der Kundschafter. Er war vor Verwirrung knallrot geworden. »Ja, das war dann wohl mein Haufen«, sagte Brutus fröhlich. »Deshalb gibt es eine Losung, mein Sohn. Die hättest du rufen sollen, ehe du davongehetzt bist.« Der junge Späher lächelte zaghaft, und Brutus’ Gesichtsausdruck veränderte sich sofort. »Hättest du den Angriff noch länger verzögert, würde ich dir jetzt die Haut abziehen lassen.« Das schwache Lächeln erstarb auf dem Gesicht des Kundschafters. »Drei Monate keinen Sold, und du gehst zu Fuß kundschaften, bis dein Optio davon überzeugt ist, dass er dir wieder ein Pferd anvertrauen kann«, fügte Julius hinzu. Der junge Mann atmete erleichtert auf und wagte es nicht, Brutus anzusehen, als er salutierte und davonschlich. Julius drehte sich zu Brutus um, und sie lächelten beide. »Es war ein guter Plan«, sagte Brutus. Julius nickte und rief nach einem Pferd. Als er aufstieg, blickte er über das Schlachtfeld und sah langsam wieder Ordnung einkehren. Die verletzten Römer wurden genäht und geschient, die Leichen für die Scheiterhaufen zusammengetragen. Die Schwerverwundeten würde er zur Behandlung in die römische Provinz zurückbringen lassen. Die Rüstungen der Toten würden verkauft werden, um Ersatz zu beschaffen. Die Lücken, die die toten Offiziere hinterlassen hatten, würden durch Beförderungen, von seiner Hand unterschrieben, aufgefüllt. Die Welt begann wieder ins Lot zu kommen, und die Hitze des Tages ließ langsam nach. 24 Julius saß auf einem Klappstuhl im großen Zelt des Königs der Helvetier und trank aus einem goldenen Becher. Die Stimmung unter den Männern, die er herbeigerufen hatte, war heiter. Vor allem die Legionsführer aus Ariminum hatten sich an den privaten Weinvorräten des Königs gütlich getan, und Julius hatte sie nicht daran gehindert. Sie hatten das Recht, sich auszuruhen, auch wenn die Arbeit, die vor ihnen lag, immer noch gewaltig war. Julius war vorher nicht klar gewesen, welche Mühe es alleine machen würde, das Gepäck zu katalogisieren, und die Nacht hallte von den Stimmen der Soldaten wider, die die Besitztümer der Helvetier zählten und stapelten. Er hatte Publius Crassus mit vier Kohorten ausgesandt, um die Speere und Waffen auf dem Schlachtfeld einzusammeln. Es war keine ruhmvolle Aufgabe, aber der Sohn des früheren Konsuls hatte schnell und ohne große Umstände seine Männer zusammengerufen und etwas vom Organisationstalent seines Vaters unter Beweis gestellt. Als die Sonne langsam im Westen versank, waren die Zehnte und die Dritte bereits wieder im Besitz ihrer Speere. Viele der eisernen Spitzen waren so verbogen, dass sie nicht mehr benutzt werden konnten, aber Crassus ließ sie auf die Karren der Helvetier laden, um sie von den Legionsschmieden ausbessern oder einschmelzen zu lassen. Durch eine Fügung des Schicksals wurde eine der Kohorten von Germinius Cato befehligt, der nach der Zeit in Spanien befördert worden war. Julius fragte sich, ob die beiden jemals an die Feindschaft ihrer Väter dachten, während sie höflich voreinander salutierten. »Es ist genug Getreide und Trockenfleisch da, um uns monatelang zu ernähren, falls es nicht schlecht wird«, sagte Domitius zufrieden. »Allein die Waffen sind ein kleines Vermögen wert, Julius. Einige der Schwerter sind aus gutem Eisen. Es lohnt sich auch, die Griffe der Bronzeschwerter aufzuheben.« »Irgendwelches Geld?«, fragte Julius. Renius öffnete einen Sack, der ihm zu Füßen lag, und holte ein paar grob aussehende Münzen hervor. »Was man hier so dafür hält«, sagte er. »Eine Mischung aus Silber und Kupfer. Kaum etwas wert. Obwohl sie kistenweise davon haben.« Julius nahm ein Geldstück und hielt es ins Licht der Lampe. Aus der runden Münze aus angelaufenem Metall war ein Stück herausgeschnitten worden, das bis zur Mitte reichte. »Ein merkwürdiges Ding. Sieht aus, als wäre ein Vogel darauf, aber ich bin mir wegen des fehlenden Stücks nicht sicher.« Der Nachtwind wehte herein, als Brutus und Marcus Antonius das Zelt betraten. »Rufst du den Rat zusammen, Julius?«, fragte Brutus. Julius nickte, und Brutus streckte den Kopf wieder zum Zelteingang hinaus und rief nach Ciro und Octavian. »Sind die Gefangenen sicher untergebracht?«, fragte Renius Brutus. Marcus Antonius antwortete. »Die Männer sind gefesselt, aber wir haben bei weitem nicht genug Soldaten, um den Rest daran zu hindern, während der Nacht zu verschwinden, falls sie das wollen.« Er sah die Säcke voller Münzen und nahm eine in die Hand. »Handgeprägt?«, fragte Julius, als er sein Interesse sah. Marcus Antonius nickte. »Die hier schon, obwohl in den größeren Städten Münzen hergestellt werden, die ebenso gut sind wie die römischen. Ihre Metallarbeiten sind oft sehr schön.« Er ließ die Münze wieder in Renius’ ausgestreckte Hand fallen. »Diese hier allerdings nicht. Die sind minderwertig.« Julius wies auf zwei Hocker für die beiden Männer, und sie nahmen die Becher mit dem dunklen Wein aus dem Privatvorrat des Königs entgegen. Marcus Antonius setzte seinen an und seufzte zufrieden. »Der Wein hingegen ist alles andere als minderwertig. Hast du dir schon überlegt, was du mit dem Rest der Helvetier anfangen willst? Ich hätte ein paar Vorschläge zu machen, wenn ich darf.« Renius räusperte sich. »Wir sind jetzt für sie verantwortlich, ob es uns nun gefällt oder nicht. Die Haeduer bringen sie alle um, wenn sie ohne ihre Krieger nach Süden ziehen.« »Genau darin liegt das Problem«, sagte Julius und rieb sich die müden Augen. »Oder besser gesagt hier.« Er hob eine schwere Rolle aus Tierhaut hoch und zeigte ihnen den Anfang, auf dem winzige Schriftzeichen geschrieben standen. »Adàn sagt, das sei eine Liste ihrer Leute. Er hat schon Stunden gebraucht, um eine grobe Schätzung anzustellen.« »Wie viele sind es?«, fragte Marcus Antonius. Alle blickten Julius an und warteten. »Neunzigtausend Männer im Kriegeralter, und noch dreimal so viel Frauen, Kinder und Alte.« Die Zahlen verschlugen allen die Sprache. Octavian fand sie als Erster wieder und sagte mit weit aufgerissenen Augen: »Und wie viele Männer haben wir gefangen genommen?« »Ungefähr zwanzigtausend«, erwiderte Julius. Sein Gesicht blieb unbewegt, während die anderen vor Staunen lachten und sich gegenseitig auf den Rücken schlugen. Octavian pfiff leise. »Siebzigtausend Tote. Wir haben eine ganze Stadt umgebracht.« Seine Worte ernüchterten die anderen, die an die Berge von Toten auf der Ebene und dem Hügel dachten. »Und unsere eigenen Toten?«, fraget Renius. Julius nannte die Zahlen ohne Zögern. »Achthundert Legionäre, darunter vierundzwanzig Offiziere. Ungefähr die gleiche Anzahl Verwundete. Viele von ihnen werden wieder kämpfen können, wenn wir sie zusammengeflickt haben.« Renius schüttelte verblüfft den Kopf. »Das ist ein guter Preis.« »Möge es immer so sein«, sagte Julius und hob den Becher des Königs. Die anderen tranken mit ihm. »Aber wir haben immer noch eine Viertelmillion Menschen am Hals«, erinnerte Marcus Antonius. »Wir sind hier in der Ebene ungeschützt, und die Haeduer sind eilends im Anmarsch, um einen Anteil an der Beute zu fordern. Machen wir uns nichts vor, meine Herren. Morgen Mittag wird hier eine weitere Armee auftauchen, die von uns einen Teil der Reichtümer der Helvetier verlangt.« »Sie gehören von Rechts wegen uns, soweit es überhaupt welche gibt«, erwiderte Renius. »Ich persönlich habe außer diesen Bechern keine großen Reichtümer gesehen.« »Nein, es ist vielleicht geschickter, ihnen etwas davon abzugeben«, sagte Julius nachdenklich. »Sie haben ein Dorf verloren, und die Schlacht hat auf ihrem Land stattgefunden. Wir brauchen Verbündete unter diesen Völkern, und Mhorbaine ist sehr einflussreich.« Er wandte sich an Bericus, der immer noch seine blutbespritzte Rüstung trug. »Deine Männer sollen ein Zehntel von allem nehmen, was wir hier gefunden haben, und es für die Haeduer bewachen.« Bericus erhob sich und salutierte. Wie die anderen war er bleich vor Müdigkeit, aber er verließ schnell das Zelt, und sie alle konnten hören, wie kräftig seine Stimme wieder klang, als er seine Befehle in die Dunkelheit hinausrief. »Und was fangen wir mit den Gefangenen an?«, fragte Brutus. »Rom braucht Sklaven«, erwiderte Julius. »Auch wenn der Preis fallen wird, brauchen wir Geld für unseren Feldzug. Im Augenblick sind Münzen wie diese hier der einzige Reichtum, den wir besitzen. Wir haben kein Silber, um den Sold der Zehnten und Dritten zu bezahlen, und sechs Legionen verbrauchen jeden Monat ein Vermögen. Unsere Soldaten wissen, dass der Verkaufspreis der gefangenen Soldaten ihnen gehört, und viele von ihnen diskutieren schon über ihren neuen Reichtum.« Marcus Antonius sah etwas betreten aus, als er das hörte. Seine Legion wurde von Rom bezahlt, und er hatte angenommen, dass das bei den anderen auch so war. »Mir war nicht bewusst ... «, fing er an und hielt dann inne. »Darf ich etwas sagen?« Julius nickte. Marcus Antonius hielt Brutus seinen Becher hin, der ihn ignorierte. »Wenn ihr den Stamm in Rom verkauft, wird das Land der Helvetier verlassen bleiben, bis zum Rhein hinüber. Es gibt dort germanische Stämme, die den Fluss nur zu gerne überqueren und das nun schutzlose Land besetzen würden. Die Gallier verehren starke Krieger, aber von den Männern auf der anderen Seite des Flusses haben sie keine gute Meinung. Solche Burschen würdest du nicht an den Grenzen der römischen Provinz haben wollen.« »Wir könnten das Land selbst besetzen«, warf Brutus ein. Marcus Antonius schüttelte den Kopf. »Wenn wir das Rheinufer von ein paar Legionen bewachen lassen, verlieren wir damit die Hälfte unserer Streitkräfte, ohne etwas zu gewinnen. Das Land besteht im Augenblick aus wertloser Asche. Man müsste Lebensmittel einführen, bis die Felder wieder bestellt sind, und wer soll die Feldarbeit machen? Unsere Legionäre? Nein, es wäre viel besser, die Helvetier in ihr Land zurückzuschicken. Sollen sie doch den Norden für uns bewachen. Sie haben schließlich mehr zu verlieren.« »Würden sie nicht von den wilden Stämmen überrannt werden, die du erwähnt hast?«, fragte Julius. »Sie haben immer noch zwanzigtausend Krieger. Das ist keine geringe Zahl. Und was noch wichtiger ist, sie würden bis zum Letzten kämpfen, um neue Eindringlinge abzuwehren. Sie haben gesehen, wozu die Legionen in der Lage sind, und wenn sie nicht nach Süden wandern können, müssen sie bleiben und um ihre Felder und Häuser kämpfen. Gib mir noch etwas von dem Wein, Brutus.« Brutus sah Marcus Antonius widerwillig an, als dieser ihm den Becher hinhielt, nachdem er es offensichtlich gar nicht bemerkt hatte, dass ihm der Wein schon einmal verweigert worden war. »Nun gut«, sagte Julius. »Obwohl den Männern das nicht gefallen wird, werden wir den Helvetiern genug Vorräte lassen, um nach Hause zu ziehen, und den Rest für uns behalten. Ich werde jedem Zehnten eine Waffe geben, damit sie ihr Volk beschützen können. Alles andere nehmen wir mit, abzüglich des Anteils für die Haeduer. Vielen Dank, Marcus Antonius. Das ist ein guter Rat.« Julius blickte die Männer im Zelt nacheinander an. »Ich lasse Rom wissen, was wir hier erreicht haben. Mein Schreiber kopiert in diesem Augenblick die Berichte. Und jetzt hoffe ich, dass ihr nicht zu müde seid, denn die Kolonne soll sich beim ersten Tageslicht in Bewegung setzen.« Die Männer stöhnten kaum hörbar, und Julius lächelte. »Wir bleiben hier, um den Haeduern ihren Anteil zu übergeben und dann in gemächlichem Tempo in die Provinz zurückzumarschieren, wo wir übermorgen ankommen werden.« Er gähnte und löste damit bei dem einen oder anderen ein Echo aus. »Dann können wir schlafen.« Er stand auf, und die anderen erhoben sich mit ihm. »Kommt jetzt, im Sommer sind die Nächte kurz.« Am nächsten Tag nötigten die Organisationskünste der Helvetier Julius widerwilligen Respekt ab. So viele Menschen abmarschbereit zu machen war schon schwierig genug, aber das Abwiegen der Nahrungsmittel, die sie auf dem Weg nach Hause am Leben erhalten würden, dauerte viele Stunden. Diese Aufgabe war der Zehnten zugefallen, und schon bald hatten sich lange Schlangen vor den Soldaten mit den Messbechern und Säcken gebildet, die allen überlebenden Stammesangehörigen ihren Proviant zuteilten. Die Helvetier waren noch immer vollkommen verblüfft von der plötzlichen Wendung, die das Schicksal für sie genommen hatte. Die Haeduer, die sie als Gefangene mitgenommen hatten, mussten mit Gewalt herausgeholt werden, nachdem es am Morgen zu zwei Messerstechereien gekommen war. Die Frauen der Haeduer hatten sich mit einer Brutalität an ihren Entführern gerächt, die selbst die abgehärteten Soldaten entsetzte. Julius ließ zwei von ihnen hängen, danach gab es keine weiteren Vorfälle dieser Art. Die Armee der Haeduer war kurz vor der Mittagsstunde zwischen den Bäumen hervorgekommen, als sich Julius gerade fragte, ob es ihnen jemals gelingen würde, den riesigen Tross in Bewegung zu setzen. Kaum hatte er sie in der Ferne entdeckt, schickte Julius einen Kundschafter mit einer Botschaft zu ihnen, die aus nur einem Wort bestand: »Wartet!« Das Chaos würde durch mehrere Tausend wütender Kämpfer, die darauf brannten, auf den geschlagenen Feind loszugehen, nur noch wachsen. Um ihre Geduld zu belohnen, ließ Julius nach einer Stunde einen Tross mit Ochsen folgen, die mit Waffen und Wertgegenständen der Helvetier beladen waren. Die Gefangenen, die er befreit hatte, schickte er mit, und Julius war froh, sie los zu sein. Er verhielt sich den Haeduern gegenüber sehr großzügig, obwohl Marcus Antonius meinte, dass sie gewiss argwöhnen würden, er hätte die besten Stücke für sich behalten, was immer er ihnen auch schickte. Tatsächlich hatte er die goldenen Becher behalten und unter den Heerführern seiner Legion aufgeteilt. Als die Mittagsstunde verging und die Helvetier immer noch auf der Ebene standen, wurde Julius langsam rot vor Zorn über die Verzögerungen. Zum Teil lag es an der nicht zu widerlegenden Tatsache, dass alle Anführer des Stamms im Kampf getötet worden waren und eine kopflose Menschenmasse hinterlassen hatten, die hin und her lief, bis Julius in Versuchung kam, sie von den Optios mit ihren Stöcken in Bewegung setzen zu lassen. Als Letztes befahl Julius, 2000 Kriegern Schwerter aushändigen zu lassen. Mit den Waffen in der Hand standen die Männer gleich etwas aufrechter da und verloren den hoffnungslosen Gesichtsausdruck von Gefangenen und Sklaven. Diese Männer sorgten sofort für Ordnung in der Kolonne, dann marschierten die Helvetier beim Klang eines einzelnen Horns ab. Julius sah ihnen mit Erleichterung nach. Es kam so, wie es Marcus Antonius vorhergesagt hatte: Als klar wurde, dass sie nach Norden zogen, strömten die Haeduer in die Ebene und brüllten und schrien ihnen hinterher. Julius ließ den sechs Legionen durch die Cornicen den Befehl geben, Mhorbaines Kriegern den Weg zu versperren, und als sie sich näherten, fragte er sich, ob sie wohl anhalten würden oder ob der Tag mit einer weiteren Schlacht enden würde. In der Stimmung, in der er sich befand, wünschte er sich das fast. Die Reihen der Haeduer hielten in einer Viertelmeile Entfernung an. Sie hatten das Schlachtfeld überquert und waren an Zehntausenden unbestatteter Leichen vorbeigekommen, die bereits zu stinken anfingen. Es konnte keinen besseren Beweis für die Macht der Legionen geben, die ihnen gegenüberstanden, als ein Gang über das Feld voller Leichen, die sie zurückgelassen hatten. Die Haeduer würden es weitererzählen. Er sah, wie Mhorbaine mit zwei Begleitern angeritten kam, die im Wind flatternde Stander trugen. Julius wartete auf sie, und seine Ungeduld verflog, während sich die Helvetier hinter ihm langsam in der Ferne verloren. Viele seiner Männer warfen der kleiner werdenden Kolonne Blicke nach, weil sie es als Soldaten hassten, zwischen zwei großen Gruppen in der Falle zu sitzen, aber Julius war davon unberührt. Seine Müdigkeit hatte einer gelassenen Leere Platz gemacht, als wären alle seine Gefühle mit der Kolonne zusammen entschwunden. Mhorbaine stieg ab und öffnete die Arme zu einer herzlichen Umarmung. Julius wich ihm misstrauisch aus, und Mhorbaine überspielte seine Verwirrung mit einem Lachen. »Ich habe noch nie so viele meiner Feinde tot am Boden liegen sehen, Cäsar. Es ist erstaunlich. Du hast dein Wort gehalten, und die Geschenke, die du geschickt hast, versüßen es noch zusätzlich, da ich weiß, wo sie herstammen. Ich habe Rinder für ein großes Festmahl mitgebracht, genug, dass sich deine Männer ordentlich die Bäuche voll schlagen können. Wirst du das Brot mit mir brechen?« »Nein«, erwiderte Julius zur offensichtlichen Überraschung Mhorbaines. »Nicht hier. Die Leichen verbreiten Krankheiten, wenn man sie so liegen lässt. Sie liegen auf eurem Land, und sie sollten vergraben oder verbrannt werden. Ich kehre in die Provinz zurück.« Mhorbaine sah bei dieser Zurückweisung einen Augenblick lang wütend aus. »Meinst du etwa, ich sollte einen Tag damit verbringen, Löcher für die Leichen der Helvetier zu graben? Lasst sie als Warnung hier verrotten. Als Fremdem ist dir vielleicht die hiesige Sitte unbekannt, nach einer Schlacht ein Festmahl abzuhalten. Die Götter der Erde müssen sehen können, dass die Lebenden Respekt vor den Toten haben. Wir müssen diejenigen, die wir getötet haben, auf den Weg bringen, sonst können sie nicht gehen.« Julius rieb sich die Augen. Wann hatte er das letzte Mal geschlafen? Er suchte verzweifelt nach Worten, um den Mann zu besänftigen. »Ich kehre mit meinen Männern zum Fuß der Berge zurück. Es wäre mir eine Ehre, wenn du mich dort besuchst. Dort werden wir ein Festmahl veranstalten und auf die Toten trinken.« Er sah, wie Mhorbaine der abziehenden Kolonne nachblickte, und fuhr mit mehr Schärfe in der Stimme fort. »Die überlebenden Helvetier stehen unter meinem Schutz, bis sie in ihr Land zurückgekehrt sind. Hast du mich verstanden?« Der Gallier sah den Römer zweifelnd an. Er hatte angenommen, dass die Kolonne unter Bewachung in die Sklaverei geführt wurde. Mit dem Gedanken, dass man sie einfach laufen ließ, konnte er sich nur schwer anfreunden. »Unter deinem Schutz?«, wiederholte er langsam. »Glaub mir, wer immer sie angreift, wird mein Feind sein«, erwiderte Julius. Nach einer Pause zuckte Mhorbaine die Achseln und fuhr sich mit der Hand über den Bart. »Nun gut, Cäsar. Ich werde mit meiner Leibgarde vorausreiten und dich erwarten, wenn du ankommst.« Julius schlug ihm auf die Schulter und wandte sich ab. Er sah, wie Mhorbaine ihm fasziniert zusah, als er den Cornicen zunickte. Die Hörnerklänge schallten über die Ebene, und sechs Legionen machten auf der Stelle kehrt. Der weiche Boden erbebte, und Julius grinste, als sie in perfekten Reihen davonmarschierten und Mhorbaine mit seinen Haeduern hinter sich ließen. Als sie am Rande der Ebene zwischen die Bäume traten, rief Julius Brutus zu sich. »Gib Folgendes weiter. Ich will als Erster in der Provinz sein. Wir marschieren die Nacht durch und halten ein Festmahl ab, sobald wir angekommen sind.« Julius wusste, dass die Männer die Herausforderung annehmen würden, ganz egal, wie erschöpft sie waren. Er schickte die Zehnte nach vorn, damit sie das Tempo bestimmte. Als der Morgen anbrach, überquerten die sechs Legionen den letzten Hügelkamm vor der römischen Siedlung am Fuß der Alpen. Die Männer hatten trabend und marschierend mehr als 40 Meilen hinter sich gebracht, und Julius stand kurz vor der völligen Erschöpfung. Er war jeden Schritt des Weges mit seinen Männern marschiert, weil er wusste, dass sein Beispiel sie anstachelte. Diese kleinen Dinge waren denen, die er befehligte, sehr wichtig. Trotz ihrer Blasen brachen die Männer in einen heiseren Jubelruf aus, als sie die verstreuten Gebäude erblickten, und wechselten zum letzten Mal in das schnellere Marschtempo. »Sagt den Männern, sie dürfen acht Stunden schlafen, und dass sie ein Festmahl erwartet, mit dem sie sich die Bäuche voll schlagen können, wenn sie aufwachen. Wenn sie so hungrig sind wie ich, werden sie nicht so lange warten wollen, deshalb lasst kaltes Fleisch und Brot austeilen, um den gröbsten Hunger zu stillen. Ich bin stolz auf sie alle«, sagte Julius seinen Kundschaftern und schickte sie zu den anderen Feldherren. Er fragte sich, ob seine Legionen sich wohl mit den Armeen Spartas oder Alexanders hätten messen können. Auf jeden Fall hätte es ihn sehr überrascht, wenn sie ihre großen Vorbilder beim Marschieren nicht hätten abhängen können. Bis Mhorbaine denselben Hügelkamm mit 50 seiner besten Kämpfer erreicht hatte, stand die Sonne schon über dem Horizont. Julius schlief tief und fest. Mhorbaine ließ sein Pferd anhalten und begutachtete die Veränderungen, die die Römer zuwege gebracht hatten. Die dunkle Mauer, die sie errichtet hatten, zog sich in einer weiten Kurve in Richtung Norden und verlor sich in der Ferne, ein Schnitt quer durch die fruchtbare Landschaft. Überall sah er Gebäude, Zelte und ungepflasterte Straßen entstehen. Mhorbaine war vor ein paar Meilen auf die Marschroute der Legionen gestoßen, doch er war trotzdem überrascht, als er die Wirklichkeit vor Augen hatte. Irgendwie hatten sie ihn in der Dunkelheit überholt. Er lehnte sich auf den Sattelknauf und sah sich nach der massigen Gestalt seines besten Kämpfers Artorath um. »Was für ein seltsames Volk sie doch sind«, sagte er. Anstelle einer Antwort wandte Artorath den Kopf nach hinten. »Da kommen Reiter«, sagte er. »Keine von unseren.« Mhorbaine wendete sein Pferd und blickte den sanften Abhang hinunter. Nach einer Weile nickte er. »Die anderen Anführer versammeln sich, um den neuen Mann in unserem Land zu sehen. Es wird sie nicht freuen, dass er die Helvetier geschlagen hat, ehe sie hier waren.« Mit Parlamentärsfahnen hoch über den Köpfen näherten sich Gruppen von Reitern. Es sah aus, als hätten sämtliche Stämme im Umkreis von 200 Meilen Abgesandte zur römischen Siedlung entsandt. Mhorbaine blickte auf das riesige Feldlager mit seinen ordentlichen Linien und Befestigungen hinunter. »Wenn wir schlau sind, können wir hier einen großen Vorteil erzielen«, sagte er laut. »Handel mit Lebensmitteln zum Beispiel, aber diese Legionen sind kein stehendes Heer. Nach dem, was ich bisher gesehen habe, ist dieser Cäsar auf Krieg aus. Wenn dem so ist, haben die Haeduer noch andere Feinde, die er für sie bekämpfen kann.« »Deine Pläne werden uns noch alle ins Grab bringen«, knurrte Artorath. Mhorbaine hob die Augenbrauen und sah den Mann an, der auf einem schweren Hengst wie auf einem Pony saß. Artorath war der größte Mann, den er je gesehen hatte, aber manchmal verzweifelte er, wenn er nach Anzeichen von Intelligenz suchte, die zu seiner Größe passten. »Meinst du wirklich, Leibwachen sollten so mit ihren Herren reden?«, fragte Mhorbaine. Artorath blickte ihn mit seinen blauen Augen an und zuckte die Achseln. »Ich habe gerade als dein Bruder gesprochen, Mhor. Du hast gesehen, was sie mit den Helvetiern gemacht haben. Auf einem Bären zu reiten wäre ungefährlicher, als mit deiner Silberzunge zu diesen Fremden zu sprechen. Wenn man von dem Bären abspringt, kann man wenigstens noch um sein Leben laufen.« »Manchmal kann ich kaum glauben, dass wir den gleichen Vater haben«, entgegnete Mhorbaine. Artorath lachte. »Für seinen zweiten Sohn wollte er eine große Frau, hat er gesagt. Er musste drei Männer töten, um sie den Arvernern zu entreißen.« »Um einen Ochsen wie dich zu zeugen, ja. Aber keinen Anführer, kleiner Bruder, merk dir das. Ein Anführer muss sein Volk mit mehr schützen können als nur mit abstoßend massigen Muskeln.« Artorath schnaubte, während Mhorbaine weitersprach. »Wir brauchen sie, Artorath. Die Haeduer werden von einem Bündnis profitieren, und das ist die Wirklichkeit, ob es dir nun gefällt oder nicht.« »Wenn man Schlangen nimmt, um Ratten zu fangen, Mhor ...« Mhorbaine seufzte. »Ich würde mich gerne ein einziges Mal mit dir unterhalten, ohne mir deine Tierweisheiten anhören zu müssen. Das lässt dich nicht gerade klug erscheinen, weißt du. Ein Kind könnte sich besser ausdrücken als du, ehrlich.« Artorath funkelte ihn wütend an und schwieg. Mhorbaine nickte erleichtert. »Vielen Dank, Bruder. Ich denke, den restlichen Tag solltest du dich in erster Linie als meinen Leibwächter betrachten, und dann erst als meinen Bruder. Also, kommst du jetzt mit?« Seinen Männern wurden Zelte zugewiesen, während sie darauf warteten, dass Julius erwachte. Mhorbaine schickte Reiter los, die die Viehherde antreiben sollten, die er für das Festmahl mitgebracht hatte, und ehe die Mittagsstunde vorüber war, hatte das Schlachten der Tiere begonnen. Mhorbaine und Artorath beteiligten sich persönlich am Zubereiten und Würzen des Fleischs. Als die anderen Stammesführer eintrafen, begrüßte Mhorbaine sie und freute sich innerlich diebisch über ihre überraschten Gesichter, als sie ihn sahen, wie er, blutverschmiert bis zu den Ellbogen, den Jungen und Männern Befehle gab, während das brüllende Vieh geschlachtet und als Festmahl für 30000 Mann zerlegt wurde. Der Geruch gebratenen Fleisches erfüllte die Luft, während 100 Feuergruben angeheizt und schwere Eisenspieße aufgestellt wurden. Benommene Legionäre wurden unter ihren warmen Decken hervorgeholt, damit sie bei der Arbeit halfen, und zur Belohnung bekamen sie gleich etwas zum Probieren, während sie sich die verbrannten Finger ableckten. Als Marcus Antonius aufwachte, ließ er sich von den Sklaven Wasser aus dem Fluss bringen, um sich zu waschen und zu rasieren, ohne sich drängen zu lassen. Wenn Julius vorhatte, die größte Versammlung von Stammesführern seit Menschengedenken zu verschlafen, wollte er ihnen zumindest nicht mit einem Zweitagebart gegenübertreten. Jede Stunde sah er sich gezwungen, mehr Soldaten zu wecken, und er ignorierte das Fluchen, das aus den Zelten erscholl, wenn seine Befehle zu den vor Erschöpfung wie betäubt Schlafenden durchdrangen. Die Aussicht auf eine warme Mahlzeit besänftigte sie jedoch schnell wieder, und der Hunger brachte sämtliche Beschwerden zum Verstummen, als sie Marcus Antonius’ Beispiel folgten und sich wuschen, ehe sie ihre besten Uniformen anlegten. Es gab viele kleine Dörfer in der römischen Provinz, und Marcus Antonius sandte Reiter aus, die von dort Öl, Fischsoße, Kräuter und Obst holen sollten. Er dankte den Göttern, dass die Bäume voller Äpfel und Orangen hingen, wie unreif sie auch noch sein mochten. Nachdem die Männer so lange nichts als Wasser hatten trinken müssen, schmeckte der bittere Saft besser als Wein, nachdem man ihn ausgepresst und in Krüge gefüllt hatte. Julius wachte schweißgebadet als einer der Letzten auf. Er hatte in einem der Steinhäuser der ursprünglichen Siedlung geschlafen, die jetzt stark anwuchs. Wer immer sie gebaut haben mochte, teilte die römische Leidenschaft für Sauberkeit, und Julius konnte sich im Baderaum mit kaltem Wasser abspülen, ehe er sich auf eine harte Liege legte, wo man seine Haut mit Olivenöl einrieb und abschabte, bis er sich sauber und erfrischt fühlte. Die schmerzenden Rückenmuskeln entspannten sich langsam, als er sich hinsetzte, um sich rasieren zu lassen, und er fragte sich, ob ihn die tägliche Massage so geschmeidig hielt. Ehe er sich anzog, blickte er an sich herunter und betrachtete seine blauen Flecken. Vor allem der Bauch schmerzte, als habe er einen heftigen Schlag abbekommen. Merkwürdig, dass er sich nicht daran erinnern konnte. Langsam zog er sich an und genoss nach dem Gestank seines eigenen Schweißes während des Marschs die Kühle des sauberen Leinens auf der Haut. Sein Haar verfing sich in den feinen Zinken des Kamms, und als er kräftig zog, sah er mit Entsetzen die vielen Strähnen, die daran hängen geblieben waren. Im Baderaum gab es keinen Spiegel, und Julius versuchte, sich daran zu erinnern, wann er sich das letzte Mal gesehen hatte. Gingen ihm etwa die Haare aus? Was für eine schreckliche Vorstellung. Brutus trat gemeinsam mit Domitius und Octavian ins Zimmer. Alle drei Männer trugen die auf Hochglanz polierten silbernen Rüstungen, die sie beim Turnier gewonnen hatten. »Die Stämme haben ihre Vertreter entsandt. Sie wollen dich sehen, Julius«, sagte Brutus mit vor Aufregung gerötetem Gesicht. »Es müssen dreißig verschiedene Gruppen auf unserem Land sein, die alle Parlamentärsfahnen führen und sich nicht anmerken lassen wollen, wie sehr sie sich für unsere Truppenstärke und Strategie interessieren. « »Ausgezeichnet«, erwiderte Julius, den ihre Begeisterung ansteckte. »Lasst im Speisesaal Tische für sie aufstellen. Es müssten alle hineinpassen, falls es ihnen nichts ausmacht, wenn es etwas eng wird.« »Schon erledigt«, sagte Domitius. »Alle warten nur noch auf dich, aber Marcus Antonius ist außer sich. Er sagt, sie würden sich nicht von der Stelle rühren, ehe du sie nicht zu Tisch bittest, und wir haben nicht zugelassen, dass er dich weckt.« Julius lachte. »Dann lasst uns zu ihnen hinausgehen.« 25 Als Julius seinen Platz an der langen Tafel einnahm, war die Luft im Speisesaal von der Körperwärme der vielen Anwesenden bereits schwer und dunstig. Obwohl die Tafel mit Leinentüchern bedeckt war, konnte Julius der Versuchung nicht widerstehen, eine Hand darunter zu schieben und das raue, neue Holz zu befühlen. Am Morgen, als die Legion hier eingetroffen war, war der Tisch noch nicht da gewesen. Die Betriebsamkeit von Marcus Antonius und den Zimmermännern der Legionen ließ ihn still in sich hineingrinsen. Er bat Mhorbaine, sich zu seiner Rechten niederzulassen, und der Gallier nahm den Platz mit offenkundiger Zufriedenheit ein. Julius mochte den Mann und fragte sich, wer von den anderen Gästen in den kommenden Jahren zu seinen Freunden oder Feinden werden würde. Die Männer an seinem Tisch waren eine bunt durcheinander gewürfelte Truppe, obwohl ihre Gesichtszüge viele Gemeinsamkeiten aufwiesen, so, als wären ihre Vorfahren demselben Stamm entsprungen. Sie hatten verschlossene, wie aus Kiefernholz geschnitzte Gesichter. Viele trugen Bärte, obwohl sich keine einheitliche Tracht ausmachen ließ und Julius ebenso viele Schnurrbärte und kahl rasierte Schädel sah wie Bärte und lange, an den Wurzeln rot gefärbte Zöpfe. Ebenso uneinheitlich präsentierten sich ihre Kleidung und ihre Rüstungen. Einige trugen silberne und goldene Broschen, die Alexandria bestimmt fasziniert hätten, andere wiederum waren völlig ohne Schmuck gekommen. Julius sah, wie Brutus eine verzierte Spange an Mhorbaines Mantel musterte und beschloss, ein paar davon zu erwerben, um sie Alexandria zu schenken, wenn er nach Rom zurückkehrte. Bei dem Gedanken daran seufzte er leise auf und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er wieder mit seinen eigenen Leuten an einer langen Tafel sitzen und statt des kehligen Grunzens der Gallier wieder ihre herrliche Sprache hören würde. Sobald alle saßen, winkte Julius Adàn zu sich heran und erhob sich, um die Stammeshäuptlinge zu begrüßen. Bei einer so wichtigen Zusammenkunft hatte er den ältlichen Dolmetscher zu seinem Stamm zurückgeschickt. »Ihr seid in meinem Land herzlich willkommen«, sagte Julius und wartete, bis Adàn die Worte in ihrer eigenen Sprache wiederholt hatte. »Ich glaube, ihr wisst, dass ich die Helvetier davon abgehalten habe, durch meine Provinzen und die der Haeduer zu marschieren. Das habe ich auf Mhorbaines Bitte hin getan, und zwar, um mein Vertrauen in euch unter Beweis zu stellen.« Während Adàn übersetzte, beobachtete Julius ihre Reaktionen. Es war ein merkwürdiger Vorteil, ihnen diesen einen Schritt voraus zu sein. Die Pausen verschafften ihm die Gelegenheit, seine Argumente zu ordnen und zu überprüfen, wie sie ankamen, während die Augen der Gallier auf Adàn gerichtet waren. »Das Volk von Rom lebt nicht in ständiger Angst vor feindlichen Angriffen«, fuhr er fort. »Sie haben Straßen, Handel, Theater, Badehäuser und billige Nahrungsmittel für alle. Die Leute haben sauberes Wasser und Gesetze, die ihnen Schutz bieten.« An den Gesichtern rings um den Tisch konnte er ablesen, dass er mit seiner Schilderung auf der falschen Fährte war. Diese Männer hier scherten sich nicht um den Luxus derer, die sie regierten. »Weit wichtiger noch«, fuhr Julius rasch fort, während Adàn mit einem Wort rang, »die Anführer Roms besitzen gewaltige Ländereien und Anwesen, die zehnmal so groß sind wie dieser kleine Vorposten hier. Sie haben Sklaven, die sich um ihre Bedürfnisse kümmern, und die besten Weine und herrlichsten Pferde der Welt.« Diesmal fiel die Reaktion schon besser aus. »Diejenigen von euch, die meine Verbündeten sein wollen, werden das alles kennen lernen. Ich habe vor, die Straßen Roms bis nach Gallien zu führen und bis in den entferntesten Winkel des Landes Handel zu treiben. Ich bringe euch den größten Markt der Welt für eure Waren.« Der eine oder andere seiner Zuhörer lächelte und nickte, dann jedoch erhob sich ein junger Krieger, und alle Gallier sahen den Mann an und verstummten. Julius spürte, wie Brutus zu seiner Linken sich anspannte. Die Gestalt, die sich Julius in zwanzig Fuß Entfernung zuwandte, hatte nichts Außergewöhnliches an sich. Der Gallier trug seinen Bart kurz und hatte das blonde Haar im Nacken zusammengebunden. Wie bei etlichen der anderen war seine Gestalt gedrungen und kräftig, gekleidet in Wolle und abgetragenes Leder. Doch trotz seiner Jugend sah sich der Gallier mit arrogantem Blick im Kreis der versammelten Stammesvertreter um. Sein Gesicht war schlimm vernarbt, und die kalten blauen Augen schienen sie alle zu verspotten. »Und wenn wir deine leeren Versprechungen von uns weisen?«, fragte der Mann. Während Adàn übersetzte, erhob sich Mhorbaine an Julius’ Seite. »Setz dich hin, Cingeto. Willst du der Liste deiner Feinde noch einen neuen hinzufügen? Wie lange ist es her, dass das Volk deines Vaters zum letzten Mal in Frieden gelebt hat?« Mhorbaine sprach in seiner eigenen Sprache, und der junge Gallier antwortete viel zu schnell für Adàn. Die beiden Männer brüllten sich über den Tisch hinweg an, und Julius nahm sich fest vor, ihre Sprache zu erlernen. Er wusste, dass Brutus bereits damit angefangen hatte; er würde sich seinen täglichen Lektionen anschließen. Ohne Vorwarnung stürmte der gelbhaarige Krieger von der Tafel davon und stieß die Tür nach draußen weit auf. Mhorbaine sah ihm mit zusammengekniffenen Augen nach. »Cingetos Leute kämpfen lieber, als dass sie essen«, sagte Mhorbaine. »Die Arverner sind schon immer so gewesen, mach dir deswegen keine Gedanken. Sein älterer Bruder, Madoc, ist weniger aufbrausend, und er ist derjenige, der die Krone seines Vaters tragen wird.« Der Wortwechsel hatte Mhorbaine sichtlich beunruhigt, doch er zwang sich zu einem Lächeln, als er Julius ansah. »Du darfst die Unhöflichkeit des Jungen nicht beachten. Nicht alle empfinden so wie Cingeto.« Julius ließ die vor Öl und Gewürzen glitzernden Platten mit Rind- und Schafsfleisch von den Feuergruben hereinbringen und gab sich Mühe, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, als Teller mit hoch aufgetürmten frischen Brotlaiben, aufgeschnittenem Obst und gebratenen Wildvögeln folgten. Marcus Antonius war geschäftiger gewesen, als er es mitbekommen hatte. Die peinliche Unterbrechung nach Cingetos Abgang löste sich im Klappern der Platten und Teller auf. Die Häuptlinge machten sich über die Köstlichkeiten her, wobei jeder sein eigenes Messer zückte, um das heiße Essen zu schneiden und aufzuspießen. Die Fingerschalen mit dem frischen Wasser wurden dazu benutzt, den Wein zu verdünnen, sehr zur Verwunderung der Diener, die die Schalen rasch wieder auffüllten. Julius begriff, dass die Häuptlinge ihre Sinne nicht vom Alkohol vernebeln lassen wollten, und nach kurzem Überlegen kippte er seine eigene Wasserschale ebenfalls in seinen Becher. Verstohlen grinsend folgten Brutus und Octavian seinem Beispiel. Ein plötzliches Krachen vor dem Saal ließ zwei der Gäste sich halb von ihren Plätzen erheben. Julius stand mit ihnen auf, doch Mhorbaine blieb mit finsterer Miene sitzen. »Das ist bestimmt Artorath, mein Leibwächter. Er hat wohl jemanden gefunden, mit dem er ringen kann.« Ein weiteres Krachen und ein Grunzen unterstrichen seine Worte, und er seufzte. »Der riesenhafte Mann?«, fragte Julius belustigt. Mhorbaine nickte. »Er langweilt sich schnell, aber was soll ich tun? Er gehört zur Familie. Mein Vater hat die Arverner eigens wegen seiner Mutter überfallen, obwohl er damals schon zu alt für so etwas war. Cingetos Leute vergeben nie, obwohl sie sich ihre eigenen Frauen auf die gleiche Weise besorgen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.« »Die Frauen sind mit einer solchen Lösung bestimmt nicht sehr glücklich«, sagte Julius langsam, denn er versuchte noch immer, das Gesagte zu verstehen. Mhorbaine lachte laut. »Allerdings – wenn wir im Dunkeln die Falsche erwischen. Dann hören sie gar nicht mehr auf zu zetern. Nein, im Ernst, Julius, wenn sich die Stämme beim Beltane-Fest zum Tauschen und Handeln treffen, werden viele Ehen geschlossen. Vielleicht bietet sich dir die Gelegenheit, einmal daran teilzunehmen. Die Frauen machen ihre Wünsche den jungen Kriegern gegenüber deutlich, und es ist ein großartiges Abenteuer, sie von ihren Leuten wegzuholen. Ich weiß noch, dass meine Frau sich wie eine Wölfin gewehrt hat, aber sie hat kein einziges Mal um Hilfe gerufen.« »Warum nicht?«, wollte Julius wissen. »Weil man sie sonst vielleicht gerettet hätte! Mein Bart hatte es ihr sehr angetan, glaube ich. Trotzdem hat sie eine Handvoll davon ausgerissen, als ich sie mir über die Schulter werfen wollte. Danach hatte ich eine ganze Weile eine kahle Stelle, direkt am Kinn.« Julius schenkte dem Gallier Wein nach und sah zu, wie Mhorbaine den Becher mit Wasser auffüllte. »Ich habe noch nie gesehen, dass man Fingerschalen für so etwas benutzt«, sagte Mhorbaine. »Aber es ist eine gute Idee, wenn der Wein so herb ist.« Artorath ging in die Hocke und verlagerte seinen Schwerpunkt. Domitius klappte über ihm zusammen und sah sich plötzlich in die Luft gehoben. Ein kurzer, Schwindel erregender Flug, dann prallte Domitius auf den Boden, und die Luft wich aus seiner Lunge. Stöhnend blieb er liegen, während Artorath leise vor sich hinkicherte. »Du bist stark für einen so kleinen Burschen«, sagte er, obwohl er inzwischen wusste, dass keiner der Römer richtige Worte verstehen konnte. Sie kamen dem riesenhaften Gallier nicht besonders schlau vor. Zuerst, als er eine Münze hochgehalten und mit den Armen Griffe simuliert hatte, hatten sie anscheinend geglaubt, er sei nicht ganz bei Trost. Dann war ihm einer zu nahe gekommen, und Artorath hatte ihn mit einem Grunzen auf den Rücken geworfen. Da hatten sich ihre Mienen aufgehellt, und sie hatten sofort in den Taschen nach Münzen gewühlt, mit denen sie gegen die seine bieten konnten. Domitius war sein fünfter Gegner an diesem Abend, und obwohl Artorath es sich immer noch nicht nehmen ließ, auf die Silbermünzen zu beißen, die man ihm aushändigte, rechnete er schon jetzt damit, dass er wahrscheinlich genug für ein neues Pferd zusammenbekommen könnte, ehe Mhorbaine den römischen Anführer eingewickelt hatte. Artorath war aufgefallen, dass Ciro ein Stück von den anderen entfernt stand. Ihre Blicke waren sich nur einmal begegnet, aber Artorath wusste, dass er ihn am Haken hatte. Er genoss die Herausforderung und machte sich einen Spaß daraus, Domitius so nahe wie möglich vor Ciros Füße zu werfen. »Noch jemand?«, rief Artorath dröhnend, zeigte mit dem Finger auf einen nach dem anderen und wackelte dabei mit den buschigen Augenbrauen, als redete er mit kleinen Kindern. Inzwischen hatte sich Domitius mit einem hinterhältigen Grinsen im Gesicht wieder aufgerichtet und streckte ihm in einer unmissverständlichen Geste die flache Hand entgegen. »Warte hier, Elefant. Ich kenne genau den richtigen Mann für dich«, sagte Domitius langsam. Artorath zuckte mit den Achseln. Während Domitius in Richtung der Hauptgebäude davontrabte, blickte Artorath Ciro fragend an, winkte ihn mit einer Hand zu sich und lockte mit einer Münze in der anderen. Zu seiner Freude nickte Ciro und fing an, sich seiner Rüstung zu entledigen, bis er nur noch in Beinkleidern und Sandalen vor ihm stand. Artorath hatte mit einem Stock einen Kreis auf den Boden gezogen und wies Ciro an, über die Linie zu treten. Er kämpfte gern gegen große Männer. Die kleinen waren daran gewöhnt, zu ihren Gegnern aufzusehen, aber Krieger von Ciros Größe waren wahrscheinlich noch nie einem Mann begegnet, der sie so wie Artorath überragte. Das verschaffte ihm einen großen Vorteil, obwohl die Zuschauer das nie bemerkten. Ciro dehnte Rücken und Beine, und Artorath ließ ihm den nötigen Platz, wobei er selbst in rascher Folge seine üblichen Lockerungsübungen durchführte. Nach fünf Kämpfen hatte er das eigentlich nicht nötig, aber es machte ihm Spaß, sie einem Publikum vorzuführen, und die römischen Soldaten standen inzwischen in Dreierreihen um den kleinen Kreis herum. Artorath drehte sich, sprang in die Luft und genoss das Ganze aus vollen Zügen. »Heißt es da, wo ihr herkommt, meine kleinen Soldaten, dass große Männer langsam sind?«, höhnte er in ihre unverständigen Gesichter. Der Abend war kühl, und er fühlte sich unbesiegbar. Als Ciro den Ring betrat, ertönte eine laute Stimme, und viele Soldaten grinsten in froher Erwartung, als Brutus mit Domitius herbeigerannt kam. »Warte, Ciro. Bevor du den großen Ochsen fertig machst, will es Brutus noch versuchen«, sagte Domitius keuchend. Brutus blieb abrupt stehen, als er Artorath erblickte. Der Mann war gewaltiger und mit mehr Muskeln bepackt als jeder andere, dem er bisher begegnet war. Es war nicht einfach nur eine Frage der Kraft, das sah er sofort. Artoraths Schädel war anderthalbmal so groß wie der von Ciro, und jeder andere Knochen war dicker als der eines normalen Mannes. »Ihr macht wohl Witze«, sagte Brutus. »Der muss ja mindestens sieben Fuß groß sein! Nur zu, Ciro. Warte nicht auf mich.« »Ich habe schon gegen ihn gekämpft«, sagte Domitius. »Und ich hätte ihn fast umgeworfen!« »Das glaube ich dir nicht«, erwiderte Brutus glatt heraus. »Wo sind deine Kampfspuren? Ein Schlag von diesen Riesenfäusten treibt dir die Nase zum Hinterkopf hinaus!« »Schon, aber er schlägt nicht. Es ist wie griechisches Ringen, falls du das schon mal gesehen hast. Er versucht, dich mit den Füßen ins Stolpern zu bringen, aber der Rest besteht aus Griffen und Balance. Er ist sehr geschickt, aber wie schon gesagt, ich hätte ihn fast gehabt.« Ciro wartete immer noch geduldig, und Artorath hob lediglich eine Augenbraue in Brutus’ Richtung; er verstand nicht ein Wort von dem, was um ihn herum gesprochen wurde. »Ich kann ihn besiegen«, sagte Ciro in die entstandene Pause. Brutus blickte Artorath skeptisch an. »Wie denn? Der ist ja wie ein Berg.« Ciro zuckte mit den Achseln. »Mein Vater war ein großer Mann. Er hat mir ein paar Würfe gezeigt. Es ist kein griechisches Ringen, was er da macht. Mein Vater hat es von einem Ägypter gelernt. Ich kann es dir zeigen.« »Na schön. Er gehört dir«, sagte Brutus sichtlich erleichtert. Artorath sah ihn an, während er sprach, und Brutus wies auf Ciro und machte einen Schritt zurück. Wieder trat Ciro über die Linie, und diesmal schoss er mit einem raschen Satz nach vorne. Artorath tat es ihm gleich, und die beiden Männer prallten mit einem lauten Klatschen gegeneinander, bei dem die zuschauenden Soldaten zusammenzuckten. Ohne innezuhalten durchbrach Ciro den Griff um seine Schultern und beschrieb einen weiten Kreis, wobei er sorgsam darauf achtete, den schwieligen Füßen des Galliers auszuweichen, die immer wieder nach seinen Knöcheln schlugen. Ciro schlüpfte an ihm vorbei und versuchte wegzuspringen, doch Artorath wirbelte herum und erwischte ihn, bevor er außer Reichweite war. Ihre Beine verhakten sich ineinander, jeder versuchte, den anderen umzuwerfen. Artorath wand sich aus Ciros Händen und hätte ihn beinahe über die Hüfte geworfen, doch der Wurf wurde dadurch vereitelt, dass sich Ciro duckte und selbst einen Hebel ansetzte, mit dem er Artorath von den Füßen reißen wollte. Aber ein so massiger Gegner wie Artorath geriet dadurch nur kurz ins Wanken, kreuzte reflexartig die Unterarme, presste sie gegen Ciros Kehle und drückte sich mit aller Kraft nach hinten. Das hätte das Ende bedeuten können, wenn Ciros Ferse nicht seinen Fuß blockiert hätte, so dass Artorath wie ein Baum auf den Boden krachte, Ciro auf seiner Brust. Bevor die Römer anfangen konnten zu jubeln, brachen die beiden Gestalten in einen noch rasenderen Ringkampf aus, kamen frei, setzten neue Griffe an und durchbrachen sie wieder, nutzten die kleinste sich bietende Gelegenheit, um Gelenke zu blockieren, die bei kleineren Männern mit Sicherheit zersprungen wären. Artorath setzte seine mächtigen Pranken ein, um Ciros Kehle abermals abzublocken, und Ciro fand seinen kleinen Finger, den er mit einem Ruck aus dem Gelenk drehte. Obwohl er aufstöhnte, lockerte Artorath seinen Griff nicht, und Ciros Gesicht verfärbte sich schon violett, als er noch einen Finger fand und ihm die gleiche Behandlung widerfahren ließ wie dem ersten. Erst jetzt ließ der große Mann los und hielt sich die verletzte Hand. Ciro kam als Erster auf die Beine und tänzelte leicht. Der massige Gallier erhob sich langsamer. Zum ersten Mal war Wut auf seinem Gesicht zu erkennen. »Sollen wir aufhören?«, fragte Domitius. Niemand antwortete ihm. Artorath versuchte es mit einem kräftigen Tritt, verfehlte seinen Gegner jedoch und stampfte dort auf dem Boden auf, wo Ciro eben noch gestanden hatte. Dieser packte Artorath um die Taille, schaffte es jedoch nicht einmal ansatzweise, den riesenhaften Mann anzuheben. Artorath gelang es, Ciros Handgelenk zu umfassen, aber seine gebrochenen Finger verloren den Halt, und er brüllte in Ciros Ohr, als der Römer seinen Fuß in Artoraths Knie schlug und ihn mit dem Kopf auf den Boden knallte. Der Gallier blieb mit heftig pumpender Brust benommen liegen. Ciro nickte ihm zu und half ihm auf. Fasziniert sah Brutus zu, wie Artorath widerwillig den Beutel an seinem Gürtel öffnete, um Ciro die Münze zurückzugeben, die er gewonnen hatte. Doch Ciro winkte ab und schlug ihm auf die Schulter. »Du als Nächster, Brutus?«, fragte Domitius hinterhältig. »Du weißt ja, seine Finger sind gebrochen ...« »Ich würde es natürlich versuchen, aber es wäre nicht fair, ihn noch mehr zu verletzen«, erwiderte Brutus. »Bring ihn zu Cabera, damit er ihm die Hand schient.« Er versuchte, Artorath seine Absicht mimisch klarzumachen, doch der Riese zuckte nur mit den Schultern. Er hatte schon Schlimmeres durchgemacht, und in seinem Gürtel war immer noch mehr Silber als zu Anfang. Er war überrascht, offene Fröhlichkeit in den Gesichtern der Soldaten rings um den Ring zu sehen, sogar bei denen, die er besiegt hatte. Einer von ihnen brachte ihm eine Amphore Wein und brach das Wachssiegel. Ein anderer klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, bevor er ging. Mhorbaine hat Recht, dachte er. Das war wirklich ein seltsames Volk. Die Sterne standen gestochen scharf am nächtlichen Sommerhimmel. Die Venus war bereits untergegangen, aber Julius konnte immer noch die winzige rote Scheibe des Mars sehen, die er mit erhobenem Becher grüßte, bevor er ihn Mhorbaine zum Auffüllen hinhielt. Die restlichen Gallier hatten sich schon lange vorher zurückgezogen, und sogar verwässert hatte der Wein dafür gesorgt, dass sich auch die misstrauischsten von ihnen gegen Ende des Festmahls entspannten. Julius hatte mit vielen von ihnen persönlich geredet, ihre Namen und die Siedlungsorte ihrer Stämme in Erfahrung gebracht. Er war Mhorbaine einiges für die Bekanntmachung schuldig und empfand dem Gallier gegenüber, als sie jetzt beisammen saßen, eine angenehme, trunkene Zuneigung. Das Lager rings umher lag still. Irgendwo kreischte eine Eule, und Julius zuckte zusammen. Er starrte in den Weinbecher und versuchte, sich zu erinnern, wann er aufgehört hatte, Wasser hinzuzugeben. »Das hier ist ein wunderschönes Land«, sagte er. Mhorbaine warf ihm einen kurzen Blick zu. Obwohl er nicht annähernd so viel getrunken hatte wie die anderen, ahmte er ihre schwerfälligen Bewegungen mit bewundernswerter Begabung nach. »Willst du es deshalb haben?«, fragte Mhorbaine und hielt in Erwartung der Antwort den Atem an. Julius schien die Anspannung in dem Mann nicht wahrzunehmen, der auf dem feuchten Boden neben ihm saß, und schwenkte lediglich mit seinem Becher in Richtung der Sterne, wobei die rote Flüssigkeit über den Rand schwappte. »Was will jeder Mensch? Würdest du nicht auch davon träumen, diesen Ort hier zu regieren, wenn du meine Legionen hättest?« Mhorbaine nickte stumm. Der Wind in Gallien hatte sich gedreht, und er bereute nicht, dass er tat, was er tun musste, um sein Volk vor dem Verderben zu bewahren. »Hätte ich deine Legionen, würde ich mich zum König machen. Ich würde mich Mhorix nennen, oder vielleicht auch Mhorbainrix«, sagte er. Julius musterte ihn mit verschwommenem Blick. »Rix?« »Das heißt König«, erklärte ihm Mhorbaine. Julius dachte schweigend nach. Mhorbaine füllte abermals ihre Becher und nippte an dem seinen. »Aber selbst ein König braucht starke Verbündete, Julius. Deine Männer kämpfen gut zu Fuß, aber du hast nur eine Handvoll Berittene, wohingegen meine Krieger im Sattel geboren sind. Du brauchst die Haeduer, aber wie kann ich sicher sein, dass du dich nicht gegen uns wendest? Wie kann ich dir vertrauen?« Julius drehte sich um und sah ihm ins Gesicht. »Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht, Gallier. Wenn ich dich Freund nenne, dann gilt das mein Leben lang. Wenn die Haeduer mit mir kämpfen, werden ihre Feinde zu meinen, ihre Freunde werden meine Freunde sein.« »Wir haben viele Feinde, aber es gibt einen, der mein Volk ganz besonders bedroht.« Julius schnaubte verächtlich, und die Hitze des Weins durchströmte seine Adern. »Nenn mir seinen Namen, und er ist ein toter Mann«, sagte er. »Sein Name ist Ariovist, der Herrscher der Sueben und ihrer Vasallenstämme. Sie sind von germanischem Blut, Julius, mit kalter Haut, eine Plage unbarmherziger Reiter, die leben, um zu kämpfen. Jedes Jahr dringen sie weiter nach Süden vor. Diejenigen, die sich ihnen zunächst entgegengestellt haben, wurden vernichtet, ihre Gebiete als rechtmäßig erobertes Land einbehalten.« Mhorbaine beugte sich näher heran, seine Stimme klang drängend. »Du aber hast den Helvetiern das Rückgrat gebrochen, Julius. Mit meinen Reitern können deine Legionen diese weißen Krieger vernichten, und alle Stämme Galliens werden auf dich hören.« Julius blickte zu den Sternen empor und schwieg lange. »Ich könnte schlimmer sein als Ariovist, mein Freund«, flüsterte er schließlich. Mhorbaines Augen waren schwarz in der Nacht, als er ein Lächeln auf seine harten Züge zwang. Obwohl er seinen Druiden Omen hinterlassen hatte, fürchtete er um sein Volk, jetzt, da solch ein Mann in Gallien eingedrungen war. Mhorbaine hatte seine Reiterei angeboten, um die Legionen an sein Volk zu binden. Um die Haeduer zu schützen. »Vielleicht. Das werden wir erfahren, wenn die Zeit gekommen ist. Wenn du gegen ihn in den Krieg ziehst, musst du ihn vor dem Winter zur Schlacht stellen, Julius. Nach dem ersten Schnee ist das Jahr für die Krieger vorbei.« »Kann euer Winter so schrecklich sein?« Mhorbaine lächelte freudlos. »Nichts, was ich sage, kann dich darauf vorbereiten, mein Freund. Wir nennen den ersten Mond Dumannios – die dunkelsten Tiefen. Und danach wird es immer kälter. Du wirst es sehen, wenn es so weit ist, besonders wenn du weiter nach Norden marschierst, und das musst du, wenn du meine Feinde besiegen willst.« »Ich bekomme das Kommando über deine Kavallerie?«, fragte Julius. Mhorbaine sah ihm tief in die Augen. »Nur wenn wir Verbündete sind«, sagte er leise. »Dann lass es uns besiegeln.« Zu Mhorbaines Verwunderung zog Julius einen Dolch aus dem Gürtel und schnitt sich in die rechte Handfläche. Anschließend hielt er ihm die Klinge hin. »Besiegele es mit Blut, Mhorbaine, oder es zählt nicht.« Mhorbaine nahm die Klinge, ritzte sich ebenfalls die Handfläche auf und ließ zu, dass Julius die verletzte Hand mit festem Griff umschloss. Er fühlte das Brennen und fragte sich, was wohl aus diesem Pakt werden würde. Julius deutete mit seinem Becher auf den roten Stern über ihnen. »Ich schwöre unter dem Auge des Mars, dass die Haeduer Freunde genannt werden. Das schwöre ich als Konsul und Heerführer.« Julius löste ihre Hände voneinander und füllte die Becher abermals aus der Amphore, die er in seinem Schoß hielt. »So, jetzt ist es vollbracht«, sagte er. Mhorbaine erschauerte, und diesmal trank er mit großen Schlucken gegen die Kälte an. 26 Pompeius lehnte sich auf die Balustrade des weißen Marmorbalkons des Jupitertempels, unter sich das weite Areal des Forums. Von der Spitze des Kapitols aus konnte er über das Herz der Stadt blicken, und was er sah, missfiel ihm gewaltig. Crassus ließ sich nichts von seiner Belustigung anmerken, während er ebenfalls den Blick über die anschwellenden Menschenmengen schweifen ließ. Er schwieg, während Pompeius zornig vor sich hin murmelte, und sich von Zeit zu Zeit an ihn wandte, um auf irgendeinen Aspekt der Szene hinzuweisen, der ihn erneut in Raserei versetzte. »Dort, Crassus! Siehst du sie? Diese elenden Halunken!«, rief Pompeius und zeigte mit ausgestrecktem Finger. Crassus blickte an dem bebenden Finger vorbei, dorthin, wo sich eine lange Reihe von Männern in schwarzen Togas ihren Weg von einer Seite des Forums zum Senatsgebäude bahnte, wobei die Gestalten ab und zu stehen blieben, um Weihrauch zu verbrennen. Crassus glaubte, im Wind die Klänge ihres Totengesangs zu vernehmen, und er konnte sich gerade noch ein Lachen verkneifen, als Pompeius bei den klagenden Tönen erstarrte. »Was denken sie sich dabei, mich auf diese Weise zu verspotten?«, rief Pompeius, der vor Zorn violett anlief. »Dass die ganze Stadt sie in ihren Trauergewändern sieht! Bei den Göttern, die Bürger werden sie nur zu gern sehen. Und was kommt dabei heraus? Ich schwöre es, Crassus, die Leute werden die Gehorsamsverweigerung des Senats als Vorwand für Ausschreitungen benutzen, und das noch heute Nacht. Dann bin ich gezwungen, wieder eine Ausgangssperre zu verhängen, und wieder werden sie mir vorwerfen, dass ich ohne sie regiere.« Crassus räusperte sich leise und wählte seine Worte mit Bedacht. Der lange Zug der Senatoren unter ihnen blieb abermals stehen, Weihrauch quoll aus goldenen Gefäßen in den sanften Wind. »Du wusstest doch, dass sie gegen unsere Abmachung rebellieren könnten, Pompeius. Du hast selbst gesagt, dass sie immer zänkischer werden«, sagte er. »Das schon, aber ich habe nicht mit einer derartigen öffentlichen Zurschaustellung von Kopflosigkeit gerechnet, nach all den Schwierigkeiten, die sie mir in der Curia bereitet haben. Dahinter steckt dieser Narr Suetonius, das weiß ich. Er hofiert den Kaufmann Clodius, als wäre der etwas Besseres als der Bandenführer, der er in Wirklichkeit ist. Ich wünschte, du hättest ihm richtig das Rückgrat gebrochen, Crassus. Du solltest sehen, wie sie diskutieren und meine Gesetzgebung mit Argusaugen überwachen! Als wäre auch nur einer von ihnen schon länger als einen winzigen Augenblick Senator gewesen. Es ist unerträglich! Manchmal treiben sie mich dazu, dass ich am liebsten die Macht auf genau die Art und Weise an mich reißen würde, wie sie es mir vorwerfen. Das wäre doch etwas! Könnte ich nur sechs Monate lang Diktator sein, ich würde die Abweichler ausrotten und diese ... diese ... « Er suchte mit wild fuchtelndem Arm nach Worten. Die Prozession der Senatoren näherte sich jetzt dem Gebäude der Curia, und Crassus hörte, wie die Menge ihre Auflehnung gegen Pompeius mit lautem Jubel belohnte. Crassus empfand kein Mitleid mit seinem Amtskollegen. Pompeius mangelte es an der Gerissenheit, seine Gegenspieler zu bearbeiten; er bediente sich lieber seiner Autorität, um den Senat zum Gehorsam zu zwingen. Persönlich stimmte Crassus mit vielen der anderen Senatoren darin überein, dass Pompeius sich schon jetzt aufführte wie ein Diktator – ein Diktator über eine Stadt, die zunehmend die Geduld mit diesem autokratischen Gebaren verlor. In der Ferne erreichte die Prozession die Stufen zur Curia, und Crassus sah, dass sie anhielt. Die Männer spielten ein gefährliches Spiel, Pompeius derartig zu reizen. Ihr höhnischer Trauerzug anlässlich des Todes der Republik war als öffentliche Warnung gedacht, doch die letzte Glut der Demokratie könnte womöglich genau dann erstickt werden, wenn Pompeius als Reaktion darauf alle Hemmungen fahren ließ. Ganz gewiss wäre Pompeius im Recht, wenn er, falls es zu Krawallen und Aufständen kam, die Stadt unter seine Knute zwang, und wenn er sich schon einmal so weit getrieben sah, war auch die Diktatur kein allzu großer Sprung mehr für ihn. Hatte er sich einmal zu dieser Position bekannt, dann würde nur ein Krieg sie seinen Händen wieder entreißen können, darüber machte sich Crassus keine Illusionen. »Wenn du nur einen Augenblick über deinen Zorn hinausblickst«, sagte Crassus leise, »fällt dir bestimmt auf, dass sie dich nicht weiter drängen als dorthin, wo du ohnehin schon stehst. Ist es zu viel verlangt, die Wahlen, die du unterbunden hast, doch noch zu erlauben? Du hast deine Strohmänner inzwischen als Volkstribunen eingesetzt. Könntest du nicht für zukünftige Ämter wieder die Wahl zulassen? Damit würdest du den Kundgebungen gegen dich einigen Wind aus den Segeln nehmen und zumindest etwas Zeit gewinnen.« Pompeius antwortete nicht. Die beiden Männer sahen zu, wie die Senatoren in der Curia verschwanden und die fernen Bronzetore hinter ihnen zufielen. Zurück blieb die aufgebrachte Menge, die unter den grimmigen Blicken der Soldaten des Pompeius schreiend und pöbelnd durcheinander wimmelte. Obwohl die Beerdigungsprozession vorüber war, waren insbesondere die jüngeren Bürger von der Darbietung angesteckt worden und weigerten sich, nach Hause zu gehen. Pompeius hoffte, dass seine Zenturios genug Verstand besaßen, nicht zu brutal gegen sie vorzugehen. Bei der vorherrschenden Stimmung in Rom konnte der geringste Funke einen Aufstand entfachen. Als Pompeius wieder das Wort ergriff, klang seine Stimme bitter. »Sie haben mir überall nur Knüppel zwischen die Beine geworfen, Crassus. Selbst als ich den gesamten Senat hinter mir hatte, haben sich diese Hurensöhne von Tribunen erhoben und ihr Veto gegen meine Gesetzgebung eingelegt. Sie haben sich gegen mich gestellt. Warum sollte ich nicht meine eigenen Leute auf ihre Posten setzen? Zumindest muss ich mir jetzt mein Werk nicht mehr wegen irgendwelchen Nichtigkeiten oder Launen ruinieren lassen.« Crassus betrachtete seinen Amtsbruder und sah die Veränderungen, die das vergangene Jahr in ihm hervorgerufen hatte. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, er sah erschöpft aus. Es war keine leichte Zeit gewesen; die Bürger hatten die Stärke ihrer Anführer auf die Probe gestellt. Crassus war froh, dass er mit dem ständigen Gezerre nichts mehr zu tun hatte. Die Verantwortung hatte Pompeius altern lassen, und Crassus fragte sich, ob er den Handel, den er eingegangen war, nicht insgeheim bereute. Julius hatte Gallien, Crassus seine Flotte und seine über alles geliebte Legion. Pompeius hatte den Kampf seines Lebens, der gleich am ersten Tag im Senat begonnen hatte, als er mit Julius’ Vollmacht eine Gesetzesvorlage durchgepeitscht hatte. Der Senat hatte den Machtwechsel zunächst mitgetragen, dann jedoch hatten sich Fraktionen gebildet, und mit neuen Männern wie den Kaufleuten Clodius und Milo war das Spiel für alle Beteiligten gefährlicher geworden. Gerüchte behaupteten, Bibulus sei ermordet oder verstümmelt worden, und zweimal hatte der Senat verlangt, dass er lebendig vorgeführt und seine Abwesenheit erklärt werden sollte. Pompeius hatte ihnen erlaubt, Briefe an den Konsul zu schicken, doch Julius hatte Wort gehalten. Bibulus war nicht erschienen, und Besucher hatten sein Haus dunkel und verrammelt vorgefunden. Nachdem es bei zwei Debatten fast zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen war, hatte Pompeius ohne Rücksicht auf den Protest der Senatoren seine Soldaten zum Schutz der Sitzungen aufmarschieren lassen. Jetzt stellten die Senatoren ihre Unzufriedenheit vor dem Volk zur Schau und machten den Disput öffentlich. Obwohl Crassus den Zorn des Pompeius amüsant fand, sorgte er sich doch nicht wenig darum, was aus alldem werden sollte. »Niemand regiert Rom allein, mein Freund«, murmelte Crassus. Pompeius warf ihm einen stechenden Blick zu. »Zeige mir die Gesetzte, die ich gebrochen habe! Meine Tribunen wurden nicht gewählt, sondern benannt. Es war nie vorgesehen, dass sie die Arbeit des Senats vollkommen zum Erliegen bringen, und genau das geschieht nun nicht mehr.« »Das Gleichgewicht des Systems ist verändert worden, Pompeius. Und die Veränderung, die du bewirkt hast, ist nicht unbedeutend. Die Tribunen waren die Stimme des Pöbels. Du riskierst viel, wenn du das änderst. Und der Senat entdeckt neue Zähne, wenn er sich gegen dich zusammenschließt«, erwiderte Crassus. Pompeius’ Schultern sanken müde herab, doch Crassus empfand kein Mitleid. Der Mann machte Politik, als ließe sich jedes Problem lösen, indem man mit dem Kopf durch die Wand ging. Er war ein guter Feldherr, aber ein schlechter Führer der Stadt, und der letzte, der diese Wahrheit erkannte, war offensichtlich Pompeius selbst. Allein die Tatsache, dass er darum gebeten hatte, Crassus unter vier Augen zu treffen, war Beweis genug für die immensen Probleme, mit denen sich Pompeius konfrontiert sah, auch wenn er ihn nicht offen um Rat bat. »Sie waren dazu da, die Macht des Senats einzuschränken, Pompeius. Vielleicht war es nicht richtig, dass sie dich völlig blockiert haben, aber sie einfach auszutauschen hat dir in der Stadt nichts als böses Blut eingebracht.« Pompeius wurde wieder rot, und Crassus fuhr rasch fort, denn er wollte, dass Pompeius begriff. »Wenn du ihre Posten wieder zur Wahl stellst, gewinnst du viel von dem Boden zurück, den du verloren hast«, drängte er. »Die Fraktionen glauben, sie hätten einen Sieg errungen und fallen wieder auseinander. Du solltest sie nicht noch mehr erstarken lassen. Bei Jupiter, das solltest du wirklich nicht tun. Du hast deinen Standpunkt klar gemacht. Jetzt solltest du dafür sorgen, dass alle wissen, dass dir die Traditionen Roms ebenso wichtig sind wie ihnen. Die Gesetze, die du erlassen hast, können schließlich nicht wieder rückgängig gemacht werden.« »Ich soll diese schnöden Hunde wieder hereinlassen, damit sie ihr Veto gegen mich einlegen?«, blaffte Pompeius. Crassus zuckte die Achseln. »Sie, oder wen immer die Bürger wählen. Sollten es dieselben Männer sein, dürfte es eine Zeit lang schwierig für dich werden, aber niemand hat gesagt, dass diese Stadt einfach zu regieren ist. Unser Volk ist von Kindesbeinen mit Demokratie gefüttert worden. Manchmal glaube ich, seine Erwartungen sind gefährlich hoch. Die Leute mögen es nicht, wenn man ihre Vertreter einfach absetzt.« »Ich werde darüber nachdenken«, sagte Pompeius widerwillig und schaute wieder auf das Forum hinaus. Crassus bezweifelte, dass er das ganze Ausmaß der Gefahr begriff. Was Pompeius anging, war der Widerstand im Senat ein vorübergehendes Problem, nicht der Keim, der zur offenen Rebellion führen konnte. »Ich weiß, dass du die richtige Entscheidung treffen wirst«, sagte Crassus. Julius rieb sich müde das Gesicht. Wie lange hatte er geschlafen ... eine Stunde? Er konnte sich nicht genau erinnern, wann er weggesackt war, aber er glaubte, das erste Licht am Himmel noch gesehen zu haben. Sämtliche Farben schienen aus der Provinz herausgewaschen zu sein, und Marcus Antonius’ Stimme hatte einen winselnden Ton angenommen, der Julius vorher nie aufgefallen war. Im Gegensatz zur Hälfte aller Soldaten, die verschlafen und blass aussahen, machte Marcus Antonius den Eindruck, als sei er bereit für eine Parade, und Julius war überzeugt davon, dass er sich all jenen, die in der Nacht zuvor über die Stränge geschlagen hatten, moralisch überlegen fühlte. Der General spitzte die Lippen, während er Julius’ Bericht von der Übereinkunft mit Mhorbaine lauschte. »Ich wünschte, du hättest dich mit mir abgesprochen, bevor du ihm deine Unterstützung zugesagt hast«, knurrte Marcus Antonius, der mit seiner Verärgerung über das Gehörte nicht hinter dem Berg hielt. »Nach allem, was Mhorbaine sagt, wäre uns dieser Ariovist früher oder später ohnehin in die Quere gekommen. Wir beschäftigen uns besser jetzt mit ihm, bevor er hier so sehr Fuß gefasst hat, dass wir ihn nicht mehr über den Rhein zurückwerfen können. Wir brauchen Verbündete, Marcus Antonius. Die Haeduer haben uns dreitausend ihrer Reiter zu meiner freien Verfügung versprochen.« Marcus Antonius kämpfte einen Augenblick lang um Fassung. »Ja, ja, die versprechen uns alles, Herr. Aber das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Ich habe dich gewarnt: Mhorbaine ist ein gerissener Bursche, und jetzt sieht es ganz so aus, als wäre es ihm irgendwie gelungen, die beiden mächtigsten Armeen in Gallien aufeinander zu hetzen. Zweifellos hat ihm auch Ariovist Freundschaft gelobt, womit die Haeduer von einem Krieg profitieren, der beide ihre Feinde aufreiben könnte.« »Ich habe in ganz Gallien nichts gesehen, das sich uns auch nur annähernd widersetzen könnte«, sagte Julius geringschätzig. »Du kennst die germanischen Stämme noch nicht. Sie leben für den Krieg, haben ständig eine ganze Klasse von Kriegern unter Waffen, die vom Rest des Volkes unterstützt wird. Und Ariovist ist auf jeden Fall ... « Marcus Antonius seufzte. »Wir dürfen nicht gegen Ariovist vorgehen. Er ist bereits ein Freund Roms, wurde vor ungefähr zehn Jahren dazu ernannt. Wenn du den Kampf mit ihm suchst, wird dir der Senat wahrscheinlich dein Kommando nehmen.« Julius drehte sich um und packte den größeren Mann an den Schultern. »Bist du nicht der Meinung, dass das etwas ist, was man mir hätte mitteilen sollen?«, fragte er. Marcus Antonius erwiderte seinen Blick, während sein Gesicht rot anlief. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass du Mhorbaine derartige Versprechungen machen würdest, Herr. Du kennst den Mann doch kaum. Woher hätte ich wissen sollen, dass du gelobst, die Legionen fast dreihundert Meilen quer durch das Land zu schicken?« Julius ließ seinen Heerführer los und trat einen Schritt zurück. »Ariovist ist ein skrupelloser Eindringling, Marcus Antonius. Meine einzigen Verbündeten haben mich darum gebeten, ihnen beizustehen. Ich sage dir offen, dass es mir egal ist, ob Mhorbaine darauf hofft, dass wir uns gegenseitig aufreiben. Es ist mir egal, ob Ariovist ein doppelt so wilder Krieger ist, wie du ihn darstellst. Warum, glaubst du, habe ich meine Legionen nach Gallien gebracht? Hast du dieses Land gesehen? Hier könnte man überall eine Handvoll Saatgut fallen lassen, und bevor man sich auch nur einmal umdrehen kann, wächst daraus Getreide. Hier gibt es genug Wälder, um Flotten zu bauen, Viehherden, so groß, dass man die Tiere nicht zählen kann. Und jenseits von Gallien? Ich will das alles sehen! Dreihundert Meilen sind nur ein Schritt auf dem Weg, den ich vor mir sehe. Wir sind nicht nur für diesen Sommer hier, Marcus Antonius. Wir sind hier, weil wir hier bleiben, sobald ich den Pfad für diejenigen ausgetreten habe, die uns nachfolgen werden.« Marcus Antonius lauschte ihm verwundert. »Aber Ariovist ist einer der unseren! Du kannst doch nicht einfach ...« Julius nickte und brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. »Es dauert einen Monat, um von hier bis zur Ebene eine Straße für die Wurfmaschinen und die anderen Kriegsgeräte zu bauen. Ich habe nicht vor, noch einmal ohne sie in den Krieg zu ziehen. Ich will einen Boten zu diesem Ariovist schicken und ihn um ein Treffen bitten. Ich werde ihm mit allem Respekt begegnen, der einem Freund meiner Stadt zukommt. Bist du damit zufrieden?« Marcus Antonius sank erleichtert in sich zusammen. »Selbstverständlich, Herr. Ich hoffe, du fühlst dich durch meine Worte nicht gekränkt. Ich habe nur an deine Stellung in der Heimat gedacht.« »Ich verstehe. Jetzt schicke mir einen Boten her, der meinen Brief in Empfang nimmt«, erwiderte Julius lächelnd. Marcus Antonius nickte und ging hinaus. Julius drehte sich zu Adàn um, der der Unterhaltung mit offenem Mund gelauscht hatte. »Was hältst du hier Maulaffen feil?«, fuhr ihn Julius an, bereute seine Worte aber sogleich wieder. Sein Kopf hämmerte, und sein Magen fühlte sich an, als wäre er durch das nächtliche Übergeben völlig ausgequetscht worden. Eine dumpfe Erinnerung stellte sich ein, wie er im Dunkeln zum Badehaus hinausgetorkelt war und dort große Mengen einer dunklen Flüssigkeit in den Abfluss von sich gegeben hatte. Jetzt war nur noch Galle übrig, doch auch die rumorte und stieg immer wieder in seiner Kehle hoch. Adàn wählte seine Worte mit Bedacht. »So muss es einst auch für mein Land gewesen sein. Die Römer entscheiden über unsere Zukunft, als hätten wir in dieser Angelegenheit überhaupt nichts mitzureden.« Julius setzte zu einer scharfen Antwort an, überlegte es sich jedoch anders. »Glaubst du, die Männer von Karthago hätten bei ihren Eroberungen geweint? Und was glaubst du denn, wie dein Volk über das Schicksal derjenigen befunden hat, die es bei seiner Ankunft in Spanien dort vorfand? Diese Kelten kamen aus irgendeinem fremden Land. Glaubst du, deine Vorfahren hätten sich groß Gedanken über die ursprünglichen Bewohner gemacht? Und vielleicht sind sogar die in grauer Vorzeit einmal Eindringlinge gewesen. Glaub ja nicht, dein Volk sei besser als das meine, Adàn.« Julius setzte Daumen und Zeigefinger auf den Nasenrücken und schloss die Augen. Die pulsierenden Kopfschmerzen ließen nicht nach. »Ich wünschte, ich hätte einen klareren Kopf, um dir zu erklären, was ich meine. Es ist mehr als nur Stärke, worauf es ankommt. Karthago war stark, aber der Sieg über Karthago hat die Welt verändert. Griechenland war einmal die größte Macht, doch als sie schwächer wurde, kamen wir und haben uns diese Macht einverleibt. Bei den Göttern, ich habe zu viel Wein getrunken, um schon so früh zu streiten.« Adàn unterbrach ihn nicht. Er spürte, dass Julius kurz vor etwas Wichtigem stand und beugte sich in seinem Stuhl weiter nach vorn, um ihn besser zu verstehen. Julius’ Stimme war fast nur noch ein hypnotisches Flüstern. »Länder werden mit Blut erobert. Frauen werden geschändet, Männer getötet, jede Gräueltat, die man sich vorstellen kann, geschieht tausendfach, aber dann ist es vorbei, und die Sieger besiedeln das Land. Sie bestellen den Boden, errichten Städte und erlassen Gesetze. Die Menschen gedeihen, Adàn, ob es dir gefällt oder nicht. Dann halten Recht und Gesetz Einzug. Diejenigen, die ihren Nachbarn weiterhin Hab und Gut rauben, werden hingerichtet, werden aus der Gemeinschaft der anderen herausgeschnitten. Das muss so sein, denn selbst Eroberer werden alt und lernen den Frieden zu schätzen. Das Blut der Invasoren vermischt sich mit dem der Einheimischen, bis sie hundert Jahre später nicht mehr Kelten oder Karthager, nicht einmal mehr Römer sind. Sie sind wie ... Wein und Wasser, es lässt sich nicht mehr trennen. Alles beginnt auf dem Schlachtfeld, aber dann werden sie mit jeder Welle mehr erhoben. Ich sage dir, Adàn, wenn ich jemals ein Land finde, das nicht im Feuer gehärtet wurde, dann zeige ich dir dort Wilde, wo wir unsere Städte errichtet haben.« »Glaubst du das wirklich?«, fragte Adàn. Julius öffnete die Augen. Seine dunklen Pupillen leuchteten. »Ich glaube nicht an ein Schwert, Adàn, weil ich es sehen kann. Es ist einfach da. Rom ist mehr als Eisenschwerter und entschlossene Kämpfer. Ich werde sie zu uns holen, trotz aller Gegenwehr. Gallien wird unter meiner Hand leiden, aber wenn ich fertig bin, wird es größer sein, als es sich seine Bewohner jemals vorgestellt haben.« Marcus Antonius’ Bote erschien am Eingang und räusperte sich leise, um sich bemerkbar zu machen. Die beiden Männer lösten sich aus ihren Tagträumen, und Julius hielt sich stöhnend den Kopf. »Hol mir ein Gewand und sieh nach, ob Cabera noch etwas von seinen Pulvern gegen Schmerzen hat«, wies er den jungen Mann an. Als er sich umdrehte, sah er Adàns grimmiges Gesicht. »Das ist eine seltsame Ansicht, Heerführer«, bemerkte der junge Spanier. »Ich verstehe wohl, wie du so denken kannst, mit einer Armee im Rücken, die jederzeit über Gallien herfallen kann. Für die Familien, die in den kommenden Tagen ihre Männer verlieren werden, dürfte das nur ein geringer Trost sein.« Julius spürte unter den anhaltenden Kopfschmerzen Zorn in sich aufsteigen. »Meinst du denn, sie winken einander mit Blumen zu, während wir hier sitzen? Die Stämme gehen sich ständig gegenseitig an die Gurgel, mein Junge. Mit vierzig Jahren ist Mhorbaine bereits ein Greis unter den Stammesältesten. Denk mal darüber nach! Krankheiten und Krieg löschen sie aus, bevor sie grau werden. Es mag sein, dass sie uns hassen, aber einander hassen sie noch viel mehr. Aber lass uns dieses Gespräch ein anderes Mal fortsetzen. Ich muss einen Brief an Ariovist diktieren. Wir werden diesen ›Freund Roms‹ höflich darum bitten, sich leise wieder aus den Gebieten, die er erobert hat, zurückzuziehen und Gallien den Rücken zuzukehren.« »Glaubst du, er geht darauf ein?«, fragte Adàn. Julius erwiderte nichts darauf, sondern gab ihm nur mit einer Geste zu verstehen, seine Schreibtafel aufzunehmen, und fing unverzüglich damit an, ihm den Brief an den König der Sueben zu diktieren. Es dauerte länger, als Julius gehofft hatte, die Wälder für die neue Straße bis zur Ebene hinaus zu roden. Obwohl die Legionen von morgens bis abends in der Sommerhitze arbeiteten, musste jede massige Eiche zuerst gefällt und dann von den Männern und Ochsengespannen weggeschleift werden. Cabera hatte ein paar junge Soldaten angelernt, damit sie ihm helfen konnten, die Knochenbrüche und anderen Verletzungen zu versorgen, die bei derlei Arbeiten unvermeidlich vorkamen. Zwei Monate vergingen quälend langsam, bis der erste Stein verlegt werden konnte, doch am Ende des vierten Monats erstreckten sich die flachen Steine über eine Strecke von beinahe vierzig Meilen, breit und widerstandsfähig genug für die großen Katapulte und Belagerungsmaschinen. In die Hügel waren neue Steinbrüche gegraben worden, und Granitpfosten zeigten die Entfernung von Rom an, ließen seinen Schatten weiter reichen als jemals zuvor. Julius hielt in der großen Halle des römischen Lagers seine Ratssitzung ab, wobei Mhorbaine und Artorath als seine bevorzugten Verbündeten bei ihnen saßen. Er sah sich in ihrem Kreise um und ließ den Blick schließlich auf Adàn ruhen, der ihn merkwürdig anschaute. Der junge Spanier hatte sämtliche Botschaften, die zwischen Ariovist und der römischen Provinz gewechselt worden waren, übersetzt und wusste, was Julius gleich allen verkünden würde. Julius fragte sich, ob es jemals eine Zeit gegeben hatte, zu der er so unschuldig gewesen war wie dieser junge Spanier. Wenn ja, dann lag sie schon so weit zurück, dass er sich nicht mehr daran erinnerte. Ariovist war nicht leicht beizukommen gewesen. Die beiden ersten Boten waren mit betont knappen Antworten zurückgeschickt worden, die jedes weitere Interesse an Julius oder seinen Legionen verächtlich abtaten. Marcus Antonius war es gelungen, Julius davon zu überzeugen, dass er mit dem König der Sueben vorsichtig umgehen musste, aber dessen Formulierungen waren schroff und verletzend. Ab dem Ende des ersten Monats wartete Julius nur noch darauf, dass die Straße endlich fertig wurde, damit er Ariovist mit seinen Legionen zerschmettern konnte, ob er nun ein Freund Roms war oder nicht. Trotzdem musste er den Schein wahren, jeden nur erdenklichen Versuch einer friedlichen Lösung der Angelegenheit unternommen zu haben. Er wusste, dass Adàn nicht der Einzige seiner Männer war, die Briefe nach Rom sandten. Pompeius hatte sicherlich seine Spione, die ihn auf dem Laufenden hielten, und das Letzte, was Julius jetzt brauchen konnte, war, dass Rom ihn aufgrund seiner Vorgehensweise zum Staatsfeind erklärte. Mit Pompeius als Senatsführer lag so etwas durchaus im Bereich des Möglichen. Er hatte die Senatoren zweifellos perfekt abgerichtet, und eine einzige Stimme konnte Julius’ Autorität mit einem Schlag zunichte machen. Die Wochen waren langsam genug vergangen, und immer wieder hatte er sich mit den Stammeshäuptlingen getroffen und ihnen alles versprochen, was sie verlangten, wenn sie ihm erlaubten, durch ihre Gebiete zu ziehen und ihm auf dem Marsch Vorräte für seine Armee zur Verfügung stellten. Brutus hatte sich die gallische Sprache mit einem Talent angeeignet, das sie beide überraschte, und konnte schon jetzt an den Verhandlungen teilnehmen, auch wenn seine Bemühungen den Galliern gelegentlich vor Lachen die Tränen in die Augen trieben. Adàn schaute weg, als Julius ihn anlächelte. Je mehr Zeit er in der Gesellschaft des römischen Feldherrn verbrachte, desto verwirrter fühlte er sich. Manchmal, wenn Julius ihm die Befangenheit nehmen wollte, spürte Adàn den immensen persönlichen Charme des Mannes und verstand, weshalb ihm andere bedingungslos zu folgen bereit waren. Dann wiederum gab es Zeiten, in denen er die Gefühllosigkeit und Abgebrühtheit der Heerführer, mit der sie bei ihren Versammlungen über das Schicksal von Millionen entschieden, kaum fassen konnte. Er wusste nie genau, ob Julius genauso skrupellos war wie Renius und seinesgleichen, oder ob er wirklich daran glaubte, dass es für die Stämme besser war, Rom nach Gallien zu bringen, als sie sich selbst zu überlassen. Das war für den jungen Mann entscheidend. Wenn er dachte, dass Julius seinen eigenen Worten hinsichtlich der Segnungen der Zivilisation glaubte, dann konnte Adàn den Respekt rechtfertigen, den er ihm gegenüber empfand. Wenn aber alles nur ein Spiel war oder ein Vorwand für Eroberungen, dann hatte Adàn den größten Fehler seines Lebens begangen, als er Spanien verlassen hatte, um ihm zu folgen. »Ariovist hat meine Boten abermals verhöhnt«, sagte Julius zu seinen Heerführern. Blicke wurden gewechselt. »Obwohl Marcus Antonius den Wunsch deutlich gemacht hat, dass ich seinen Titel als Freund aufrechterhalte, kann ich über die fortgesetzte Arroganz dieses Königs nicht mehr tatenlos hinwegsehen. Die Kundschafter berichten von einer großen Armee, die sich zu weiteren Eroberungen an seiner Grenze sammelt, und ich habe mich bereit erklärt, das Land der Haeduer mit unseren Legionen zu schützen.« Julius warf Marcus Antonius einen kurzen Blick zu, der die Augen jedoch auf den langen Tisch gerichtet hielt. »Mhorbaines Kavallerie wird die Extraordinarii begleiten, wofür ich ihm meinen Dank ausspreche«, fuhr Julius fort. Mhorbaine verneigte sich mit einem schiefen Lächeln. »Da dieser Ariovist Rom in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen hat, werde ich auch während unseres Vormarsches weiterhin Boten an ihn entsenden. Er kann jederzeit mit mir zusammentreffen und eine friedliche Lösung aushandeln. Ich habe den Senat von meinen Handlungen unterrichtet und warte auf eine Antwort, auch wenn diese womöglich nicht vor unserem Abmarsch eintrifft.« Alle Blicke ruhten auf Julius, der eine auf dünnstes Pergament gemalte Karte ausrollte und sie an allen vier Ecken mit Bleigewichten beschwerte. Die Männer erhoben sich von ihren Stühlen, um auf das Land zu blicken, das er vor ihnen ausgebreitet hatte. »Meine Herren, die Kundschafter haben diese Berge für uns eingezeichnet. Die Region nennt sich Alsatia und befindet sich ungefähr dreihundert Meilen nordwestlich von hier.« »Sie grenzt an das Land der Helvetier«, murmelte Brutus und musterte die Karte, die Mhorbaine ihnen überlassen hatte. Sie war wenig mehr als eine Ansammlung bunter farbiger Gebiete, ohne Einzelheiten, doch keiner der anwesenden Römer hatte diesen Teil Galliens schon einmal gesehen, und alle waren fasziniert. »Wenn wir die Sueben nicht über den Rhein zurückschicken, werden die Helvetier den nächsten Sommer nicht überleben«, sagte Julius. »Und danach wendet sich Ariovist womöglich unserer eigenen Provinz weiter im Süden zu. Es ist unsere Pflicht, den Rhein als natürliche Grenze Galliens festzulegen. Wir werden jeder Versuchung widerstehen, ihn zu überqueren, egal aus welchem Anlass. Falls notwendig, baue ich eine Brücke und führe Bestrafungsfeldzüge tief in ihr eigenes Land. Dieser Ariovist ist arrogant geworden, meine Herren. Der Senat hat ihn viel zu lange an der langen Leine streunen lassen.« Er ging nicht darauf ein, dass Marcus Antonius bei seinen Worten zusammenzuckte. »Jetzt wollen wir über die Marschordnung reden. Obwohl ich immer noch auf Frieden hoffe, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten.« 27 Nach der Eile, mit der sie den Helvetiern entgegengeeilt waren und sie zur Umkehr gezwungen hatten, kam den erfahrenen Legionären der eher routinemäßige Marsch auf der neuen Straße beinahe erholsam vor. Obwohl die Tage noch drückend heiß waren, fingen die ersten Bäume schon an, sich zu verfärben; ihre Blätter zeigten vielfältige Schattierungen aus Rot und Braun. Aufgeregt kreischende Krähen stiegen aus den Wäldern auf, wenn die Soldaten vorübermarschierten. In den leeren Ebenen fiel es den Legionären nicht schwer, sich vorzustellen, dass sie im Umkreis von 1000 Meilen die einzigen Menschen wären. Julius hielt die Zehnte und die Extraordinarii an der Spitze der Kolonne. Die Reiter der Haeduer waren der Obhut von Domitius und Octavian übergeben worden und erlernten allmählich die Disziplin, die Julius seinen Verbündeten abverlangte. Obwohl er Mhorbaine für die zusätzliche Streitmacht dankbar war, hatte er deutlich gemacht, dass sie lernen mussten, seinen Befehlen zu gehorchen und sich nach römischem Muster aufzustellen. Die Extraordinarii hatten mit den gallischen Reitern alle Hände voll zu tun, die bis auf den letzten Mann Individualisten zu sein schienen und an keinerlei organisierte Angriffsstrategie gewöhnt waren. Diesmal wurden auch die großen Kriegsmaschinen mitgeführt. Unterwegs waren sie sicher festgezurrt, doch ihre Bedienungsmannschaften hielten sich stets in ihrer Nähe auf. Jede der schweren Wurfmaschinen hatte einen eigenen Namen, der in die groben Buchenblöcke eingeschnitzt war, und jede Legion zog es vor, die eigene Maschine zu benutzen, wobei sie getreulich davon überzeugt war, dass die ihre weiter schleuderte und genauer traf als alle anderen. Bevor man sie zusammengebaut hatte, sahen die Skorpion- bögen aus, als seien sie nicht viel mehr als ein paar Karrenladungen voller Balken, Latten und Eisen. Drei Mann mussten die schweren Arme nach jedem Schuss wieder in Stellung bringen, aber der abgefeuerte Bolzen eines Skorpions konnte ein Pferd durchbohren und noch ein zweites dahinter töten. Es waren hoch- geschätzte Waffen, und die Legionäre, die in ihre Nähe kamen, streckten oft die Hand aus und berührten das Metall wie einen Glücksbringer. Die sechs Legionen erstreckten sich über zehn Meilen auf der Straße durch die helvetische Ebene, allerdings würde sich die Länge halbieren, sobald Julius im offenen Terrain eine breitere Formation anordnete. So nahe er bereits dem Land der Haeduer war, befürchtete er keinen Angriff, aber er war sich der Verwundbarkeit der lang gezogenen Kolonne sowie des gewaltigen Aufgebots an Ausrüstung und Gepäck, das sie begleitete, schmerzhaft bewusst. Es gab schwache Glieder in der Kette aus der Provinz, doch bei ersten Anzeichen von Gefahr könnten sich die Legionen zu breiten, schützenden Blockformationen aufstellen, ein wirksames Mittel gegen alles, was ihm bislang in Gallien begegnet war. Julius wusste, dass er die Männer und die Heerführer hatte, die er benötigte. Falls er versagte, war die Schmach einzig und allein ihm zuzuschreiben. Mhorbaine hatte der Verlockung widerstanden, gemeinsam mit ihnen gegen seinen Feind zu ziehen. Obwohl es ihn fast zerrissen hätte, sah er doch ein, dass kein Anführer der Haeduer es sich leisten konnte, seinem Volk so lange fernzubleiben, ohne dass Thronräuber die Hand nach seiner Regentschaft ausstrecken würden. Julius hatte sich an der Grenze der römischen Provinz von ihm verabschiedet, die schimmernden Legionen in einer endlosen Kolonne hinter sich, scharf und wachsam wie Jagdhunde. Mhorbaine hatte den Blick über die ruhig auf ihren Feldherrn wartenden Reihen schweifen lassen und angesichts ihrer Disziplin den Kopf geschüttelt. Seine eigenen Krieger wären vor einem Feldzug ziellos durcheinander gerannt, und im Vergleich dazu fand er die Römer zugleich erbärmlich und Furcht einflößend. Als sich Julius von ihm abwandte, rief ihm Mhorbaine die Frage zu, die ihn beschäftigte, seit er gesehen hatte, was für eine Streitmacht gegen Ariovist ins Feld ziehen sollte. »Wer schützt dein Land, wenn du weg bist?«, rief er. Julius drehte sich um. Seine dunklen Augen bohrten sich in den Gallier. »Du, Mhorbaine. Aber wir werden keinen Schutz brauchen.« Mhorbaine sah den römischen General in der blank polierten Rüstung scheel an. »Es gibt viele Stämme, die deine Abwesenheit sehr gern ausnützen würden, mein Freund. Die Helvetier könnten zurückkehren, aber auch die Allobroger würden sofort alles stehlen, was sich mitnehmen lässt.« Er sah zu, wie Julius seinen Helm mit der Gesichtsmaske aufsetzte. Die eiserne Maske ließ ihn wie eine zum Leben erwachte Statue aussehen. Sein Brustpanzer glänzte vor Öl, seine braunen Arme waren kräftig und von einem Muster weißer Linien überzogen. »Sie wissen, dass wir zurückkommen, Mhorbaine«, sagte Julius und lächelte dabei unter der Maske. Nach der ersten Meile, als der Schweiß anfing, ihm in den Augen zu brennen und ihm die Sicht trübte, hatte er den Eisenhelm wieder abgenommen. Trotz aller guter Absichten war Alexandria niemals hundert Meilen in voller Rüstung marschiert. In jeder Stadt, die auf ihrem Weg lag, nahm Julius Getreide oder Fleisch als Tribut an. Es gab nie ausreichend Nahrungsmittel, und es verdross ihn, dass er hatte Wachen zurücklassen müssen, um den regelmäßigen Nachschub aus Mhorbaines Gebieten zu sichern. Mit den Nachtlagern der Legion als Zwischenstationen wurden die ersten Verbindungen nach Norden angelegt. Später würden dauerhaftere Straßen folgen, und die Händler Roms würden sich immer weiter in das Land vorwagen und alles herbeischaffen, was sich dort verkaufen ließ. Er wusste, dass die Straßen nach zwei, spätestens drei Jahren von befestigten Lagern und Wachstationen gesichert sein würden. Dann würden diejenigen kommen, die in Rom kein Land besaßen, um neue Höfe und Güter abzustecken und von vorne anzufangen, und manch einer von ihnen würde sein Glück machen. Es war eine berauschende Vorstellung für Julius, obwohl seine Legionen auf diesem ersten Marsch gegen Ariovist nie weiter als zehn Mahlzeiten vom Verhungern entfernt waren, eine Spanne, die von ebenso grundsätzlicher Wichtigkeit war wie jeder andere Faktor ihrer Schlagkraft. Julius hatte das Gefühl, seine Streitmacht würde zur Ader gelassen, wenn er gemischten Gruppen aus Kavallerie und Velites den Befehl gab, das Gelände hinter ihnen für die Versorgungslinie zu sichern. Er dehnte die Versorgungslinie so sehr aus, wie er es gerade noch zu verantworten wagte, doch Gallien war viel zu groß, um eine feste Verbindung bis zu den Haeduern aufrechtzuerhalten, und er nahm sich vor, sofort nach anderen Verbündeten Ausschau zu halten, sobald er mit Ariovist fertig war. Manchmal schien es fast so, als stellte sich ihnen das Land selbst in den Weg. Der Boden war mit dicken Grasbüscheln bedeckt, die unter den Sohlen wegrutschten und umkippten, was das Vorankommen der Legionen noch mehr verlangsamte. An einem guten Tag entfernten sie sich nicht mehr als zwanzig Meilen vom vorigen Lager. Als seine Kundschafter Reiter meldeten, welche die Legionen beobachteten, warf Julius seine Listen und Rechnungsbücher erleichtert beiseite. Bei den ersten Sichtungen hatten sie kaum mehr als ein paar Bewaffnete erblickt, doch die Legionen spannten sich bei diesen Nachrichten kaum merklich an. Die Soldaten ölten ihre Klingen jeden Abend mit besonderer Sorgfalt, auf den Straflisten tauchten weniger Namen auf. Julius ließ die schnellsten der Extraordinarii ausschwärmen, doch sie verloren die Spur ihrer Beute in den Wäldern und Tälern, wobei einer der besten Wallache sich in vollem Galopp ein Bein brach und seinen Reiter tötete. Julius zweifelte nicht daran, dass die Spione von Ariovist kamen, aber es überraschte ihn trotzdem, als ein einzelner Reiter auftauchte, als die Legionen gerade Rast machten und ihr Mittagsmahl einnahmen. Der Mann lenkte sein Pferd aus einer Waldspitze hinaus und einen steilen Granithang herab und löste damit ein Gewirr aus Warnsignalen und Hörnerklängen aus. Sofort ließen die Extraordinarii ihr Essen unangetastet stehen, rannten zu ihren Pferden und sprangen in die Sättel. »Wartet!«, rief ihnen Julius mit erhobener Hand zu. »Lasst ihn herankommen.« Die Legionen stellten sich in schrecklichem Schweigen zu Reihen auf, alle Augen richteten sich auf den Reiter, der sich ihnen ohne ein Anzeichen der Furcht näherte. Julius zog sein Fernrohr heraus, fixierte die Linsen und betrachtete den Mann. Was er sah, ließ ihn die Stirn kraus ziehen, aber gegenüber denjenigen, die um ihn herumstanden, verlor er kein Wort. Als der Fremde die ersten Reihen der Zehnten erreicht hatte, stieg er ab. Er sah sich rasch um und nickte kurz, als er Julius in seiner Rüstung im Kreise der Flaggen und der Extraordinarii stehen sah. Als sich ihre Blicke trafen, musste Julius sich zusammenreißen, um sich das Unbehagen, das er empfand, nicht anmerken zu lassen. Er hörte seine Legionäre nervös murmeln, und einer oder zwei von ihnen machten angesichts der überirdischen Erscheinung des Reiters mit den Händen Zeichen gegen das Böse. Der Mann trug eine Lederrüstung über grobem Tuch, die Unterschenkel waren nackt. Runde Eisenplatten schützten seine Schultern und ließen ihn noch massiger wirken, als er ohnehin schon war. Er war groß, auch wenn Ciro ihn um etliche Zoll überragte und er im Vergleich zu Artorath klein gewirkt hätte. Es waren sein Gesicht und sein Schädel, bei deren Anblick sich die Römer, an denen er vorüberging, verunsicherte Blicke zuwarfen. Er ähnelte keinem Menschenschlag, dem Julius jemals begegnet war, mit einer derartigen Knochenwulst über den Augen, dass sie aus einem immerwährenden Schatten herauszustarren schienen. Sein Schädel war glatt rasiert, bis auf einen langen Pferdeschwanz am Hinterkopf, der beim Gehen hinter ihm schaukelte und von dunklen, eingeflochtenen Metallverzierungen nach unten gezogen wurde. Der Schädel selbst war heftig deformiert und wies über der ersten Wulst noch eine zweite auf. »Kannst du mich verstehen?«, fragte Julius. »Wie heißt du, und welchem Stamm gehörst du an?« Der Krieger musterte ihn, ohne zu antworten, und Julius schüttelte sich innerlich, denn mit einem Mal wurde ihm klar, dass der Mann sich der Wirkung, die er hervorrief, durchaus bewusst war. Wahrscheinlich hatte Ariovist ihn genau aus diesem Grunde ausgewählt. »Ich bin Redulf von den Sueben. Ich habe eure Worte gelernt, als mein König für euch kämpfte und dafür ›Freund auf Lebenszeit‹ genannt wurde«, sagte der Mann. Es war unheimlich, die lateinische Sprache von einem so dämonisch aussehenden Wesen zu vernehmen, aber Julius nickte, erleichtert, dass er nicht auf die von Mhorbaine zur Verfügung gestellten Dolmetscher zurückgreifen musste. »Dann hat dich Ariovist geschickt?«, fragte Julius. »Das habe ich gesagt«, antwortete der Mann. Julius verspürte einen gereizten Stich. Der Mann war genauso arrogant wie sein Herr. »Dann sage, was man dir aufgetragen hat, Bursche«, gab Julius zurück. »Ich will wegen dir keine Zeit verlieren.« Der Mann versteifte sich angesichts des Spotts, und Julius bemerkte, wie sich langsam eine Röte auf den knochigen Wülsten seiner Brauen ausbreitete. Waren diese Deformierungen ein Geburtsfehler oder das Resultat irgendeines eigentümlichen Rituals der Stämme auf der anderen Seite des Rheins? Julius winkte einen Boten heran und murmelte ihm zu, Cabera von der Spitze der Marschsäule herbeizuholen. Als der Bote davonflitzte, erhob der fremde Krieger seine Stimme und sprach so laut, dass man ihn ringsum gut hören konnte. »König Ariovist empfängt dich bei dem Stein im Norden, der unter dem Namen ›die Hand‹ bekannt ist. Ich soll dir sagen, dass er nicht erlaubt, dass dich deine Fußsoldaten begleiten. Er kommt nur mit seinen Reitern und erlaubt dir das Gleiche. Das sind seine Bedingungen.« »Wo ist dieser Stein?«, fragte Julius und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Drei Tagesmärsche nach Norden. Felsenfinger sitzen auf der Spitze. Du wirst ihn erkennen. Dort erwartet er dich.« »Und wenn ich nicht auf seine Bedingungen eingehe?« Der Krieger zuckte die Achseln. »Dann wird er nicht dort sein und sich als verraten ansehen. Dann kannst du Krieg von uns erwarten, bis unsere Armeen vernichtet sind.« Das höhnische Grinsen, mit dem er die römischen Offiziere bedachte, ließ keinen Zweifel an seiner Einschätzung des Ergebnisses aufkommen. Redulf warf einen Blick auf Cabera, der soeben eintraf und langsam an einem Stock und am Arm des Botschafters ging. Der alte Heiler war von den Entbehrungen des Marsches ausgezehrt, aber seine blauen Augen betrachteten trotzdem fasziniert den ungewöhnlichen Schädel des Kriegers. »Richte deinem Herrn aus, dass ich ihn an der genannten Stelle treffen werde, Redulf«, sagte Julius. »Ich halte die Freundschaft, die ihm meine Stadt verliehen hat, in Ehren und treffe mich mit ihm in Frieden bei dem Stein, den du uns beschrieben hast. Lauf jetzt zu ihm zurück und berichte ihm, was du gesehen und gehört hast.« Redulf nahm seine Entlassung mit wütender Miene entgegen, beschied sich jedoch mit einem weiteren höhnischen Blick über die Reihen der Römer, bevor er zu seinem Pferd zurückmarschierte. Julius sah, dass Brutus die Extraordinarii ein breites Spalier hatte bilden lassen, durch das der Mann zu reiten gezwungen war. Er schaute weder nach links noch nach rechts, als er an ihnen vorbeiritt, dann verschwand er rasch nach Norden in der Ferne. Brutus trabte heran und stieg aus dem Sattel. »Beim Mars, was für ein eigenartiger Kauz«, sagte er und sah, dass ein Soldat der Zehnten nicht weit von ihm entfernt mit den Fingern ein Abwehrzeichen machte. Stirnrunzelnd überlegte er, wie der Fremde wohl auf die abergläubischeren Männer unter seinem Kommando gewirkt haben mochte. » Cabera? Hast du ihn gesehen?«, fragte Julius. »War das ein Geburtsfehler?« Cabera sah dem in der Ferne entschwindenden Reiter immer noch nach. »Ich habe noch nie eine so regelmäßig ausgebildete Verformung gesehen, als sei sie absichtlich herbeigeführt worden. Aber ich weiß es nicht. Vielleicht wenn ich ihn etwas genauer untersuchen könnte ... Ich denke darüber nach.« »Ich vermute, dieser Ariovist bittet uns nicht um Frieden und erspart uns die Mühe, uns mit seinen hässlichen Männern herumschlagen zu müssen?«, fragte Brutus den Julius. »Noch nicht. Jetzt, da wir so nahe an ihn herangerückt sind, hat er plötzlich beschlossen, sich mit mir zu treffen. Seltsam, wie doch die römischen Legionen die Ansichten eines Mannes beeinflussen«, antwortete Julius. Sein Lächeln verschwand, als er an den Rest der Botschaft des Königs dachte. »Er will, dass ich nur mit Berittenen zum Treffen erscheine, Brutus.« »Was? Ich hoffe, du hast das abgelehnt. Ich lasse dich nicht in den Händen unserer gallischen Reiter, Julius. Niemals! Du darfst ihm keine Gelegenheit geben, dich in eine Falle zu locken, Freund Roms hin oder her.« Schon bei der Vorstellung sah Brutus entsetzt aus, doch dann ergriff Julius wieder das Wort. »Rom beobachtet uns genau, Brutus. In dieser Hinsicht hat Marcus Antonius Recht. Wir müssen Ariovist mit Respekt behandeln.« »Mhorbaine sagt, seine Leute leben im Sattel«, erwiderte Brutus. »Hast du gesehen, wie dieser hässliche Gnom geritten ist? Wenn die alle so sind wie der, solltest du dich nicht alleine mit den Haeduern und einer Handvoll Extraordinarii von ihnen erwischen lassen.« »Ach, so weit wird es nicht kommen«, sagte Julius. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Schick die Haeduer zu mir, Brutus.« »Was hast du vor«, wollte Brutus wissen. Der plötzliche Stimmungswechsel seines Feldherrn verwirrte ihn. Julius grinste wie ein kleiner Junge. »Ich werde die Zehnte aufs Pferd setzen, Brutus. Dreitausend meiner Veteranen und dazu die Extraordinarii dürften ausreichen, um ihm die Flügel zu stutzen, meinst du nicht auch?« Pompeius beendete seine Rede vor dem Senat und bat um Wortmeldungen, bevor es zur Abstimmung kam. Obwohl unter den 300 Männern der Curia eine gereizte Spannung herrschte, war zumindest die Androhung von Gewalt aus ihren Debatten gewichen – wenn auch nicht draußen auf der Straße. Bei diesem Gedanken schaute Pompeius zu Clodius hinüber, einem Bullen von einem Mann mit glatt rasiertem Schädel, der in der Gosse der Stadt geboren wurde und seinen Aufstieg allein der Tatsache verdankte, dass er rücksichtsloser vorgegangen war als alle seine Konkurrenten. Nachdem Crassus den Handel der Stadt in seinem Würgegriff hatte, hätte Clodius sich in aller Ruhe zurückziehen können, aber stattdessen hatte er seine Verluste abgeschrieben und sich zur Wahl für den Senat gestellt. Beim Anblick seiner brutalen, platten Gesichtszüge erschauerte Pompeius. Einige der Dinge, die ihm zu Ohren gekommen waren, mochten übertrieben sein, sagte er sich. Wenn sie jedoch der Wahrheit entsprachen, würde das bedeuten, dass es innerhalb Roms noch eine zweite, verborgene Stadt gab, womöglich eine, die von Clodius regiert wurde. Die bullige Gestalt tauchte bei jeder Senatssitzung auf, und wenn er sich dort mit seinen Ansichten nicht durchsetzen konnte, wüteten Raptores in den Straßen der Stadt und verschwanden im Labyrinth der Gassen, sobald sie von den Legionswachen verfolgt wurden. Clodius war gerissen genug, sich in der Öffentlichkeit von den Banden zu distanzieren und erstaunt die Hände zu heben, wenn ihre Gewalttätigkeit zufällig mit einem Einspruch gegen seine ehrgeizigen Ziele zusammenfiel. Dass die Posten der Tribunen wieder zur Wahl gestellt worden waren, hatte Clodius’ öffentlicher Unterstützung einen Teil ihrer Basis geraubt. Nach der schändlichen Beerdigungsprozession vor zwei Monaten war Pompeius dem Rat des Crassus gefolgt. Zu seiner großen Freude war nur einer der ehemaligen Posteninhaber in den Senat zurückgewählt worden. Die unberechenbare Öffentlichkeit hatte als zweiten einen Fremden gewählt, und obwohl ihn Pompeius’ Feinde auf geradezu unerhörte Weise hofierten, hatte er bislang noch keine besonderen Loyalitäten erklärt. Es war durchaus möglich, dass Clodius seine Hand bei der Wahl dieses Mannes nicht im Spiel gehabt hatte, obwohl Pompeius daran zweifelte. Der Mann schreckte nicht davor zurück, ganze Familien zu bedrohen, um seine Ziele zu erreichen, und Pompeius hatte schon einmal eine Abstimmung erlebt, bei der sich rechtschaffene Männer ohne erkennbaren Grund gegen ihn gewandt hatten. Sie waren sogar seinen Blicken ausgewichen, als sie sich Clodius angeschlossen hatten, und Pompeius hatte seinen Zorn angesichts des eiskalten Triumphs des Kaufmanns nur mit Mühe zügeln können. Das Resultat war, dass das kostenlose Getreide, das an die Bürger verteilt wurde, inzwischen ein Fünftel der städtischen Ausgaben ausmachte und jeden Monat Tausende mehr in die Stadt geströmt kamen und darauf Anspruch erhoben. Pompeius wusste, dass Clodius seine rücksichtslosesten Anhänger unter jenen wurzellosen Aasfressern fand, die zuhauf in die Stadt fluteten. Er konnte es nicht beweisen, aber er war überzeugt davon, dass ein gutes Zehntel dieses Getreides die hungrigsten Mäuler nicht erreichte, sondern stattdessen in jenem dunkleren Rom verschwand, in dem Clodius und Männer wie er ebenso leicht Leben kauften, wie sie Getreide verschacherten. Pompeius erteilte Suetonius das Wort und setzte sich, als der junge Römer sich erhob und vernehmlich räusperte. Auf Pompeius’ Gesicht zeigte sich nichts von seiner Abneigung, obwohl er jeden Mann verabscheute, der anderen wie ein Hund folgte, um ein paar Brocken abzubekommen. Suetonius’ Selbstvertrauen war in dem Maße gewachsen, in dem Clodius ihn mit Lob und Geld überhäufte. Er sprach gut genug, um die Aufmerksamkeit des Senats in Anspruch zu nehmen, und seine Verbindung mit Clodius hatte ihm zu einem Status aus zweiter Hand verholfen, den er sichtlich genoss. »Verehrte Senatoren und Tribunen«, hob Suetonius an, »ich bin kein Freund Cäsars, wie viele von euch wissen.« Leises Lachen ertönte von den Bänken, und er erlaubte sich ein kleines Lächeln. »Wir alle haben von seinem Sieg gegen die Helvetier in Gallien gehört, eine ehrenhafte Schlacht, die unsere Bürger auf den Marktplätzen zu lautem Jubel veranlasst hat. Trotzdem ist die Angelegenheit seiner Schulden kein geringes Problem. Ich habe hier eine grobe Einschätzung vorliegen.« Suetonius suchte mit großem Gebaren auf einem Papier herum, obwohl er die Zahlen natürlich auswendig kannte. »Dem Herminius schuldet er knapp unter eine Million Sesterze. Den anderen Gläubigern zusammen noch einmal eine Million und zweihunderttausend Sesterze. Das sind keine kleinen Summen, meine Herren. Ohne diese Summen könnten die Männer, die sie ihm in gutem Glauben vorgestreckt haben, womöglich selbst in die Armut getrieben werden. Sie haben ein Recht darauf, uns anzurufen, wenn Cäsar keine Anstalten macht, in diese Stadt zurückzukehren. Das Zwölftafelgesetz ist, was Schulden angeht, sehr deutlich, und wir sollten keinen Feldherrn unterstützen, der die Statuten auf diese Art und Weise verhöhnt. Ich verlange vom Senat, ihm die sofortige Rückkehr zu befehlen, um seine Schulden in der Stadt zu begleichen. Wenn das nicht möglich ist, kann uns vielleicht eine Versicherung von Seiten des Pompeius ein wenig beruhigen, die besagt, dass Cäsars Aufenthalt in Gallien ein eindeutiges Ende gesetzt ist, damit diejenigen, die sich mit den Folgen dieser Schulden plagen, ein festgelegtes Datum ins Auge fassen können, an dem sie beglichen werden. Ich stimme dafür, Cäsar zurückzurufen.« Er setzte sich wieder, und Pompeius wollte gerade den nächsten Redner aufrufen, als er sah, dass sich der neue Tribun erhoben hatte. »Hast du dem irgendetwas hinzuzufügen, Polonus? «, fragte Pompeius und lächelte den Mann an. »Nur dass mir die Argumente meines Vorredners wie ein kleiner Stock vorkommen, mit dem wir einen so erfolgreichen General prügeln wollen«, antwortete Polonus. »So wie ich die Angelegenheit verstanden habe, handelt es sich um persönliche Schulden Cäsars, auch wenn er sie dazu verwendet hat, seine Soldaten auszurüsten und zu versorgen. Sobald er in die Stadt zurückkehrt, können seine Gläubiger ihn dieser Summen wegen belangen, und wenn er nicht zahlen kann, gibt es dafür harte Strafen. Bis dahin jedoch sehe ich keine Veranlassung dafür, dass sich der Senat mit gewöhnlichen Geldverleihern gemein machen und seine Rückkehr durchsetzen soll.« Zustimmendes Gemurmel erhob sich aus den Reihen der Senatoren, und Pompeius musste ein Lächeln unterdrücken. Viele von ihnen hatten Schulden, und Suetonius müsste ein Genie sein, um sie dazu zu bringen, einen General zurückzurufen, nur damit dem Drängen schmieriger Existenzen wie Herminius nachgegeben werden konnte. Pompeius war erfreut darüber, dass sich Polonus gegen den Antrag ausgesprochen hatte. Vielleicht stand er doch nicht im Sold des Clodius. Pompeius suchte den Blick des Tribuns; er verneigte sich kurz, als der nächste Sprecher sich erhob, und hörte der Rede irgendeines unbedeutenden Sohnes der Nobilitas nicht einmal richtig zu. Pompeius wusste, dass es nicht wenige gab, die seine Entlassung und Wiedereinführung der Tribunen für einen meisterlichen Streich hielten. Besonders die älteren Mitglieder erhofften sich von ihm Stärke und Führungskraft, mit denen er den neuen Mitspielern im großen Spiel gegenübertreten sollte. Viele von ihnen hatten ihn unter vier Augen aufgesucht, doch im Senat machte sie ihre Angst schwach. Es gab nicht viele, die es wagten, sich jemanden wie Clodius zum Feind zu machen. Selbst einem Mann wie Pompeius trieb der Gedanke, Clodius könnte eines Tages Konsul werden, den Schweiß auf die Stirn. Während der junge Senator seine Rede weiter ausführte, wanderte Pompeius’ Blick zu Titus Milo, einem anderen Vertreter der neuen Kräfte im Senat. Genau wie Clodius vor ihm war er in den Senat eingezogen, nachdem das Vermögen, das er als Kaufmann gemacht hatte, verloren gegangen war. Vielleicht konnten sich die beiden aus diesem Grund, ihrer gemeinsamen Herkunft wegen, nicht ausstehen. Milo hatte ein rotes Gesicht vom Trinken und war fett, wohingegen Clodius eher gedrungen war. Beide Männer konnten so derb sein wie die schlimmste Gossenhure. Insgeheim fragte sich Pompeius, ob man sie nicht aufeinander hetzen könnte. Damit wäre das Problem auf angenehme Weise gelöst. Die Abstimmung wurde rasch durchgeführt, und ausnahmsweise wankten die Anhänger des Pompeius nicht. Clodius hatte nicht gesprochen, und Pompeius wusste, dass er wahrscheinlich Suetonius vorgeschickt hatte, ohne ihm seine volle Unterstützung zu gewähren. In dieser Nacht würde es keine Berichte über Banden geben, die urplötzlich in den Gassen wüteten. Clodius spürte Pompeius’ nachdenklichen Blick auf sich und nickte ihm mit seinem massigen Schädel zu wie ein Gleichgestellter dem anderen. Pompeius erwiderte die Geste aus reiner Gewohnheit, obwohl seine Gedanken mit den schlimmsten Gerüchten befasst waren. Es hieß, Clodius beschäftigte Leibwächter, die Schändung als übliches Mittel der Überredung anwandten, wenn sie ihren Geschäften nachgingen. Es war eine der vielen Geschichten, die diesen unangenehmen Mann wie Fliegen umschwirrten. Pompeius presste die Zähne zusammen, als er das heimliche, amüsierte Strahlen in Clodius’ Augen entdeckte. In diesem Moment beneidete er Julius in Gallien. Bei allen Entbehrungen eines Feldzugs waren seine Schlachten zweifellos einfacher und sauberer zu schlagen als jene, die Pompeius hier in Rom auszufechten hatte. 28 Brutus brüllte der Zehnten wütende Befehle zu, als die Männer ihre kleinen gallischen Pferde auf die dunkle Masse der Reiter zu- lenkten, die in der Ferne, am Fuße des »die Hand« genannten Felsens, auf sie warteten. Zwar konnte er Julius’ Wunsch, die Veteranen der Zehnten bei sich zu haben, nur zu gut nachvollziehen, trotzdem hockten die Legionäre wie störrische Kinder auf ihren Gäulen. Bei allem, was über einfaches Schritttempo hinausging, wichen die Pferde aus der Reihe, und sobald das Gelände nicht eben und ohne Hindernisse war, wurden die rotgesichtigen Soldaten abgeworfen und durchlitten die Schmach, so lange neben ihren Tieren herrennen zu müssen, bis sie sich wieder in den Sattel gehievt hatten. Als reichte das noch nicht aus, kochte Brutus innerlich darüber, dass Marcus Antonius den Befehl über die weiter hinten abwartenden Legionen erhalten hatte. Er konnte die Tatsache akzeptieren, dass Julius ihn und Octavian als Anführer der Extraordinarii dabeihaben wollte, aber Marcus Antonius hatte sich nicht das Recht erworben, Julius’ stellvertretender Kommandeur zu sein. Brutus war übelster Laune, als er sein Pferd herumriss, um auf Unruhe direkt hinter ihm zu reagieren. »Nehmt die Zügel auf, beim Mars, sonst lasse ich euch auspeitschen! «, schrie er einen Trupp unglücklicher, kreuz und quer durcheinander wimmelnder Triarii an. In ihrer schweren Rüstung saßen sie wie scheppernde Getreidesäcke auf den Pferden, und Brutus verdrehte die Augen, als sich der Nächste zu weit nach vorne beugte und mit einem lauten Scheppern zwischen den Beinen seines Reittieres verschwand. So zog man nicht in eine Schlacht, auch wenn ihr Ausbruch noch ungewiss war. Die Zehnte war an den Rhythmus der Fußsoldaten gewöhnt, und die schwitzenden, fluchenden Männer rings um ihn herum hatten nichts von der konzentrierten Ruhe, die er sonst von ihnen kannte. Octavian galoppierte an ihm vorbei und zwang mit seinem kräftigen Wallach eine ungleichmäßige Reihe von Ponys wieder in Formation. Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick. Octavian grinste. Ihn schien die Situation zu amüsieren. Brutus lächelte nicht zurück, sondern verfluchte stattdessen leise die Zehnte, als zwei Pferde ein Stück vor ihm aneinander gerieten und die Reiter verzweifelt an den Zügeln rissen, bis die gequälten Tiere in Panik ausbrachen und durchgingen. Brutus holte sie mit einem kurzen Sprint ein und hielt sie fest, bis die Legionäre sie wieder unter Kontrolle hatten. Man konnte von den Männern nicht die lässige Haltung Tausender von Übungsstunden erwarten, und er hoffte nur, dass Julius genug Verstand besaß, den Befehl zum Anhalten zu geben, bevor Ariovist ihre erbärmlichen Reiterkünste auffielen. Männer, die im Sattel geboren waren, würden sich nicht täuschen lassen. Kurz vor dem Aufbruch war Julius noch einmal zu ihm gekommen. Er hatte Brutus’ Kälte bemerkt und beschwichtigend auf ihn eingeredet. »Ich muss dich mitnehmen, Brutus«, sagte er. »Die Extraordinarii sind die einzigen fähigen Reiter, die ich habe, und sie sind deine Befehle gewöhnt.« Julius war dicht neben ihn getreten, damit niemand sonst ihn hören konnte. »Und falls ich zum Kampf gezwungen werde, möchte ich nicht Marcus Antonius an meiner Seite haben. Er hält zu viel von diesem Ariovist und seiner Freundschaft mit Rom.« Brutus hatte genickt, obwohl die Worte nicht viel dazu beitrugen, das Gefühl, hintergangen worden zu sein, zu beschwichtigen. Marcus Antonius’ Posten stand ihm zu. Noch vor Mittag erblickten die Vorreiter »die Hand« und machten Meldung. Als die Zehnte sich der Felsformation näherte, konnte Brutus vor sich Tausende von berittenen Männern in perfekter Aufstellung erkennen. Sie hatten für die Begegnung eine Stelle ausgesucht, an der die Kavallerie auf beiden Seiten von steilen Berghängen behindert wurde. Der Felsen, den sie »die Hand« nannten, bildete den höchsten Punkt gen Osten, wohingegen das Gelände im Westen in dichtem Wald erstickte. Brutus fragte sich, ob Ariovist zwischen den dunklen Eichen noch mehr Männer versteckt hielt. Er wusste, dass er selbst sie dort postiert hätte, und hoffte, dass die Legionen nicht in eine Falle tappten. Eines war sicher: Falls es bei einer Auseinandersetzung mit diesen germanischen Reitern zum Rückzug kam, dann musste die Zehnte ihn zu Fuß bewerkstelligen, oder sie wurde niedergemacht. Die Cornicen bliesen zum Absteigen, ein aus zwei Tönen bestehendes Signal, über das sie sich vor dem Aufbruch im Lager verständigt hatten. Erleichtert sah Brutus, wie die Zehnte ihre Unbeholfenheit abstreifte, sobald sie festen Boden unter den Füßen hatte. Nur die Extraordinarii blieben im Sattel, um die Flanken zu schützen. Die Legionäre der Zehnten führten ihre Pferde schlecht gelaunt und mit grimmigen Gesichtern am Zügel weiter. Brutus drangsalierte sie weiterhin und befahl den Zenturios, Ordnung in den Reihen zu halten, während sie sich dem Ort der Zusammenkunft und dem König der germanischen Sueben näherten. Je dichter sie an den Feind herankamen, desto mehr wuchs die Spannung, und schon bald erkannte Brutus Einzelheiten der Männer, auf die sie zugingen. Ariovist sah er zum ersten Mal, als der König mit drei anderen aus der Masse herausgeritten kam und zweihundert Fuß vor seiner vordersten Linie anhielt. Julius setzte sich mit Domitius und Octavian ebenfalls in Bewegung. Die Anspannung war ihren steifen Rücken deutlich anzusehen. Brutus warf einen letzten Blick auf die Reihen der Zehnten. »Haltet euch bereit!«, rief er, als er lostrabte, um sich seinem Anführer anzuschließen. Die Geräusche von viertausend nervösen Pferden verebbte hinter ihm, als er zu Domitius und Octavian aufschloss. Ihre silbernen Rüstungen glitzerten. Julius trug den Maskenhelm, und als er sich im Sattel umdrehte, um Brutus zu begrüßen, erlebte Brutus die Wirkung dieser kalten, starren Züge. »Sehen wir doch mal, was mir dieser König zu sagen hat«, tönte Julius’ Stimme aus dem Eisenmund hervor. Die vier Männer trieben ihre Pferde zum Galopp an und ritten in perfekter Formation über den zerklüfteten Boden. Julius erkannte Redulf an Ariovists rechter Schulter und sah mit Erstaunen, dass die beiden anderen Krieger neben dem König ebenso merkwürdig deformiert waren wie der Bote. Einer von ihnen war kahl rasiert, doch der andere hatte schwarze, topfartig geschnittene Haare, die nicht dazu beitrugen, den eigenartigen Doppelwulst zu verbergen. Es sah aus, als hätte eine riesenhafte Faust seinen Schädel gepackt und zusammengequetscht. Alle trugen Bärte und blickten grimmig drein, was wahrscheinlich Stärke ausdrücken sollte. Jeder war mit Gold und Silber geschmückt, und Julius war froh, dass er die Besten seines Schwertturniers als Ehrengarde dabeihatte. Ihre makellosen silbernen Rüstungen überstrahlten die Krieger der Sueben, und Julius wusste, dass jeder seiner Gefährten tödlicher war als ihre Gegner. Ariovist hatte nicht die wulstige Stirn seiner Begleiter. Sein Gesicht wurde von dunklen Augenbrauen und einem ungeschnittenen Bart beherrscht, der den Großteil seiner Züge verdeckte und nur Wangen und Stirn frei ließ. Seine Haut war blass, und die Augen, die Julius finster anblickten, waren so blau wie die von Cabera. Der König rührte sich nicht, als Julius heranritt und ohne Gruß vor ihm anhielt. Die Stille dauerte an, während Julius und der König einander betrachteten. Keiner von ihnen wollte als Erster das Wort ergreifen. Brutus musterte die Reihen der Pferde und ließ den Blick noch weiter schweifen, bis dorthin, wo eine größere Streitmacht die südliche Spitze der Ländereien markierte, die Ariovist erobert hatte, ungefähr fünfzehn Meilen südlich des breiten Rheins. In der Ferne erkannte Brutus zwei befestigte Lager, die ganz nach römischem Muster angelegt waren. Die Masse der suebischen Reiter war nicht in Schlachtordnung aufgestellt, aber Brutus sah, dass sie das Gelände von Hindernissen gesäubert hatten und jederzeit zum Angriff übergehen konnten. Als er die langen Speere sah, die die Männer trugen, fing er an zu schwitzen. Jeder Soldat der römischen Infanterie wusste, dass Pferde niemals in einen Schildwall stürmen würden, ebenso wenig wie man sie zwingen konnte, gegen einen Baum zu rennen. Solange die Legionen ihre Blockformationen beibehielten, konnten sie ohne ernst zu nehmende Gefährdung durch die Streitmacht des Ariovist hindurchbrechen. Aber die Theorie war angesichts so vieler der bleichen, bärtigen Krieger nicht sehr tröstlich. Julius verlor unter der schweigsamen Musterung des Königs die Geduld. »Ich bin zu dir gekommen, so wie du es von mir verlangt hast, Freund meiner Stadt«, fing er an. »Obwohl dies hier nicht dein Land ist, bin ich hergeritten und habe deine Bedingungen akzeptiert. Jetzt sage ich dir, dass du deine Armee über die natürliche Grenze, den Rhein, zurückziehen musst. Wenn das unverzüglich geschieht, kommt es nicht zum Krieg zwischen uns.« »Ist das die römische Freundschaft?«, höhnte Ariovist plötzlich mit einer tiefen, dröhnenden Stimme, die die Römer zusammenzucken ließ. »Ich habe vor zehn Jahren gegen eure Feinde gekämpft. Der Titel wurde mir verliehen, aber zu welchem Zweck? Damit ich nach Gutdünken von dem Land vertrieben werden kann, das ich rechtmäßig erobert habe?« Seine Zähne leuchteten gelb aus dem Bart hervor, und die Augen funkelten unter den dichten Brauen. »Der Titel gibt dir nicht das Recht, dir alles Land zu nehmen, nach dem dich gelüstet«, erwiderte Julius. »Deine Heimat liegt auf der anderen Seite des Flusses, und das sollte dir genügen. Ich sage dir, Rom wird niemals zulassen, dass du dir Gallien oder auch nur einen Teil davon nimmst.« »Rom ist weit weg, Heerführer. Du bist alles, was deine Stadt hier und jetzt zu bieten hat, und du hast den Zorn meiner weißen Krieger noch nicht kennen gelernt. Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Ich bin schon in Gallien geritten, als du kaum mehr warst als ein kleines Kind! Das Land, das ich erobert habe, gehört mir durch das Recht der Eroberung, ein weitaus älteres Gesetz als deines. Es gehört mir, weil ich die Stärke bewiesen habe, es zu behalten, Römer!« Die zornige Rede ließ Julius’ Pferd nervös scheuen, und Julius streckte die Hand aus, um den Nacken des Wallachs zu tätscheln. Er riss sich zusammen, um dem anderen zu antworten. »Ich bin hier, weil du als unser Freund giltst, Ariovist. Ich respektiere dich im Namen meiner Stadt, aber ich sage es dir noch einmal, du wirst dich über den Rhein zurückziehen und das Land Roms und der römischen Verbündeten verlassen. Wenn du nach dem Gesetz der Eroberung leben willst, werde ich deine Armee kraft des gleichen Gesetzes vernichten!« Julius spürte, wie Brutus zu seiner Rechten unbehaglich im Sattel hin- und herrutschte. Das Treffen verlief nicht so wie beabsichtigt, aber Ariovists Arroganz ärgerte ihn. »Und was tust du, Cäsar? Mit welchem Recht nimmst du den Stämmen ihr Land? Wurde es dir vielleicht von deinen griechischen Göttern geschenkt?« Mit einem verächtlichen Schnauben hob Ariovist die Hände und zeigte auf die blühende Landschaft ringsum. »Du hast deine Antwort erhalten, als ich deine Boten mit leeren Händen zurückgeschickt habe«, fuhr er fort. »Ich will nichts von dir und deiner Stadt. Zieh deines Weges und lass mich in Frieden, sonst hast du nicht mehr lange zu leben. Ich habe für dieses Land gekämpft und den Blutzoll gezahlt. Du hast nichts anderes getan, als eine Bande helvetischer Lumpen in ihre Heimat zurückgeschickt. Meinst du wirklich, das gibt dir das Recht, mit mir als Gleichgestellter zu verhandeln? Ich ein König, Römer, und Könige werden nicht von Männern wie dir behelligt. Ich fürchte deine Legionen nicht, schon gar nicht diese Reiter hinter dir, die nicht einmal ihre Pferde ruhig halten können.« Julius widerstand dem Drang, sich umzudrehen, obwohl er die perfekten Reihen der Sueben sehen konnte und wusste, dass seinen Soldaten eine derart gelassene Ordnung fehlte. Er lief unter seiner Maske rot an und war froh, dass es niemand sah. »Ich bin Rom«, sagte Julius. »In meiner Person redest du mit dem Senat und mit dem Volk Roms. Du beleidigst meine Stadt und alle Länder in ihrem Herrschaftsgebiet. Wenn du ...« Etwas zischte aus den Reihen der Sueben über ihre Köpfe hinweg. Ariovist fluchte. Julius blickte auf und sah ein Dutzend langer Schäfte, die im hohen Bogen auf seine kostbare Zehnte zuflogen. Wütend wandte er sich an Ariovist. »Ist das deine Disziplin?«, fuhr er ihn an. Ariovist sah nicht weniger zornig aus, und Julius wusste, dass er diesen Angriff nicht befohlen hatte. Beide Heere wurden unruhig. Wieder zog ein einzelner Pfeil seinen Bogen über ihnen. »Meine Männer brennen auf die Schlacht, Cäsar. Sie leben, um in Blut zu baden«, knurrte Ariovist ihn an. Dann schaute er sich über die Schulter nach seinen Männern um. »Geh zurück zu ihnen; wir kommen wieder«, sagte Julius; seine Stimme klang unter der Maske dumpf vor Entschlossenheit. Ariovist sah ihn an, und Julius bemerkte ein ängstliches Glitzern in seinen Augen. Es passte nicht zu dem, was er bisher gesehen hatte, und Julius fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte. Bevor der König antworten konnte, heulte ein weiterer Schwarm Pfeile über sie hinweg. Julius riss seinen Wallach herum, und mit einem lauten »Ha!« galoppierte er zu seinen Soldaten zurück. Brutus, Domitius und Octavian folgten ihm; die Hufe ihrer Pferde trommelten über den Boden. Hinter ihnen grub auch Ariovist die Fersen in die Flanken seines Pferdes, und seine Männer stießen ein lautes Jubelgeschrei aus, als sie sahen, dass er zu ihnen zurückkehrte. Bei der Zehnten angekommen, erteilte Julius einen Schwall von Befehlen. Die schnellsten Extraordinarii galoppierten nach Süden zu Marcus Antonius, mit der Anweisung, sich unverzüglich und mit größtmöglicher Geschwindigkeit als Verstärkung in Marsch zu setzen. Weitere Reiter wurden in den Wald im Westen geschickt, um dort versteckte Bogenschützen oder eine Überraschungsstreitmacht ausfindig zu machen. Die gallischen Pferde wurden nach hinten gebracht, so dass sich die Zehnte endlich ungehindert aufstellen konnte. Sie formierte sich zu einem riesigen Verteidigungskarree, das sich mit überlappenden Schilden gegen einen Kavallerieangriff wappnete. Speere wurden bereitgehalten, Pfeile auf Bogensehnen gelegt. Die vorderste Reihe wartete geduldig darauf, den ersten Angriff abzuwehren. Er kam nicht. Zu Julius’ Erstaunen verschwand Ariovist tiefer in der Menge der Reiter, die sich plötzlich und unerwartet zurückzog. Einige Legionäre der Zehnten johlten und brüllten hinüber, doch die Kundschafter waren noch nicht aus dem Wald im Westen zurück, und Julius wagte keinen Vorstoß, ohne zu wissen, wer in jenen grünen Tiefen lauerte. Ariovist führte seine Männer aus der Reichweite der feindlichen Speere und dann auch der Pfeile, bevor er sie wieder anhalten ließ. Obwohl es in den Reihen der Sueben offenkundig sehr viele heißblütige Jünglinge gab, bewiesen sie bei diesem Rückzug eiserne Disziplin, wobei bestimmte Truppenteile anderen immer wieder Rückendeckung gaben. »Was ist das für ein Spiel?«, murmelte Brutus neben Julius. »Er muss doch wissen, dass unsere Legionen durch seine Verzögerung immer näher herankommen.« »Vielleicht will er uns vorwärts locken. Dieser Wald gefällt mir überhaupt nicht«, erwiderte Julius. Noch während er sprach, kam der erste Kundschafter zu den römischen Linien zurückgaloppiert. »Nichts, Herr«, keuchte er, als er salutiert hatte. »Weder Spuren noch alte Feuerstellen noch sonst ein Anzeichen für verborgene Einheiten.« Julius nickte und erinnerte sich plötzlich daran, wie er zum letzten Mal den Bericht eines Kundschafters ungeprüft angenommen hatte. Erst als zwei weitere seiner Reiter zwischen den Bäumen hervorkamen und ihm Bericht erstatteten, gab sich Julius zufrieden. Die Situation verwirrte ihn. Ariovist hatte sich aufgeführt, als wollte er zu einem wütenden Angriff übergehen, aber jetzt hielten sich seine Männer in gleichmütiger Unerschütterlichkeit zurück, ungerührt von den herausfordernden Gesten der Legionäre in der ersten Reihe der Zehnten. Julius trommelte gereizt mit den Fingern auf den Sattel. Hatten sie womöglich den Boden mit Fallen versehen? Unwahrscheinlich. Mit Pfählen versehene Gruben würden ihre eigene Armee mehr behindern, während sie der einzelnen römischen Legion zahlenmäßig überlegen war. »Sollen wir auf Marcus Antonius warten?«, fragte Brutus. Julius überlegte, wie lange es dauern würde, bis die Legionen seine Position erreicht hatten, und schnaubte wütend. Sie würden Stunden brauchen, bis sie hier waren, um ihn zu unterstützen. »Ja. Irgendetwas verstehe ich hier nicht. Ihre Truppen sind schnell und schlagkräftig, außerdem sind sie uns ungefähr zwei zu eins überlegen. Ariovist müsste angreifen, es sei denn, das Ganze war eine Finte, aber das kann ich mir nicht vorstellen. Ich werde nicht das Leben meiner Zehnten aufs Spiel setzen und in eine Falle tappen, ehe die Verstärkung eintrifft.« Die Soldaten, die das hörten, wechselten zufriedene Blicke, was Julius, der unbeirrt zum Feind hinüberstarrte, nicht sehen konnte. Soweit es die Soldaten betraf, war ein Anführer, der sich um seine Männer sorgte, nicht mit Gold aufzuwiegen. Die Reiter der Sueben standen tausend Schritt von der Zehnten entfernt da und schwiegen. Eine Fliege summte vor Julius’ Gesicht herum, als er den Blick über ihre Reihen schweifen ließ. »Ruhig Blut, meine Herren. Wir warten erst einmal ab.« Als die gewaltige Marschkolonne der Legionen die Zehnte erreicht hatte, war auch Ariovists Hauptstreitmacht aufgerückt. Den besten Schätzungen der Kundschafter zufolge, die sich den Wurfspießen und Pfeilen der feindlichen Reiter aussetzten, hatten die Sueben an die 60000 Krieger aufgestellt. Jeder Reiter hatte einen Fußsoldaten dabei, der, eine Hand in der Mähne des Pferdes, mit großer Geschwindigkeit neben dem Tier herrannte. Julius fühlte sich an die Spartaner erinnert, die auf die gleiche Weise in die Schlacht gestürmt waren, und hoffte nur, dass er es hier nicht mit einem Gegner vom gleichen Format zu tun bekam. Auch Brutus hatte eine sarkastische Bemerkung über die Schlacht von Thermopylae fallen lassen, an die er sich aus den Unterweisungen ihrer Hauslehrer vor vielen Jahren erinnerte; aber der Spartanerkönig hatte damals einen schmalen Gebirgspass verteidigen können, wohingegen Julius von einer derart beweglichen Streitmacht in die Zange genommen oder sogar umzingelt werden konnte. Ein besseres Modell war die Schlacht von Cannae, dachte er, in der die Römer vernichtend geschlagen worden waren, doch er hütete sich, seine Bedenken laut zu äußern. Zwei Stunden nach Mittag hatte Julius seine 1 6 Skorpionbögen aufgestellt und auf den Gegner ausgerichtet. Es waren perfekte Defensivwaffen gegen einen Angriff, aber so unbeweglich, dass sie bei einem Vorstoß schon nach den ersten Schüssen zu weit zurückblieben. »Eine Schlacht wie diese ist mir noch nie untergekommen, Brutus, aber sie haben zu lange gewartet. Octavian soll mit den Extraordinarii unsere Flanken schützen. Der Rest ist unsere Sache.« Er durchschnitt die Luft mit der Hand, und entlang der aufgestellten Einheiten stießen die Cornicen in ihre langen Hörner und ließen einen einzelnen Ton erschallen, der mit keinem Befehl verbunden war. Er diente lediglich dazu, dem Feind Furcht einzujagen, und Julius sah eine unruhige Bewegung durch die Reihen der Sueben gehen. Kurz darauf feuerten die Skorpione, und Pfeile von Mannslänge legten die Entfernung zwischen den Armeen mit einer Geschwindigkeit zurück, dass man sie weder kommen sah noch ihnen ausweichen konnte. Pferde in den ersten Reihen wurden aufgespießt, und die großen Bolzen töteten auch wahllos in den Reihen dahinter. Während die Skorpionmannschaften fieberhaft mit Spannen und Nachladen beschäftigt waren, gab Julius das Signal zum Vorrücken. Mit der Zehnten an der Spitze setzten sich die Legionen in Trab, die Speere wurfbereit in den Händen. Mit der Perfektion hervorragender Disziplin fächerten sich die Legionen auf, sobald sie die Enge zwischen dem Wald und »der Hand« hinter sich gelassen hatten. Brutus befehligte die Dritte an der rechten Flanke, Marcus Antonius hatte die linke übernommen. Als sie in Reichweite der Bogenschützen kamen, hielten die Männer ihre Schilde bereit, doch ohne Vorwarnung zogen sich die Reihen der Sueben noch einmal zurück, viel schneller als der römische Vorstoß. Tausende von Kriegern galoppierten davon und formierten sich nach einer halben Meile erneut. Sie standen wiederum nicht allzu weit entfernt, aber Julius befürchtete, auf die grünen Wiesen hinausgezogen zu werden. Jetzt sah er, wie die ersten Lager der Sueben eilig ihre Tore schlossen. Hunderte von Fuhrleuten versuchten voller Panik, mit ihren Karren noch hineinzukommen. Verwundert darüber, dass Ariovist sie im Stich ließ, schüttelte Julius den Kopf. Bericus löste sich nach Westen, um sich um das Lager zu kümmern, und eine weitere Legion aus Ariminum rückte reibungslos nach vorne, um den Platz der abgerückten 5000 einzunehmen. Sie marschierten an den Pfahlwällen vorüber, während Bericus die Leute dort ohne Schwierigkeiten und ohne Blutvergießen gefangen nahm. Julius sah im Vorübergehen, wie sie die Arme voller Angst in die Luft warfen, doch der Rest der Sueben befand sich abermals auf dem Rückzug, löste seine solide Aufstellung unversehens auf und formierte sich eine halbe Meile entfernt neu. Julius gab das Signal zum Anhalten. Seine Legionen kamen scheppernd und keuchend zum Stehen. Brutus kam vom rechten Flügel herangaloppiert. »Gib mir die Extraordinarii. Ich kann sie lange genug aufhalten, bis du mit dem Rest nachkommst«, sagte er und musterte den Feind in der Ferne mit finsterem Blick. »Nein. Ich setze die einzigen guten Reiter, die ich habe, nicht aufs Spiel«, antwortete Julius und ließ den Blick über die johlenden, abgerissen aussehenden Haeduer schweifen, die voller Freude ihre Pferde wieder in Empfang genommen hatten. »Wir befinden uns jetzt tief in seinem Gebiet. Ich will, dass rings um das Palisadenlager als Basis ein Kriegslager errichtet wird. Ich werde die Männer nicht ermüden, indem ich ihm durch ganz Gallien hinterherhetze. Ich will die Legionen vor Einbruch der Nacht hinter befestigten Wällen und Toren wissen. Halte die Wurfmaschinen in Bereitschaft, sobald die Karren nachgerückt sind. Lass auch warmes Essen zubereiten. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bin am Verhungern.« Julius betrachtete die schwarze Masse der suebischen Reiter und schüttelte den Kopf. »Ariovist ist kein Dummkopf. Es muss einen Grund für diese Feigheit geben. Sobald die Lager stehen, berufe meinen Rat zu mir ein.« 29 Ein befestigtes Lager direkt unter den Augen des Feindes anzulegen war eine neue Erfahrung für die sechs Legionen. Jeder verfügbare Mann half bei den äußeren Gräben mit, deren ausgehobene Erde zu großen Wällen aufgeworfen wurde, bis sie dreifache Mannshöhe erreicht hatten. Die Extraordinarii patrouillierten rings um das Gelände, und zweimal während dieses langen Nachmittags waren kleinere Gruppen scharf auf sie zugeritten und hatten ihre Speere nach ihnen geschleudert, bevor sie zu den eigenen Reihen zurückgaloppiert waren. Es waren lediglich junge Männer gewesen, die ihren Mut unter Beweis stellen wollten, die Hauptarmee hingegen hielt weiterhin Abstand und sah zu, wie die Römer gruben und Bäume fällten. Julius hatte gegen Ende des Tages den Duft von Gewürzen wahrgenommen und wusste, dass die Sueben genau wie er damit beschäftigt waren, Essen für ihre Leute zuzubereiten. Am frühen Abend waren die riesigen Lager fertig, und die Legionen marschierten durch Tore ein, die so solide waren wie sonst kaum etwas in Gallien. In den Händen der erfahrenen Legionszimmerleute hatten sich die schweren Baumstämme in passgenaue Balken verwandelt, und auch die Schutzwälle waren mit genügend angespitzten Pfählen versehen worden, dass sie selbst dem entschlossensten Angriff widerstehen würden. Julius spürte, wie sich unter seinen Männern Zuversicht breit machte. Der Anblick des zurückweichenden Feindes hatte ihre Moral enorm gehoben, und er hoffte, dass diese Stimmung anhielt. Er hielt seine Ratsversammlung im Stabszelt innerhalb der Wälle ab, nachdem eine warme Mahlzeit zubereitet und verzehrt worden war. Die Pferde der Haeduer kauten sich durch ein Gutteil seiner Getreidevorräte, aber es war zu gefährlich, sie in unmittelbarer Nähe der Sueben draußen grasen zu lassen. Als die Nacht hereinbrach, wartete Julius darauf, dass auch Brutus eintraf und sich den anderen anschloss. Lampen wurden angezündet, und die erste Nachtwache nahm ohne Schilde ihren Posten ein, stieg die hölzernen Stufen hinauf zur Brustwehr, um aufmerksam in die Dunkelheit zu schauen. Julius sah sich mit stummer Zufriedenheit im Kreise seines Rates um. Octavian hatte sich zu einem tüchtigen Anführer seiner Männer entwickelt, und auch Ciro hatte sich seiner Beförderung in den Rang des Zenturio als würdig erwiesen. Publius Crassus war ein furchtloser Befehlshaber, und Julius tat es jetzt schon Leid, dass er zu gegebener Zeit zurückgeschickt werden würde, um die Legion seines Vaters anzuführen. Renius unterwies die Männer weiterhin in der Technik des Schwertkampfes, und Julius zögerte nie, diejenigen zu befördern, die er ihm empfahl. Wenn Renius sagte, sie seien bereit, andere anzuführen, dann waren sie es auch. Domitius war fähig, eine ganze Legion zu befehligen, und die Männer liebten die silberne Rüstung, die er jetzt ständig trug. Zu dieser Zeit, an diesem Ort, waren sie alle in der Blüte ihres Mannesalters, und Julius war stolz auf jeden Einzelnen von ihnen. Nachdem Brutus eingetroffen war, holte Cabera eine Kugel aus Lehm hervor, die er in ein feuchtes Tuch eingewickelt hatte. Sie glänzte im Licht der Lampen, während er sie mit den Händen bearbeitete, bis sie einem Gesicht immer ähnlicher wurde: Er formte eine Nase und bohrte mit den Fingernägeln Augenhöhlen. »Wenn man auf diese Art und Weise Stricke anbringt, kann man die Form des Schädels verändern«, sagte er, band ein Stück Schnur um den kleinen Kopf und spannte es mit einem Stock enger, bis der Lehm anfing, sich zu verformen. Nachdem er eine dicke Wulst über den Augen geschaffen hatte, wiederholte er die Prozedur ein Stück darüber, bis ihnen das Abbild der ungewöhnlichen Züge eines Sueben entgegenstarrte. »Aber der Schädel muss dabei doch zerbrechen«, gab Octavian zu bedenken, der schon bei dem bloßen Anblick schauderte. Cabera schüttelte den Kopf. »Bei einem ausgewachsenen Mann schon. Nicht bei einem Neugeborenen. Wenn die Knochen noch weich sind, bringt ein Abbinden durchaus solche Wülste hervor. Diese Männer sind keine Dämonen, ganz gleich, was für Gerüchte hier im Lager umgehen. Aber sie sind brutal. Ich habe noch nie von einer Rasse gehört, die ihre Kinder so misshandelt. Die ersten ein oder zwei Jahre ihres Lebens müssen sie höllische Schmerzen leiden, wenn diese Dinger ihre Knochen zusammenquetschen. Ich bezweifle, dass sie jemals völlig schmerzfrei sind. Wenn ich damit Recht habe, bedeutet das, dass sie ihre Kriegerkaste schon fast von Geburt an heranziehen.« »Wenn die Männer darüber reden, musst du ihnen das hier vorführen, Cabera«, sagte Julius, noch immer fasziniert von dem deformierten Schädel. »Die Sueben brauchen bei ihrer Überzahl nicht noch mehr Vorteile, und unsere Männer sind abergläubisch.« Ein Tumult vor dem Zelt ließ den Rat sofort aufspringen. Die Soldaten, die draußen postiert waren, riefen jemandem gedämpfte Worte zu, dann waren die unmissverständlichen Geräusche eines Handgemenges zu vernehmen. Brutus ging zum Zelteingang und schlug die Leinwand zurück. Zwei der von den Sueben gefangenen gallischen Sklaven wanden sich auf der Erde. »Entschuldige, Herr«, sagte einer der Wachposten rasch und salutierte vor Brutus. »Konsul Cäsar hat gesagt, er wolle nicht gestört werden, und diese beiden hier haben meine Warnung nicht beachtet.« »Gut gemacht«, erwiderte Brutus. Er beugte sich vor und half einem der Gallier auf die Füße. »Was gibt es denn so Wichtiges?«, fragte er. Der Mann funkelte den Wachsoldaten böse an, bevor er antwortete, doch Brutus verstand keine Silbe des Wortschwalls, der sich über ihn ergoss. Mit gerunzelter Stirn wechselte Brutus einen Blick mit der Wache. »Ich glaube, er hat deine Warnung überhaupt nicht verstanden. Adàn? Kommst du bitte her und übersetzt für mich?« Als Adàn vor ihm stand, redete der Mann sogar noch schneller. Inzwischen hatte sich auch sein Gefährte erhoben und rieb sich verdrossen den Bauch. »Wollt ihr die ganze Nacht dort draußen stehen bleiben?«, rief Julius von drinnen. »Ich glaube, das hier wird dich interessieren, Herr«, antwortete Adàn. »Das erklärt zumindest, warum wir sie nicht in einen Kampf verwickeln konnten«, sagte Julius. »Wenn dieser Ariovist dumm genug ist, auf seine Priester zu hören, können wir dabei nur gewinnen. Ich würde sagen, bis zum Neumond dauert es noch drei Tage. Wenn er bis dahin nicht gegen uns kämpfen will, können wir ihn bis zum Rhein zurückdrängen und ihn dort festnageln.« Julius’ besorgte und verärgerte Stimmung war angesichts der Neuigkeiten, die die gallischen Sklaven ihm mitgeteilt hatten, sofort verflogen. Seine Reiter hatten gejubelt, als sie noch mehr Angehörige ihres eigenen Volkes unter den anderen Gefangenen ausfindig machten, und die entscheidende Information erklärte einiges hinsichtlich des Verhaltens des suebischen Königs. Julius lauschte, als Adàn den Wortschwall übersetzte, der aus dem Mann hervorsprudelte. Ariovist war gesagt worden, er würde sterben, wenn er vor dem Neumond kämpfe. Das bedeutete, dass das wutschäumende Treffen in gewisser Hinsicht eine Finte gewesen war, die Julius aufgedeckt hatte, als er die Zehnte in Schlachtformation hatte aufstellen lassen. Er erinnerte sich an das Aufblitzen von Furcht in den Augen des Königs. Jetzt endlich verstand er. Es war eine Schwäche des Anführers, seinen Priestern so viel Einfluss auf seine Armee zu gewähren, da war sich Julius sicher. Die Griechen hatten sich von ihrer Abhängigkeit von Orakeln behindern lassen, und jeder römische Feldherr, der sich von den Eingeweiden von Vögeln oder Fischen hatte weismachen lassen, dass ihn das Verderben erwartet, hatte wertvolle Zeit oder gar seinen Platzvorteil verloren. Julius weigerte sich, solche Männer aufs Schlachtfeld mitzunehmen, denn er war überzeugt davon, dass sie mehr schadeten als nützten. Julius hatte seine grobe Landkarte von dem Gebiet, in dem sie sich befanden, mit Gewichten beschwert auf dem Tisch ausgebreitet. Er zeigte auf den schwarzen Strich, der den sich nach Norden schlängelnden Rhein markierte. Der Fluss war weniger als fünfzehn Meilen entfernt. Selbst mit den schweren Karren der Gepäckkolonne ließ sich diese Entfernung bis zum Neumond mit Leichtigkeit zurücklegen, und er dankte den Göttern dafür, dass sie ihm die Haeduer-Sklaven in die Hände gespielt hatten. »Wir brechen unser Lager eine Stunde vor Tagesanbruch ab, meine Herren«, teilte Julius seinen Heerführern mit. »Ich will, dass die Ballistae, Onager und Skorpione mitkommen, so weit es das Gelände zulässt. Wenn sie zurückfallen, sollen sie eben für die Entscheidungsschlacht nachgebracht werden. Octavian befehligt die Extraordinarii, Marcus Antonius übernimmt meine rechte Flanke, Bericus die linke, und sämtliche Skorpione werden bei jedem Halt nach vorne gebracht. Die Zehnte und die Dritte Gallica bilden die Mitte. Die Männer sollen morgen ein gutes Frühstück bekommen und ihre Wasserschläuche aus den Fässern füllen. Lasst sie alle wissen, was wir heute Abend hier erfahren haben. Das macht ihnen Mut. Sorgt dafür, dass die Speere und die sonstigen Waffen eines jeden Mannes in einwandfreiem Zustand sind.« Er machte eine Pause, als Marcus Antonius seinen Becher füllte und vor Freude über die Aufgabe, die ihm übertragen worden war, errötete. Marcus Antonius hatte von Ariovists Überheblichkeit bei dem Zusammentreffen gehört und inzwischen akzeptiert, dass die Freundschaft mit Rom ihr Ende gefunden hatte. Zweifellos würden Cäsars Feinde im Senat viel Aufhebens darum machen, aber das war ein Problem für später. Crassus seufzte unter der Massage von Servilias Sklavenmädchen, das sich seinen Nacken und seine Schultern vorgenommen hatte. Die gefrorenen Früchte, die er gegessen hatte, lagen ihm kalt im Magen, und nachdem er sich auf dem Tisch völlig entspannt hatte, erwartete ihn die Annehmlichkeit des warmen Beckens, das bereits unter dem freien Nachthimmel dampfte. Ihm gegenüber lag Servilia auf einem gepolsterten Sofa und blickte zu den Sternen hinauf. Obwohl kein Mond das Firmament erleuchtete, war der Himmel klar, und sie konnte die winzige rote Scheibe des Mars über dem Ziegeldach erkennen, das den offenen Innenhof umgab. Das Becken mit dem warmen Wasser schimmerte im Licht der Lampen, dicke Motten umflatterten die Flammen und verbrannten knisternd. »Dieses Haus ist jede einzelne Münze wert«, murmelte Crassus und verzog ein wenig das Gesicht, als das Sklavenmädchen eine schmerzende Stelle zwischen seinen Schulterblättern bearbeitete. »Ich wusste, dass es dir gefallen würde«, erwiderte Servilia und lächelte mit echter Freude. »So wenige, die mein Haus aufsuchen, haben ein Auge für die schönen Dinge, aber was wären wir wohl ohne sie?« Ihr Blick fiel auf den frisch bemalten Verputz des neuen Flügels ihres Stadthauses. Crassus hatte sich das Land gesichert, und sie hatte ohne Groll den vollen Marktpreis dafür bezahlt. Alles andere hätte eine Veränderung in ihrer Beziehung bedeutet, und sie mochte und respektierte den alten Mann, der sich dort so behaglich den kräftigen Fingern des nubischen Mädchens hingab. »Möchtest du mir denn keine Informationen entlocken?«, fragte er, ohne die Augen zu öffnen. »Bin ich dir nicht mehr nützlich?« Servilia lachte leise und setzte sich auf. »Wenn du schweigen willst, dann schweige, mein Guter. Mein Haus gehört dir, solange dir der Sinn danach steht. Es bestehen keinerlei Verpflichtungen.« »Aha, so schlimm steht es also«, erwiderte er und lächelte in sich hinein. »Was möchtest du denn gern wissen?« »Diese neuen Männer im Senat, Clodius und nun auch Titus Milo, der Eigentümer des Fleischmarktes. Sind sie gefährlich?«, fragte sie. Obwohl sie leise gesprochen hatte, wusste Crassus, dass sie sich völlig auf seine Antwort konzentrierte. »Sehr sogar«, gab er zurück. »Ich würde den Senat nicht betreten, wenn sie sich dort aufhalten.« Servilia schnaubte verächtlich. »Du kannst mich mit deiner plötzlichen Begeisterung für den Handel nicht an der Nase herumführen, alter Mann. Ich bezweifle, dass im Senat auch nur ein Wort gesprochen wird, das nicht seinen Weg zu dir findet.« Sie lächelte ihn zuckersüß an, und er öffnete die Augen und zwinkerte ihr zu, bevor er sich unter den Händen der Sklavin zur Seite drehte, damit sie sich einer anderen Stelle widmen konnte. Servilia schüttelte den Kopf über seine Spielchen. »Wie geht es mit deiner neuen Legion voran?«, fragte sie. »Recht gut, meine Liebe. Wenn mein Sohn Publius aus Gallien zurückkehrt, finde ich bestimmt eine Aufgabe für sie. Falls ich die gegenwärtigen Unruhen überlebe.« »Ist es so schlimm?«, fragte sie. Crassus stützte sich auf die Ellbogen, und seine Miene wurde ernst. »Allerdings. Diese neuen Männer beeinflussen den Pöbel von Rom und rekrutieren jeden Tag mehr Leute für ihre Banden. Die Straßen sind nicht mehr sicher, nicht einmal für die Mitglieder des Senats, Servilia. Wir müssen froh und dankbar sein, dass Milo so viel von Clodius’ Zeit in Anspruch nimmt. Falls es so weit kommt, dass einer der beiden den anderen vernichtet, stellt der Sieger garantiert die ganze Stadt auf den Kopf. Momentan halten sie einander noch im Gleichgewicht. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie Teile der Stadt als ihr Eigentum betrachten, so dass die Anhänger des Clodius bestimmte Straßengrenzen nicht überqueren können, ohne verprügelt zu werden, sogar am helllichten Tag. Die meisten Menschen in Rom nehmen diesen Kampf nicht wahr, aber er wird trotzdem ausgefochten. Ich habe die Leichen im Tiber schwimmen sehen.« »Und Pompeius? Ist er sich der Bedrohung denn nicht bewusst?« Crassus zuckte die Achseln. »Was kann er gegen ihren Kodex des Schweigens schon ausrichten? Die Raptores fürchten ihre Herren mehr als alles, was Pompeius ihnen antun kann. Er vergreift sich zumindest nicht an ihren Familien, wenn sie tot sind. Sobald eine Verhandlung anberaumt wird, verschwinden die Zeugen oder können sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Es ist eine Schande, so etwas mit anzusehen, Servilia. Es ist, als hätte eine schwere Krankheit die Stadt befallen, und ich sehe keine Möglichkeit, wie man sie herausschneiden könnte.« Er seufzte vor Abscheu. »Der Senat ist der Kern des Ganzen, und ich habe die Wahrheit gesprochen, als ich sagte, ich sei froh, dass mich meine Geschäfte von ihm fernhalten. Clodius und Milo treffen sich öffentlich, um sich einander zu beschnüffeln und zu reizen, bevor ihre Kettenhunde des Nachts die Stadt terrorisieren. Der Senat hat nicht den Willen, sie zu kontrollieren. Alle kleinen Männer haben sich auf die Seite des einen oder anderen geschlagen, und Pompeius hat weniger Unterstützung, als er glaubt. Er kann weder mit ihren Bestechungsgeldern noch mit ihren Einschüchterungen mithalten. Manchmal wünsche ich mir, Julius würde zurückkommen. Er würde nicht zulassen, dass Rom im Chaos versinkt, nicht solange er noch Leben in sich hat.« Servilia schaute zum hellen Abendstern hinauf und versuchte, ihr Interesse zu verbergen. Als ihr Blick zu Crassus wanderte, sah sie, dass er die Augen geöffnet hatte und sie aufmerksam betrachtete. Es gab nur wenig, was der alte Mann nicht wusste oder nicht erriet. »Hast du von Julius gehört?«, fragte sie schließlich. »Allerdings. Er bietet mir Handelskonzessionen mit den neuen Gebieten in Gallien an, obwohl ich vermute, dass er das Bild ein wenig heller malt, als es der Wahrheit entspricht, um mich zu ködern. Aber wenn nur die Hälfte von dem, was er sagt, wahr ist, wäre ich ein Narr, die Gelegenheit zu versäumen.« »Ich habe die Mitteilungen in der Stadt gesehen«, sagte Servilia leise und dachte dabei an Julius. »Wie viele werden darauf reagieren?« »Nachdem ihnen Clodius und Milo mit ihrem Machtkampf das Leben hier zur Hölle machen, könnte ich mir gut vorstellen, dass im Frühjahr Tausende die Alpen überqueren. Kostenloses Land für alle – wer könnte einem solchen Angebot widerstehen? Sklaven und Handelsmöglichkeiten für jeden Mann, der gewillt ist, die Reise zu wagen. Wenn ich jünger wäre, und arm, würde ich es mir ernsthaft überlegen. Selbstverständlich halte ich für jeden, der in diese fabelhaften neuen Provinzen gehen will, Vorräte und Ausrüstung bereit.« Servilia lachte. »Ein Kaufmann durch und durch.« »Ein Fürst der Kaufleute, Servilia. Julius hat diesen Ausdruck in einem seiner Briefe benutzt, und ich muss sagen, er gefällt mir recht gut.« Er schickte das Sklavenmädchen mit einer Geste fort und setzte sich auf der langen Bank auf. »Er ist nützlicher, als er selbst weiß, unser Julius. Wenn die Stadt sich zu lange mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, bringt sie Männer wie Clodius und Milo hervor, die nichts sind im Angesicht der großen Geschehnisse auf dieser Welt. Die Berichte, die Julius gegen Bezahlung an jeder Straßenecke verlesen lässt, heben die Stimmung eines jeden Färbers und Gerbers auf den Märkten.« Er lachte auf. »Pompeius weiß das, auch wenn es ihm überhaupt nicht passt, dass Julius so erfolgreich ist. Immer dann, wenn Suetonius einem noch so kleinen Gesetzesbruch widerspricht, ist er gezwungen, im Senat für Julius einzutreten. Das ist für diesen Mann nur schwer zu schlucken, aber ohne Julius und seine Eroberungen würde Rom sich in ein stehendes Gewässer verwandeln, in dem sich die Fische vor Verzweiflung gegenseitig auffressen.« »Und du, Crassus? Was hält die Zukunft für dich bereit?« Crassus erhob sich, ging zum Bad und stieg, ohne sich um seine Nacktheit zu scheren, in das in den Fußboden eingelassene Becken. »Ich stelle fest, dass das Alter das perfekte Heilmittel gegen übermäßigen Ehrgeiz ist, Servilia. Meine Träume gelten allein meinem Sohn.« Seine Augen glitzerten im Sternenlicht, und sie glaubte ihm nicht. »Gesellst du dich zu mir?«, fragte er. Anstelle einer Antwort stand Servilia auf und löste die einzige Spange, die das kühle Material ihres Gewandes zusammenhielt. Darunter war sie nackt, und Crassus musste angesichts dieser Enthüllung lächeln. »Du und deine Vorliebe für das Theatralische, meine Liebe«, sagte er amüsiert. Julius fluchte, als er die römischen Karrees wanken sah. Nachdem sie den Feind zwei Tage lang verfolgt hatten, hatte er die Sueben gezwungen, sich ihnen nur wenige Meilen vom Rhein entfernt zu stellen. Er wusste, dass er mit dem Angriff hätte rechnen müssen, doch als er kam, schwenkte der Feind so schnell um, dass die Armeen aufeinander prallten, bevor die römischen Legionäre ihre Speere auch nur aus den Halterungen lösen konnten. Die Krieger des Ariovist waren so brutal, wie die Römer es erwartet hatten. Sie wichen keinen Schritt zurück, es sei denn über die Leichen ihrer eigenen Männer, und ihre Reiterei wirbelte wie Rauch um das Schlachtfeld herum und setzte sofort zum Angriff an, wenn die Römer ihre Blockformationen auflösten, um ihrerseits loszuschlagen. »Marcus Antonius! Verstärke die Linke!«, brüllte Julius, als er den Heerführer im Gewimmel erblickte. Er wusste nicht, ob dieser seinen Befehl durch das Waffengeklirr hindurch vernommen hatte. Das Schlachtfeld war ein einziges Durcheinander. Zum ersten Mal begann er, eine Niederlage zu befürchten. Jeder Reiter der Sueben kam mit einem zweiten Mann, der an der Mähne des Pferdes hing, herangaloppiert, und diese rasend schnellen Bewegungen machten es beinahe unmöglich, sie zu stellen. Voller Entsetzen sah Julius, dass auf der linken Flanke zwei der Legionen aus Ariminum kurz davor standen, überwältigt zu werden, und weit und breit war keine Verstärkung zu sehen, die ihnen helfen könnte. Jetzt konnte er auch Marcus Antonius nicht mehr sehen, und Brutus war zu weit weg, mitten im Kampfgetümmel. Julius riss einem Legionär den Schild vom Arm und rannte zu Fuß quer über das Schlachtfeld. Das Klirren der Waffen und die Schreie der sterbenden Männer wurden immer lauter, je näher er kam. Julius spürte förmlich, wie die Angst unter seinen Legionären um sich griff, und fing an, sie einzeln beim Namen anzurufen. Die Befehlskette schien bei dem plötzlichen Angriff unterbrochen worden zu sein, und Julius war gezwungen, Optios und Zenturios um sich zu scharen, um ihnen seine Befehle zu geben. »Die Zwölfte und die Fünfte zusammenschließen! Doppelte Karrees!«, wies er sie an und sah zu, wie sie sich daran machten, wieder Ordnung in die sich auflösenden Reihen zu bringen. Seine Extraordinarii hielten die Sueben an den Flanken davon ab, sie zu umfassen. Wo blieb Marcus Antonius? Julius reckte den Hals, konnte ihn im Gedränge aber nirgendwo sehen. Unter Julius’ pausenlosen Befehlen schlossen sich die beiden Legionen zusammen, und als die Sueben die Seiten ihrer Rechtecke attackierten, indem sie einzelne Männer mit Steinwürfen oder Pfeiltreffern herausholten, vollführten sie sogar eine Kehrtwendung, um Rücken an Rücken zu kämpfen. Wieder und wieder galoppierten die Reiter gegen die Legionen an, um kurz vor den geschlossenen Schilderwällen zurückzuscheuen. Die Legionäre preschten vor, sobald die Reiter umdrehten, das Gemetzel war grauenhaft. Mit dem Rhein im Rücken konnten die Sueben nirgendwohin fliehen, und Julius fühlte Panik in sich aufsteigen, als er beobachtete, wie die ersten Reihen seiner geliebten Zehnten von aus vollem Galopp geschleuderten Speeren niedergestreckt wurden. Die Schilde retteten viele von ihnen; sie erhoben sich benommen und wurden von den Kameraden um sie herum wieder an ihren Platz geschoben. Trotzdem erzwangen die Legionen sich ihren Weg nach vorne. Die großen Wurfmaschinen und Steinschleudern wurden herbeigebracht und rissen rote Breschen in den Feind. Die Zehnte brüllte jubelnd auf, als Julius wieder zu den Männern stieß, und alle kämpften unter seinem wachsamen Auge noch heftiger. Julius sah, dass die linke und rechte Flanke standhielt. Brutus kontrollierte die rechte, und die Extraordinarii und die Haeduer hatten die Angriffe der Sueben mit dem Mut der Entschlossenheit gedämpft. Er zog die Mitte weiter nach vorne, woraufhin die Sueben durch die schiere Wucht der Legionsformationen gezwungen wurden, sich weiter zurückfallen zu lassen. Voller Stolz sah Julius, dass seine Offiziere ihr Geschäft auch ohne seine direkten Befehle verstanden. Wenn die Fußsoldaten der Sueben auf sie zugerannt kamen, zogen sie ihre Linien in die Breite, um so viele Schwerter wie möglich ins Geschehen einzubringen. Sobald die Kavallerie angriff, schoben sie sich zu Karrees zusammen und kämpften weiter. Die Wurfmaschinen feuerten ein ums andere Mal, bis sie zu weit zurückfielen und Gefahr liefen, ihre Geschosse in die eigenen Truppen zu schleudern. Julius sah, dass Ariovist seine Leibwache um sich scharte, 1000 der Allerbesten seiner Sueben. Jeder von ihnen überragte die Römer um Haupteslänge und trug jene seltsamen Wülste zur Schau, die die Legionäre so erschreckt hatten. Sie griffen nun die Zehnte im Zentrum an, und Julius sah, dass sich das Karree zu spät formierte, um die gepanzerten Reiter davon abzuhalten, zu ihnen durchzubrechen. Die Mitte wankte, doch dann schlug die Zehnte mit einem wilden Aufbrüllen zurück, wie ein Haufen Wahnsinniger im Blutrausch. Julius musste daran denken, wie sie aus dem Blut derjenigen geschaffen worden war, die versagt hatten. Ein hässliches Lächeln flog über sein Gesicht. Die Zehnte war seine Legion, und sie würde nicht nachgeben. Sie würde niemals die Flucht ergreifen. Er stürmte mit den Soldaten rings um sich voran und rief den Zenturios an den Flanken zu, sie sollten die Hörner bilden, mit denen der Feind in die Zange genommen werden konnte. Aus dem Augenwinkel sah er die dunklen Pferde der Haeduer von links herankommen und einen Block der Sueben von der Hauptstreitmacht abtrennen. Die Zehnte musste über Leichen steigen, um an den Feind heranzukommen. Der Boden war rot und glitschig, und sie legten noch mehr Wucht und Geschwindigkeit in ihren Angriff, so dass Ariovist gezwungen war, von der Front nach hinten zu reiten, bevor die laut brüllende Zehnte und Dritte ihn erreicht hatten. Die gesamte römische Truppe sah den König zurückweichen und reagierte darauf mit erhobenen Köpfen. Julius frohlockte. Der Rhein war nur noch weniger als eine Meile entfernt, er konnte das glitzernde Wasser bereits sehen. Er rief seine Cornicen zu sich und gab Befehl, die Speere zu werfen. Er sah, wie die Wurfgeschosse jeden Versuch Ariovists, sich neu zu formieren, zunichte machten. Eine Lücke öffnete sich zwischen den Armeen, und Julius drängte seine Männer vorwärts, rief die Männer, die er kannte, beim Namen. Sobald er sie persönlich ansprach, standen sie ein bisschen aufrechter, ihre Müdigkeit war unter seinem Blick wie weggeblasen. »Bringt die Ballistae und Skorpione in Stellung!«, befahl er, und seine Boten eilten nach hinten, um den schwitzenden Mannschaften mit den Maschinen auf dem holprigen Boden zu helfen. Ohne erkennbares Signal ging die Masse der Sueben zum nächsten Angriff über und kam auf die römischen Linien zugedonnert. Speere pflückten einige von ihnen aus dem Sattel und töteten Pferde, die die Nachrückenden behinderten. Julius wusste, dass dies ihr letzter Angriff war, und seine Männer bildeten dichte Karrees, noch ehe er den Befehl dazu geben konnte. Die langen römischen Schilde überlappten einander, und die Männer dahinter machten sich mit gezückten Schwertern bereit, der Wucht des Aufpralls standzuhalten. Nirgendwo wich die römische Linie bei dem beängstigenden Anblick der heranpreschenden Pferde auch nur einen Schritt zurück. Sobald der Angriff in sich zusammenfiel, rissen die Legionen den Feind in Stücke. Die Armee des Ariovist wurde zum Fluss getrieben. Ohne die Extraordinarii und Haeduer hätten sie die Römer überwältigen können, das wusste Julius sehr wohl, doch obwohl sie immer wieder auf die Flanken einschlugen, rückten die Legionen unbeirrt vor und töteten alles, was sich ihnen entgegenstellte. Das Ufer des Rheins brodelte vor Menschen und Pferden, die unter Lebensgefahr versuchten, trotz der beträchtlichen Strömung auf die andere Seite zu gelangen. Der große Fluss war hier beinahe 100 Ellen breit, und diejenigen, die keine Pferde hatten, an denen sie sich festhalten konnten, wurden weggerissen und ertranken. Julius sah kleine Fischerboote, voll besetzt mit verzweifelten Männern, und er sah zu, wie eines von ihnen umschlug und die dunklen Köpfe der Sueben einer nach dem anderen im Wasser verschwanden. Auf der linken Flanke legten ungefähr 1000 Feinde ihre Waffen nieder und ergaben sich den Legionen aus Ariminum, die sie nicht hatten zerschlagen können. Julius drängte mit der Zehnten weiter, bis sie am Flussufer standen und auf die Menge der Ertrinkenden blickten, die den Flusslauf von dieser Seite bis zur Mitte, wo das Wasser am tiefsten war, verstopften. Diejenigen Legionäre der Zehnten, die noch Speere zur Hand hatten, schleuderten sie auf die Männer im Wasser, und Julius sah, dass viele auf diese Weise getroffen wurden und mit einem Aufschrei im Wasser versanken. Am gegenüberliegenden Ufer erreichte ein Boot den flachen Strand, und Julius sah zu, wie Ariovist herausstieg und einen Augenblick lang auf die Knie sank. »Ciro! «, rief Julius. Seine Stimme trug den Namen weit nach hinten in die Reihen der Zehnten, woraufhin der kraftvolle Legionär erschien, der noch immer von der Anstrengung des Kampfes keuchte. Julius reichte ihm einen Speer und zeigte auf die Gestalt am anderen Ufer. »Schaffst du es so weit?« Ciro wiegte den Speer in der Hand. Die Soldaten um ihn herum wichen zurück und machten ihm Platz, während er über den Fluss blickte. »Rasch, bevor er wieder aufsteht«, knurrte Julius. Ciro ging fünf Schritt zurück und schleuderte den Speer dann nach dem kleinen Anlauf hoch in die Luft. Die Männer der Zehnten sahen fasziniert zu, wie er zur Sonne emporstieg und sich dann senkte. Ariovist erhob sich und drehte sich um, blickte zu den Römern auf die andere Seite herüber und sah den Speer nicht kommen. Er riss ihn von den Beinen, durchbohrte seine lederne Rüstung dicht über dem Bauch. Der König fuchtelte hilflos mit den Armen, als ihn einige Überlebende seiner Leibwache zwischen die Bäume zogen. Nach einem Augenblick ehrfürchtigen Schweigens jubelten die Legionäre, bis sie heiser waren. Ciro hob den Arm zum Gruß und grinste, als Julius ihm auf den Rücken schlug. »Der Wurf eines Helden, Ciro. Bei den Göttern, einen besseren habe ich noch nie gesehen. Herkules selbst hätte es nicht besser vermocht.« Dann brüllte Julius mit den anderen seinen Triumph hinaus und spürte die Ekstase, die der Sieg mit sich bringt, wenn das Blut wie Feuer durch die Adern zu rauschen scheint und die müden Muskeln sich vor frischer Kraft spannen. »Meine ruhmreiche Zehnte!«, rief Julius ihnen zu. »Meine Brüder! Gibt es etwas, das ihr nicht erreichen könnt? Du, Belinus, ich habe gesehen, wie du drei Krieger an vorderster Front niedergestreckt hast. Und du, Regulus, du hast deine Zenturie gehalten, als der arme Dedicas fiel. Du wirst ihm Ehre erweisen, wenn du seinen Federbusch trägst.« Einen nach dem anderen rief er die Männer, die in seiner Nähe standen, mit Namen an und pries ihren Mut. Nichts war ihm vom Kampfgetümmel des Tages entgangen, und sie alle reckten sich, als sein Blick über ihre Gesichter wanderte. Die anderen Legionen kamen näher heran, um ihn zu hören. Sie spürten seinen Stolz und seine Freude. Er erhob die Stimme, damit sie so weit wie möglich trug. »Was können wir nach diesem Tag nicht erreichen?« Sie bejubelten seine Worte. »Wir sind die Söhne Roms, und ich sage euch: Dieses Land wird uns gehören! Jeder Mann, der für mich gekämpft hat, bekommt Land und Gold und Sklaven, damit er es bestellen kann. Ihr werdet die neue Nobilitas Roms sein und Wein trinken, der so gut ist, dass euch die Tränen in die Augen steigen. Das schwöre ich euch allen, bei meiner Ehre. Ich schwöre es als Konsul. Und ich schwöre es als Römer in Gallien.« Julius griff in den aufgewühlten Matsch des Flussufers, der vom Blut der Sueben getränkt war. Er hob eine Handvoll davon auf und hielt sie vor den versammelten Männern in die Höhe. »Seht ihr diesen Lehm? Diesen blutigen Lehm, den ich in der Hand halte? Ich sage euch: Er gehört euch. Er gehört ebenso zu meiner Stadt wie die Wagenrennen oder die Märkte. Hebt ihn auf, spürt ihn in euren Händen! Könnt ihr es nicht fühlen?« Mit ungestümer Genugtuung sah er zu, wie die Legionäre seine Handlung scherzend und lachend nachahmten. Sie grinsten ihn an, reckten ihr Stück Land in die Luft, und Julius presste die Faust zusammen, so dass der Lehm zwischen seinen Fingern hindurch- tropfte. »Vielleicht kehre ich nie wieder nach Hause zurück«, flüsterte er. »Das hier ist meine Zeit. Dies ist mein Weg.« 30 Tabbic und Alexandria schlugen ihre Mäntel gegen die Kälte eng um sich, als sie sich der verriegelten Tür des Ladens näherten. Die Straßen waren von schmutzigem Eis überzogen, das jeden Schritt zu einem Wagnis machte. Alexandria hielt sich an Tabbics Arm fest, um sowohl sich als auch ihn zu stützen. Ihre beiden Wachen überprüften nach gewohnter Manier die nähere Umgebung, während Tabbic den Schlüssel ins Schloss steckte und leise fluchte, als es klemmte. Rings umher waren die Arbeiter Roms unterwegs zu ihren Geschäften und Arbeitsstätten, und der eine oder andere nickte Alexandria im Vorübergehen steif zu. In diesem beißenden Wind fühlte sich niemand wohl. »Das Schloss ist eingefroren«, sagte Tabbic, zog den Schlüssel wieder heraus und schlug mit der Faust auf die verzierte Türplatte. Alexandria rieb sich die Arme und wartete. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, ihm bei derlei Dingen einen Rat zu geben. Tabbic mochte ein reizbarer alter Mann sein, aber er hatte dieses Schloss selbst angefertigt, und wenn es überhaupt jemand aufbekam, dann er. Während sie versuchte, nicht auf den Wind zu achten, kramte Tabbic in seinem Juwelierwerkzeug herum und zog einen kleinen Dorn heraus, mit dem er das Eis wegkratzte. Als er damit keinen Erfolg hatte, versuchte er es mit einigen Tropfen Öl und drückte eine Hand nach der anderen gegen das Metall, um den Mechanismus zu erwärmen, wobei er abwechselnd die durch die Berührung eiskalt gewordenen Finger anhauchte. »Na bitte!«, sagte er, als das Schloss endlich einrastete, die Tür aufschwang und den Blick auf die dunklen Nischen der Werkstatt freigab. Alexandrias Zähne klapperten, und ihre Hände zitterten. Es würde eine Weile dauern, bis ihr warm genug war, um sich an diffizileren Arbeiten zu versuchen, und wie so oft wünschte sie, Tabbic würde einen Sklaven einstellen, der in der Frühe herkam und das Schmiedefeuer für sie anzündete. Aber davon wollte er nichts hören. Er hatte nie Sklaven besessen und hatte sich verstimmt über Alexandrias Anliegen geäußert. Gerade sie müsse es doch besser wissen, hatte er erwidert. Als wäre das noch nicht genug, könnte der Sklave obendrein noch zu einer der Banden gehören, womit ihre sämtlichen wertvollen Vorräte schon bald in den Truhen des Clodius oder des Milo verschwinden würden. Derselbe Grund hielt sie davon ab, einen Nachtwächter einzustellen, und Alexandria war jeden Morgen dankbar, wenn sie den Laden unangetastet vorfanden. Dank der Fallen und Schlösser von Tabbic hatten sie bislang Glück gehabt. Zumindest würde es nicht mehr lange dauern, bis sie den Kauf einer geräumigen neuen Werkstatt abgeschlossen hatten, in einer Gegend, die von den Raptores nicht so sehr heimgesucht wurde. Tabbic hatte diesem Vorschlag letztendlich zugestimmt, wenn auch nur, um die großen Aufträge erfüllen zu können, die das Rückgrat ihres Geschäfts bildeten. Tabbic eilte sogleich zur Esse, um das Feuer anzufachen, Alexandria drückte die Tür gegen den eisigen Wind zu und spreizte mit fast wollüstigem Behagen die steifen Finger. »Wir gehen dann wieder, Herrin«, sagte Teddus. Wie immer nach dem morgendlichen Gang konnte ihn sein Bein kaum tragen, und Alexandria schüttelte den Kopf. Teddus verhielt sich jeden Morgen gleich, und obwohl Alexandria ihn noch nie sofort wieder hinaus in die Kälte geschickt hatte, gab er ihr jedes Mal wieder die Möglichkeit. »Nicht bevor du etwas Warmes zu dir genommen hast«, sagte sie streng. Er war ein guter Mann, aber sein Sohn hätte ebenso gut stumm sein können, nach dem Interesse zu schließen, das er denjenigen gegenüberbrachte, die er mit seinem Vater bewachte. Morgens war er besonders mürrisch. Sie vernahmen alle das erfreuliche Knacken und Knistern der Späne und Holzstückchen, mit deren Hilfe Tabbic die Flammen im Ofen zum Leben erweckte. Der große eiserne Klotz reichte aus, um den ganzen Laden zu wärmen. Alexandria durchstieß die Eisschicht auf einem Eimer, den sie am Tag zuvor gefüllt hatte, und goss das Wasser in den alten Eisenkessel, den Tabbic in ebendiesem Schmiedeofen hergestellt hatte. Die alltäglichen Handgriffe wirkten tröstlich, und die drei Männer entspannten sich allmählich, als die Temperatur im Raum über den Gefrierpunkt stieg. Alexandria fuhr erschrocken zusammen, als sie die Tür hinter sich aufgehen hörte. »Komm später wieder«, rief sie, verstummte dann aber, als drei entschlossen dreinblickende Männer den engen Raum betraten und sorgfältig die Tür hinter sich schlossen. »Ich hoffe, das wird nicht nötig sein«, sagte der erste. Er war ein typisches Produkt der finsteren Seitengässchen Roms. Zu verschlagen, um sich für die Legion zu interessieren, zu verdorben für jede rechtschaffene Arbeit. Alexandria merkte, dass sie ihn riechen konnte; ein ungewaschener, abgestandener Gestank, der sie am liebsten einen Schritt hätte zurückweichen lassen. Der Mann grinste sie an und entblößte eine Reihe dunkelgelber Zähne in verschrumpeltem Zahnfleisch. Er brauchte nicht eigens ausführen, dass er einer der Raptores war, die sich unter Clodius und Milo zusammenrotteten. Die Ladenbesitzer im Viertel wussten schreckliche Geschichten über ihre Einschüchterungen und ihre Brutalität zu erzählen, und Alexandria hoffte, dass Teddus sie nicht provozieren würde. Die Bedrohung, die von diesen hämisch grinsenden Männern ausging, ließ sie begreifen, dass ihr Wächter ganz einfach zu alt für diese Aufgabe war. »Wir haben geschlossen«, sagte Tabbic hinter ihr. Alexandria hörte das leise Klirren, als er ein Werkzeug ergriff. Sie drehte sich nicht um, aber die Augen der Eindringlinge richteten sich sofort auf ihn. Der Anführer schnaubte verächtlich. »Nicht für uns, alter Mann. Es sei denn, du willst für immer schließen«, sagte er. Alexandria hasste ihn für seine durchtriebene Arroganz. Er schuf und baute nichts, schien jedoch zu glauben, er habe das Recht, die Läden und Wohnungen schwer arbeitender Menschen zu betreten und ihnen Angst einzujagen. »Was willst du?«, fragte Tabbic. Der Anführer der drei kratzte sich am Hals und betrachtete das, was er dort gefunden hatte, bevor er etwas Dunkles zwischen den Fingernägeln zerknackte. »Ich will deinen Zehnten, alter Mann. Diese Straße hier ist nicht sicher, wenn du deinen Zehnten nicht bezahlst. Achtzig Sesterze im Monat, dann passiert nichts. Niemand wird auf dem Heimweg verprügelt. Nichts Wertvolles brennt nieder.« Er machte eine kleine Pause und zwinkerte Alexandria zu. »Niemand wird in eine Gasse gezogen und geschändet. Dafür sorgen wir.« »Du elendes Stück Dreck!«, rief Tabbic. »Wie kannst du es wagen, meinen Laden zu betreten und mir zu drohen? Hinaus mit dir, sonst rufe ich die Wache! Und nimm deine grinsenden Freunde mit!« Die drei Männer schienen von seinem Wutausbruch gelangweilt zu sein. »Hab dich nicht so, alter Mann«, sagte der erste und rollte seine massigen Schultern. »Und leg den Hammer weg, sonst wirst du sehen, was du kriegst. Oder vielleicht den Jungen hier? Ich nehme ihn mir direkt vor deinen Augen vor, wenn du willst. Jedenfalls gehe ich nicht ohne die erste Monatszahlung. Clodius kann es nicht leiden, wenn jemand Scherereien macht, und diese Straße gehört jetzt ihm. Bezahl lieber deine Schulden, dann hast du deine Ruhe.« Er lachte leise, und bei dem Geräusch überlief es Alexandria eiskalt. »Du darfst es einfach nicht als dein Geld betrachten. Es ist nur eine zusätzliche städtische Steuer.« »Ich bezahle meine Steuern!«, brüllte Tabbic ihn an und fuchtelte mit einem schweren Hammer in die Richtung des Mannes, der kurz zusammenzuckte. Die beiden anderen hinter ihm rückten näher. Alexandria sah Messer in ihren Gürteln. Teddus zog mit einer einzigen raschen Bewegung seinen kurzen Gladius, und innerhalb einer Sekunde schlug die Atmosphäre im Laden um. Alle drei Eindringlinge zückten ihre Messer, doch Teddus hielt das Schwert mit einer Hand, die stärker war als sein lahmes Bein. Alexandria sah die Verwirrung auf dem Gesicht des Anführers. Keiner von ihnen drehte sich um, als Teddus’ Sohn ebenfalls seinen Dolch zog. Der junge Mann war keine so große Bedrohung wie sein Vater, das wusste der Anführer der Raptores ganz genau. Was noch wichtiger war, er wusste, dass er den Kämpfer entweder umbringen oder verschwinden musste. »Letzte Warnung, du Hurensohn. Raus!«, sagte Teddus langsam und blickte dem Anführer in die Augen. Der Bursche ruckte mit dem Kopf vor und zurück wie ein Kampfhahn. Teddus machte einen Schritt, aber der Mann platzte heraus, und sein raues Lachen erfüllte den Laden. »Bist du nicht ein bisschen langsam? Ich könnte dich gleich hier fertig machen, aber warum sollte ich mir die Mühe machen, wo es doch so viel einfacher ist, in der Dunkelheit auf dich zu warten?« Dann wandte er sich von Teddus ab und musterte Tabbic, der immer noch mit erhobenem Hammer dastand. »Achtzig Sesterze am Ersten jeden Monats. Erste Zahlung heute Abend. Es ist bloß ein Geschäft, du alter Narr. Soll ich das Geld gleich mitnehmen, oder soll ich zurückkommen und euch mir einzeln vornehmen?« Wieder zwinkerte er Alexandria zu, und sie wich vor dem Wissen in diesem Blick zurück. »Nein. Ich gebe dir das Geld. Und wenn du draußen bist, melde ich es den Wachen und sehe zu, wie sie dich in kleine Stücke schneiden.« Tabbic griff in seinen Mantel, und das Klimpern von Münzen ließ die drei Männer grinsen. Der Anführer schnalzte ärgerlich mit der Zunge. »Nein, das wirst du nicht tun«, sagte er. »Ich habe Freunde, viele Freunde, und die würden es überhaupt nicht schätzen, wenn man mich hinaus auf den Campus führen und unter das Schlachtmesser legen würde. Deiner Frau und deinen Kindern würde es sehr Leid tun, wenn meine Freunde wegen so etwas wütend würden.« Dann schnappte er sich den Beutel mit den Münzen und zählte sie rasch durch, bevor er sie in seiner Tunika verschwinden ließ. Er lachte über ihre Gesichter und spuckte einen dunklen Schleimklumpen auf den gefliesten Boden. »Genau so geht das. Ich hoffe, deine Geschäfte laufen gut, alter Mann. Wir sehen uns nächsten Monat wieder.« Die drei rissen die Tür auf und lehnten sich gegen den Wind, der in den Laden blies. Sie ließen die Tür hinter sich offen stehen und verschwanden in den dunklen Straßen. Teddus stieß sie zu und legte den Riegel vor. Tabbic sah tatsächlich wie ein alter Mann aus, als er sich von Alexandria abwandte, weil er ihren Blick nicht ertragen konnte. Er war blass und zitterte, als er den Hammer auf die Werkbank legte und den langen Besen in die Hand nahm. Dann fing er an, mit langsamen Bewegungen den Boden zu fegen. »Was sollen wir jetzt tun?«, wollte Alexandria wissen. Tabbic blieb ihr lange eine Antwort schuldig, bis sie die Frage beinahe noch einmal laut und dringlich gestellt hätte, um das Schweigen zu brechen. »Was können wir schon tun?«, sagte er schließlich. »Ich setze das Leben meiner Familie nicht aufs Spiel.« »Wir könnten den Laden schließen, bis der neue so weit ist. Er liegt fast auf der anderen Seite der Stadt, Tabbic. In einer besseren Gegend. Dort ist es bestimmt anders.« Verzweiflung und Müdigkeit zeigten sich in Tabbics Gesicht. »Nein. Der Drecksack hat nichts davon gesagt, ob der Laden offen sein muss oder zu. Er wird sein Geld auf jeden Fall verlangen, auch wenn wir kein einziges Stück verkaufen.« »Dann machen wir eben einen Monat lang mit. Bis wir schließen und wegziehen«, sagte sie, denn sie wollte einen Funken Hoffnung in sein lähmendes Elend bringen. Tabbic hasste Diebe. Ihnen Geld auszuhändigen, für das er tagelang gearbeitet hatte, verletzte ihn tiefer als körperlicher Schmerz. Seine Hände zitterten vor Zorn, als er den Besen anders anpackte. Dann blickte er auf. »Es gibt keinen anderen Ort, Mädchen. Weißt du das denn nicht? Mich wundert nur, dass sie nicht schon früher gekommen sind. Erinnerst du dich an den kleinen Geranas?« Alexandria nickte. Der Mann war sogar noch länger Juwelier gewesen als Tabbic und hatte wunderbare Goldarbeiten angefertigt. »Als er nicht bezahlen wollte, haben sie seine rechte Hand mit dem Hammer bearbeitet. Ist das zu glauben? Mit einer zerschlagenen Hand kann er kein Geld verdienen, aber das ist ihnen egal. Sie wollten nur, dass sich die Geschichte herumspricht, damit Männer wie ich ohne Gezeter das aufgeben, wofür wir so hart gearbeitet haben.« Er blieb stehen und fasste den Besenstiel immer fester mit beiden Händen, bis er mit einem lauten Knacken zerbrach. »Hol jetzt lieber dein Werkzeug heraus, Alexandria. Wir müssen heute drei Stücke fertig machen.« Seine Stimme klang hart und tonlos, und Tabbic machte keine Anstalten, seine morgendliche Routine weiterzuführen, mit der der Laden für die ersten Kunden vorbereitet wurde. »Ich habe Freunde, Tabbic«, sagte Alexandria. »Auch wenn Julius und Brutus fort sind ... Crassus kennt mich. Ich kann versuchen, Druck auf diese Kerle auszuüben. Das ist doch gewiss besser als gar nichts.« Tabbics verbissener Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Tu das. Es kann ja nicht schaden«, sagte er. Teddus seufzte und schob sein Schwert wieder in die Scheide. »Tut mir Leid«, murmelte er. Tabbic hörte seine Worte. »Es braucht dir nicht Leid zu tun. Diesem großspurigen Drecksack hast du nicht gefallen, egal, was er gesagt hat.« »Warum hast du ihm das Geld gegeben?«, fragte Alexandria. Tabbic schnaubte verächtlich. »Weil dein Wächter ihn sonst getötet hätte, und dann wären sie zurückgekommen und hätten uns den Laden niedergebrannt. Sie dürfen keinen von uns gewinnen lassen, Mädchen, sonst zahlen alle anderen auch nicht mehr.« Er wandte sich Teddus zu und klopfte dem Mann mit seiner großen Hand auf die Schulter, ohne sich um dessen Verlegenheit zu scheren. »Das hast du gut gemacht. Aber ich würde mir anstelle deines Sohnes jemand anderen suchen, verstehst du? Für so eine Arbeit braucht man einen eiskalten Kämpfer. Und jetzt gebe ich euch etwas Warmes zu trinken und einen Bissen zu essen, bevor ihr geht, aber ich möchte, dass ihr heute Abend ein bisschen früher herkommt, verstanden?« »Ich werde hier sein«, versprach Teddus und warf einen kurzen Blick auf das rot angelaufene Gesicht seines Sohnes. Tabbic sah in an und nickte zufrieden. »Du bist ein guter Mann«, sagte er. »Ich wünschte nur, Mut wäre alles, was nötig ist.« Brutus untersuchte das zersprungene Glas der Wasseruhr. Sogar mit Pelzhandschuhen waren seine Finger taub vor Kälte. Er wollte nur noch in seine Unterkunft zurück und sich dort wie ein Bär im Winterschlaf einigeln. Trotzdem mussten die täglichen Abläufe der Legion fortgeführt werden. Obwohl die Kälte den Männern schlimmer zusetzte als alles, was sie bisher gekannt hatten, mussten die Legionswachen vom dreistündigen Tropfen des Wassers von einer Glasschüssel in die andere angezeigt werden. Brutus fluchte leise vor sich hin, als sich unter seiner Berührung ein Stück Glas löste und mit einem dumpfen Geräusch in den Schnee fiel. Er rieb sich den kurzen Bart, der sein Gesicht bedeckte. Julius hatte eingesehen, dass es Vorteile hatte, wenn man sich in den kalten Monaten nicht rasierte, doch Brutus hatte festgestellt, dass die Feuchtigkeit seines Atems innerhalb einer Stunde im Freien eine Eiskruste über die Stoppeln legte. »Die Schutzhütten reichen nicht aus. Wir müssen Feuer darunter anzünden. Gerade so viel, dass das Wasser nicht gefriert. Du hast meine Erlaubnis, für jede Uhr ein paar Holzscheite aus dem Lager zu holen. Die Wächter sollen die Feuer während ihrer Wachen in Gang halten. Könnte mir denken, dass sie dankbar für die Wärme sind. Die Schmiede sollen eine eiserne Hülle anfertigen, damit das Glas und das Holz von den Flammen geschützt werden, sonst verkocht die Hälfte des Wassers.« »Jawohl, Herr. Vielen Dank«, sagte der Tesserarius erleichtert, dass man ihm keine Vorwürfe machte. Insgeheim hielt Brutus den Mann für einen Idioten, weil er nicht selbst daran gedacht hatte, und nun hatte die Zehnte keine Möglichkeit mehr, die Dauer ihrer Wachen zu messen. Die römischen Soldaten verstanden inzwischen, weshalb die Stämme im Winter nicht in den Krieg zogen. Der erste Schnee war so dicht und schwer gefallen, dass er die Dächer der Unterkünfte eingedrückt und die gemütlichen Schlafräume in ein Chaos aus Wind und Eis verwandelt hatte. Am darauffolgenden Tag hatten sich die Schneewehen immer höher aufgetürmt, und nach einem Monat konnte sich Brutus kaum mehr daran erinnern, wie es sich anfühlte, wenn einem warm war. Obwohl sie jeden Abend direkt hinter den Wällen riesige Feuer anzündeten, reichte die Wärme nur wenige Fuß weit, bevor sie vom unablässigen Wind zerstoben wurde. Er hatte Eisschollen, so groß wie Ochsenkarren, auf dem Rhein treiben sehen, und manchmal fiel der Schnee so heftig, dass er eine wogende Kruste von einem Ufer zum anderen bildete. Brutus fragte sich, ob der Fluss vor dem Frühling wohl völlig zufrieren würde. Es hatte den Anschein, als verbrächten sie ihre Tage in Dunkelheit. Julius hatte die Männer so lange arbeiten lassen wie möglich, doch nachdem halb erfrorene Hände immer wieder wegrutschten und unnötige Verletzungen verursachten, sah er sich gezwungen, die Bauarbeiten einzustellen und sich mit dem Winter zu arrangieren. Brutus marschierte durch das Lager und rutschte immer wieder schmerzhaft in den karstigen Furchen der Versorgungskarren aus. Da es kein Gras mehr gab, waren sie gezwungen gewesen, die meisten Ochsen zu schlachten, denn die Getreideration für die Legionen reichte nicht auch noch für die Zugtiere aus. Wenigstens bleibt bei dieser Kälte das Fleisch lange frisch, dachte Brutus bitter. Sein Blick wanderte über die Kadaverhaufen unter der dünnen Schneehülle. Das Fleisch war hart wie Stein, so wie alles andere in diesem Land. Brutus erstieg den Erdwall des Lagers und blickte hinaus ins graue Nichts. Weiche Flocken berührten seine Wange, ohne auf seiner kalten Haut zu schmelzen. Dort draußen war absolut nichts zu sehen, bis auf die Stümpfe der ersten Bäume, die sie gefällt und zum Verbrennen ins Lager geschleppt hatten. Der Wald hatte sie zumindest vor dem Wind geschützt. Inzwischen wussten sie, dass sie die am nächsten stehenden Bäume bis zum Schluss hätten stehen lassen sollen, aber nichts hatte die Römer auf die Erbarmungslosigkeit dieses ersten Winters vorbereitet. Es war eine tödliche Kälte. Brutus wusste, dass viele Männer nicht ausreichend mit warmer Kleidung ausgestattet waren. Diejenigen, denen man Ochsenfelle gegeben hatte, fetteten sie jeden Tag ein, trotzdem wurden sie bretthart. Der Preis für ein paar Fellhandschuhe belief sich zur Zeit auf einen Monatssold und stieg Tag für Tag, nachdem jeder Hase und Fuchs im Umkreis von 100 Meilen von den Fallenstellern zur Strecke gebracht worden war. Wenigstens waren die Legionen endlich entlohnt worden. Julius hatte von Ariovist genug Gold und Silber erbeutet, um jedem Mann den ausstehenden Sold für die letzten drei Monate auszuzahlen. In Rom wäre ihnen das Geld für Huren und Wein durch die Finger geronnen, aber hier gab es wenig mehr zu tun, als es beim Glückspiel zu riskieren, und viele Männer waren wenige Tage, nachdem sie ihren Anteil erhalten hatten, wieder bettelarm. Die Verantwortungsbewussteren schickten einen Teil ihres Soldes an ihre Angehörigen nach Rom. Brutus beneidete diejenigen, die über die Alpen zurück nach Ariminum geschickt worden waren, ehe die Pässe zugeschneit waren. Die Männer hatten sich über diese Geste gefreut, aber Brutus wusste, dass sie aus der Notwendigkeit geboren war. In einem derartig harschen Winter war es schon schwer genug, am Leben zu bleiben. Die Krieger der Sueben, die die Schlacht überlebt hatten, konnten nicht so viele dunkle Monate lang bewacht werden. Es war besser, sie als Gladiatoren und Hauswächter zu verkaufen, sie voneinander zu trennen und neu zu schulen. Aufgrund der Tradition, dass die Erlöse von Kampfsklaven an die Legionäre gingen, würden die tausend Sueben den Männern, die sie besiegt hatten, mindestens eine Goldmünze pro Kopf einbringen. Hier oben auf der Brustwehr blies der Wind heftiger, und Brutus fing an, im Kopf bis 500 zu zählen, zwang sich, wenigstens so lange auszuhalten. Diejenigen, die hier oben Wache stehen mussten, befanden sich in einer Welt grauer Trübsal; sie sollten sehen, dass er bereit war, dieses Elend mit ihnen zu teilen. Er schlug den Mantel fester um die Brust und krümmte sich bei jedem Atemzug, der ihm in die Kehle biss, ein wenig zusammen, bis er wünschte, sie wäre so gefühllos wie sein restlicher Körper. Cabera hatte ihn vor der Gefahr gewarnt. Er trug zwei Paar wollene Socken in den Sandalen, obwohl das überhaupt keinen Unterschied zu machen schien. 18 Mann hatten seit dem ersten Schnee Finger oder Zehen eingebüßt, und ohne Cabera wären es wesentlich mehr gewesen. Alle Fälle waren in den ersten paar Wochen aufgetreten, ehe die Männer gelernt hatten, sich vor der Kälte in Acht zu nehmen. Brutus hatte zugesehen, wie einer der eingeschrumpelten schwarzen Klumpen mit einer schweren Hufzange abgeschnitten wurde, und am merkwürdigsten war der gleichgültige Blick auf dem Gesicht des Legionärs gewesen. Auch als die eisernen Klingen seinen Knochen durchtrennten, hatte er keinen Schmerz empfunden. Der Legionär, der ihm am nächsten stand, wirkte wie eine Statue, und als Brutus näher an ihn heranschlurfte, sah er, dass die Augen des Mannes geschlossen waren. Das Gesicht unter dem wuchernden Bart sah blass und fleckig aus. Auf Einschlafen während der Wache stand die Todesstrafe, doch Brutus schlug dem Mann nur zum Gruß auf den Rücken und tat so, als bemerke er das ängstliche Zusammenzucken nicht, als der Mann erschrocken die Augen aufriss und sie wegen des Windes sofort wieder zu schmalen Schlitzen zusammenkniff. »Wo sind deine Handschuhe, mein Junge?«, fragte Brutus, als er die verkrampften blauen Finger erblickte, die der Soldat aus der Tunika zog und Habachtstellung einnahm. »Hab ich verloren, Herr«, antwortete der Legionär. Brutus nickte. Zweifellos war dieser Mann als Spieler ebenso tauglich wie als Wachposten. »Wenn du deine Hände nicht warm hältst, verlierst du die auch noch. Nimm meine. Ich habe noch ein Paar.« Brutus sah zu, wie der junge Legionär versuchte, die Handschuhe überzustreifen. Er schaffte es nicht, und nach kurzem Kampf fiel einer von ihnen zu Boden. Brutus hob ihn auf und schob ihn über die halb erfrorenen Finger des Soldaten. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Einer plötzlichen Regung folgend, löste er die Spange seines mit Pelz verbrämten Mantels und schlug ihn um die Schultern des jungen Mannes, wobei er versuchte, nicht das Gesicht zu verziehen, als der beißende Wind trotz der dicken Unterkleidung über seinen eigenen ungeschützten Körper herfiel. Seine Zähne fingen zu klappern an, und Brutus biss sie fest zusammen, um sie zur Ruhe zu bringen. »Bitte, Herr, ich kann doch deinen Mantel nicht nehmen«, sagte der Wächter. »Der hält dich bis zur Ablösung einigermaßen warm, mein Junge. Wenn du willst, gib ihn demjenigen, der dich ablöst. Das überlasse ich dir.« »Das werde ich tun, Herr. Vielen Dank.« Brutus wartete, bis die erste Farbe in die Wangen des Soldaten zurückkehrte. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich überraschend froh gelaunt, als er wieder von der Brustwehr hinabstieg. Die Tatsache, dass er seinen Rundgang durch das Lager beendet hatte, trug natürlich dazu bei. Ein heißer Rindfleischeintopf und ein von heißen Steinen angewärmtes Bett würden ihm über den Verlust seines einzigen Mantels und seiner einzigen Handschuhe hinweghelfen. Er hoffte nur, dass er in der folgenden Nacht, wenn er seinen Rundgang ohne sie antreten musste, noch ebenso fröhlich sein würde. Julius zog einen eisernen Schürhaken aus dem Feuer und tauchte ihn in zwei Becher mit Wein. Zerstampfte Nelkenstückchen, die auf dem Wein schwammen, zischten, und Dampf stieg auf, als er das Eisen abermals in die Flammen schob und Mhorbaine einen Becher anbot. Wenn er sich umschaute, konnte Julius beinahe an die Dauerhaftigkeit der neuen Gebäude glauben. Sogar in der kurzen Zeit vor dem ersten Schneefall hatten seine Legionen die Straße von der römischen Provinz im Süden beinahe bis auf fünf Meilen an die neuen Lager herangeführt. Die dabei gefällten Bäume gaben Balken für die neuen Unterkünfte ab, und Julius war sehr erfreut über ihr Vorankommen gewesen, bis der Winter in einer einzigen Nacht zugeschlagen hatte und am darauf folgenden Morgen ein Wachposten erfroren auf der Mauer gefunden worden war. Die Arbeit im Steinbruch war ausgesetzt worden, und der Legionsalltag hatte sich radikal verändert, nachdem sämtliche Versuche, die Verbindung mit dem Süden doch noch herzustellen, zu einem grundlegenderen Kampf ums Überleben geworden waren. Aber sogar inmitten all dieser Mühen hatte Julius seine Zeit zu nutzen gewusst. Die Haeduer waren an die bitterkalten Winter gewöhnt, also setzte er sie als Boten ein, um mit möglichst vielen Stämmen, die sie kannten, in Verbindung zu bleiben oder neue Kontakte zu knüpfen. Nach dem letzten Stand hatte Julius sich mit neun von ihnen verbündet und die Gebiete dreier weiterer beansprucht, die von dem Land, das Ariovist aufgegeben hatte, leicht zu erreichen waren. Wie viel davon halten würde, wenn der Winter endlich vorüber war, wusste er nicht zu sagen. Wenn sie zu ihren Versprechen standen, würde er über genug Freiwillige verfügen, um im Frühling zwei neue Legionen aufzustellen. Zweifellos hatten viele der kleineren Stämme nur zugestimmt, um die Fertigkeiten zu erlernen, mit Hilfe derer die Helvetier und die Sueben besiegt worden waren, aber Julius hatte zusammen mit Marcus Antonius geplant, diese neuen Legionen mit ihm treu ergebenen Männern zu durchsetzen. So hatte er es auch mit denjenigen gemacht, die ihm Cato geschickt hatte, um seinen Sohn zu schützen. Sogar aus den Söldnern unter Catilina hatte er Legionäre gemacht. Ob sie es wussten oder nicht, die Gallier, die zu ihm kamen, würden ebenso römisch werden wie Ciro oder Julius selbst. Mehr Sorgen bereiteten ihm die Stämme, die auf sein Angebot überhaupt nicht reagierten. Die Belger hatten den Boten der Haeduer blenden lassen und sein Pferd sodann bis kurz vor das römische Winterlager geführt, von wo aus das Tier selbst zu Wärme und Futter zurückfand. Die Nervier hatten sich geweigert, seinen Boten zu empfangen, und drei andere Stämme waren ihrem Beispiel gefolgt. Julius konnte kaum das Frühjahr erwarten. Der Augenblick des Triumphs, den er empfunden hatte, als Ariovist niedergestreckt worden war, hatte sich nicht wiederholt, doch er war immer noch von einem Selbstvertrauen erfüllt, das er sich selbst nicht erklären konnte. Gallien würde ihm gehören. »Die Stämme, die du erwähnst, haben noch nie gemeinsam gekämpft, Julius. Eher kann man sich die Haeduer Rücken an Rücken mit den Arvernern vorstellen, als dass diese Stämme zu Brüdern werden.« Mhorbaine nippte an seinem heißen Wein und beugte sich wohlig näher ans Feuer. »Mag sein«, gab Julius zu, »aber meine Männer haben auf der Landkarte Galliens noch so gut wie kein Zeichen hinterlassen. Es gibt immer noch Stämme, die nicht einmal von uns gehört haben – wie sollen sie die Regentschaft von jemandem anerkennen, den sie noch nie gesehen haben?« »Du kannst nicht gegen sie alle kämpfen, Julius. Nicht einmal deine Legionen schaffen das«, antwortete Mhorbaine. Julius schnaubte verächtlich. »Sei dir da nicht so sicher, mein Freund. Meine Legionen könnten Alexander den Großen niedermachen, wenn er sich ihnen in den Weg stellte, aber ich weiß nicht, wohin ich sie nach diesem Winter als Nächstes führen soll. Weiter nach Norden? Nach Westen? Soll ich die mächtigeren Stämme heimsuchen und sie einen nach dem anderen schlagen? Fast hoffe ich, sie würden sich zusammenschließen und gemeinsam kämpfen, Mhorbaine. Wenn ich die stärksten von ihnen breche, erkennen auch die anderen unser Recht auf dieses Land an.« »Du hast schon jetzt die Besitztümer Roms verdoppelt«, rief ihm Mhorbaine in Erinnerung. Julius starrte in die Flammen und gestikulierte mit seinem Becher gegen die Kälte draußen an. »Ich kann nicht hier sitzen und darauf warten, dass sie zu mir kommen. Jeden Augenblick könnte ich nach Rom zurückgerufen werden, ein anderer Mann könnte hier an meine Stelle gesetzt werden.« Er hielt sich gerade noch zurück, ehe er zu viel sagte, denn Mhorbaines waches Interesse war ihm nicht entgangen. Obwohl der Mann sich als wertvoller Verbündeter erwiesen hatte, waren Julius dank des Weines schon jetzt zu viele Worte über die Lippen gekommen. Der letzte Brief von Crassus, bevor der Winter die Pässe über die Alpen unpassierbar gemacht hatte, war Besorgnis erregend gewesen. Pompeius entglitt die Kontrolle über die Stadt, und Julius hatte über die Schwäche des Senats geschäumt. Beinahe hätte er gewünscht, Pompeius würde sich zum Diktator ernennen, um die Tyrannei von Männern wie Clodius und Milo zu beenden. Sie waren zwar nur Namen für ihn, doch Crassus nahm die Bedrohung ernst genug, um seine Befürchtungen einzugestehen, und Julius wusste, dass der alte Mann sich nicht von harmlosen Schattengestalten erschrecken ließ. Einmal war Julius sogar drauf und dran gewesen, nach Rom zurückzukehren und Pompeius im Senat den Rücken zu stärken, doch dann hatte der gallische Winter diesen Überlegungen ein Ende gesetzt. Es war ein schrecklicher Gedanke, dass die Stadt, die er liebte, in Korruption und Gewalt versank, während er hier neue Gebiete für sie eroberte. Schon lange hatte er akzeptiert, dass die Länder mit Blut erobert werden mussten, aber diese Vision hatte keinen Platz in seiner eigenen Heimat; allein der Gedanke daran erfüllte ihn mit Zorn. »Es gibt so viel zu tun!«, sagte er zu Mhorbaine und streckte die Hand abermals nach dem Schürhaken in den Flammen aus. »Und mir bleibt nichts, als mich mit Plänen und Briefen zu quälen, die ich nicht einmal abschicken kann. Hattest du nicht gesagt, der Frühling sollte inzwischen angefangen haben? Wo ist das Tauwetter, das du mir versprochen hast?« Mhorbaine zuckte die Achseln. »Bald«, sagte er, wie schon so oft zuvor. 31 Als der Frühling kam, verstopften mehr als 7000 Familien die Straßen, die nach Norden aus Rom hinausführten. Aus den brodelnden Gassen der Stadt ergoss sich ein Exodus, um das neue Land in Besitz zu nehmen, das Julius versprochen hatte. Diejenigen, die sich vor der Macht eines Clodius oder eines Milo fürchteten, machten sich auf, um ein neues Leben fern der Verbrechen und des Schmutzes der Stadt anzufangen. Sie hatten alles verkauft, was sie besaßen, um dafür Werkzeuge und Saatgut zu erwerben, dazu Ochsen, um ihre Wagen zu ziehen. Es war eine gefahrvolle Reise, über 300 Meilen bis zu den Ausläufern der Alpen, und von dort aus in die Unwägbarkeiten der jenseitigen Gebiete. Da Julius die Legionen aus Ariminum abgezogen hatte, war der Norden weitgehend frei von patrouillierenden Soldaten; der Schutz der römischen Gebiete war bis zum Zerreißen ausgedünnt. Obwohl die Gasthäuser am Straßenrand und die befestigten Lager immer noch bemannt waren, trieben auf den langen Strecken dazwischen Diebe ihr Unwesen, und viele Familien wurden überfallen und in Elend und Verzweiflung am Straßenrand zurückgelassen. Einige wurden von Mitleidigen aufgenommen, andere mussten sich ihren kärglichen Lebensunterhalt erbetteln oder verhungern. Diejenigen, die es sich leisten konnten, Wachen anzuheuern, waren besser dran. Sie gingen mit gesenkten Köpfen an den jammernden und weinenden Menschen vorüber, die vor ihnen hier entlanggekommen waren und nun mit ausgestreckten Händen im Frühlingsregen standen. Pompeius verlas in Sondersitzungen des Senats die Berichte von Julius’ Siegen, sobald er sie erhielt. Es war eine eigenartige Rolle, in die er da gedrängt worden war, und manchmal schüttelte er den Kopf angesichts der Ironie, die darin lag, dass er Cäsar unterstützte, um die neuen Männer im Senat unter Kontrolle zu halten. Crassus hatte ihn überzeugt, dass die Siege in Gallien das Einzige waren, das die Stadt davon abhielt, in nackte Panik auszubrechen, während Clodius und Milo ihre geheimen, blutigen Kämpfe um die Vorherrschaft auf den Straßen ausfochten. Trotz der realen Macht, die sie gewonnen hatten, trotz des Einflusses, den sie so brutal einsetzten wie eine Keule, hatten sie nichts für Rom geleistet, sondern taten sich an der Stadt nur gütlich. Weder Clodius noch Milo versäumten auch nur einen der Berichte. Sie waren in den Gossen und Hinterhöfen der Stadt aufgewachsen, ergötzten sich jedoch ebenso wie jeder andere Bürger an den Einzelheiten der Schlachten, die in ihrem Namen geschlagen wurden. Zuerst war Pompeius bereit gewesen, die Diktatur auszurufen, um sie unter Kontrolle zu bringen. Von den Fesseln des Gesetzes befreit, hätte er beide Männer ohne Verhandlung hinrichten lassen können. Crassus hatte ihn vor einem derart radikalen Schritt gewarnt. Selbst wenn die beiden tot waren, sagte Crassus, würden andere an ihre Stelle treten, und Pompeius und vielleicht auch Rom selbst würden nicht überleben. Der Hydra des römischen Pöbels wüchsen neue Köpfe, und wer auch immer die aus dem Weg Geräumten ersetzte, würde sich davor hüten, sich öffentlich zu zeigen und im Senat zu erscheinen. Crassus hatte stundenlang auf seinen alten Kollegen eingeredet, und Pompeius war die Weisheit seiner Worte nicht entgangen. Statt sich diesen Männern entgegenzustemmen, hatte er sich dazu durchgerungen, sie zu hofieren und zu belohnen. Er hatte Clodius bei der Wahl zum Obersten Richter unterstützt und ein großes Gelage zu seinen Ehren veranstaltet. Gemeinsam hatten sie Kandidaten für die Konsulatswahlen ausgesucht, allesamt schwächere Männer, die nichts unternehmen würden, um den zerbrechlichen Status der Waffenruhe zu verändern. Damit hatte Pompeius eine heikle Balance etabliert, wobei er wusste, dass Clodius sich zum Teil deshalb dazu entschlossen hatte, um ihn gegen Milo zu unterstützen, während ihr eigener Machtkampf andauerte. Pompeius dachte über die beiden Männer nach, während er auf dem Rostrum den letzten Bericht vorlas. Indem er den einen erhoben hatte, hatte er sich den anderen zum Feind gemacht, und wenn sich ihre Blicke begegneten, fand er in den Augen Milos nichts als Hass. Trotzdem sprach Clodius seinen Namen jetzt mit dem Stolz der Freundschaft aus, und als der Frühling in den Sommer übergegangen war, hatte Pompeius sogar dem Stadthaus dieses Mannes einen Besuch abgestattet und war seinerseits umschmeichelt und hofiert worden. Es war ein gefährliches Spiel, aber es war besser, als alles zu zerschlagen und sich zum Diktator aufzuschwingen. So wie die Dinge standen, hätte das einen Bürgerkrieg bedeutet, und er war sich keineswegs sicher, dass er als Sieger daraus hervorgehen würde. Als Pompeius sich räusperte und zu sprechen anfing, verneigte er sich leicht zu Clodius hin und sah die Freude, die der Mann sogar bei dieser kleinen Respektsbezeugung empfand. Genau das war es, was Crassus in den Neulingen im Senat gesehen hatte. Obwohl sie ungehobelt und skrupellos waren, sehnten sie sich nach der Ehrbarkeit und dem Ansehen des Amtes, und seit Pompeius seinen neuen Kurs eingeschlagen hatte, war keiner seiner Klienten mehr von Clodius’ Schlägern belästigt worden. Als Pompeius verkündet hatte, er wolle die Rennbahn mit großem Aufwand renovieren, war es Clodius gewesen, der ihn aufgesucht und ihm unbeschränkte finanzielle Mittel dafür zur Verfügung gestellt hatte. Aus Dankbarkeit hatte Pompeius eine Statue für ihn aufstellen lassen und im Senat seine Großzügigkeit gepriesen. Milo hatte mit dem Angebot gekontert, die Via Appia wiederherzustellen, und Pompeius hatte sein Entzücken über die Durchschaubarkeit des Mannes verborgen und ihm erlaubt, seinen Namen an der Porta Capena zu verewigen, dem Tor, an dem die Via Appia von Süden her die Stadt erreichte. Zum ersten Mal seit über einem Jahr hatte er das Gefühl, die Geschicke der Stadt wieder fest in Händen zu halten, während die beiden Männer ihre Kräfte unauffälliger einsetzten, einer so gierig nach Anerkennung wie der andere. Die neuen Konsuln waren auf ihre heikle Stellung aufmerksam gemacht worden und unternahmen nichts, ohne sich zuvor mit ihren Herren abzusprechen. In dieser Pattsituation wurden die privaten Kämpfe fortgeführt. Pompeius verlas die Liste der Stämme, die Julius in den ersten Schlachten des Frühlings besiegt hatte, und genoss die ungeteilte Aufmerksamkeit, mit der die Senatoren voller Ehrfurcht die Anzahl der Sklaven zur Kenntnis nahmen, die über die Alpen zurückgeschickt worden waren. Die Remer waren Vasallen geworden. Die Nervier waren fast bis auf den letzten Mann vernichtet worden. Die Belger waren gezwungen worden, ihre Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Die Atuatucer waren in eine einzige befestigte Stadt zurückgedrängt worden, die daraufhin erstürmt worden war. Allein 53000 Angehörige dieses Stammes waren an die Sklavenmärkte Roms verkauft worden. Pompeius verlas Julius’ Berichte, und sogar er konnte den Hader kaum verstehen, der sich hinter den einfach gehaltenen Zeilen verbarg. Julius unternahm nichts, um seine Siege dem Senat zu verkaufen, aber der trockene Ton wurde durch all das, was nicht ausgesprochen wurde, umso eindrucksvoller. Pompeius las bis zu den abschließenden Bemerkungen alles vor, in denen Cäsar den Bericht dem Senat anvertraute und eine Schätzung der jährlichen Steuererträge aus den von ihm eingenommenen Gebieten abgab. Kein Laut war in der Curia zu vernehmen, als Pompeius bei der letzten Zeile angelangt war. »Ich erkläre, dass Gallien befriedet ist und sich von nun an der rechtmäßigen Herrschaft Roms beugen wird.« Die Senatoren erhoben sich von ihren Plätzen und brachen in spontanen Jubel aus, der so lange anhielt, bis sie heiser waren und Pompeius sie mit erhobener Hand wieder zur Ruhe mahnte. Dann sprach Pompeius mit einer Stimme, die den gesamten Raum ausfüllte. »Senatoren! Unsere Götter haben uns neues Land gewährt. Wir müssen uns als würdig erweisen, es zu regieren. So wie wir Spanien den Frieden gebracht haben, so werden wir ihn diesem noch wilderen Land bringen. Unsere Bürger werden Straßen bauen und die Felder bestellen, um unsere Städte zu versorgen. Sie werden in fernen Gerichtshöfen gehört werden, deren Autorität direkt von uns ausgeht. Wir werden ihnen Rom nicht durch die Stärke unserer Legionen bringen, sondern weil wir im Recht sind, und weil wir gerecht sind, und weil wir von den Göttern geliebt werden.« »Befriedet? Du hast ihnen geschrieben, Gallien sei befriedet?«, fragte Brutus verwundert. »Es gibt ganze Landstriche in Gallien, in denen man noch nicht einmal von uns gehört hat! Was hast du dir dabei gedacht?« Julius sah ihn finster an. »Wäre es dir lieber, ich hätte gesagt ›immer noch gefährlich, aber beinahe befriedet‹? Wohl kaum die richtigen Worte, um unsere Siedler über die Alpen zu holen, Brutus.« »Ich hätte mir auch ›beinahe befriedet‹ verkniffen. Es entspräche mehr der Wahrheit, wenn du gesagt hättest, dass uns diese Wilden mehr als einmal beinahe den Garaus gemacht hätten. Jedenfalls öfter, als mir lieb ist. Dass sie sich seit Generationen gegenseitig bekämpft haben, bis sie in Rom einen gemeinsamen Feind gefunden haben, und dass wir gerade unsere Hand in das schlimmste Wespennest gesteckt haben, das mir jemals untergekommen ist. Das käme der Wahrheit eindeutig näher, Julius.« »Schon gut, Brutus. Die Sache ist erledigt, und damit Schluss. Ich kenne die Lage ebenso gut wie du, und die Stämme, die noch nie einen römischen Soldaten zu Gesicht bekommen haben, werden uns früh genug kennen lernen, sobald wir das Land mit unseren Straßen durchziehen. Wenn mich der Senat als Eroberer Galliens ansieht, ist wenigstens nicht mehr die Rede davon, mich zurückzurufen, damit ich meine Schulden bezahle. Sollen sie doch das Gold zählen, das ich ihnen schicke und die Sklaven dazu benutzen, den Preis von Weizen und Mais zu senken. Und ich bin in der Lage, bis zum Meer durchzumarschieren und sogar noch weiter. Dies ist mein Weg, Brutus. Siehst du denn nicht, dass ich ihn gefunden habe? Hierfür wurde ich geboren. Ich verlange nicht mehr als noch ein paar Jahre, vielleicht fünf, dann ist Gallien wirklich befriedet. Du sagst, sie haben noch nie von uns gehört? Na schön, dann werde ich eben Länder erobern, von denen Rom nicht einmal weiß, dass es sie gibt! Ich sorge dafür, dass sich über ihre Städte ein Jupitertempel erhebt wie eine Marmorklippe. Ich bringe diesen Völkern, die in Dreck und Verwahrlosung leben, unsere Kultur, unsere Wissenschaft und unsere Künste. Ich führe unsere Legionen bis dorthin, wo das Land auf das Meer trifft, und darüber hinaus. Wer weiß, was jenseits dieser fernen Küsten liegt? Wir besitzen nicht einmal Landkarten von jenen Ländern, Brutus. Es gibt nur Legenden von den Griechen über die nebligen Inseln am äußersten Rand der Welt. Befeuert das nicht deine Phantasie?« Brutus musterte seinen Freund, antwortete jedoch nicht, denn er wusste nicht, welche Antwort von ihm erwartet wurde. Er erlebte Julius nicht zum ersten Mal in dieser Stimmung, und manchmal konnte er ihn immer noch mitreißen. Doch in diesem Augenblick fing er an, sich zu sorgen, dass Julius womöglich kein Ende ihres Eroberungsfeldzuges ins Auge gefasst hatte. Sogar die Veteranen verglichen ihren jungen Feldherrn mit Alexander, Marcus Antonius tat es ganz offen. Als der stattliche Römer den Vergleich im Rat erwähnt hatte, war Brutus darauf gefasst gewesen, dass Julius die plumpe Schmeichelei entrüstet zurückweisen würde, doch der hatte nur gelächelt, Marcus Antonius an der Schulter gepackt und ihm Wein nachgeschenkt. Die Ebene der Helvetier war erschlossen, die weiten Graslandschaften in einzelne Höfe für die Siedler aus Rom aufgeteilt worden. Julius hatte seine Versprechungen überstürzt ausgesprochen, und jetzt musste er im Feld bleiben, um sie zu erfüllen. Nur um seine Legionen in Silber auszuzahlen, war er gezwungen, Städte einzunehmen, nicht für den Ruhm zu kämpfen, sondern um die Truhen zu füllen und den Zehnten zurück an den Senat zu schicken. Brutus konnte kein Ende absehen und schien als Einziger in Julius’ Beraterstab allmählich an Sinn und Zweck des Krieges, den sie führten, zu zweifeln. Als Römer konnte er die Vernichtung akzeptieren, die der Vorbote des Friedens war; wenn es aber lediglich darum ging, Julius’ Verlangen nach Macht zu stillen, empfand er keine Freude mehr daran. Julius wankte nie. Obwohl ihnen der Zusammenschluss der Belger im Frühjahr arg zugesetzt hatte, hatten die Legionen sich die Zuversicht ihres Heerführers zu eigen gemacht und die Belger gnadenlos hinweggefegt. Es war fast so, als wären sie alle vom Schicksal gesegnet, als könnten sie überhaupt nicht verlieren. Von Zeit zu Zeit wurde sogar Brutus davon angesteckt. Dann jubelte er dem Mann zu, der mit erhobenem Schwert vor ihnen stand, dessen eiserne Maske funkelte wie ein feindseliger Gott. Doch er kannte den Menschen dahinter, und er kannte ihn zu gut, als dass er schweigend hinter ihm hergetrottet wäre, so wie es die Legionäre taten. Obwohl sie ihre Siege durch ihre Kraft und Schnelligkeit errangen, sahen sie in Julius denjenigen, der für all das verantwortlich war. Solange er lebte, wussten sie, dass sie nicht geschlagen werden konnten. Brutus seufzte leise. Vielleicht hatten sie Recht. Der gesamte Ostteil Galliens befand sich unter der Herrschaft der Legionen, Straßen wurden über Hunderte von Meilen gebaut. Rom wuchs dort buchstäblich aus dem Boden, und Julius war derjenige, der die blutige Saat des Wandels brachte. Er schaute seinen Freund an und sah dessen wilden Stolz. Abgesehen von dem lichter werdenden Haar und den Narben war er immer noch weitgehend derselbe, den er seit jeher kannte. Und doch sagten die Soldaten, er sei von den Göttern gesegnet. Seine Anwesenheit auf dem Schlachtfeld war mindestens eine ganze Kohorte wert, so sehr bemühten sie sich, gut für ihn zu kämpfen, und Brutus schämte sich seiner kleinlichen Bedenken und des verbliebenen Restes an Unwillen, gegen den er mit aller Macht ankämpfte. Publius Crassus war der Befehl über zwei Legionen erteilt worden, um mit ihnen nach Norden zu marschieren, und Julius’ derzeitige Stimmung war der Tatsache geschuldet, dass der Sohn des Senators die Stämme in der Normandie dazu gebracht hatte, die Waffen zu strecken. Jetzt war der Weg zum Meer frei, und obwohl Brutus dagegen argumentiert hatte, fiel ihm nichts mehr ein, um Julius davon abzuhalten, seine geliebten Legionen zur Küste zu führen. Julius’ Kriegsrat betrat den langen Raum in dem befestigten Lager. Auch diese Männer hatten sich während ihrer Zeit in Gallien verändert, stellte Brutus fest. Octavian und Publius Crassus hatten in den Jahren, die der Feldzug nun schon dauerte, die letzten Reste ihrer Jungenhaftigkeit verloren. Beide Männer wiesen Narben auf, aber sie hatten überlebt und waren stärker geworden. Ciro kommandierte seine Kohorte mit einer Ergebenheit für Julius, die Brutus an einen treuen Hund erinnerte. Während Brutus immer noch mit Domitius oder Renius über seine Zweifel reden konnte, war ihm aufgefallen, dass Ciro immer sofort den Raum verließ, sobald auch nur ein Hauch von Kritik laut wurde. Beide Römer betrachteten einander mit einer Abneigung, die nur um Julius’ Willen nicht offen zutage trat. Wie wir vor ihm heucheln, dachte Brutus insgeheim. Solange Julius anwesend war, akzeptierten sie alle ihre Rollen als Brüder und ließen ihre persönlichen Auseinandersetzungen beiseite. Es war beinahe so, als könnten sie es nicht ertragen, dass er von ihnen enttäuscht war. Julius wartete, bis der Wein eingegossen war, und legte seine Notizen vor sich auf den Tisch. Er kannte die Berichte bereits auswendig und brauchte die Aufzeichnungen nicht zu Rate zu ziehen. Selbst Brutus, der in seine Grübeleien abgetaucht war, spürte, dass er sich unter diesem blauen Blick ein wenig aufrichtete, und sah, dass die anderen genauso reagierten. Letzten Endes sind wir alle seine Hunde, dachte Brutus und griff nach seinem Becher. »Dein Vertrag mit den Venetern ist nichtig, Crassus«, sagte Julius zu dem jungen Römer. Der Sohn des Senators schüttelte ungläubig den Kopf, und Julius redete weiter, um ihn von seiner Betroffenheit zu erlösen. »Ich habe auch nicht erwartet, dass er lange hält. Sie sind auf See zu stark, um sich an uns gebunden zu fühlen. Das Abkommen diente lediglich dazu, sie still zu halten, bis wir in den Nordwesten vorgedrungen sind. Wenn ich jemals das Meer überqueren will, muss ich die Kontrolle über diese Küste haben.« Julius schaute in die Ferne, als erblicke er dort die Zukunft, dann riss er sich von dem Bild los. »Sie haben Legionäre der Kohorte, die du zurückgelassen hast, als Gefangene genommen und verlangen nun im Gegenzug die Freilassung ihrer Männer, die wir als Geiseln festhalten. Wenn wir sie wieder an den Verhandlungstisch bringen wollen, müssen wir sie auf See vernichten. Wahrscheinlich glauben sie, Rom kämpfe nur an Land, aber unter uns gibt es einige, die das besser wissen.« Er machte eine Pause, damit seine Zuhörer leise lachen konnten, und sah Ciro lächelnd an. »Ich habe Schiffsbauer und Zimmerleute angeheuert, um einen neuen Hafen und Schiffe zu bauen. Pompeius versorgt uns mit Mannschaften, die durch die Säulen des Herkules und um Spanien herumsegeln und im Norden zu uns stoßen. Das passt sehr gut zu meinen Plänen, außerdem dürfen wir es nicht zulassen, dass sie ihren Eid brechen. Mhorbaine berichtete mir, dass auch andere Stämme unruhig werden, dass sie jede Herausforderung mit Adleraugen beobachten und genau verfolgen, wie wir darauf reagieren.« »Wie lange dauert es, bis die Schiffe fertig sind?«, wollte Renius wissen. »Im kommenden Frühjahr sind sie fertig – wenn ich Mittel finde, um sie zu bezahlen. Ich habe eine Anfrage an den Senat losgeschickt und ihn gebeten, für unsere neuen Legionen zu bezahlen. Crassus hat mir versichert, dass er mir das Geld leiht, falls der Senat sich weigert, aber wir haben allen Grund zu der Annahme, dass man in Rom mit unseren Fortschritten hier mehr als zufrieden ist. Vielleicht wird auch der Winter in diesem Jahr nicht so hart, so dass wir in den dunklen Monaten mit unseren Vorbereitungen fortfahren können.« Julius trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Ich habe einen Einzelbericht von einem Kundschafter am Rhein. Mehrere germanische Stämme haben den Fluss überquert und sind in unser Gebiet eingedrungen. Sie müssen zurückgeworfen werden. Ich habe fünf Haeduer hingeschickt, um den Bericht zu bestätigen und ihre Anzahl zu schätzen. Ich will sie stellen, bevor sie zu weit in unser Land eindringen. Sobald sie geschlagen sind, habe ich vor, den Fluss zu überqueren und sie zu verfolgen, so wie ich es schon mit den Sueben hätte tun sollen. Ich darf nicht zulassen, dass die wilden Stämme jedes Mal über den Fluss kommen und unsere Flanken attackieren, sobald sie eine Schwäche wittern. Ich will ihnen eine Antwort präsentieren, die sie eine Generation lang nicht vergessen, und den Rhein nach meiner Rückkehr hinter mir abriegeln.« Er sah sich in der Runde um, während die anderen die Neuigkeiten verdauten. »Wir müssen rasch reagieren und jede Bedrohung sofort im Keim ersticken. Wenn zu diesem Zeitpunkt auch nur noch eine Störung eintritt, müssen wir unsere Kräfte von einem Ende Galliens bis zum anderen ausdehnen. Ich führe meine Zehnte und die Dritte Gallica unter Brutus zum Rhein. Eine der neuen gallischen Legionen begleitet uns und hält uns den Rücken frei. Gegen einen solchen Feind gibt es keine Loyalitätskonflikte. Mhorbaine hat mir noch einmal seine Kavallerie zugesichert. Der Rest von euch handelt unabhängig und in meinem Namen. Crassus, ich erwarte, dass du abermals in den Nordwesten ziehst und die Landtruppen der Veneter vernichtest. Verbrenne ihre Schiffe oder zwinge sie zumindest, sich von der Küste zu entfernen, und hindere sie daran, sich an Land mit Nachschub zu versorgen. Domitius, du nimmst zur Unterstützung die Vierte Gallica mit. Marcus Antonius, du bleibst mit deiner Legion hier. Die Zwölfte und die Fünfte Ariminum bleiben bei dir. Du bildest mein Zentrum, und ich erwarte von dir, dass du keines der neu hinzugewonnenen Gebiete verlierst, solange ich weg bin. Gehe mit Umsicht vor, aber schlage zu, falls es nötig sein sollte. Die letzte Aufgabe ist einfach, Bericus. Deine Ariminum-Legion hat eine Pause verdient, und ich brauche einen guten Mann, der die neuen Siedler über die Alpen begleitet. Der Senat entsendet vier Prätoren als Verwalter der neuen Provinzen. Sie müssen vor Ort in die Gegebenheiten eingewiesen werden.« Bericus stöhnte und verdrehte die Augen, so dass Julius lachen musste. Der Gedanke, Kindermädchen für Tausende unerfahrene römische Siedler zu spielen, war nicht gerade eine erstrebenswerte Aufgabe, aber er war ein verlässlicher Organisator, und Julius hatte die Wahrheit gesprochen, als er sagte, die Legion habe es redlich verdient, dem fast pausenlosen Kampfgeschehen eine Weile fern zu bleiben. Julius fuhr mit seinen Anweisungen und Verfügungen fort, bis jeder Anwesende über die Versorgungslinien sowie das Ausmaß seiner Befugnisse Bescheid wusste. Er lächelte, wenn sie ihm klug antworteten, und er beantwortete jede Nachfrage mit der umfassenden Kenntnis, die sie inzwischen von ihm erwarteten. Die Legionäre behaupteten, er kenne den Namen eines jeden Mannes unter seinem Kommando, und ob das nun stimmte oder nicht, Julius hatte jeden Aspekt des Legionslebens gemeistert. Er war niemals um eine rasche, klare Antwort verlegen, was wiederum das Vertrauen der Männer in ihn stärkte. Brutus sah sich am Tisch um und fand nichts als Entschlossenheit in den Gesichtern derjenigen, die Aufgaben zugeteilt bekommen hatten, welche große Entbehrungen, Schmerzen und vielleicht sogar den Tod für einige oder gar alle von ihnen bedeuteten. Als Julius die Landkarten ausbreitete und anfing, im Einzelnen über Geländebeschaffenheit und Versorgungsprobleme zu reden, beobachte Brutus ihn genau und hörte seine Worte kaum. Wie viele der Männer in diesem Raum würden Rom wohl wiedersehen, fragte er sich. Als Julius die Linie des Rheins mit dem Finger entlangfuhr und sie in seine Überlegungen einweihte, konnte sich Brutus nicht vorstellen, dass der Mann, dem er folgte, jemals aufgehalten werden würde. 32 Am ersten Herbsttag von Julius’ viertem Jahr in Gallien gingen Pompeius und Crassus gemeinsam über das Forum, tief ins Gespräch versunken. Rings um sie herum wimmelte es auf dem großen, offenen Platz im Zentrum der Stadt von Tausenden von Bürgern und Sklaven. Redner wandten sich an diejenigen, die sich zum Zuhören bewegen ließen, und ihre Stimmen und Parolen trugen weit über die Köpfe der Menge. Sklaven aus wohlhabenden Häusern waren mit Paketen oder Schriftrollen für ihre Herren unterwegs. Es war in Mode gekommen, Haussklaven in leuchtende Farben zu kleiden, deshalb trugen viele von ihnen hellblaue oder goldene Tuniken, eine Unzahl von Farbtönen, die sich mit dem dunkleren Rot und Braun der Arbeiter und Krämer vermischten. Bewaffnete Leibwächter schritten gewichtig einher, wobei jede Gruppe ihren Arbeitgeber in ihrer Mitte führte. Es war das geschäftige, hastig pulsierende Herz der Stadt, und weder Pompeius noch Crassus bemerkten, wie die Stimmung der sie umgebenden Menge sich kaum wahrnehmbar veränderte. Das Erste, was Pompeius von dem sich zusammenbrauenden Unheil mitbekam, war ein rüdes Anrempeln, mit dem einer seiner Legionäre gegen ihn gestoßen wurde. Schieres Erstaunen ließ Pompeius seine Überlebensinstinkte vergessen, und er blieb stehen. Noch während er zögerte, wurde die Menge um ihn und seine Wächter herum dichter. In den verzerrten Gesichtern spiegelte sich eine hässliche Entschlossenheit. Crassus fing sich schneller und zog Pompeius in Richtung Senatsgebäude. Falls es wieder zu Ausschreitungen kommen sollte, war es am besten, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen und es den Wachen zu überlassen, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die Senatoren waren von drängelnden, höhnisch grinsenden Männern umgeben. Ein Stein flog über ihre Köpfe und traf jemanden in der Menge. Pompeius sah, wie einer seiner Liktoren von einem Schlag mit einem Holzknüppel niedergestreckt wurde, und verspürte einen Augenblick lang Panik, bevor er seinen Mut wiederfand. Er zog einen Dolch aus dem Gürtel und hielt ihn mit der Klinge nach unten, so dass er damit sowohl zustoßen als auch schlitzen konnte. Als einer aus der Menge sich zu dicht an ihn herandrängte, verpasste er ihm ohne zu zögern einen Schnitt in die Wange und sah, wie er mit einem Schrei nach hinten kippte. »Wachen! Zu mir!«, brüllte Pompeius. Die Menge drängte näher, und er sah, wie einer seiner Legionäre von drei stämmigen Männern niedergerungen wurde, die wiederholt auf ihn einstachen und dann aus seinem Blickfeld verschwanden. Eine Frau kreischte auf, und Pompeius hörte, wie der Schrei von den entsetzten Bürgern rings um seine Angreifer aufgenommen wurde. Er war sicher, dass es sich um Milos Männer handelte. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen, nachdem er ihren Anführer im Senat kaltgestellt hatte, aber Pompeius hatte nur eine Handvoll Soldaten und Liktoren bei sich, und die würden nicht ausreichen. Wieder setzte er seinen Dolch ein und sah, wie Crassus mit der bloßen Faust zuschlug und einem Angreifer die Nase brach. Die Liktoren waren lediglich mit ihren zeremoniellen Äxten und Ruten zum Züchtigen bewaffnet. Sobald sie die Äxte aber aus dem Gebinde gelöst hatten, erwiesen sie sich in einer so dicht gedrängten Menschenmenge als schreckliche Waffen, mit denen die Liktoren Pompeius und Crassus buchstäblich einen Weg zum Senat frei- hackten. Trotzdem wurden einige von ihnen durch Messerstiche getötet, und der Ring der Sicherheit rings um die beiden Senatoren schrumpfte, bis sie fast keinen Bewegungsspielraum mehr hatten. Als Pompeius die Fanfarentöne quer über das Forum hallen hörte, empfand er Hoffnung und Verzweiflung zugleich. Seine Legion war für ihn ausgerückt, aber sie würde zu spät kommen. Finger rissen grob an seiner Toga, und er stach und schlitzte mit seinem Dolch hinein, bis sie wieder losließen. Ein Stein riss Crassus von den Beinen; Pompeius zog ihn wieder hoch und ein Stück weiter, hielt ihn dicht an sich gedrückt, als der ältere Mann langsam wieder zu sich kam. Er hatte Blut am Mund. Der Lärm hämmerte auf sie ein, veränderte sich jetzt ein wenig. Neue Gesichter erschienen in noch größerer Anzahl, und Pompeius sah, dass sie diejenigen niedermachten, die sich abmühten, an ihn heranzukommen. Ganze Gruppen brüllender Männer lösten sich aus der Menge, kämpften nicht wie Legionäre, sondern mit Schlachterbeilen, Fleischerhaken und Steinen in den Fäusten. Pompeius sah, wie das Gesicht eines Mannes durch mehrere Schläge in Brei verwandelt wurde, bevor er umfiel. Jetzt kam er überhaupt nicht mehr vorwärts, und obwohl er die Stufen zum Senat nur wenige Schritte entfernt erkennen konnte, waren sie für ihn unerreichbar. Wie rasend stieß er seinen Dolch in alles, was er erreichen konnte, und merkte gar nicht, dass er in besinnungsloser Wut laut brüllte. Ohne Vorwarnung ließ der Druck der ihn umgebenden Leiber plötzlich nach, und Pompeius sah, wie eine Reihe von Raptores ihre blutigen Messer beinahe wie zum Salut erhob, während sie zurückwichen. Überall lagen zertrampelte Leiber und schreiende, verwundete Männer, aber diese Raptores griffen nicht an. Pompeius winkte sie heran und hielt sein Messer gezückt, die Klinge parallel zum Unterarm. Schweiß rann ihm aus allen Poren, und er sah verwundert zu, wie sich die Männer immer weiter zurückzogen, bis sie eine Gasse zu den Stufen des Senats bildeten. Er warf einen kurzen Blick in diese Richtung und überlegte, wie weit er wohl kommen würde, wenn er einfach losrannte, entschied sich jedoch dagegen. Er würde ihnen nicht den Rücken zukehren. In diesem Augenblick erblickte er die Uniformen seiner Legionäre, die sich durch das Gedränge schoben. Dort stand auch ein keuchender Clodius. Der Anführer des Pöbels wirkte im Vergleich zu den anderen erschreckend kräftig. Er war kein großer Mann, aber er war ungeheuer stark, und die Menge machte ihm instinktiv Platz, so wie Wölfe instinktiv den Blick vom grausamsten Mitglied des Rudels abwandten. Sein rasierter Schädel glänzte in der Morgensonne vor Schweiß. Pompeius konnte ihn lediglich anstarren. »Sie sind weg, Pompeius, diejenigen, die überlebt haben«, sagte Clodius. »Ruf deine Soldaten zurück.« Seine rechte Hand war nass vor Blut, und die Klinge, die er hielt, war dicht am Griff abgebrochen. Pompeius kam wieder zu sich, als ein Offizier seiner Legion das Schwert hob, um Clodius niederzustrecken. »Halt ein!«, rief Pompeius, der endlich begriffen hatte. »Das hier sind Verbündete!« Clodius nickte bekräftigend, und Pompeius hörte, wie der Befehl weitergegeben wurde, während sich die Legionäre rings um ihn versammelten und ein Schlachtkarree bildeten. Clodius wurde weggedrängt, aber Pompeius hielt ihn am Arm fest. »Muss ich raten, wer hinter diesem Überfall steckt?«, fragte er. Clodius zuckte die massigen Schultern. »Er ist bereits im Senatsgebäude. Eine Verbindung zu ihm lässt sich garantiert nicht beweisen. Milo ist schlau genug, um seine Hände sauber zu halten.« In einer ironischen Geste warf Clodius das abgebrochene Messer zu Boden und wischte sich die blutigen Fäuste am Saum seines Gewandes ab. »Und deine Männer standen bereit?«, fragte Pompeius, der sich sogleich für das ständige Misstrauen verabscheute, das zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden war. Clodius kniff bei dieser Andeutung die Augen zusammen. »Nein. Ohne fünfzig von meinen Leuten setzte ich keinen Fuß auf das Forum. Es waren genug, um rechtzeitig zu dir durchzudringen. Bevor es losging, wusste ich nichts davon.« »Dann schulden wir unser Leben deiner raschen Entscheidung«, sagte Pompeius. Als er hörte, wie nicht weit von ihm ein Wimmern abrupt abbrach, wirbelte er herum. »Sind welche übrig, die man befragen kann?« Clodius sah ihn an. »Nicht jetzt. Bei dieser Art von Arbeit werden keine Namen preisgegeben. Glaube mir, ich kenne mich da aus.« Pompeius nickte und versuchte zugleich, nicht auf die innere Stimme zu achten, die ihn fragte, ob nicht Clodius die ganze Sache inszeniert hatte. Es war ein unangenehmer Gedanke, aber er stand bei dem Manne in einer Schuld, die ihn für Jahre an ihn binden würde. Nicht wenigen Männern im Senat wäre so eine Schuld durchaus den Tod einiger ihrer Diener wert, und Clodius war bekannt dafür, dass er in keiner Hinsicht besonders zimperlich war. Pompeius sah Crassus in die Augen und konnte sich denken, dass der alte Mann ähnliche Gedanken hegte. Kaum wahrnehmbar hob Crassus die Schultern und ließ sie wieder sinken, und Pompeius sah erneut den Mann an, der ihnen das Leben gerettet hatte. Wahrscheinlich würden sie die Wahrheit nie erfahren. Pompeius bemerkte, dass er noch immer den Dolch in der Hand hielt. Unter Schmerzen löste er die Finger vom Griff. Neben Clodius’ ochsengleicher Stärke kam er sich alt vor. Am liebsten hätte er sich sofort das Blut von der Haut gewaschen, sich irgendwohin zurückgezogen, wo er vor allem sicher war, und wäre in ein warmes Bad getaucht, aber er wusste, dass mehr von ihm erwartet wurde. Hunderte von Männern standen in Hörweite, und bis zum Abend würde in allen Läden und Tavernen der Stadt über den blutigen Zwischenfall geredet werden. »Ich komme zu spät zum Senat, meine Herren«, sagte er mit erstarkender Stimme. »Reinigt das Pflaster vom Blut, ehe ich zurückkomme. Die Getreidesteuern warten auf niemanden.« Es war keine besonders geistreiche Bemerkung, aber Clodius lachte. Schulter an Schulter mit Crassus ging Pompeius durch die Gasse aus Clodius’ Männern, und viele neigten respektvoll die Köpfe, als sie vorüberschritten. Die Zehnte zog sich in Panik zurück, ihre geordneten Reihen verwandelten sich in das Durcheinander einer wilden Flucht. Tausende Reiter der Kavallerie der Senonen verfolgten sie, lösten sich vom Hauptgeschehen der Schlacht, dort, wo die Legionen aus Ariminum unbeirrt weiterkämpften und keinen Fußbreit vor dem Feind wichen. Das Marschlager der vorangegangenen Nacht war weniger als eine Meile entfernt, und die fliehende Zehnte, Julius unter ihnen, legte diese Entfernung mit großer Geschwindigkeit zurück. Die Extraordinarii schützten die Nachhut vor den wilden Angriffen der Senonen, und kein einziger Mann fiel, bis sie die schweren Tore der Festung erreichten und sich hinter die Mauern flüchten konnten. Die Senonen erwiesen sich als schwierige Gegner. Julius hatte viele Soldaten der Dritten Gallica bei einem Hinterhalt im Wald verloren und seither immer wieder kleinere Verluste hinnehmen müssen. Der Stamm hatte gelernt, sich den Legionen nicht in offener Feldschlacht zu stellen. Stattdessen schlugen die Krieger in kleinen Scharmützeln zu und verschwanden wieder, wobei sie den römischen Truppen mit ihrer Reiterei immer wieder zusetzten, ohne sich dort erwischen zu lassen, wo sie selbst aufgerieben werden könnten. Die Extraordinarii folgten den Männern der Zehnten durch die Tore des Forts und schlossen sie hinter sich. Es war eine beschämende Position, doch das Fort war eigens zu diesem Zweck errichtet worden. Die Reiter der Senonen ritten johlend und schreiend um die gewaltigen, mit einer steilen Böschung versehenen Wälle, waren jedoch klug genug, sich außer Reichweite zu halten. Schon zweimal zuvor war Julius gezwungen gewesen, seine gesamte Streitmacht hinter diese Befestigungen zurückzuziehen, und die Senonen johlten höhnisch, weil sie es abermals geschafft hatten. Ihr König ritt mit ihnen; lange Banner wehten von den an seinem Sattel befestigten Speeren. Julius beobachtete von der Mauer aus, wie der Anführer der Senonen den Männern im Fort mit dem Schwert drohte und sie verspottete. Er bleckte die Zähne »Jetzt, Brutus!«, rief er hinunter. Die Senonen konnten nicht in das Lager hineinsehen, weshalb ihr Jubel unvermindert anhielt. Der donnernden Hufe ihrer eigenen Pferde wegen hörten sich nicht, wie sich die Extraordinarii am anderen Ende des Lagers sammelten und ihre Reittiere zu einem wilden Galopp quer durch das ausgedehnte Lager antrieben, direkt auf die Mauer in der Nähe des Tores zu. Während sie immer schneller wurden, rissen fünfzig Mann der Zehnten mithilfe von Holzstangen die losen Holzblöcke ein, aus denen der Wall an dieser Stelle bestand. Sie stürzten ein, genau wie Julius es geplant hatte, woraufhin sich eine Lücke bildete, durch die fünf Pferde nebeneinander hindurchpassten. Die Extraordinarii schossen wie Pfeile daraus hervor und hielten direkt auf den König zu. Bevor seine Reiter reagieren konnten, war er eingekreist und vom Pferd gezogen worden. Die römischen Berittenen machten vor dem Feind kehrt und galoppierten sofort durch die Lücke in der Mauer zurück; der brüllende König lag quer über Brutus’ Sattel. Julius ließ das Tor öffnen, und die Zehnte marschierte triumphierend hinaus. Die Panik und die Angst, die sie vorgetäuscht hatten, war verschwunden. Mit lautem Gebrüll warfen sich die Legionäre auf die kopflos durcheinander reitenden Senonen. Die Zehnte drosch mit Speeren und Schwertern auf sie ein, drängte die Gallier immer weiter vom Lager und ihrem gefangenen König fort. Hinter ihnen wurde die Bresche in der Mauer rasch mit Karren geschlossen, die eigens zu diesem Zweck dort standen, und Julius sprang in den Sattel, um hinter den Feinden herzujagen. Mit einem kurzen Blick über die Schulter versicherte er sich, dass das Fort wieder gesichert wurde. Sie hatten auf eine mondlose Nacht warten müssen, um die falsche Mauer zu errichten, aber es hätte nicht besser laufen können. Der König der Senonen war für die Angriffe der Feinde entscheidend, ein Mann, der in der Lage war, klug und schnell auf jede neue Strategie zu reagieren. Ihn aus dem Kampfgeschehen zu entfernen war ein wichtiger Schritt zum Sieg über diesen Stamm. Julius trabte bis zur ersten Reihe der Zehnten und sah ihre Freude über seine Anwesenheit. Die Legionen aus Ariminum hielten wie angewiesen ihre Stellungen, und jetzt würde die Zehnte von hinten über die Senonen herfallen und sie so zwischen den beiden Heeren aufreiben. Gleich beim ersten Zusammenprall der Zehnten mit den Reihen der Senonen spürte Julius, dass sich in der Masse ihrer Reiter und Fußsoldaten etwas verändert hatte. Sie hatten sich zu sehr auf ihren König verlassen, ohne ihn waren sie schon jetzt der Panik nahe. Obwohl sie noch immer versuchten, sich in kleineren Einheiten abzusetzen, so wie es ihnen ihr König an den vorangegangenen Tagen befohlen hatte, war der Kern ihrer Disziplin dahin. Statt sich geordnet zurückzuziehen und sich taktisch neu zu formieren, behinderten sich zwei ihrer Gruppen gegenseitig. Die Zehnte holte sie aus ihren Sätteln und stürmte weiter. Reiterlose Pferde galoppierten laut wiehernd auf dem Schlachtfeld herum. Dann waren die Senonen besiegt. Hunderte von ihnen warfen die Waffen nieder und ergaben sich, sobald sich die Nachricht von der Gefangennahme ihres Königs verbreitete. Drei Meilen entfernt lag ihre größte Stadt. Julius ließ die Zehnte sofort dorthin marschieren, nachdem die Krieger entwaffnet und als Sklaven gefesselt waren. Der Preis für sie würde seine Truhen noch mehr füllen, und auch von der Stadt hieß es, sie sei wohlhabend. Er hoffte, dass ihm noch genug Mittel für den Ausbau seiner Flotte übrig bleiben würden, nachdem er dem Senat seinen Anteil entrichtet hatte. Dann konnte er endlich den rauen Kanal zwischen Gallien und den Inseln überqueren. Sie hatten von den Venetern neun Schiffe erbeutet, aber er brauchte noch ungefähr zwanzig Galeeren, um mehr als nur einen Voraustrupp über das Meer zu schicken. In einem Jahr könnten sie fertig sein, dann würde er seine besten Männer in Landstriche entsenden, die noch kein Römer zuvor erblickt hatte. Als die Zehnte auf die Festung der Senonen zumarschierte, musste Julius vor Begeisterung über diese Aussichten laut lachen, obwohl er in Gedanken bereits mit den tausend Einzelheiten hinsichtlich der Versorgung und Verwaltung beschäftigt war, die immer vonnöten waren, wenn seine Männer auf dem Schlachtfeld siegreich gewesen waren. In zwei Tagen sollte er sich mit einer Abordnung der drei Küstenstämme treffen, wovon er sich neuen Tribut und ein neues Abkommen versprach. Nachdem die Flotte der Veneter versenkt oder gestrandet war, hatte sich ihm der gesamte Norden ergeben, und jetzt, da auch die Senonen aus der Gleichung entfernt worden waren, gehörte ihm die Hälfte Galliens. Inzwischen gab es keinen Stamm mehr, der keine Kunde von den Legionen erhalten hätte. Ganz Gallien redete von seinen Eroberungen, und es verging kaum ein Tag, an dem nicht einer ihrer Anführer in sein Lager kam und auf seine Unterschrift unter einem Abkommen wartete. Adàn hatte alle Hände voll zu tun und war sogar genötigt gewesen, drei zusätzliche Schreiber einzustellen, um die zahllosen Kopien und Übersetzungen anfertigen zu können. Julius überlegte, was er mit dem gefangenen König tun sollte. Wenn er ihn am Leben ließ, war es gut möglich, dass er irgendwann in den kommenden Jahren als Anführer einer Rebellion abermals auf den Plan trat. Des Königs Fähigkeiten schlossen Erbarmen aus, und Julius beschloss sein Schicksal ohne Bedauern. Als die Stadt der Senonen in Sichtweite kam, betrachtete Julius sie mit Wohlgefallen und stellte sich bereits die Tempel darin vor. Es war bekannt, dass die Senonen ihrer Liebe für die Götter mit Münzen und Schmuck Ausdruck verliehen und über viele Jahre ganze Räume voller Schätze angesammelt hatten. Nachdem die Goldschmiede der Legion das Edelmetall in Barren eingeschmolzen und daraus neue Münzen geprägt hatten, würde Julius jedes Wohnhaus und jedes öffentliche Gebäude seiner Schätze berauben lassen. Er würde die Menschen verschonen und unter dem Schutz der Legion am Leben lassen, aber er brauchte ihren Reichtum, um weitermachen zu können. Aus der Ebene wehte ihm ein kalter Wind ins Gesicht. Julius fröstelte im ersten Hauch eines neuen Winters. Er kniff die Augen zusammen und blickte nach Osten, dachte an die Alpen und an die Entfernung, die er zurücklegen musste. Zum ersten Mal würde er die kalten Monate nicht in Gallien verbringen. Stattdessen wollte er nach Ariminum und dort bei einer Zusammenkunft über die Zukunft entscheiden. Crassus’ Brief knisterte beim Reiten auf seiner Haut. Julius hoffte nur, dass er den Versprechungen des alten Mannes noch immer vertrauen konnte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, zurückgerufen zu werden, nicht jetzt, da ganz Gallien offen vor ihm lag. Die Inseln jenseits des Meeres verfolgten ihn in seinen Träumen. Manche behaupteten immer noch, sie existierten überhaupt nicht, aber Julius hatte auf den Klippen der gallischen Küste gestanden und sie weiß in der Ferne schimmern sehen. Die Stadt der Senonen ergab sich, die Tore wurden aufgerissen. Julius ritt unter den Torbogen ein, in Gedanken bereits in Ariminum und weit in der Zukunft. 33 Die Legionswachen auf den Mauern von Ariminum waren gut gegen die Kälte geschützt. Als die Nacht hereinbrach, legten sie schwere Umhänge über ihre Rüstungen und wickelten sich Stoffstreifen um die Gesichter, bis nur noch ein schmaler Sehschlitz frei blieb. Entlang der Brustwehr wurden Feuer in großen Kohlenpfannen entzündet, um die sich die Legionäre stellen durften. Die meisten von ihnen waren frische Rekruten, die aus den Städten im Süden hierher verlegt worden waren, um diejenigen zu ersetzen, die für Cäsar in Gallien kämpften. Ihre Jugend zeigte sich in den gemurmelten neunmalklugen Sprüchen und den streng verbotenen Flaschen mit Branntwein, der sie nach Luft schnappen, husten und einander auf den Rücken klopfen ließ. Ariminum war eine geschäftige Stadt. Nachdem sich die Winternacht über die Straßen gesenkt hatte, brannten nur wenige Lichter in den Fenstern. Noch vor dem Morgengrauen würden sich die Straßen wieder mit Karren und Waren für die Schiffe füllen. Unterwegs in einen neuen Tag würden die Händler für eine Bronzemünze ein paar warme Bissen erstehen, und dann würden auch die Legionäre auf den Mauern abgelöst werden. Vor dem Hintergrund der schweigenden Stadt blickte eine der Wachen auf und spähte angestrengt in die Dunkelheit. »Ich dachte, ich hätte da draußen Pferde gehört«, sagte er. Zwei weitere Soldaten verließen die Wärme rings um die Kohlenpfanne und gesellten sich zu ihm. Sie lauschten in die vollkommene Stille, und gerade als sie sich wieder umdrehen wollten, hörten sie etwas. In dem eigenartigen Schweigen, das von gefrorenem Boden ausging, trugen Geräusche weiter als normal. Der jüngste Wachsoldat kniff die Augen zusammen und bewegte den Kopf hin und her. Außerhalb der Mauern gab es nichts als Dunkelheit, trotzdem hätte er schwören können, dass sich diese Dunkelheit jedes Mal verändert hatte, wenn er den Blick auf sie richtete. Die Schatten verschmolzen zu Umrissen, und der junge Legionär erstarrte. Dann zeigte er mit dem Finger ins Dunkel. »Dort! Reiter ... kann nicht erkennen, wie viele.« Die anderen hatten nicht so gute Augen und starrten lediglich auf die Stelle, auf die er zeigte. »Sind das welche von uns?«, fragte einer von ihnen, um seine Angst zu verbergen. In seiner Phantasie wimmelte es von barbarischen Stammeskriegern, die die Stadtmauern erstürmten. Es schien noch kälter zu werden, und er erschauerte. »Keine Ahnung. Sollen wir den alten Beißer holen?« Die Frage ließ die drei jungen Soldaten verstummen. Die Möglichkeit eines Überfalls war eine Sache, ihren Zenturio wegen nichts und wieder nichts aufzuwecken hieß, sich seinem Zorn auszusetzen. Teras war der Älteste von ihnen. Er hatte nicht mehr Erfahrung als die anderen, denn er hatte sich erst spät anwerben lassen, nachdem er es als Kaufmann nicht zu Reichtum gebracht hatte. Trotzdem sahen sie ihn Rat suchend an, wie sie es auch taten, wenn es um Geld und junge Frauen ging. Er wusste zwar weder über das eine noch über das andere Thema besonders gut Bescheid, umgab sich jedoch stets mit einem Anflug von Weltgewandtheit, der gewaltigen Eindruck auf die jüngeren Rekruten gemacht hatte. Während er noch zögerte, kam der Reitertrupp näher. In das leise Klirren und Scheppern von Rüstungen mischte sich der gleichmäßigen Schritt marschierender Männer. Der Nachtwind riss an langen Bannern, die unwirsch flatterten, als die dunklen Gestalten auf das Tor zuschritten. »Na schön. Holt ihn«, sagte Teras und biss sich besorgt auf die Unterlippe. »Torwache!«, rief eine Stimme unter ihnen. Die Wachen nahmen steif Haltung an, so wie sie es gelernt hatten. »Das Tor ist geschlossen. Kommt morgen wieder«, rief einer der Wachsoldaten, und seine Gefährten verbissen sich das Lachen. Das war wohl einer, den man erst nach einer Branntweinflasche hätte durchsuchen sollen, bevor er seinen Wachdienst angetreten hat, dachte Teras verbittert. Er hätte den jungen Dummkopf am liebsten geschlagen, aber die Worte waren ausgesprochen. Teras schloss die Augen und wartete, während von unten viel sagendes Schweigen heraufdrang. »Ich finde denjenigen, der das gesagt hat, und trete ihm den Hintern zu Brei«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor, jetzt aber mit einer Mischung aus Belustigung und Zorn. »Macht jetzt sofort das Tor auf!« Teras wandte sich den Männern am Querriegel unter ihm zu. Manchmal wünschte er, er wäre Kaufmann geblieben, auch wenn er dabei stets mehr Geld verloren als eingenommen hatte. »Aufmachen!«, rief er hinunter. Die jungen Männer sahen mit besorgten Gesichtern zu ihm herauf. »Sollten wir nicht lieber warten, bis ...« »Ach, macht einfach auf. Es ist kalt, und das da draußen sind Römer. Glaubst du wirklich, Barbaren würden warten, bis wir hier zu Ende gestritten haben?« Gegen Ende war seine Stimme immer lauter geworden, und seine Wut drang besser als alles andere bis zu ihnen durch. Die schweren Querriegel wurden zur Seite geschoben und das Tor vorsichtig aufgezogen. Brutus ritt als Erster hindurch und drückte dem nächstbesten Wächter die Zügel seines Pferdes in die Hand. »Also gut. Wo ist dieser vorlaute Schwachkopf auf der Mauer?« Teras sah einen weiteren Reiter durch das Tor kommen, ebenso dick vermummt wie die Wachen oben. Trotzdem war er eine imposante Erscheinung, und Teras sah deutlich, wie die Männer hinter ihm geduldig warteten, bis er das Tor passiert hatte. Ein Offizier. Die konnte Teras auf eine Meile Entfernung ausmachen. »Wir haben keine Zeit«, sagte der Mann mit klarer Stimme. »Ich bin ohnehin spät dran.« Brutus nickte kurz, warf ein Bein über das Pferd und schwang sich wieder in den Sattel. Der Offizier wartete nicht auf ihn, sondern trieb sein Pferd an und trabte durch die dunklen Straßen. Die anderen folgten ihm wortlos. Bis der Beißer die Mauer erklommen hatte und neben ihm stand, zählte Teras eine volle Zenturie. Das Tor wurde hinter ihnen sorgfältig verrammelt, und die jungen Wachen nahmen wieder ihre Positionen ein. Keiner wagte es, ihrem Zenturio in die Augen zu sehen. Der Beißer war ein Veteran, und wenn man allen Geschichten Glauben schenken wollte, die die Männer über ihn erzählten, hatte er seit den Tagen Karthagos an jeder größeren Schlacht teilgenommen. Obwohl er dann schon mehrere hundert Jahre alt sein müsste, redete er von diesen Zeiten stets so, als wäre er selbst dabei gewesen, wobei er keinen Zweifel daran ließ, dass allein sein Mitwirken die Republik vor Eindringlingen, Disziplinlosigkeit und höchstwahrscheinlich auch vor Pestilenz bewahrt hatte. Was auch immer wahr sein mochte, er hatte jedenfalls unglaublich viele Narben, war stets schlecht gelaunt und verabscheute es zutiefst, dass man ihm schon wieder einen Haufen fangfrischer Rekruten zugeteilt hatte, aus denen er so etwas Ähnliches wie Legionäre machen sollte. »Du, du und ... du«, brummte der alte Soldat, wobei er zuletzt auf Teras zeigte. »Ich weiß nicht, was ihr heute Nacht hier getrieben habt, aber ich weiß ganz genau, dass ihr morgen auf alle Fälle das Scheißhaus an der Famena-Straße leer schaufelt.« Ohne ein weiteres Wort stapfte der Beißer die glitschigen Stufen wieder hinunter, wobei er leise vor sich hinfluchte. Noch nachdem er bereits eine geraume Zeit weg war, konnte Teras seine süßliche Alkoholfahne riechen. Der junge Legionär, der Brutus so vorlaut geantwortet hatte, gesellte sich zu Teras, als dieser wieder seinen Posten an der Kohlenpfanne eingenommen hatte und sich die Hände wärmte. Der junge Mann machte den Mund auf und wollte etwas sagen. »Kein Wort«, sagte Teras grimmig. »Sonst bringe ich dich eigenhändig um.« Julius fand den verabredeten Treffpunkt ohne große Schwierigkeiten. In seiner kryptischen Nachricht hatte Crassus ihn gebeten, sich an den Ort zu erinnern, wo sie einst die Vernichtung des Spartacus geplant hatten. Obwohl Julius seit einer Dekade nicht mehr in Ariminum gewesen war, ließ sich in der übersichtlich angelegten Stadt das einzige Haus, an dem eine Laterne brannte, in der ansonsten leeren Straße in der Nähe des Hafens gut finden. Er hatte versucht, alles so geheim wie möglich zu halten, hatte Gallien ohne Vorankündigung verlassen und war so rasch wie möglich mit einer Zenturie seiner Zehnten hierher marschiert. Die ersten sechzig Meilen hatten sie in kaum mehr als zehn Stunden zurückgelegt, und die Männer hatten sich kein einziges Mal beschwert oder um längere Pausen zum Essen und Trinken gebeten. Sobald er sicher sein konnte, dass er selbst die flinksten Spione hinter sich gelassen hatte, hatte Julius ein langsameres Tempo angeordnet. Andererseits hätten sie über die Alpenpässe in der bitteren Kälte und der dünnen Luft ohnehin nicht schneller marschieren können. Als sie aus dem Gebirge herabgestiegen waren, war Julius sicher, dass jeder, der ihm folgen wollte, bis zum Frühling würde warten müssen. Julius ließ Brutus mit der Zenturie zurück, um die Straße abzuriegeln. Dann ging er raschen Schrittes auf die Tür zu, an die er sich noch aus dem alten Feldzug erinnerte, und klopfte an die Balken, wobei er den Mantel gegen die Kälte enger um sich zog. Ein ihm unbekannter Mann öffnete ihm, und Julius fragte sich, ob er der Besitzer des Hauses war. »Ja?«, brummte der Mann und sah Julius ausdruckslos an. »Gallien«, erwiderte Julius, und der Mann wich zurück, um ihn eintreten zu lassen. Noch bevor er den Raum betrat, hörte Julius das Knistern und Knacken eines großen Holzfeuers. Pompeius und Crassus erhoben sich, um ihn zu begrüßen, und Julius spürte eine Woge der Zuneigung für die beiden Männer, als er ihre Hände ergriff. Auch sie schienen es zu spüren, denn ihr Lächeln sah echt und ungezwungen aus. »Es ist lange her, mein Freund. Hast du meinen Sohn mitgebracht?«, erkundigte sich Crassus. »Du hast mich darum gebeten, ja. Soll ich ihn holen lassen?« Julius sah, dass Crassus einen Augenblick mit sich kämpfte, bevor er antwortete. »Nein. Erst wenn wir miteinander gesprochen haben«, sagte er widerstrebend. »Auf dem Tisch steht etwas zu essen, drüben am Feuer gibt es heißen Wein. Setz dich hin und wärme dich auf.« Mit leisem Schuldgefühl dachte Julius an seine Männer, die draußen in der Nacht froren. Crassus hatte für ihre Zusammenkunft um Ungestörtheit gebeten, trotzdem mussten die Soldaten noch vor dem Morgen Unterkunft und Verpflegung finden. Er fragte sich, wie viel Mann sich in diesem weitläufigen Haus unterbringen ließen, oder ob sie letztendlich in den Ställen übernachten würden. »Seid ihr schon lange in der Stadt?«, fragte Julius. Beide Männer schüttelten die Köpfe. »Erst ein paar Tage«, antwortete Crassus. »Wenn ich noch länger hätte warten müssen, hätte ich nach Rom zurückkehren müssen. Ich bin froh, dass du gekommen bist.« »Was hätte ich nach deiner geheimnisvollen Nachricht anderes tun können? Kennwörter und Nachtmärsche quer durch den Norden. Alles sehr aufregend.« Julius lächelte die beiden Älteren an. »Nein, ehrlich, ich freue mich, dass ich den Winter hier statt in Gallien verbringen darf. Ihr habt keine Vorstellung davon, wie grässlich die dunklen Monate dort sind.« Die beiden ehemaligen Konsuln wechselten einen Blick, und Julius sah, dass von der ehemaligen Spannung zwischen den beiden nicht mehr viel übrig war. Geduldig wartete er darauf, dass sie den Grund für ihre Zusammenkunft ansprachen, obwohl jetzt, da er tatsächlich bei ihnen war, keiner der Männer zu wissen schien, wie er anfangen sollte. Julius machte sich derweil über ein Stück kaltes Lamm her. »Erinnerst du dich noch an unsere Abmachung?«, fragte Pompeius schließlich. Julius nickte. »Natürlich. Ihr habt euch beide ebenso daran gehalten wie ich.« Pompeius grunzte zustimmend. »Aber die Zeit ist vorangeschritten. Wir müssen die Bedingungen neu überdenken.« »Das dachte ich mir schon«, erwiderte Julius. »Es gibt jetzt neue Konsuln, und ihr fragt euch, ob ich euch immer noch genug Profit einbringe. Sagt mir, was ihr braucht.« Crassus lachte trocken auf. »Immer gleich so direkt, Julius. Aber schön. Der Senat hat sich in den Jahren, seit du nicht mehr da bist, sehr verändert.« »Das weiß ich«, antwortete Julius, und Crassus lächelte. »Ja, ich bin sicher, dass du deine eigenen Quellen hast. Es heißt, man will dich aus Gallien zurückrufen, weißt du das auch? Deine Angriffe auf der anderen Seite des Rheins haben dir bei den Senatoren nicht viele Freunde gemacht. Die germanischen Stämme waren nie Teil deines Auftrags, und Pompeius ist ziemlich unter Druck geraten, als er für dich eingetreten ist.« Julius zuckte die Achseln. »Dafür danke ich dir. Ich hielt es für notwendig, die Grenze am Rhein zu halten.« Pompeius neigte sich auf seinem Stuhl nach vorn und wärmte sich die Hände am Feuer. »Du weißt, wie launisch sie sind, Julius. Im einen Jahr jubeln sie dir zu, im nächsten verlangen sie deinen Kopf. So ist es schon immer gewesen.« »Schaffst du es, meine Abberufung zu verhindern?«, fragte Julius, der absolut reglos dasaß. Von der Antwort hing viel ab. »Deshalb sind wir hier, Julius«, erwiderte Pompeius. »Du willst deine Zeit in Gallien verlängern. Dafür kann ich sorgen.« »Als ich damals aufgebrochen bin, war keine Rede von irgendwelchen zeitlichen Begrenzungen«, rief ihm Julius in Erinnerung. Pompeius runzelte die Stirn. »Aber inzwischen hat sich die Situation verändert. Du bist nicht mehr Konsul, und keiner von uns kann in den kommenden Jahren wieder zur Wahl antreten. Es gibt zu viele neue Männer im Senat, die dich lediglich als Feldherrn kennen, der sich in unvorstellbar weit entfernten Ländern herumtreibt. Sie versuchen, deinen Berichten ein Ende zu machen, Julius.« Julius sah ihn ruhig an, sagte aber nichts. Pompeius schnaubte. »Du hast den Norden ungeschützt gelassen, als du die Legionen aus Ariminum mitgenommen hast. Das hat dich sehr viele Sympathien gekostet, und selbst jetzt haben wir die alte Stärke noch nicht ganz wiederhergestellt. Deine Schuldner verfolgen dich im Senat. Es wird sogar davon geredet, dich für den Mord an Ariovist vor Gericht zu stellen. Das alles würde erfordern, dass du dein Kommando aufgibst und nach Hause zurückkehrst.« »Welchen Preis muss ich zahlen, um zu bleiben? Meine Tochter ist dir bereits versprochen«, sagte Julius leise. Pompeius zwang sich zu einem Lächeln, und Julius sah, wie müde er war. Crassus sprach als Erster. »Du hast verstanden, Julius. Das freut mich. Der Preis für meine Unterstützung ist die Rückkehr meines Sohnes, damit er meine Legion anführen kann. Pompeius wird mir eine Provinz überlassen, dort will ich die Ausbildung meines Sohnes fortführen, nachdem er bei dir in die Lehre gegangen ist. Er spricht in seinen Briefen sehr gut von dir.« »An welches Land hast du gedacht?«, fragte Julius mit ungeheucheltem Interesse. »Syrien. Die Parther weigern sich, meine Schiffe mit ihnen Handel treiben zu lassen. Der General einer Legion kann dorthin vordringen, wohin sich kein Kaufmann wagt.« »Ein Fürst der Kaufleute«, murmelte Julius. Crassus grinste ihn an. »Auch der braucht gelegentlich eine gute Legion.« Julius drehte sich auf seinem Stuhl um und sah Pompeius an. »Crassus möchte also Syrien für Rom unterwerfen. Ich gebe ihm seinen Sohn, um die Legion anzuführen. Was könnte Pompeius von mir wollen? Ich habe gehört, dass Clodius und Milo Unruhen auf den Straßen anzetteln. Willst du meine Unterstützung? Die hättest du ohnehin, Pompeius. Falls du meine Stimme brauchst, um für dich als Diktator zu stimmen, würde ich mit meiner Zehnten zurückkommen und mich mit allem befassen, was darauf folgt. Auf mein Wort – das würde ich tun. Ich habe immer noch Freunde in der Stadt. Ich könnte die Diktatur für dich durchsetzen.« Pompeius lächelte den Jüngeren an. »Mir fehlt dein Tatendrang in der Stadt, Julius. Wahrhaftig. Aber, nein, ich habe Clodius Eisen angelegt, und Milo hat seine Kraft verbraucht. Deine Nachrichten sind veraltet. Meine Wünsche sind leichter zu erfüllen.« Wieder wechselte er einen Blick mit Crassus, und Julius wunderte sich über die Freundschaft, die zwischen den beiden entstanden war. Es war seltsam, wie sehr sich Menschen im Lauf der Jahre veränderten. Julius hätte nie geglaubt, dass sie etwas anderes sein könnten als bestenfalls aus der Not geborene Verbündete, aber sie schienen sich durchaus freundschaftlich miteinander arrangiert zu haben. Er fragte sich, ob Pompeius jemals die Wahrheit über Crassus’ Verbindungen zu Catilina erfahren hatte. In Rom gab es immer Geheimnisse. »Ich brauche Gold, Julius«, sagte Pompeius. »Von Crassus weiß ich, dass du in Gallien großen Reichtum errungen hast, weitaus mehr, als die Stadt jemals über die Steuern einnimmt.« Julius warf Crassus einen interessierten Blick zu und fragte sich, wie gut seine Quellen informiert waren. Pompeius redete weiter. Jetzt, nachdem er erst einmal angefangen hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. »Mein privates Einkommen reicht nicht aus, um die Stadt wieder aufzubauen, Julius. Teile Roms sind durch Aufstände beschädigt worden, und der Senat hat nicht die nötigen Mittel. Wenn du sie hast, würden sie für die Fertigstellung der Tempel und der Häuser verwendet werden, mit deren Bau wir bereits begonnen haben.« »Crassus schießt das Geld doch bestimmt vor?«, fragte Julius. Pompeius errötete leicht. »Ich habe es dir gesagt, Crassus«, fuhr er seinen Kollegen an. »Ich werde nicht als Bettler ...« Crassus unterbrach ihn, indem er beschwichtigend die Hand auf Pompeius’ Unterarm legte. »Es geht nicht um ein Darlehen, Julius. Pompeius bittet dich um ein Geschenk.« Er lächelte schief. »Ich habe nie verstanden, dass Geld in so vielen Belangen ein so unangenehmes Thema sein kann. Es ist doch ganz einfach. Die Schatzkammer des Senats ist nicht gut genug gefüllt, um die Millionen zur Verfügung zu stellen, die zum Wiederaufbau einiger Stadtteile benötigt werden. Noch ein Aquädukt, Tempel, neue Straßen. Das kostet alles viel Geld. Pompeius möchte nicht noch mehr Schulden machen. Nicht einmal bei mir.« Julius dachte wehmütig an die Schiffe, die auf seine Zahlungen warteten. Vermutlich war Pompeius nicht der gesamte Inhalt des Briefes bekannt, den Crassus ihm geschickt hatte, aber zumindest hatte er sich vorbereitet. Manchmal war Crassus’ schonungslose Offenheit ein wahrer Segen. »Ich habe das Geld«, sagte er. »Aber dafür verlange ich, dass die Zehnte und die Dritte auf die Gehaltsliste des Senats gesetzt werden. Ich kann ihren Sold nicht länger aus der eigenen Tasche bezahlen.« Pompeius nickte. »Das ist ... akzeptabel«, sagte er. Julius nahm noch ein Stück kaltes Fleisch vom Tisch und aß es, während er nachdachte. »Natürlich müssen meine Befehle in schriftlicher Form bestätigt werden. Weitere fünf Jahre in Gallien, so bindend und unanfechtbar, wie es nur irgend geht. Ich habe keine Lust, nächstes Jahr schon wieder über neue Bedingungen zu verhandeln. Crassus, dein Sohn ist bereit für sein Kommando. Es tut mir Leid, einen so fähigen Offizier zu verlieren, aber so lautete unser Abkommen, und ich halte mich daran. Ich wünsche dir viel Glück mit deiner neuen Provinz. Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass es keine leichte Aufgabe ist, neue Pfade für Rom zu bahnen.« Pompeius sagte nichts, deshalb ergriff Crassus lächelnd an seiner Stelle das Wort. »Und das Gold, Julius?« »Wartet hier!«, antwortete Julius und erhob sich. Er kam mit Publius und Brutus zurück. Die drei Männer schleppten sich mit einer langen Kiste aus Zedernholz ab, die mit breiten Eisenbändern beschlagen war. Sowohl Pompeius als auch Crassus standen auf, als sie das Zimmer betraten, und Crassus eilte auf seinen Sohn zu, um ihn zu umarmen. Julius öffnete die Kiste, in der genug dicke gelbe Münzen lagen, dass sogar Crassus beeindruckt war, der sich von seinem Sohn löste und mit der flachen Hand über das Gold strich. »Ich habe drei weitere solcher Kisten dabei, meine Herren. Mehr als drei Millionen Sesterze, dem Gewicht nach. Reicht das?« Auch Pompeius schien den Blick nicht von dem kostbaren Metall abwenden zu können. »Allerdings«, sagte er mit einer Stimme, die kaum mehr war als ein Flüstern. »Dann sind wir uns also einig?«, fragte Julius und sah von einem zum anderen. Beide Senatoren nickten. »Wunderbar. Ich brauche Unterkünfte für meine Männer für heute Nacht, entweder hier oder in einer Taverne, falls ihr uns etwas empfehlen könnt. Sie haben sich eine warme Mahlzeit und ein Bad redlich verdient. Ich komme morgen bei Tagesanbruch wieder, um die Einzelheiten mit euch beiden zu besprechen.« »Es gibt da noch etwas, was dich interessieren könnte, Cäsar«, sagte Crassus mit glitzernden Augen. Beim Reden warf er einen Blick auf Brutus und zuckte die Achseln. »Ein Freund ist aus Rom mit uns hierher gereist. Soll ich dich zu ihm bringen?« Julius hob eine Augenbraue, doch auch Pompeius schien sich im Stillen ungemein zu amüsieren, als sich ihre Blicke trafen. »Dann geh voran!«, sagte Julius und folgte Crassus nach draußen in die kälteren Flure des Hauses. Pompeius fühlte sich in der Gesellschaft der Männer, die Julius mitgebracht hatte, nicht besonders wohl. Publius spürte es und räusperte sich. »Mit deiner Erlaubnis, Konsul, lasse ich den Rest des Goldes herbringen.« »Vielen Dank«, antwortete Pompeius. Dann nahm er einen Mantel von einem Haken an der Tür und ging mit ihnen in die Nacht hinaus. Crassus nahm eine Lampe von ihrer Wandhalterung und führte Julius durch einen langen Korridor in den hinteren Bereich des Anwesens. »Wem gehört dieses Haus?«, fragte Julius und betrachtete die kostspielige Einrichtung. »Mir«, sagte Crassus. »Der frühere Besitzer ist in Schwierigkeiten geraten, und ich konnte es zu einem hervorragenden Preis erwerben.« Julius wusste, dass der Besitzer einer derjenigen gewesen sein musste, die unter dem Handelsmonopol zu leiden gehabt hatten, das Crassus’ Teil ihrer ursprünglichen Abmachung gewesen war. Interessanterweise hatte der alte Mann das Abkommen nicht verlängern lassen; andererseits bot ihm die Provinz, die Pompeius ihm angeboten hatte, mehr als genug Beschäftigung. Julius hoffte, dass Crassus klug genug war, seinen Sohn die Entscheidungen treffen zu lassen. Obwohl er den alten Senator mochte, war der Mann alles andere als ein Heerführer, wohingegen sein Sohn durchaus das Zeug dazu hatte. »Hier hinein, Julius«, sagte Crassus und übergab ihm die Lampe. Julius bemerkte eine kindliche Freude in Crassus faltigen Zügen, die ihn verblüffte. Er öffnete die Tür und schloss sie dann wieder gegen die hinter ihm liegende Dunkelheit. Servilia hatte noch nie schöner ausgesehen. Julius erstarrte, als er sie erblickte, dann suchte er fahrig nach etwas, woran er die Lampe aufhängen konnte, eine einfache Handlung, die ihm mit einem Mal sehr schwierig erschien. Das Zimmer wurde von dem Feuer in einem Ofen erwärmt, der groß genug war, dass man darin hätte stehen können. Bis hierher drang der heulende Winter nicht vor, und Julius nahm ihre Züge in sich auf, während sie ihn ansah, ohne etwas zu sagen. Sie lag auf einem langen Sofa, angetan mit einem Kleid aus dunkelrotem Stoff, das auf ihrer Haut wie Blut wirkte. Er wusste nicht, was er sagen sollte, und schaute sie lange nur schweigend an. »Komm her«, sagte sie und streckte die Arme nach ihm aus. Silberne Armreifen klimperten bei jeder Bewegung. Er ging auf sie zu, und als er ihre Hände berührte, sank er auch schon in ihre Umarmung, und sie küssten sich. Es bedurfte keiner Worte. Pompeius bereute es, die Wärme des Hauses gegen die winterliche Straße eingetauscht zu haben, aber die Neugier, die an ihm nagte, ließ ihn nicht los. Als die Kisten mit dem Gold angehoben und ins Haus getragen wurden, ging er an der Reihe schweigender Soldaten entlang und verfiel ganz natürlich in seine Rolle als römischer Würdenträger. Sie hatten bei seinem Eintreffen Haltung angenommen und salutiert, und seine Inspektion wurde nun als ganz natürlich hingenommen, beinahe erwartet. In Wahrheit fühlte Pompeius durchaus eine Verantwortung für die Zehnte. Auf seinen Befehl hin war die Primigenia mit einer Legion verschmolzen worden, die in der Schlacht Schande über sich gebracht hatte, und wenn er Julius’ Berichte im Senat verlesen hatte, hatte er stets einen gewissen Besitzerstolz verspürt. Die Zehnte war zu der Legion geworden, der Julius am meisten vertraute, und es war nicht verwunderlich, dass viele ihrer Männer unter den Mannschaften waren, die Julius für diese Zusammenkunft auserwählt hatte. Pompeius sprach den einen oder anderen an, und sie gaben ihm nervös Antwort, wobei sie stets geradeaus blickten. Einer oder zwei zitterten, aber sie bissen die Zähne zusammen, wenn er vorbeikam; sie wollten keine Schwäche zeigen. Pompeius blieb vor dem Zenturio stehen und beglückwünschte ihn zu der Disziplin seiner Männer. »Wie heißt du?«, fragte er, obwohl er es wusste. »Regulus, Herr«, antwortete der Mann. »Ich hatte das Vergnügen, den Senat darüber zu unterrichten, wie gut sich die Zehnte in Gallien geschlagen hat. War es schwer?« »Nein, Herr«, antwortete Regulus. »Ich habe mir sagen lassen, für einen Legionär im Krieg sei das Warten immer am schlimmsten«, bemerkte Pompeius. »Es ist nicht so schlimm, Herr«, sagte Regulus. »Freut mich zu hören, Regulus. Soweit ich gehört habe, hat man euch keine Zeit gelassen, eure Schwerter Rost ansetzen zu lassen. Zweifellos warten noch mehr Schlachten auf euch.« »Wir sind immer bereit, Herr«, sagte Regulus, und Pompeius ging weiter, um ein Stück entfernt mit einem anderen Soldaten zu sprechen. Crassus kehrte in die Wärme der Stube zurück. Sein Sohn wartete dort auf ihn, und der alte Senator ging strahlend auf ihn zu. »Ich bin so stolz auf dich, mein Junge. Julius hat deinen Namen in seinen Berichten an den Senat zweimal lobend erwähnt«, sagte Crassus. »Du hast dich in Gallien hervorragend bewährt, ich hätte es mir nicht besser wünschen können. Bist du nun bereit, eine Legion für deinen Vater anzuführen?« »Das bin ich, Herr«, antwortete Publius. 34 Julius erwachte lange vor Tagesanbruch und lag in der wohligen Wärme da, die von Servilia neben ihm ausging. Er hatte sie in der Nacht nur einmal verlassen, um Crassus zu bitten, seine Männer aus der Kälte hereinzuholen. Während Crassus Zimmer für die Zenturie öffnete und sie mit Essen und Decken versorgen ließ, hatte Julius wieder leise die Tür hinter sich geschlossen und die Welt draußen vergessen. Jetzt, in der Dunkelheit, hörte er das Schnarchen der Soldaten, die jedes Fleckchen im Haus belegt hatten. Zweifellos war man in der Küche bereits dabei, das Frühstück für sie zuzubereiten, und Julius wusste, dass auch er aufstehen und sich Gedanken über den neuen Tag machen sollte. Doch es lag eine köstliche Trägheit in diesem warmen Dunkel; er streckte sich und spürte Servilias kühle Haut an seinem Arm. Sie bewegte sich und murmelte etwas, das er nicht verstand, aber es reichte, dass er sich auf einen Ellbogen aufstützte und ihr Gesicht betrachtete. Manche Frauen sahen im hellen Sonnenlicht am besten aus, Servilia hingegen war am Abend oder im Mondlicht am schönsten. Ihr Gesicht hatte nichts mehr von der scharfen Härte, die er damals darin gesehen hatte. Die ätzende Verachtung, die sie ihm damals, als er bei ihrer letzten Begegnung in ihr Haus marschiert war, entgegengebracht hatte, stand noch immer vor seinem geistigen Auge. Es war ihm ein Rätsel, wie er derart offenkundigen Hass hatte hervorrufen können und sie jetzt trotzdem in seinem Bett lag und sich rekelte wie eine träumende Katze. Vielleicht hätte er sich nach dieser ersten Umarmung im Feuerschein zurückhalten können, aber ihre Augen waren von einem so eigenartigen Kummer erfüllt gewesen, und er hatte noch nie den Tränen einer schönen Frau widerstehen können. Sie rührten ihn, wie es kein Lächeln und keine Koketterie je vermochten. Er gähnte leise. Sein Kiefergelenk knackte. Könnte das Leben doch nur so einfach sein, wie er es sich wünschte! Wenn er sich einfach anziehen und gehen könnte, mit einem letzten Blick auf ihre schlafende Gestalt, dann nähme er eine perfekte Erinnerung an die Frau, die er schon so lange liebte, mit sich. Es würde genügen, um zumindest einen Teil des Schmerzes, den sie ihm zugefügt hatte, auszulöschen. Er sah sie im Schlaf lächeln, und unwillkürlich entspannten sich auch seine Züge. Er fragte sich, ob sie von ihm träumte und dachte an die ungemein erotischen Bilder, die während der ersten Monate in Gallien seine Träume heimgesucht hatten. Er beugte sich näher an ihr Ohr und hauchte seinen Namen hinein, wieder und immer wieder, und musste dabei grinsen. Vielleicht konnte er sie dazu bringen, von ihm zu träumen. Er erstarrte, als sie eine Hand hob, um sich das Ohr zu reiben, ohne zu erwachen. Die Bewegung ließ das weiche Leinentuch verrutschen und entblößte ihre linke Brust; Julius fand das Bild rührend und erregend zugleich. Obwohl das Alter nicht spurlos an ihr vorüber gegangen war, war ihre Brust blass und vollkommen. Julius sah fasziniert zu, wie die entblößte Brustwarze steifer und dunkler wurde, und er überlegte kurz, ob er Servilia wecken sollte, indem er seine warmen Lippen darum legte. Er ließ sich zurücksinken und seufzte. Wenn sie erwachte, würde die ganze Welt wieder auf sie einstürzen. Obwohl Crassus ein Geheimnis für sich behalten konnte, musste Brutus davon in Kenntnis gesetzt werden, dass seine Mutter hier im Norden war. Julius’ Miene verfinsterte sich, als er daran dachte, wie sein Freund reagieren würde, wenn er erfuhr, dass Servilia wieder sein Bett teilte. Er hatte Brutus’ Erleichterung sehr wohl bemerkt, als diese Beziehung mit der doppelten Ohrfeige in Rom ein Ende gefunden hatte. Dass sie jetzt wieder aufflammte, könnte ihm womöglich sehr zu schaffen machen. Nachdenklich verschränkte Julius die Hände hinter dem Kopf. Vor dem Frühling konnten sie nicht nach Gallien zurück; das war ihm von Anfang an klar gewesen. Sobald die Alpen unpassierbar waren, konnte kein Lebewesen mehr auf die andere Seite. Kurzzeitig hatte Julius daran gedacht, nach Rom zu gehen, die Idee aber wieder verworfen. Wenn er nicht sicher sein konnte, die Reise unerkannt machen zu können, stellte er mit nur einer Zenturie als Schutz eine viel zu große Versuchung für seine Feinde dar. Rom war ebenso unerreichbar wie die Gebiete jenseits der Alpen, und Julius kämpfte bei dem Gedanken, mehrere Monate in den tristen Straßen von Ariminum verbringen zu müssen, ein beklemmendes Gefühl nieder. Wenigstens kamen seine Briefe nach Rom durch, dachte er. Außerdem konnte er die Schiffswerften aufsuchen und die Arbeiten an der Flotte, die er in Auftrag gegeben hatte, überwachen. Es war wohl eine eitle Hoffnung zu erwarten, dass sie die Schiffe herausgaben, bevor er mehr als die bereits geleisteten Zahlungen tätigte, ganz egal, was er ihnen auch versprach. Ohne sie würden sich seine Pläne, das Meer zu überqueren, jedoch verzögern, vielleicht sogar um ein volles weiteres Jahr. Er seufzte. In Gallien würde es immer irgendeine Schlacht zu schlagen geben. Selbst wenn ein Stamm seinen Tribut für zwei Sommer gezahlt hatte, war es möglich, dass er im dritten seine Fahnen wieder in den harten Boden rammte und den Römern den Krieg erklärte. Wenn er sie nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, musste Julius notgedrungen der Tatsache ins Auge sehen, dass derartige Aufstände während seiner gesamten Zeit in Gallien immer wieder aufflammen könnten. Die Gallier waren ein zähes Volk, das sich nicht so einfach niederhalten ließ. Seine Augen wurden kalt, als er über die Stämme nachdachte. Sie waren so ganz anders als die Männer und Frauen, die er als Junge in Rom gekannt hatte. Sie sangen und lachten viel öfter, trotz ihres kurzen, entbehrungsreichen Lebens. Julius erinnerte sich, wie verwundert er gewesen war, als er zum ersten Mal zusammen mit Mhorbaine der uralten Mär eines Geschichtenerzählers gelauscht hatte. Vielleicht war einiges bei Adàns Übersetzung verloren gegangen, doch Julius hatte in den Augen altgedienter Krieger echte Tränen gesehen, und am Ende der Geschichte hatte Mhorbaine geweint wie ein Kind, ohne sich im Mindesten zu schämen. »Woran denkst du?«, fragte Servilia. »Du siehst so grausam aus, wie du da sitzt.« Julius suchte den Blick ihrer dunklen Augen und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe gerade an die Lieder der Gallier gedacht.« Sie verzog schmollend den Mund und setzte sich neben ihm auf, das Kissen im Rücken. Das Feuer war längst erloschen, und mit einem Frösteln zog sie die Decken über ihre Schultern, bildete ein Nest aus Stoff, aus dem sie ihn ansah. »Ich lege dreihundert Meilen zurück und stürze mich in eine Nacht wilder Vergnügungen mit dir, und du denkst immer noch an irgendwelche ungewaschenen Wilden? Du erstaunst mich.« Er lachte leise, legte einen Arm um sie und zog das ganze Bündel an seine Brust. »Es ist mir egal, weshalb du gekommen bist. Ich bin nur froh, dass du es getan hast«, sagte er. Das schien ihr zu gefallen. Sie legte den Kopf nach hinten und wollte geküsst werden. Julius drehte den Kopf halb zur Seite, um ihrem Wunsch nachzukommen, und der Duft ihres Parfums beschwor sofort die Leidenschaft und die Unschuld der Vergangenheit wieder herauf. Es war fast zu schmerzlich. »Ich habe dich vermisst«, sagte sie. »Sehr sogar. Ich wollte dich wiedersehen.« Julius sah sie an und rang mit seinen Gefühlen. Einerseits wollte er wütend auf sie sein. Sie hatte ihm so viel Kummer bereitet, dass er sie lange gehasst hatte, zumindest hatte er sich das eingeredet. Trotzdem hatte er in der vergangenen Nacht nach jenem ersten Augenblick nicht gezögert. Alle seine innerlichen Einwände und Wunden waren wie weggewischt, und er kam sich wieder so verwundbar vor wie jeder andere junge Tölpel. »Dann bin ich für dich also lediglich ein nächtlicher Zeitvertreib?«, fragte er. »Du schienst keinerlei Zweifel zu haben, als ich dein Haus in Rom verlassen habe.« »Ich hatte Zweifel, selbst damals. Hätte ich dich nicht weggeschickt, wärst du es schon bald leid gewesen, eine alte Frau in deinem Bett zu haben. Unterbrich mich nicht, Julius. Wenn ich es nicht ausspreche, bin ich vielleicht nicht in der Lage ...« Er wartete, während sie in die Dunkelheit starrte. Eine ihrer Hände verkrampfte sich langsam in der dicken Decke, die sie beide einhüllte. »Wenn du einen Sohn möchtest, Julius, so kann ich dir keinen geben. Nicht mehr.« Julius zögerte, bevor er antwortete. »Bist du sicher?« Sie hob den Blick und seufzte. »Selbstverständlich bin ich sicher. Ich war mir schon sicher, als du Rom verlassen hast. Vielleicht denkst du ja bereits an Kinder, die deinen Namen weiterführen sollen. Du wirst dir ein junges Mädchen mit breiten Hüften suchen, die sie dir schenkt, und mich wirst du wegwerfen.« »Ich habe meine Tochter«, rief er ihr in Erinnerung. »Einen Sohn, Julius! Möchtest du keine Söhne haben, die in deine Fußstapfen treten? Wie oft habe ich dich von deinem eigenen Vater reden hören? Du wärst niemals mit einer Tochter zufrieden, die nicht einmal den Fuß in den Senat setzen darf. Eine Tochter, die keine Legionen für dich anführen kann.« »Deshalb hast du mich verlassen?«, fragte er. Endlich begriff er. »Ich kann in jeder Familie Roms eine Ehefrau finden, die meine Linie weiterführt. Dadurch würde sich zwischen uns nichts ändern.« Servilia schüttelte müde den Kopf. »Doch, Julius. Unausweichlich. Du würdest mich für jede Stunde, die wir zusammen verbringen, schuldbewusst ansehen. Das könnte ich nicht ertragen.« »Warum bist du dann hergekommen?«, wollte er mit jähem Zorn wissen. »Was hat sich für dich geändert, dass du zu mir gekommen bist und alles wieder auf den Kopf gestellt hast?« »Nichts hat sich verändert. Es gibt Tage, an denen ich kein einziges Mal an dich denke, und dann gibt es wieder andere, an denen du mir nicht aus dem Kopf gehst. Als mir Crassus erzählt hat, dass er sich mit dir treffen wollte, bin ich einfach mitgekommen. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. An deiner Seite erwartet mich eine unglückliche Zukunft.« »Weißt du was? Ich verstehe dich überhaupt nicht«, sagte Julius leise und berührte ihr Gesicht. »Ich mache mir nichts aus Söhnen, Servilia. Falls es irgendwann einmal so weit sein sollte, suche ich mir dafür die Tochter eines Senators. Solange du mein bist, werde ich keine andere lieben.« Sie schloss die Augen, und im ersten Licht des Morgens sah er, wie Tränen über ihre Wangen rollten. »Ich hätte nicht kommen dürfen«, flüsterte sie. »Ich hätte dich allein lassen sollen.« »Ich war allein«, sagte er und zog sie an sich, »aber jetzt bist du hier bei mir.« Die Wintersonne war bereits aufgegangen, als Julius im kleinen Innenhof des Anwesens auf Brutus traf, der in ein Gespräch mit Crassus über die Unterkünfte für die Zenturie der Zehnten vertieft war. Sie hatten den zehn Pferden, die sie aus Gallien mitgebracht hatten, in der Nacht im Hof die Vorderbeine gefesselt und sie mit dicken Decken vor der Kälte geschützt. Brutus hatte ihre Futterbeutel mit Getreide aufgefüllt und die dünne Eisschicht durchstoßen, die sich auf den Wassereimern gebildet hatte. Als er Schritte hörte, blickte Brutus auf. »Ich würde mich gern mit dir unter vier Augen unterhalten«, sagte Julius. Crassus wusste sofort, worum es ging, und ließ die beiden allein. Brutus begann, mit langen Bewegungen das zottige Winterfell der Pferde zu striegeln. »Was gibt’s?«, fragte er. »Deine Mutter ist hier«, sagte Julius. Brutus hielt inne und sah ihn an. Er begriff, und seine Züge verhärteten sich. »Will sie mich besuchen ... oder dich?« »Uns beide, Brutus.« »Du erhebst also die Faust gegen meine Mutter, und jetzt kommt sie wieder in dein Bett gekrochen! So ist es doch, oder?« »Denk doch wenigstens einmal nach, bevor du mit mir sprichst. Ich lasse mir deinen Zorn nicht noch einmal gefallen, Brutus, das schwöre ich. Noch ein Wort in diesem Ton, und ich lasse dich hier in diesem Hof hängen. Und ich ziehe dich eigenhändig hinauf!« Brutus drehte sich zu ihm um, und Julius sah, dass er unbewaffnet war. Er war froh darüber. Er sprach mit einer entsetzlichen Langsamkeit, als würde jedes Wort aus ihm herausgepresst. »Weißt du, Julius, ich habe dir sehr viel gegeben. Weißt du eigentlich, wie viele Schlachten ich für dich gewonnen habe? Ich bin in all den Jahren meines Lebens dein Schwert gewesen, und ich war dir gegenüber stets loyal. Aber sobald du den ersten Anflug von Zorn verspürst, drohst du mir mit dem Strick?« Er beugte sich dicht an Julius heran. »Du vergisst dich. Ich war von Anfang an dabei. Und was hat mir das eingebracht? Preist du meinen Namen so wie den von Marcus Antonius? Gibst du mir die rechte Flanke, wenn ich mein Leben für dich riskiere? Nein, du kommst hier herausspaziert und behandelst mich wie deinen Hund.« Julius konnte die bleiche Wut, die er vor sich sah, lediglich anstarren. Brutus’ Mund war verzerrt vor bitterem Hohn. »Wie du willst, Julius. Du und sie, ihr beide geht mich nichts an. Das hat sie mir schon einmal unmissverständlich klar gemacht. Aber ich werde nicht hier bleiben und zusehen, wie du den Winter damit verbringst ... eure Beziehung zu erneuern. Ist das für dich freundlich genug ausgedrückt?« Einen Augenblick lang konnte Julius ihm nicht antworten. Er suchte nach Worten, mit denen er den Schmerz seines Freundes lindern konnte, doch nach seinen Drohungen wären sie wertlos gewesen. Schließlich schob er das Kinn vor und verschanzte sich hinter Kälte. »Wenn du gehen willst, halte ich dich nicht auf«, sagte er. Brutus schüttelte den Kopf. »Nein, es wäre für euch ja auch nicht angenehm, mich hier als Zeugen um euch zu haben. Ich gehe bis zum Frühling nach Rom. Hier hält mich nichts.« »Wenn es das ist, was du willst«, sagte Julius. Brutus antwortete nicht, sondern nickte nur, drehte sich um und fing wieder an, das Pferd zu striegeln. Julius blieb in schmerzlichem Schweigen stehen. Er wusste, dass er etwas sagen musste. Brutus redete leise auf sein Pferd ein, schob ihm sanft das metallene Gebiss ins Maul. Als er aufstieg, blickte er auf den Mann herab, den er mehr als jeden anderen verehrte. »Wie endet es diesmal, was meinst du? Wirst du sie wieder schlagen?«, fragte er. »Das geht dich nichts an«, erwiderte Julius. »Es gefällt mir nicht, dass du sie wie eine deiner Eroberungen behandelst, Julius. Ich frage mich, wann du wohl genug hast. Selbst Gallien reicht dir nicht, du musst noch mal zwanzig Schiffe bauen lassen. Feldzüge müssen irgendwann einmal zu Ende sein, oder hat dir das niemand gesagt? Legionen müssen heimkehren, wenn der Krieg vorbei ist, und nicht den nächsten Krieg suchen, und dann noch einen.« »Geh nach Rom! «, erwiderte Julius. »Bleib den Winter über dort. Aber vergiss nicht, dass ich dich im Frühjahr wieder brauche.« Brutus entrollte einen Pelzumhang und legte ihn sich fest um die Schultern. Er hatte genug Geld im Beutel, um auf der Reise nach Süden Verpflegung zu kaufen, und er wollte fort. Doch als er die Zügel in die Hand nahm und in das unglückliche Gesicht seines Freundes hinabschaute, wusste er, dass er dem Pferd nicht einfach die Sporen geben und ohne ein weiteres Wort davonreiten konnte. »Ich werde da sein«, sagte er. Am folgenden Morgen reisten auch Crassus und Pompeius nach Rom zurück und überließen Julius das Haus. Innerhalb einer Woche hatte er sich daran gewöhnt, am Vormittag mit Adàns Hilfe Briefe und Berichte zu verfassen und den Rest des Tages mit Servilia zu verbringen. Er besuchte mit ihr die Werften im Westen, und in jenen Wochen kamen sie sich wie ein frisch verheiratetes Paar vor. Julius war unendlich dankbar, dass sie zu ihm gekommen war. Nach den erschöpfenden Feldzügen in Gallien war es die reinste Freude, die Theater einer römischen Stadt zu besuchen und auf den Marktplätzen die eigene Sprache aus jedem Mund zu vernehmen. Er sehnte sich danach, Rom wiederzusehen, aber selbst in Ariminum musste er sich vorsehen. Wenn die hiesigen Geldverleiher herausfanden, dass er wieder in der Stadt war, würden sie ihn mit ihren Forderungen bedrängen, dabei war ihm kaum genug geblieben, um seine Männer über den Winter zu bringen. Julius wusste, dass sein einziger Vorteil darin bestand, dass Männer wie Herminius mehr an seinem Geld als an seinem Blut interessiert waren. Wenn man ihn festnahm und in die Hauptstadt brachte, hatte niemand etwas davon. Trotzdem trugen seine Männer in der Öffentlichkeit Mäntel über ihren leicht zu erkennenden Rüstungen, und Julius mied die Häuser derjenigen, die ihn erkennen könnten. Er genoss Servilia, und ihre Liebesspiele waren wie Wasser in der Wüste. Er konnte seinen Durst kaum stillen, ihr Duft war ständig auf seiner Haut und in seiner Lunge. Als der Winter allmählich verging und die Tage länger wurden, verursachte ihm der Gedanke, dass er sie bald verlassen musste, beinahe körperliche Qualen. Ab und zu dachte er daran, sie mitzunehmen oder dafür zu sorgen, dass sie ihn in den neuen Ländern, die er für Rom in Besitz nahm, besuchte. Tausende anderer Siedler beackerten bereits große Flächen jungfräulichen Bodens, so dass er ihr zumindest einen gewissen Komfort versprechen konnte. Es war nur ein Traum, das wussten sie beide, auch wenn sie davon träumten, ein kleines Haus für sie in einer der römischen Provinzen einzurichten. Servilia konnte die Stadt ebenso wenig verlassen wie der Senat. Sie war ein Teil von ihr. Ohne die Stadt war sie verloren. Durch sie erfuhr Julius, wie weit Clodius und Milo sich die Herrschaft über die ärmeren Stadtviertel gesichert hatten. Er hoffte, dass Pompeius’ Vertrauen nicht enttäuscht würde, und schrieb ihm noch einen Brief, in dem er ihm seine Unterstützung zusicherte, falls dieser eine Abstimmung zur Diktatur erzwingen wollte. Obwohl Julius wusste, dass er dem Mann niemals vollständig vertrauen konnte, gab es doch wenige andere, die die Kraft und die Fähigkeit hatten, die ungestüme Stadt zu bändigen; sein Angebot war ernst gemeint. Pompeius als Diktator war der Anarchie jederzeit vorzuziehen. Als die Kälte des Winters nachließ, war Julius die blasse Imitation Roms, die Ariminum letztendlich darstellte, bereits leid. Er konnte es kaum erwarten, dass der Schnee in den Bergen schmolz, obgleich das Ende des Winters auch eine verdrängte Schuld und eine geheime Angst mit sich brachte. Jeder Tag, der verging, brachte ihn dem Augenblick näher, an dem entweder sein ältester Freund zurückkehren oder er die Berge ohne ihn überqueren musste. 35 Auf dem letzten Abschnitt seines Ritts nach Rom hatte Brutus den Mantel abgelegt. Obwohl die Luft immer noch frisch war, fehlte ihr der Biss des gallischen Winters, außerdem hielt ihn die Anstrengung des Reitens warm. Sein ursprüngliches Pferd hatte er längst bei der ersten Legionsstation auf der Via Flaminia zurückgelassen. Er hatte dafür gezahlt, dass der Wallach gut versorgt wurde, und würde ihn auf dem Rückweg wieder abholen. Dieses System erlaubte ihm, alle 30 Meilen ein frisches Pferd zu übernehmen, und so hatte er die Reise in nur sieben Tagen bewältigt. Nach der ersten Freude beim Eintritt durch das Stadttor hatte sich über alles ein Schatten gelegt, als er sich seine Umgebung näher betrachtet hatte. Rom sah in mancherlei Hinsicht aus wie immer, aber seine soldatischen Instinkte hatten ihn sofort aufmerken lassen. Alexandrias Briefe hätten ihn auf die Veränderungen vorbereiten sollen, aber es war ihr nicht gelungen, die Stimmung blanker Panik zu übermitteln, die in der Luft lag. Die Hälfte der Männer, denen er begegnete, war auf die eine oder andere Weise bewaffnet. Einem geübten Auge fiel so etwas sofort auf. Mit einer verborgenen Klinge ging man anders, und Brutus spürte eine Anspannung, die er auf den Straßen seiner Heimatstadt noch nie zuvor erlebt hatte. Niemand hielt sich an den Straßenecken auf und plauderte. Rom kam ihm beinahe vor wie eine belagerte Stadt, und unbewusst übernahm er auf seinem eiligen Weg zu Alexandrias Laden das Verhalten der Menschen. Als er das Geschäft verlassen und verrammelt vorfand, stieg einen Augenblick lang Angst in ihm auf. Vorübergehende hörten ihn rufen, aber keiner von ihnen wagte es, ihm ins Gesicht zu sehen. Sogar die Bettler waren aus den Straßen verschwunden. Brutus dachte nach. Die Stadt lebte in Furcht. Er hatte so etwas schon früher gesehen, bei Menschen, die wussten, dass ein Krieg bevorstand. Er klopfte an die Türen der anderen Läden in der Straße, und auch das war Besorgnis erregend. Die Eigentümer sahen aus, als wären sie krank vor Angst, und drei von ihnen starrten ihn nur verständnislos an, als er zu erfahren versuchte, was mit Tabbic geschehen war. Der vierte war ein Metzger, der die ganze Zeit wachsam ein großes Knochenbeil in der Hand hielt, solange Brutus sich in seinem Laden aufhielt. Die Eisenklinge schien ihm Selbstvertrauen zu schenken, das den anderen fehlte, und er schickte Brutus in ein Viertel, das viele Straßen entfernt lag. Auch als Brutus sein Geschäft verließ, legte der Mann das Beil nicht weg. Draußen auf der Straße verstärkte sich das Gefühl wieder. Als er in Griechenland gewesen war, hatten die Veteranen immer von einem »Kribbeln« gesprochen, das ihnen angekündigt hatte, wenn Gefahr drohte. Brutus spürte, wie es ihn kribbelte, während er zwischen den wenigen Passanten einherging. Als er die besagte Adresse erreicht hatte, war er fast überzeugt, dass er Alexandria aus der Stadt schaffen sollte, bevor sich die angestaute Spannung entlud. Was auch immer kommen mochte, er wollte sie nicht mitten darin wissen. Der neue Laden war viel größer als der alte und erstreckte sich über die zwei Stockwerke eines sehr gepflegten Wohnhauses. Brutus hob die Hand, um anzuklopfen, sah dann aber, dass die Tür offen stand. Er kniff die Augen zusammen und zog geräuschlos seinen Gladius. Lieber machte er sich lächerlich, als dass er unvorbereitet in eine gefährliche Situation tappte. Inzwischen war er auf alles gefasst. Drinnen war alles fünfmal so groß wie in dem kleinen Laden, den Tabbic zuvor besessen hatte. Brutus’ Blick heftete sich sofort auf die Gestalten am anderen Ende des Raumes. Dort standen Alexandria und Tabbic mit einem ihm unbekannten Mann. Ihnen gegenüber standen vier andere Männer von der Sorte, wie er sie auf den Straßen nur allzu oft gesehen hatte. Keiner der Anwesenden hatte sein Eintreten bemerkt, und Brutus zwang sich, langsam auf die Gruppe zuzugehen, vorbei er an der gewaltigen neuen Schmiedeesse, die an der Wand aufragte und Wärme nach ihm spie, als er daran vorbeikam. Ihr Prasseln übertönte das leise Geräusch seiner Sandalen auf dem Steinboden, und er war schon sehr nahe heran, als einer der Männer plötzlich einen Schritt nach vorn machte und Alexandria zu Boden stieß. Mit einem Aufschrei stürzte Brutus vor, und die vier Männer wirbelten herum. Zwei von ihnen trugen Messer, zwei hatten Schwerter wie das seine, aber er ließ sich davon nicht beeindrucken. Alexandria rief ihm entsetzt etwas zu, und nur die Verzweiflung in ihrer Stimme hielt ihn davon ab, den ersten Hieb auszuführen. »Nein, Brutus! Nicht!«, schrie sie. Die Männer, die sie bedrohten, waren keine Anfänger, das sah er sofort. Sie wichen zur Seite, um nicht möglichen Klingen von hinten ausgesetzt zu sein, während sie sich ihm zuwandten. Brutus ließ das Schwert sinken und trat in ihre Reichweite, als hätte er nichts zu befürchten. »Was geht hier vor?«, erkundigte er sich und funkelte den Mann an, der sie gestoßen hatte. »Geht dich nichts an, mein Junge«, sagte einer von ihnen und stieß mit seinem Schwert in Brutus’ Richtung, damit er zusammenzuckte. Brutus sah ihn ungerührt an. »Ihr habt wirklich nicht den geringsten Schimmer, mit wem ihr redet, was?«, sagte er und grinste hässlich. Seine lässig zur Seite gerichtete Schwertspitze malte kleine Kreise in die Luft. Die winzige Bewegung schien die Blicke der anderen Männer anzuziehen, doch derjenige, der gesprochen hatte, hielt seinem Blick stand und wagte nicht wegzusehen. In der Art, wie Brutus so unbekümmert vor ihren Klingen stand, lag etwas Schreckliches; sein Selbstbewusstsein schüchterte sie ein. »Wer sind die Kerle, Ria?«, fragte Brutus, ohne sie anzusehen. »Eintreiber von Clodius«, antwortete sie und stand wieder auf. »Sie verlangen mehr Geld, als wir haben. Mehr als wir verdienen. Aber du darfst sie nicht töten.« Brutus runzelte die Stirn. »Warum nicht? Niemand würde sie vermissen.« Einer der Raptores antwortete ihm. »Weil diesem hübschen Mädchen bestimmt nicht gefallen würde, was unsere Freunde mit ihr machen würden, mein Junge. Also steck dein Schwert ...« Brutus schlitzte dem Mann die Kehle auf und beobachtete ungerührt die anderen, als dieser gurgelnd zusammenbrach. Obwohl er nur wenige Zentimeter von ihren Klingen entfernt stand, wagte keiner von ihnen, sich zu bewegen. »Möchte noch jemand Drohungen ausstoßen?«, fragte er. Sie starrten ihn mit aufgerissenen Augen an und vernahmen die grässlichen, würgenden Geräusche vom Boden. Niemand blickte nach unten. »Oh nein, bei den Göttern«, hörte er Alexandria flüstern. Brutus ignorierte sie und wartete darauf, dass einer der Männer das Schweigen brach, das sie gefangen hielt. Er hatte gesehen, wie Renius Gruppen eingeschüchtert hatte, aber es gab immer irgendwelche Dummköpfe. Er sah zu, wie die Männer sich rückwärts von ihm wegschoben, bis sie außer Reichweite seines Gladius’ waren. Brutus machte zwei rasche Schritte auf sie zu. »Jetzt bloß keine dummen Bemerkungen, Freunde. Keine Schmähungen beim Hinausgehen. Verschwindet einfach. Wenn es sein muss, finde ich euch überall.« Die Männer wechselten Blicke, aber keiner von ihnen sagte etwas, als sie an den Essen vorbei zur Eingangstür gingen. Der Letzte machte sie leise hinter sich zu. Alexandria war bleich vor Angst und Zorn. »Das wär’s dann«, sagte sie. »Du weißt ja nicht, was du getan hast. Sie kommen mit mehr Leuten zurück und brennen uns den Laden nieder. Bei den Göttern, Brutus, hast du denn nicht gehört, was ich gesagt habe?« »Ich habe es gehört, aber jetzt bin ich ja da«, antwortete er und wischte sein Schwert an dem erkaltenden Leichnam zu seinen Füßen ab. »Wie lange? Wir müssen auch dann mit ihnen leben, wenn du wieder bei deinen Legionen bist, verstehst du das denn nicht?« Brutus spürte, wie Zorn in ihm aufloderte. Er hatte schon genug davon, ständig von Julius kritisiert zu werden. »Hätte ich einfach zusehen sollen? Ja? Wenn du erwartest, dass ich einfach untätig danebenstehe, wenn sie dich bedrohen, dann bin ich nicht derjenige, für den du mich hältst!« »Er hat Recht, Alexandria«, mischte sich Tabbic ein und nickte Brutus zu. »Jetzt lässt es sich ohnehin nicht mehr ungeschehen machen, aber Clodius wird weder uns noch dich vergessen, Brutus. Wir müssen eben die nächsten paar Nächte in der Werkstatt schlafen. Bleibst du bei uns?« Brutus musterte Alexandria. Es war nicht gerade die Begrüßung, die er sich auf seinem Ritt nach Süden ausgemalt hatte, aber dann zuckte er die Achseln. »Selbstverständlich. Dadurch spare ich zumindest die Kosten für eine Unterkunft. Kriege ich jetzt endlich einen Begrüßungskuss oder nicht? Aber bestimmt nicht von dir, Tabbic.« »Erst schaffen wir die Leiche weg«, sagte Alexandria. Sie hatte angefangen zu zittern, und Tabbic setzte einen Kessel auf den Schmiedeofen, um ihr etwas Warmes zu trinken zu brauen. Brutus seufzte, packte den Leichnam an den Knöcheln und zog ihn über die Steinfliesen. Als er außer Hörweite war, beugte sich Teddus zu Alexandria. »Ich habe noch nie jemanden so schnell zuschlagen sehen«, sagte er. Sie blickte ihn an und nahm aus Tabbics Hand eine Tasse mit heißem, würzigen Wein entgegen. » Er hat Cäsars Turnier gewonnen, weißt du nicht mehr?« Teddus stieß einen leisen Pfiff aus. »Die Silberrüstung? Das will ich wohl glauben. Ich habe selbst ein kleines Sümmchen auf ihn gewettet und gewonnen. Soll ich heute Nacht hier bleiben? Es könnte eine lange Nacht werden, wenn Clodius erfährt, was mit seinem Mann hier passiert ist.« »Kannst du denn bleiben?«, fragte Alexandria. Der alte Soldat schaute beschämt zur Seite. »Natürlich«, sagte er mürrisch. »Und mit deiner Erlaubnis hole ich meinen Sohn dazu.« Er räusperte sich, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Wenn sie in der Nacht jemanden herschicken, wäre es gut, einen Ausguck auf dem Dach zu haben. Dort oben macht er auch keinen Ärger.« Tabbic sah die beiden an und nickte, nachdem er seine Entscheidung getroffen hatte. »Ich bringe meine Frau und die Kinder für ein paar Tage zu ihrer Schwester. Dann gehe ich in der alten Straße vorbei und versuche, ein paar kräftige Burschen für heute Nacht zu finden. Vielleicht freuen sie sich über eine Gelegenheit, wenigstens einmal zurückzuschlagen. Schließ hinter mir ab, wenn ich draußen bin.« Clodius’ Männer kamen mit Fackeln, um den Laden niederzubrennen, als es dunkel war. Es waren viele. Teddus’ Sohn kam die Hintertreppe heruntergepoltert, rief seine Warnung, und Brutus fluchte laut. Er hatte seine silberne Rüstung aus dem letzten Wachhaus an der Stadtmauer geholt und zurrte nun die Riemen und Schnallen des Brustpanzers fest, während er sich kampfbereit machte. Er ließ den Blick über die zusammengewürfelte Truppe schweifen, die sich vor Tabbics Schmiedeessen versammelt hatte. Der Goldschmied hatte vier junge Männer aus den Läden in der alten Straße mitgebracht. Sie trugen gute Klingen, obwohl Brutus bezweifelte, dass sie mehr damit anfangen konnten, als wild drauflos zu hacken. In der letzten Stunde vor Einbruch der Dunkelheit hatte er ihnen den Vorteil eines wiederholten Stoßes erklärt und sie so lange üben lassen, bis sich ihre steifen Muskeln gelockert hatten. Jetzt betrachteten sie den Krieger in der Silberrüstung vor ihnen mit glänzenden Augen. »Wenn sie Feuer legen wollen, müssen wir hinausgehen und sie stellen. Das Haus hat Balken aus Holz, also müssen wir Wassereimer bereithalten, falls die Kerle durchkommen. Wenn es genug sind, könnte es ... schwierig werden. Wer kommt mit?« Die vier Burschen, die Tabbic mitgebracht hatte, hoben zur Antwort ihre neuen Schwerter, und Tabbic nickte. Auch Teddus hob die Hand, aber Brutus schüttelte den Kopf. »Du nicht. Einer mehr nützt draußen nichts, aber wenn sie an uns vorbeikommen, muss jemand hier bei Alexandria sein. Ich will nicht, dass sie allein bleibt.« Brutus sah sie an, und sein Gesicht verzog sich vor Missfallen. Sie hatte sich geweigert, mit Tabbics Frau und den Kindern zu gehen, und jetzt hatte er Angst um sie. »Wenn sie kommen, hält Teddus sie auf, und du läufst zur Hintertreppe, verstanden? Sein Sohn führt dich durch die Gassen, und du verschwindest. Das heißt, falls du immer noch bleiben willst. Du solltest nicht hier sein, wenn dieser Pöbel anrückt. Ich weiß, was dann alles geschehen kann.« Seine Warnung machte ihr Angst, aber sie hob trotzig das Kinn. »Dieser Laden gehört mir. Ich laufe nicht davon.« Brutus sah sie finster an, hin- und hergerissen zwischen Wut und Bewunderung. Er warf ihr einen kleinen Dolch zu und sah, dass sie ihn geschickt aus der Luft fing und die Klinge überprüfte. Ihre Haut schimmerte im Halbdunkel bleich wie Milch. »Wenn sie an uns vorbeikommen, musst du davonlaufen«, sagte er sanft. »Ich will mir keine Gedanken darüber machen müssen, was sie dir antun werden.« Bevor sie ihm antworten konnte, wurden die Rufe auf der Straße lauter, und Brutus seufzte. Er zog seinen Gladius und ließ den Kopf kreisen, um die Halsmuskeln zu lockern. »Na schön, Jungs. Auf geht’s. Tut, was ich euch sage, dann werdet ihr gern an diesen Abend zurückdenken. Wenn ihr in Panik geratet, tragen eure Mütter bald schwarz. Ist das klar?« Tabbic lachte leise auf, und die anderen Männer nickten stumm und voller Ehrfurcht vor diesem silbernen Feldherrn. Ohne Vorwarnung marschierte Brutus über den hallenden Boden und stieß die Eingangstür auf. Orangefarbenes Flackern spiegelte sich auf seiner Rüstung, als er hinaustrat. Brutus schluckte trocken, als er sah, wie viele Männer hergeschickt worden waren, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Die Menge kam stolpernd zum Stehen, als er sich vor ihr aufbaute und seine vier Gefährten sich in einer Reihe links und rechts von ihm aufstellten. Es war eine Sache, Händler in den Gassen in Angst und Schrecken zu versetzen, eine Gruppe bewaffneter Soldaten anzugreifen war jedoch etwas völlig anderes. Jeder Mann in der Meute erkannte die silberne Rüstung, die Brutus trug; ihr Rufen und Lachen verstummte sofort. Brutus hörte das Knistern ihrer Fackeln, während sie ihn musterten und sich das stumpfe, orangefarbene Licht in ihren Augen fing, die glitzerten wie die Lichter eines Rudels wilder Hunde. Renius hatte einmal gesagt, ein starker Mann könne mit einem Pöbelhaufen fertig werden, wenn er die Initiative ergriff und sie nicht wieder aus der Hand gab. Er hatte auch zugegeben, dass selbst der erfolgreichste Bluff nach hinten losgehen konnte, wenn sich eine Meute hinter ihrer Überzahl versteckte. Niemand rechnet ernsthaft damit, sterben zu müssen, wenn er von seinen Freunden umgeben war, und dieses Vertrauen konnte dazu führen, dass sie auf Schwerter losgingen, gegen die sich keiner von ihnen allein gewagt hätte. Brutus hoffte, dass sie wenigstens nicht betrunken waren. Er holte tief Luft. »Das ist eine ungesetzliche Versammlung«, schleuderte er ihnen entgegen. »Ich bin der Heerführer der Dritten Gallica, und ich sage euch: Geht zurück zu euren Häusern und euren Familien. Ich habe Bogenschützen auf dem Dach postiert. Besudelt euch nicht mit Schande, indem ihr alte Männer und wehrlose Frauen in diesem Haus angreift.« In diesem Moment wünschte er, Julius wäre bei ihm. Julius hätte die richtigen Worte gefunden, um sie zur Umkehr zu bewegen. Zweifellos hätten sie ihn am Ende jubelnd durch die Straßen getragen und sich einer neuen Legion angeschlossen. Der Gedanke daran ließ Brutus trotz der Anspannung lächeln, und diejenigen, die das sahen, zauderten. Einige von ihnen blinzelten hinauf in die Dunkelheit, konnten aber im Schein ihrer Fackeln nichts erkennen. In Wahrheit war dort auch nichts zu sehen. Hätte Brutus ein paar Tage mehr gehabt, hätte er womöglich ein paar gute Männer aufgetrieben, um sie auf dem überhängenden Dach zu postieren, aber so wie die Dinge standen, beobachtete sie von dort oben nur Teddus’ Sohn, und der war unbewaffnet. Ein plötzliches Krachen ließ alle Männer zusammenfahren oder fluchen, und Brutus spannte sich und machte sich auf ihren Ansturm gefasst. Er sah, dass sich ein Ziegel gelöst, vom Dach gerutscht und mitten in der Meute zersprungen war. Er fragte sich, ob das absichtlich passiert war, oder ob der junge Bursche gleich dem Ziegel folgen und, ungeschickt wie er war, auf die Menge herabfallen würde. »Geht uns lieber aus dem Weg!«, rief ein Mann von weiter hinten. Ein Knurren der Menge pflichtete ihm bei. »Ich bin ein Soldat Roms, du Hurensohn«, höhnte Brutus. »Ich bin nicht vor den Sklaven davongelaufen. Ich bin nicht vor den gallischen Horden davongelaufen. Was habt ihr zu bieten, das sie nicht hatten?« Brutus konnte sehen, dass die Menge keinen Anführer hatte. Sie schubsten und stießen einander, aber es gab keinen, der über die Autorität verfügt hätte, sie gegen die Schwerter der Männer auf der Straße vor dem Laden zu schicken. »Eins sage ich euch«, rief Brutus. »Ihr denkt, ihr seid hier sicher, Jungs? Wenn Cäsar aus Gallien zurückkehrt, findet er jeden Einzelnen der Männer, die seine Freunde bedroht haben. Das ist in Stein gemeißelt, meine Freunde. Jedes Wort. Ein paar von euch werden gewiss schon jetzt von ihm bezahlt. Sie werden Listen mit Namen für ihn bereithalten und wissen, wo man diejenigen findet. Da könnt ihr sicher sein. Und wenn er kommt, fährt er durch euch hindurch wie ein heißes Messer.« Es war in der Dunkelheit schwer zu erkennen, aber Brutus hatte den Eindruck, als löse sich die Meute auf, als verdrückten sich diejenigen an den Rändern nach und nach in den Gassen. Eine Fackel wurde von ihrem Träger fallen gelassen und von einem anderen aufgehoben. Welche Macht Clodius auch über sie haben mochte, Julius’ Name war an jeder Straßenecke vorgelesen worden, und er wirkte auf diejenigen, die sich heimlich davonstahlen, wie ein Talisman. Innerhalb kürzester Zeit sah sich Brutus nicht mehr als fünfzehn Mann gegenüber, zweifellos denjenigen, die Clodius damit beauftragt hatte, den Laden niederzubrennen. Keiner von ihnen durfte zurückweichen, es sei denn, er wollte am folgenden Morgen aus dem Bett gezerrt werden. Brutus sah, wie ihre Gesichter vor Schweiß zu glänzen anfingen, als sie bemerkten, wie rapide ihre Anzahl abnahm. Brutus redete ruhig auf sie ein, denn er wusste, dass ihre Verzweiflung sie unberechenbar machte. »An eurer Stelle würde ich die Stadt eine Zeit lang verlassen, Jungs. Ariminum ist weit genug entfernt, und dort gibt es im Hafen immer Arbeit für jemanden, der bereit ist, ein bisschen zu schwitzen.« Der Großteil der Männer blickte ihn wütend, aber unentschlossen an. Es waren immer noch zu viele, als dass Brutus sich im Falle eines Angriffs eine echte Chance ausgerechnet hätte. Ihre Klingen warfen das Licht der Fackeln zurück, und in den harten Gesichtern war kein Anzeichen von Schwäche zu erkennen. Er blickte kurz nach links und rechts und sah die Anspannung der Männer neben sich. »Kein Wort, Jungs«, murmelte Brutus. »Jetzt bloß nichts auslösen.« Mit einem angewiderten Schnauben warf einer der Fackelträger seine Fackel auf die Straße und stelzte davon. Zwei weitere folgten seinem Beispiel, und die anderen wechselten misstrauische Blicke. Dann gingen sie in Gruppen von zweien und dreien davon, bis nur noch eine Hand voll von ihnen zurückblieb. »Wenn ich ein rachsüchtiger Mann wäre, wäre ich sehr versucht, euch auf der Stelle kurz und klein zu hacken«, sagte Brutus zu ihnen. »Ihr könnt nicht die ganze Nacht hier stehen bleiben.« Einer der Kerle verzog das Gesicht. »Clodius wird dich damit nicht einfach davonkommen lassen. Morgen früh wird er einen Mordskrach schlagen.« »Gut möglich. Vielleicht habe ich die Gelegenheit, vorher mit ihm zu sprechen. Vielleicht ist er ja vernünftig.« »Du kennst ihn wohl nicht, was?«, sagte der Mann und grinste. Brutus entspannte sich allmählich. »Geht ihr jetzt nach Hause oder nicht? Es ist zu kalt, um noch länger hier draußen herumzustehen.« Der Mann sah sich nach seinen letzten beiden Kumpanen um. »Ich gehe«, sagte er. »Stimmt es, was du gesagt hast?« »Was meinst du?«, erwiderte Brutus und dachte an seine nicht existierenden Bogenschützen. »Dass du ein Freund von Cäsar bist?« »Wir sind wie Brüder«, sagte Brutus leichthin. »Er ist ein guter Mann für Rom. Ein paar von uns hätten nichts dagegen, wenn er wieder zurückkommt. Zumindest diejenigen mit Familie.« »Er wird nicht ewig in Gallien bleiben«, erwiderte Brutus. Der Mann nickte, dann verschwand er mit seinen Freunden in der Dunkelheit. 36 Brutus nächtigte eine ganze Woche lang auf dem Boden der Werkstatt. Am Abend nach dem Überfall stattete er Clodius’ Haus in der Stadtmitte einen Besuch ab, fand es aber besser bewacht als jede Festung und mit bewaffneten Männern gespickt vor. Während die Tage vergingen, wurde seine Besorgnis nur noch größer. Es war, als hielte die Stadt den Atem an. Obwohl Tabbic seinem Rat folgte und seine Familie von seinem Laden fernhielt, wurde Alexandria mit jedem Tag gereizter, an dem sie gezwungen war, auf dem harten Boden zu schlafen. Alles, was sie besaß, steckte in den neuen Räumen, von den Wänden über das Dach bis hin zu den Vorräten aus Edelmetall und den gewaltigen Schmiedeöfen. Sie würde ihr Hab und Gut nicht verlassen, und Brutus konnte nicht in den Norden zurück, solange er sie in Gefahr glaubte. Die jungen Männer, die ihnen gegen die Eintreiber beigestanden hatten, blieben ebenfalls. Tabbic hatte ihnen einen kleinen Lohn als Wachen angeboten, aber sie wollten sein Geld nicht. Sie verehrten den silbernen Feldherrn, der sie um ihre Hilfe gebeten hatte, und im Gegenzug verbrachte Brutus jeden Tag ein paar Stunden damit, sie im Umgang mit ihren Schwertern zu unterrichten. Gegen Mittag, wenn viele in der Stadt eine Mittagspause machten, dünnten die dichten Menschenmengen immer ein wenig aus. Zu dieser Zeit verließ Brutus mit einem oder zwei der jungen Männer das Haus, um Lebensmittel und Informationen zu beschaffen. Wenigstens konnten sie sich immer eine warme Mahlzeit auf den Schmiedeherden zubereiten, aber der übliche Tratsch auf den Märkten schien abgewürgt worden zu sein. Brutus schnappte bestenfalls hier und da ein paar Bruchstücke auf. Seine Mutter fehlte ihm in der Stadt. Ohne sie erfuhr er nichts davon, was in den Senatssitzungen vor sich ging, und allmählich kam er sich blind und hilflos vor, in einer Stadt, die sich Nacht für Nacht mehr anzuspannen schien. Obwohl Pompeius nach Rom zurückgekommen war, kehrte keine Ordnung in den Straßen ein, schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Mehr als einmal wurden Brutus und die anderen von gedämpften Geräuschen der Gewalt auf der Straße geweckt. Vom Dach aus konnten sie fernen Feuerschein erkennen, irgendwo im Labyrinth der Seitenstraßen und Gässchen. Die bewaffneten Banden unternahmen keinen zweiten Versuch, die Werkstatt anzugreifen, und Brutus befürchtete, dass ihre Herren mit ernsthafteren Kämpfen beschäftigt waren. In der Mitte der zweiten Woche erzählte man sich auf allen Märkten, Clodius’ Raptores hätten das Haus des Redners Cicero überfallen und versucht, es ihm über dem Kopf anzuzünden. Der Mann konnte ihnen entwischen, aber es gab keinen öffentlichen Aufschrei gegen Clodius, was für Brutus ein weiteres Zeichen dafür war, dass Recht und Gesetz in dieser Stadt nicht mehr zählten. Seine Auseinandersetzungen mit Alexandria wurden immer hitziger, bis sie sich schließlich dazu bereit erklärte, das Ende der Krise auf Julius’ Landgut vor den Toren Roms abzuwarten. Die Stadt selbst verwandelte sich nachts immer mehr in ein Schlachtfeld, und die Werkstatt war das Leben seiner Schützlinge nicht wert. Für eine ehemalige Sklavin jedoch war der Laden das Symbol für alles, was sie erreicht hatte, und Alexandria weinte bitterlich darüber, dass sie ihn den Banden überlassen sollte. Brutus wagte sich auf ihr Bitten hin zu Alexandrias Haus, um ein paar Kleidungsstücke zu holen, und kam mit Octavians Mutter Atia zurück, die sich der kleinen Gruppe anschloss, die sich bei Einbruch der Dunkelheit in der Werkstatt zusammendrängte. Der junge Feldherr litt jeden Tag mehr unter der erzwungenen Untätigkeit. Wäre er allein gewesen, hätte er sich leicht der Legion des Pompeius in ihrer Kaserne anschließen können. So aber schien die Zahl derer, die sich Schutz von ihm erhofften, von Tag zu Tag größer zu werden. Tabbics Schwester hatte ihren Mann und die Kinder zu Tabbics drei kleinen Töchtern in die Sicherheit des Ladens gebracht. Die Familien der jungen Männer hatten ihre Gruppe weiter anwachsen lassen, und Brutus dachte mit Grauen daran, 27 Menschen durch die gewalttätige Stadt zu führen, selbst am helllichten Tag. Als der Senat eine allgemeine Ausgangssperre ab Sonnenuntergang verkündete, beschloss Brutus, dass er nicht länger warten konnte. Nur gesetzestreue Bürger schienen dem Erlass des Senats Folge zu leisten, auf die herumstreunenden Banden hatte er keine Wirkung, und noch in derselben Nacht wurde eine Nachbarstraße des Ladens angezündet. Erbärmliche Schreie hallten durch die Dunkelheit, bis sie irgendwann verstummten. Als die träge Stadt am darauf folgenden Morgen erwachte, bewaffnete Brutus seine Gruppe mit allem, was Tabbic auftreiben konnte, von Schwertern über Messer bis hin zu Eisenstangen. »Wir brauchen bestimmt eine gute Stunde durch die Straßen, und womöglich seht ihr Dinge, bei denen ihr am liebsten stehen bleiben würdet«, sagte er zu ihnen. Er wusste, dass sie von ihm Rettung erwarteten, und er zwang sich angesichts dieses Vertrauens dazu, weiterhin guter Dinge zu sein. »Egal was geschieht, wir bleiben nicht stehen, hat das jeder verstanden? Wenn wir angegriffen werden, schlagen wir zurück und gehen weiter. Wenn wir erst durch das Tor sind, brauchen wir nur ein paar Stunden bis zu dem Landgut. Dort sind wir sicher, bis sich die Lage hier beruhigt hat.« Er trug seine silberne Rüstung, die inzwischen vom Schmutz und Ruß matt geworden war. Einer nach dem anderen nickte, als er ihnen in die Augen sah. »Die Unruhen sind bestimmt in ein paar Tagen oder Wochen vorbei«, sagte er. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen, glaubt mir.« Er dachte an das, was ihm Julius von dem Bürgerkrieg zwischen Marius und Sulla erzählt hatte, und wünschte, sein Freund wäre hier. Obwohl er ihn manchmal hasste, gab es doch nur wenige Männer, die er in einer kritischen Lage lieber an seiner Seite wüsste. Nur Renius’ Anwesenheit wäre noch beruhigender gewesen. »Alle bereit?«, fragte Brutus. Er holte tief Luft, öffnete die Tür und spähte nach draußen. Abfall und Unrat hatten sich an den Straßenecken gesammelt, und wilde Hunde, die kaum mehr als Haut und Knochen waren, stritten sich knurrend und schnappend um irgendwelche Fetzen. Brandgeruch hing in der Luft, und Brutus sah eine Gruppe Bewaffneter an einer Kreuzung herumlungern, als gehörte die Stadt ihnen. »Gut. Folgt mir, und zwar rasch«, sagte er. Seine Stimme verriet seine Anspannung. Sie traten auf die Straße, und Brutus sah, wie die Gruppe der Männer sie aufmerksam musterte, als sie entdeckt wurden. Er stieß einen unterdrückten Fluch aus. Eins der kleinen Mädchen fing an zu weinen, und Tabbics Schwester nahm sie auf den Arm und beruhigte sie im Weitergehen. »Lassen die uns passieren?«, murmelte Tabbic dicht neben Brutus. »Keine Ahnung«, antwortete Brutus und ließ die Gruppe nicht aus den Augen. Es waren zehn oder zwölf, alle mit Ruß auf der Haut und in den Haaren. Die meisten hatten von ihrem nächtlichen Treiben gerötete Augen, und Brutus wusste, dass sie beim kleinsten Anzeichen von Schwäche angreifen würden. Die Männer zückten Klingen und traten auf die offene Straße hinaus, um ihnen den Weg zu versperren. Brutus fluchte leise. »Tabbic? Wenn ich zu Boden gehe, bleib nicht stehen. Alexandria kennt das Gut genauso gut wie ich. Sie werden sie dort nicht abweisen.« Noch während er sprach, machte Brutus größere Schritte und zog mit einer geschmeidigen Bewegung seinen Gladius. Er fühlte Wut in sich lodern, dass Männer wie diese die Unschuldigen der Stadt bedrohen konnten. Es widersprach seinen grundsätzlichsten Überzeugungen, und das Weinen der Kinder hinter ihm spornte ihn an. Die Männer stoben auseinander, als Brutus den Kopf des Ersten vom Rumpf schlug, den Körper mit der Schulter umstieß und zwei weitere tötete, als diese sich zur Flucht wandten. Innerhalb weniger Sekunden rannten die anderen schreiend vor Angst davon. Brutus ließ sie laufen und kehrte zu den anderen zurück, die Tabbic und Alexandra weiterführten. Die Erwachsenen versuchten, die Kinder davon abzuhalten, sich nach den blutigen Leichnamen umzusehen, die Brutus zurückgelassen hatte. »Schakale«, sagte Brutus nur, als er sich ihnen wieder anschloss. Die Kinder sahen ihn entsetzt an, und er bemerkte, dass sein silberner Brustpanzer blutbespritzt war. Eines der Jüngsten fing an zu schluchzen und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Weiter, zum Tor!«, blaffte er und war plötzlich wütend auf sie alle. Sein Platz war in der römischen Legion, nicht hier, als Hütehund für ängstliche Mädchen. Er blickte nach hinten und sah, dass sich die Männer wieder zusammengerottet hatten und ihnen hungrig nachstarrten. Sie machten keine Bewegung in seine Richtung, und Brutus spuckte angewidert aufs Pflaster. Auf dem Weg zum Tor begegneten sie fast keiner Menschenseele. So gut es ging, folgte Brutus den Hauptstraßen, doch selbst dort fehlten sämtliche Anzeichen des normalen Lebens. Der große Markt, der Milo gehörte, lag leer und verlassen da, nur der Wind blies ihnen trockene Blätter und Staub um die Füße. Sie kamen an einer ganzen Reihe ausgebrannter Läden und Häuser vorbei, und eines der Kinder begann beim Anblick einer verkohlten Leiche, die in einem Hauseingang feststeckte, zu schreien. Alexandria legte dem Kind die Hand über die Augen, bis sie vorbei waren, und Brutus sah, dass ihre Hände zitterten. »Da vorne ist das Tor«, sagte Tabbic, um sie aufzumuntern, doch in diesem Augenblick kam eine Meute lachender, betrunkener Männer um eine Straßenecke und erstarrte, als sie Brutus erblickten. Genau wie die erste Gruppe waren sie mit der Asche und dem Ruß der Brände verschmiert, die sie gelegt hatten. Nur ihre Augen und Zähne blitzten aus den verdreckten Gesichtern, als sie hastig nach ihren Waffen griffen. »Lasst uns durch!«, brüllte Brutus sie an und erschreckte die Kinder hinter ihm erneut. Die Männer lachten nur höhnisch, als sie seine zusammengewürfelte Truppe in Augenschein nahmen. Das Gelächter erstarb sofort, als Brutus sich auf sie stürzte und wie im Rausch herumwirbelte und um sich schlug. Sein Gladius war von dem berühmtesten spanischen Waffenschmied hergestellt worden, und jeder seiner Hiebe fuhr durch Kleider und Glieder, so dass um ihn herum große Blutfontänen aufspritzten. Er hörte sich selbst nicht schreien, während er fühlte, wie ihre Klingen an seinem Panzer abglitten. Ein schwerer Schlag ließ ihn benommen auf ein Knie sinken, doch er knurrte nur wie ein wildes Tier, erhob sich sogleich mit frischer Kraft und stieß seinen Gladius einem Gegner von unten in die Brust. Die Klinge zerriss Muskeln und Rippen, gerade als Brutus, von einem Kriegsbeil getroffen, benommen zur Seite wankte. Der Schlag hatte auf seinen Kopf gezielt, sich jedoch in den Panzer gebohrt und war dort stecken geblieben. Er spürte seine Wunden nicht und nahm nur dunkel wahr, dass Tabbic mit den jungen Männern eingriff. Dieses eine Mal verlor er sich völlig im Kampf und scherte sich in seinem Blutrausch nicht um die eigene Deckung. Ohne den Panzer hätte er den Hieb nicht überlebt, doch jetzt drang Tabbics Stimme durch seine Raserei, und Brutus hielt inne, um das Blutbad ringsum in Augenschein zu nehmen. Keiner der Raptores hatte überlebt. Das Straßenpflaster war mit abgetrennten Gliedmaßen und Leichen bedeckt, umgeben von dunklen, sich rasch ausbreitenden Pfützen. »Schon gut, mein Junge, es ist vorbei«, hörte er Tabbic wie aus weiter Ferne sagen. Er spürte die kräftigen Finger des Mannes an seinem Nacken, wo das Beil immer noch in der Rüstung steckte, und Brutus’ Kopf wurde wieder klarer. Blut rann von seiner Rüstung, und als er an sich heruntersah, bemerkte er, dass es auch träge aus einer Wunde an seinem Oberschenkel quoll. Er betastete den Schnitt wie betäubt und wunderte sich darüber, dass er keinen Schmerz spürte. Brutus deutete mit dem Schwert zum Tor. Sie waren so dicht davor, dass ihm der Gedanke, stehen zu bleiben, unerträglich war. Er sah, wie Alexandria ihren Rock zerriss, um sein Bein zu verbinden, während er wie ein Hund keuchte und wartete, bis er wieder genug Luft bekam, um ihnen zu sagen, dass sie sich sofort in Bewegung setzen sollten. »Ich traue mich nicht, diese Axt herauszuziehen, bevor ich nicht weiß, wie tief sie drinsteckt«, sagte Tabbic. »Leg den Arm um meine Schulter, mein Junge. Ich nehme dein Schwert.« Brutus nickte und schluckte zähen Speichel herunter. »Nicht stehen bleiben«, sagte er schwach und setzte sich wankend mit ihnen in Bewegung. Einer der jungen Männer stützte seinen anderen Arm, und gemeinsam gingen sie unter dem Schatten des Tores hindurch. Es war nicht besetzt. Als sich das Pflaster unter ihren Füßen veränderte, begann leichter Schnee auf die schweigende Gruppe zu fallen, und der Geruch nach Rauch und Blut wurde vom Wind weggeweht. Clodius atmete in der eisigen Luft tief durch und wunderte sich über den Anblick des Forums rings um ihn. Er hatte alles gegeben, um Milos Leute mit einem letzten Versuch niederzuringen; die Kämpfe hatten mitten durch die Stadt getobt und sich schließlich sogar bis auf das Forum ausgedehnt. Dort waren im Schneetreiben jetzt mehr als dreitausend Mann in Gruppen und Paaren damit beschäftigt, sich gegenseitig umzubringen. Es gab weder eine Taktik noch irgendwelche Manöver, und jeder Mann kämpfte in ständiger Angst vor denjenigen rings um sich herum, einer wogenden Masse, bei der sich Freund und Feind fast nicht auseinander halten ließen. Wenn einer von Clodius’ Männern triumphierte, konnte er im nächsten Augenblick von hinten erdolcht werden oder von einem anderen die Kehle aufgeschlitzt bekommen. Der Schnee fiel dichter. Clodius sah den blutigen Matsch zu Füßen seiner Leibwache, als Milos Gladiatoren versuchten, an ihn heranzukommen. Dann wurde er gegen die Stufen eines Tempels zurückgedrängt. Er überlegte, ob er sich hineinflüchten sollte, wusste aber, dass er auch dort keinen Schutz vor seinen Feinden finden würde. Gewannen seine Leute die Oberhand? Es war unmöglich zu erkennen. Alles hatte recht gut angefangen, nachdem Pompeius’ Legion in den Osten der Stadt gelockt worden war, um einen angeblichen Aufstand niederzuschlagen und eine Reihe von Bränden zu löschen. Milos Männer waren in der ganzen Stadt verteilt, und Clodius hatte sein Haus überfallen, seine Tore niedergerissen. Milo war nicht daheim gewesen, und der Angriff war zusammengebrochen, als Clodius nach ihm suchte, verzweifelt bemüht, die Pattsituation aufzulösen, die mit dem Tod des einen oder anderen Kontrahenten enden musste. Er konnte nicht genau sagen, wann ihr stummer Krieg zu einem offenen Konflikt ausgebrochen war. Jede Nacht hatte sie einander näher gebracht, bis er auf einmal auf dem Forum um sein Leben kämpfte, während Schnee um ihn herum wirbelte und das Senatsgebäude auf sie alle herabschaute. Clodius wandte den Kopf, als noch mehr Männer aus einer Seitenstraße herbeigerannt kamen. Erleichtert stellte er fest, dass es seine Leute waren, angeführt von seinen ausgewählten Offizieren. Wie Milos Gladiatoren trugen auch sie Brustpanzer und bahnten sich einen Weg durch die kämpfenden Männer zu ihm. Clodius wirbelte herum und sah drei Gestalten mit ausgestreckten Klingen auf ihn zuspringen. Den Ersten streckte er mit einem gewaltigen Schwerthieb nieder, doch der zweite bohrte seinen Dolch in seine Brust und ließ ihn vor Schreck und Schmerz laut aufstöhnen. Er spürte jeden Zentimeter des Metalls, kälter als der Schnee, der sich so leicht auf seine Haut legte. Clodius sah, wie der Mann von ihm heruntergezerrt wurde, doch jetzt wühlte sich der dritte Angreifer durch, und Clodius brüllte vor Schmerz auf, als dessen Messer wieder und wieder in sein Fleisch eindrang. Er sank in die Knie, seine unbändige Kraft verließ ihn, und immer noch stach der Mann auf ihn ein, während Clodius’ Freunde vor Zorn und Kummer in Raserei gerieten. Endlich erreichten sie seinen Angreifer, doch als sie ihn wegrissen, sank Clodius sanft in den blutigen Schnee. Im Sterben konnte er die Stufen des Senatsgebäudes sehen, und in der Ferne hörte er die Hörner der Legion des Pompeius. Milo focht ein erbittertes Rückzugsgefecht, als die Legion mit voller Wucht auf das offene Forum gestürmt kam. Diejenigen, die zu langsam oder noch in ihre Zweikämpfe verwickelt waren, wurden von der Kampfmaschine niedergemäht, und Milo brüllte seinen Männern zu, das Weite zu suchen, ehe sie restlos aufgerieben wurden. Eben noch hatte er voller Begeisterung geschrien, als Clodius zu Boden ging, doch nun musste er selbst einen sicheren Ort finden, wo er seine Streitkräfte neu formieren und weitere Schritte überdenken konnte. Wenn er nur den Angriff der Legion überlebte, würde ihm in Zukunft nichts mehr im Wege stehen. Er rutschte immer wieder im Schnee aus, als er mit den anderen davonrannte, die zu Hunderten flohen wie Ratten vor der Sense. Viele von Clodius’ Männern wurden eingeholt, bevor sie sich davonmachen konnten, und auch sie waren zu panischer Flucht gezwungen, als die Legionäre alles niedermachten, was sich vor ihnen regte. Das Forum leerte sich in alle Richtungen, die Zugangsstraßen füllten sich mit flüchtenden Banden, die sich angesichts einer größeren Gefahr nicht mehr als Feinde ansahen. Die Verwundeten schleppten sich schreiend davon, doch diejenigen, die zu Boden gingen, wurden in Stücke gehauen, als die Reihen der Legionäre über sie hinwegrollten. Nach kurzer Zeit war das weite Forum menschenleer, nur noch die reglosen, schlaffen Gestalten der Toten waren übrig, und auch die wurden bereits von einer dünnen Schneedecke verhüllt. Der Wind heulte zwischen den Tempeln. Die Offiziere der Legion berieten sich und riefen ihren Einheiten knappe Befehle zu. Kohorten wurden auf ihre Posten in der ganzen Stadt geschickt, und inzwischen trafen weitere Berichte ein, die besagten, dass die Unruhen im Tal des Esquilin ausgebrochen seien. Dort hielt sich Pompeius in voller Rüstung auf. Er hatte 1000 Mann zur Sicherung des Stadtzentrums zurückgelassen und drei Kohorten durch die Straßen nach Norden geführt, um die Ausgangssperre durchzusetzen. »Macht die Straßen frei«, befahl er. »Schafft sie alle wieder in ihre Häuser, bis wir die Banden im Griff haben.« Hinter ihm erleuchteten neue Feuersbrünste den grauen Himmel, und der Schnee fiel noch immer. In jener Nacht geriet die Stadt völlig aus den Fugen. Clodius’ Leiche war in den Tempel der Minerva gebracht worden, und Tausende von Menschen stürmten das Gebäude, rasend vor Trauer und Zorn über den Tod ihres Herrn. Die Legionäre wurden in Stücke gerissen, Brände brachen in der gesamten Stadt aus, als diejenigen, die Clodius gefolgt waren, Jagd auf Milo und seine Anhänger machten. Wütende Schlachten wurden in den Straßen gegen Pompeius’ Männer ausgetragen, und zweimal waren die Legionäre gezwungen, sich zurückzuziehen, als sie von allen Seiten angegriffen wurden und sich im Gewirr der Gassen verliefen. Einige wurden in Gebäuden eingeschlossen und verbrannten darin. Andere wurden von riesigen Pöbelhaufen aufgegriffen und überwältigt. Die Legionäre waren es nicht gewohnt, in der Stadt zu kämpfen. Clodius’ Anführer lockten sie an, indem sie Frauen kreischen ließen, und fielen dann über sie her, stachen mit ihren Messern wie von Sinnen um sich, bis die Soldaten tot waren oder ihr Heil in der Flucht suchen mussten. Pompeius selbst wurde von einer gewaltigen Menge bewaffneter Männer zum Senatsgebäude zurückgedrängt. Erst bei einem dritten Schildangriff konnte er ihren Widerstand brechen, aber es kamen immer mehr. Er hatte den Eindruck, jeder Einzelne in Rom habe sich bewaffnet und sei auf der Straße, denn die Massen waren schlicht überwältigend. Er beschloss, sich auf die Stufen des Senats zurückzuziehen und das Gebäude zu nutzen, um seine verbliebenen Kräfte zu koordinieren, doch als er sich auf die freie Fläche des Forums begab, fiel ihm angesichts der Tausenden von Fackeln, die rings um das Gebäude loderten, vor Entsetzen der Unterkiefer herab. Sie hatten die bronzenen Tore aufgebrochen und trugen Clodius über ihre Köpfe hinein in die noch schwärzere Dunkelheit des Hauses. Pompeius sah, wie der blutige Leichnam des Senators hin und her schwankte, als sie ihn die Stufen hinaufhievten. Das Forum brodelte von johlenden und brüllenden Bewaffneten. Pompeius zögerte. In seinem ganzen Leben war er noch niemals vor etwas davongelaufen, und was er da mit ansehen musste, war das Ende all dessen, was er an Rom liebte, doch er wusste, dass seine Männer vernichtet werden würden, wenn er sie auf das Forum führte. Die halbe Stadt schien dort versammelt zu sein. Dann sah er aus dem Inneren des dunklen Senatsgebäudes Flammen auflodern. Jubelnde Männer kamen auf die schneebedeckten Stufen heraus und schwenkten triumphierend ihre Schwerter in der Luft. Grauer Rauch quoll aus dem Eingang, und Pompeius spürte Tränen auf dem Gesicht, warme Tränen auf der kalten Haut. »Mein Theater. Formiert euch vor meinem Theater neu«, rief er seinen wartenden Männern zu. Sich wichen vor der wogenden Menge rings um die Curia zurück, und Pompeius wandte sich von den Flammen ab, die durch das Dach züngelten und deren Knacken und Knistern den Marmor bersten ließen und über das gesamte Forum hallten. Der Anblick der ausgelassenen Gestalten vor den Flammen verursachte ihm größere Schmerzen, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Nur die Dunkelheit verbarg seine Männer, und er verspürte eine hilflose Wut bei dem Gedanken, sich aus dem Herzen seiner Stadt zurückziehen zu müssen. Erst der neue Tag würde alldem ein Ende bereiten, das wusste er. Die Raptores hatten die Herrschaft des Gesetzes gestürzt und waren trunken von ihrer neuen Macht. Aber wenn der Morgen heraufzog, würden sie benommen und erschöpft sein, angewidert von dem, was sie angerichtet hatten. Dann würde er die Ordnung wiederherstellen, und er würde sie mit Eisen und Blut schreiben. Das schwache Licht des Morgens strömte durch die hohen Fenster von Pompeius’ Theater herein und fiel auf die dicht gedrängten Reihen derer, die er aus der ganzen Stadt hier zusammengerufen hatte. Er hatte Zenturien seiner Legion ausgesandt, um nicht nur die Senatoren selbst, sondern auch die Tribunen, den Magistrat, die Ädilen, Quästoren, Prätoren und jeden anderen ranghohen Beamten Roms herbeizuholen. Mehr als tausend Männer saßen auf den weiten Bankreihen rings um die Bühne in der Mitte und blickten auf Pompeius herab; ihre Züge waren vor Angst und Erschöpfung zu grimmigen Masken erstarrt. Mehrere Gesichter fehlten nach den Aufständen in ihren Reihen, und nicht einer der Anwesenden unterschätzte den Ernst der Lage. Pompeius räusperte sich und rieb kurz die Gänsehaut auf seinen nackten Armen. Das Theater war nicht beheizt, und er konnte sehen, wie der Atem seiner schweigend lauschenden Zuhörer in kleinen Wölkchen aufstieg. »So nahe wie gestern Nacht ist Rom seinem Ende noch nie gewesen«, fing er an. Sie saßen starr wie Statuen und hörten ihm zu. Pompeius sah Entschlossenheit in ihren Augen. All die lächerlichen Rivalitäten waren angesichts der Vorfälle der vergangenen Nacht vergessen, und er wusste, dass sie ihm alles zugestehen würden, wenn er nur den Frieden in der Stadt wiederherstellte, ehe sich abermals die Nacht über sie senkte. »Ihr habt alle vernommen, dass Clodius bei den Kämpfen umgekommen ist und seine Leiche in der Curia verbrannt wurde. Die Curia selbst ist niedergebrannt worden. Große Teile der Stadt sind ebenfalls vom Feuer verhehrt worden, in jeder Straße, in jeder Gosse liegen Leichen. Chaos herrscht in der Stadt, ganze Viertel sind ohne Lebensmittel und Wasser. Bis heute Abend dürfte ein Großteil der Menschen hungrig sein, und dann fängt die Gewalt wieder von vorn an.« Er machte eine Pause, doch die Stille war vollkommen. »Meine Soldaten haben Senator Milo bei Tagesanbruch gefangen genommen, als er versucht hat, aus der Stadt zu fliehen. Ich habe vor, das Tageslicht zu nutzen, um den Rest seiner Befehlshaber aufzuspüren, aber Gerichtsprozesse würden ihren Anhängern lediglich Zeit verschaffen, sich neu zu formieren und wieder zu bewaffnen. Ich habe nicht vor, ihnen eine zweite Chance zu geben, meine Herren.« Er holte tief Luft. »Ich habe euch hierher bestellt, damit ihr mir die Vollmachten eines Diktators gewährt. Wenn ich an unsere Gesetze gebunden bleibe, kann ich heute Nacht nicht für den Frieden in unserer Stadt garantieren – oder in irgendeiner anderen Nacht. Ich bitte euch darum, aufzustehen und meine Ernennung zu bestätigen.« Fast wie ein Mann erhoben sich die 1000 Mitglieder der herrschenden Klasse. Einige standen schneller auf als andere, aber am Ende nickte Pompeius mit grimmiger Entschlossenheit und hieß sie mit einem Wink, wieder Platz zu nehmen. »Ich stehe vor euch als Diktator. Nun verhänge ich das Kriegsrecht über ganz Rom. Eine neue Ausgangssperre wird jeden Abend bei Sonnenuntergang in Kraft treten, und wer danach auf der Straße angetroffen wird, wird augenblicklich hingerichtet. Meine Legion wird die Anführer ausfindig machen, die Folter wird uns die Rädelsführer der Straßenbanden liefern. Ich erkläre dieses Gebäude zum Regierungssitz, bis das Haus des Senats neu errichtet ist. Lebensmittel werden jeden Morgen auf dem Forum sowie an den Nord- und Südtoren der Stadt ausgeteilt, bis der Ausnahmezustand aufgehoben wird.« Er ließ den Blick über die Reihen der Anwesenden gleiten und lächelte mit schmalen Lippen. Jetzt würde es ein bisschen wehtun. »Jeder von euch wird einen Zehnten von hunderttausend Sesterze oder wahlweise ein Zehntel seines Vermögens abliefern, je nachdem, welcher Betrag größer ist. Die Schatzkammer des Senats ist geplündert worden, und wir brauchen die nötigen Mittel, um die Stadt wieder auf die Beine zu bringen. Sobald die Truhen wieder gefüllt sind, wird euch alles zurückerstattet, aber bis dahin ist das eine unabdingbare Maßnahme.« Das erste besorgte Gemurmel war in der hallenden Kammer zu vernehmen, aber die Murrer waren in der Minderheit. Der Rest von ihnen war gezwungen worden, der Zerbrechlichkeit all dessen, wofür sie gekämpft hatten, ins Auge zu sehen, und zauderten nicht, für ihre Sicherheit zu zahlen. Pompeius bedauerte es, dass Crassus nicht anwesend war. Er hätte den alten Mann um eine gewaltige Summe erleichtert. Einen Bittbrief zu schicken hatte nicht die gleiche Wucht, wie das Geld persönlich einzufordern, aber das war nicht zu ändern. Nach einem kurzen Blick auf seine Notizen fuhr Pompeius fort. »Ich rufe eine Legion aus Griechenland zurück, aber bis sie die Stadt erreicht hat, brauchen wir jeden Mann, der einen Gladius führen kann. Diejenigen von euch, die Leibwächter in ihren Diensten haben, geben den Schreibern die genaue Anzahl an. Ich muss wissen, mit wie vielen wir rechnen können, falls es abermals zu einem Aufstand kommt. Meine Legion hat vergangene Nacht schwere Verluste erlitten, und diese Männer müssen als Erstes ersetzt werden, wenn wir den Pöbel zermalmen wollen, bevor er wieder zu Kräften kommt. Die Anhänger von Milo und Clodius werde ich ohne Umstände und ohne öffentliche Verkündung hinrichten lassen. Die heutige Nacht wird die schwerste, meine Herren. Wenn wir sie überstehen, wird die Ordnung nach und nach wiederhergestellt werden. Später werde ich sämtlichen Bürgern auf römischem Land eine Steuer zum Wiederaufbau der Stadt auferlegen.« Er sah immer noch benommene Angst in vielen Gesichtern vor sich, doch auf anderen leuchtete bei seinen Worten erste Hoffnung auf. Er bat um Wortmeldungen, und viele von ihnen erhoben sich, um sich nach den Einzelheiten der neuen Regierung zu erkundigen. Pompeius versuchte, alle Fragen zu beantworten und wurde dabei selbst immer ruhiger. Schon wich der entsetzte Ausdruck aus ihren Gesichtern und machte der Routine des alten Senats Platz. Es machte ihm Hoffnung für sie alle. 37 Brutus ließ sich auf dem Stumpf der alten Eiche nieder, die er damals mit Tubruk gefällt hatte, und legte den Stock neben sich. In den grünen Wäldern fiel es ihm leicht, sich an das Lächeln des alten Gladiators zu erinnern, als dieser ihn zu Hause willkommen geheißen hatte. Mit leisem Stöhnen streckte Brutus sein Bein aus und kratzte die violette Linie, die sich oberhalb des Knies fast bis zur Leiste zog. Eine ähnliche Naht über dem Schlüsselbein war Beweis dafür, wie nahe er in seinem unbändigen Wüten dem Tod gekommen war. Beide Wunden waren verschmutzt gewesen und hatten sich entzündet. Von der ersten Woche auf dem Landgut wusste er so gut wie nichts mehr. Clodia meinte, er habe Glück, dass er nicht das Bein verloren hatte, doch schließlich hatte sich die Wunde doch geschlossen, auch wenn die Stiche schrecklich juckten. Verschwommene Bilder stiegen in ihm auf ... wie er mit nassen Tüchern gewaschen wurde, und er verzog beschämt das Gesicht. Julia war zu einer jungen Frau herangewachsen, hatte mehr als nur einen Hauch der Schönheit ihrer Mutter geerbt. Wahrscheinlich hatte Alexandria wegen seiner Behandlung unter vier Augen mit ihr gesprochen. Jedenfalls war sie etliche Tage nicht in seine Nähe gekommen, und wenn er sie irgendwo erblickte, hatten ihre Augen aufgeblitzt wie damals Cornelias, wenn sie wütend war. Danach hatte nur noch Alexandria ihm Schweiß und Schmutz abgewaschen. Brutus lächelte reumütig. Alexandria behandelte ihn wie ein krankes Pferd, rieb ihn mit einer derben Gleichmut ab, so dass seine Haut hinterher regelrecht brannte. Er war erleichtert gewesen, als er endlich wieder kräftig genug war, um es bis in die Baderäume zu schaffen und sich allein zu waschen. Nur ein paar Tage länger, und sie hätte ihm die Haut vom Körper geschrubbt. Im Wald war es friedlich. Ein Vogel sang in einem nahen Baum, und vor seinem geistigen Auge sah er zwei kleine Jungen auf dem gewundenen Pfad zwischen den Büschen davonlaufen, die es kaum erwarten konnten, erwachsen zu werden. Damals war Freundschaft etwas Unkompliziertes gewesen, das Julius und er als selbstverständlich hingenommen hatten. Brutus erinnerte sich daran, wie sie ihre blutigen Hände aneinander gepresst hatten, als ließe sich das ganze Leben auf einfache Gelöbnisse und Handlungen reduzieren. Es war eigenartig, auf diese Tage zurückzublicken, nachdem so viel geschehen war. Manchmal war er stolz auf den Mann, zu dem er geworden war, dann wiederum hätte er alles darum gegeben, noch einmal der kleine Junge zu sein, der noch alle Entscheidungen vor sich hatte. Es gab so Vieles, das er ändern würde, wenn er nur könnte. In jenen langen Sommern waren sie unsterblich gewesen. Sie wussten, dass Tubruk immer da sein würde, um sie zu beschützen, und die Zukunft war lediglich eine Möglichkeit, ihre Freundschaft über die Jahre und in andere Länder zu tragen. Nichts würde jemals zwischen sie kommen, und wenn Rom selbst in Schutt und Asche versank. Brutus zog ein Messer aus dem Gürtel, schob es unter den ersten Stich und durchschnitt den Faden. Behutsam zog er das lose Ende durch die Haut und arbeitete sich bis zum letzten Knoten vor. Er schwieg konzentriert und warf die klebrigen Fäden in die Büsche. Ein dünnes Blutrinnsal tastete sich durch die hellen Haare auf seinem Oberschenkel, bis er es mit dem Daumen verschmierte. Er stand vorsichtig auf, fühlte sich schwach und schwindelig und beschloss, die Stiche am Hals fürs Erste in Ruhe zu lassen, obwohl auch sie fürchterlich juckten. »Ich habe mir gedacht, dass ich dich hier finde«, sagte Julia. Er drehte sich zu ihr um und musste lächeln, als er sah, wie verlegen sie dastand. Er fragte sich, wie lange sie ihn schon beobachtet hatte. Wie alt war sie ... sechzehn? Lange Beine und wunderschön. Alexandria würde nicht erfreut sein, wenn sie hörte, dass sie sich im Wald unterhalten hatten, und er beschloss, es ihr nicht zu erzählen. »Ich wollte mal probieren, wie es mit dem Laufen geht. Das Bein wird kräftiger, aber es dauert bestimmt noch eine Weile, bis ich mich wieder darauf verlassen kann«, sagte er. »Wenn es geheilt ist, gehst du wieder zu meinem Vater«, sagte sie. Es war keine Frage, aber er nickte. »Spätestens in ein paar Wochen. Jetzt, da Pompeius Diktator geworden ist, herrscht wieder Friede in der Stadt. Wir lassen euch dann alle wieder in Ruhe. Dann ist dieses alte Gut wieder so friedlich wie zuvor.« »Das ist mir egal«, sagte sie eilig. »Mir gefällt es, wenn Leute hier sind, sogar die Kinder.« Sie wechselten einen verstehenden Blick, und Brutus lachte leise. Allen Bemühungen Tabbics und seiner Schwester zum Trotz waren die Kleinen schon nach wenigen Tagen wie wild auf dem Landgut herumgetollt, begeistert von den Wäldern und dem Fluss. Clodia hatte schon dreimal eines von ihnen kurz vor dem Ertrinken aus dem tiefen Teich gezogen. Es war erstaunlich, wie rasch sich die Kinder von dem Albtraum ihres Marsches aus der Stadt erholt hatten. Wenn sie sich später einmal an dieses merkwürdige Jahr in ihrem Leben erinnerten, vermutete Brutus, dann würden sie keine getöteten Männer mehr sehen, oder wenn doch, dann war das nichts im Vergleich zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes im Gutshof, wobei Tabbic sie im Sattel festhielt. Kinder waren seltsam. Er konnte sehen, dass Julia die Anmut ihrer Mutter geerbt hatte. Sie trug das Haar lang und mit einem Stoffstreifen im Nacken zusammengebunden. Immer wenn er redete, schien sie sich mit einer eigenartigen Intensität auf sein Gesicht zu konzentrieren, als wäre jedes seiner Worte kostbar. Er fragte sich, wie ihre Kindheit gewesen sein mochte, wie es für sie gewesen war, hier auf diesem Gut aufzuwachsen. Er hatte immer Julius gehabt, aber abgesehen von ihren Lehrern und Clodia musste es für seine Tochter sehr einsam gewesen sein. »Erzähl mir von meinem Vater«, sagte sie und kam näher. Brutus spürte, wie sein Bein zu schmerzen begann, und bevor seine Muskeln sich verkrampfen konnten, griff er nach dem Stock und ließ sich wieder auf dem Baumstumpf nieder. Er schaute in die Kammern seiner Erinnerung und musste lächeln. »Als Kinder sind wir immer auf diesen Baum hier geklettert«, sagte er. »Julius war fest davon überzeugt, alles erklettern zu können, und er hat Stunden auf den unteren Ästen verbracht und versucht, höher zu gelangen. Wenn ich dabei war, konnte er auf meine verschränkten Hände steigen, aber selbst dann war der nächste Ast zu weit weg, als dass er ihn ohne zu springen erreicht hätte. Er wusste genau, wenn er ihn verfehlte, würde er auf den Kopf fallen und mich vielleicht mit sich reißen.« Er schwieg und lachte leise auf, als die Erinnerung über ihn hereinbrach. Julia setzte sich neben ihn, am äußersten Rand des Baumstumpfes. Sogar von dort roch er das Blütenöl, das sie beim Baden benutzte. Er kannte die Blüte nicht, aber der Duft erinnerte ihn an den Sommer. Er atmete ihn tief ein und ließ sich nur einen Augenblick auf das Gedankenspiel ein, die kühle Haut in ihrem Nacken zu küssen. »Ist er runtergefallen?«, fragte sie. »Zweimal«, schnaubte Brutus. »Beim zweiten Mal hat er mich aus dem Baum gerissen, und ich habe mir die Hand verstaucht. Er hatte eine geschwollene Wange, als hätte er eine Ohrfeige bekommen, aber trotzdem sind wir noch einmal hinaufgeklettert, und dann ist er an den Ast herangekommen.« Er seufzte. »Ich glaube nicht, dass er noch einmal auf die alte Eiche geklettert ist. Für ihn gab es dort nichts mehr zu erreichen.« »Ich wollte, ich hätte euch damals gekannt«, murmelte sie. Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Wir waren ein schwieriges Pärchen, dein Vater und ich. Verwunderlich ist nur, dass wir das alles überlebt haben.« »Er kann froh sein, dass er dich zum Freund hat«, sagte sie und errötete ein wenig. Brutus musste plötzlich daran denken, wie Alexandria diese Szene wohl sehen würde, wenn sie zufällig durch den Wald spaziert käme. Das Mädchen war viel zu attraktiv, um ihr den schneidigen jungen Soldaten, der aus dem Krieg heimgekehrt ist, vorzuspielen. Gleich würde er sie um ihren Arm bitten, um ihn auf dem Nachhauseweg zu stützen, und unterwegs würde er sich den einen oder anderen Kuss stibitzen. Der Blütenduft füllte seine Lunge, und er pfiff seine streunenden Gedanken zurück. »Ich glaube, ich gehe wieder zurück, Julia. Dir ist doch bestimmt kalt.« Völlig ohne seine Absicht glitt sein Blick über ihren Hals und die Rundung ihres Busens. Er wusste, dass sie es bemerkt hatte, und war wütend auf sich. Rasch schaute er in die andere Richtung und erhob sich. »Kommst du mit?«, fragte er. » Es wird bald dunkel.« »Dein Bein blutet wieder«, sagte sie. »Du hast die Fäden zu früh gezogen.« »Nein. Ich habe genug Wunden gesehen, um das beurteilen zu können. Ab heute werde ich jeden Tag spazieren gehen oder reiten, um wieder zu Kräften zu kommen.« »Wenn du willst, begleite ich dich«, sagte sie. Ihre Augen waren groß und dunkel, und er musste sich räuspern, um seine Unschlüssigkeit zu überspielen. »Ich glaube nicht, dass ein hübsches Mädchen wie du ... « Na, wunderbar. Er fing an zu stottern und verstummte. »Ich komme schon allein zurecht, danke.« Steifbeinig ging er den Pfad durch den Wald hinab in Richtung Haus und verfluchte sich mit aller Heftigkeit, die er aufbringen konnte. Brutus führte seine Stute unter den kalten Sternen über den Haupthof zu den Stallungen. Nach dem anstrengenden Ritt war er immer noch ein wenig außer Atem. Er dachte an die in ihrem Zimmer schlafende Alexandria, und sein Gesicht verfinsterte sich. Nichts war so einfach, wie er es gern hätte, besonders was die Frauen in seinem Leben betraf. Hätte er Streit und angespanntes Schweigen gewollt, hätte er schon längst geheiratet. Bei dem Gedanken verzog sich sein Mund zu einem schiefen Lächeln, dann blickte Brutus zum Mond hinauf und genoss die Stille. Sie hatten beide im Verlauf der langen, ereignislosen Wochen auf dem Landgut gelitten, in denen sie nichts zu tun hatten, als zu genesen und die hässlichen Vorkommnisse der Unruhen in der Stadt zu vergessen. Manchmal juckte es ihn, einfach loszugaloppieren, oder zu kämpfen, oder sie einen Nachmittag lang mit in sein Bett zu nehmen. Dann machte ihn seine Wunde rasend. Es war nicht gerade förderlich, dass ihr Liebesspiel durch seine Unfähigkeit, sich hinzuknien, begrenzt war, und er verabscheute es, schwach zu sein. Er glaubte, dass er sie auf seine Weise liebte, aber es gab zu viele Tage, an denen sie wegen nichts und wieder nichts stritten, bis sie beide verdrossen und verletzt waren. Dieses lange Schweigen hasste er mehr als alles andere. Manchmal fragte er sich, ob sie sich eigentlich nur dann wirklich liebten, wenn er weit weg in einem anderen Land war. Im Stall war es trotz der kühlen Nachtluft angenehm warm. Das Mondlicht fiel durch ein Dachfenster herein und ließ das Eichenholz der Verschläge blass schimmern. Es war ein friedlicher Ort, an dem einem nur die dunklen Silhouetten der Pferde Gesellschaft leisteten. Er schwitzte immer noch von dem anstrengenden Ausritt und verzog bei dem Gedanken, wie weit er sich während seiner Zeit auf dem Krankenbett von seiner besten Verfassung entfernt hatte, schmerzlich das Gesicht. Ein paar Meilen querfeldein hatten ihn gehörig außer Atem gebracht. Als er die Stute abrieb, raschelte hinter ihm etwas im Stroh. Er erstarrte einen Augenblick und fragte sich, wer um diese Stunde noch wach war. Als er sich verdutzt umdrehte, erblickte er Julia, die an einem Pfosten lehnte. Ihr Gesicht leuchtete blass im trüben Mondlicht. »Bist du dieses Mal weit geritten?«, murmelte sie. Sie sah aus, als wäre sie soeben aus dem Bett gestiegen; das Haar hing ihr offen über die Schultern. Sie hatte ein weiches Tuch um sich geschlungen. Er sah, wie es um ihre Brüste spannte, und fragte sich, ob sie spürte, wo seine Augen ruhten. »Heute nur ein paar Meilen. Es ist zu kalt für das alte Mädchen«, sagte er. Die Stute schnaubte sanft und stieß ihn mit dem Maul an, damit er sie weiter abrieb. »Trotzdem wirst du uns bald verlassen. Ich habe gehört, was Tabbic gesagt hat. Pompeius hat die Banden besiegt.« »Allerdings. Er ist ein harter Mann«, erwiderte Brutus. Er hörte eine Spannung aus ihrer Stimme heraus, die vorher noch nicht da gewesen war. Ob es am warmen Stall lag, am Geruch nach Stroh und Leder oder einfach nur an ihrer Nähe, jedenfalls war er eigenartig erregt und dankte der Düsternis dafür, dass sie ihn vor ihrem Blick verbarg. Wortlos wandte er sich wieder dem Pferd zu und fuhr ihm mit langen Strichen mit der Bürste über die Flanken. »Mein Vater hat mich ihm versprochen; hat er dir das erzählt?«, fragte sie auf einmal, als könnte sie die Worte nicht mehr zurückhalten. Brutus hielt mit dem Striegeln inne und sah sie an. »Das hat er mir nicht gesagt.« »Clodia meint, ich soll froh sein. Er war nicht einmal Konsul, als sie die Heirat verabredet haben, und jetzt soll ich die Frau des Diktators werden.« »So kommst du hier heraus«, sagte Brutus leise. »Aber wozu? Um jeden Tag von Sklaven angemalt zu werden und nicht mehr ausreiten zu können? Ich habe die Frauen der Senatoren gesehen. Ein Schwarm Krähen in feinen Kleidern. Und jede Nacht habe ich einen alten Mann auf mir liegen. Mein Vater ist grausam.« »Er kann grausam sein, das stimmt«, erwiderte Brutus. Er hätte ihr gern von der Mühsal der Armut erzählt, die er in der Stadt gesehen hat. Als Frau des Pompeius würde sie weder Hunger noch Angst kennen. Julius hatte eine eiskalte Wahl für seine Tochter getroffen, aber es gab schlimmere Schicksale. Außerdem hatte ihm der Handel Gallien eingebracht. Brutus begriff sofort, wie sehr die Hochzeit die beiden Häuser aneinander binden und Julius vielleicht zu einem Erben verhelfen würde. So sehr er das Mädchen mochte, erkannte er doch, wie behütet sie gewesen sein musste, wenn sie nicht besser wusste, wie es in der Welt wirklich zuging. »Wann wirst du zu ihm geschickt?«, fragte er. Sie warf wütend das Haar zurück. »Ich wäre bereits fort, wenn mein Vater sich nicht außerhalb der Stadt aufhalten würde. Es ist nur eine Höflichkeit zwischen den beiden. Das Geschäft ist bereits besiegelt, und der Bote des Pompeius kam mit so ausgesucht hübschen Worten und Geschenken. Genug Gold und Silber, um mich damit zu ersticken. Du hättest den Sklavenpreis sehen sollen, den sie geschickt haben.« »Nein, Mädchen, du wirst nicht seine Sklavin sein, nicht mit dem Blut deines Vaters in den Adern. Du wirst ihn innerhalb kürzester Zeit um den Finger wickeln. Warte nur ab.« Sie kam einen Schritt näher, wieder roch er den Duft dunkler Blumen. Als sie die Hände nach ihm ausstreckte, hielt er ihre Handgelenke fest und ließ dabei die Bürste ins Stroh fallen. »Was denkst du dir denn dabei?«, murmelte er mit heiserer Stimme. Nichts von all dem kam ihm wirklich vor, und sogar im Dämmerlicht sah er die blassen Konturen ihres Halses aus der Dunkelheit schimmern. »Ich denke, ich werde nicht als Jungfrau zu ihm gehen«, flüsterte sie und beugte sich so weit an ihn heran, dass ihre Lippen seine Kehle berührten. Er spürte die stoßweise Wärme ihres Atems, und plötzlich war nichts mehr auch nur halb so wichtig. »Nein«, sagte er. »Das wirst du nicht.« Er ließ ihre Handgelenke los, packte das Tuch, das sie umhüllte, und zog es langsam auseinander, entblößte sie bis zur Hüfte. Ihre vollkommenen Brüste waren weiß in der Dunkelheit, ihre Brustwarzen waren hart. Er hörte, wie ihr Atem schneller ging, als er mit der Hand über ihren Rücken strich, spürte, wie sie erschauerte. Dann küsste er sie, bis sie ihren warmen Mund für ihn öffnete. Ohne ein weiteres Wort trug er sie zu einem Strohhaufen und bettete sie darauf. Seine Wunden waren ein ferner Schmerz, den er kaum wahrnahm, als er sich seiner Kleider entledigte. Sein eigener Atem brannte ihm rau in der Kehle, aber er zwang sich zu langsamen Bewegungen, als er sich über sie beugte und ihr Mund sich mit einem Schrei erneut öffnete. Die Gruppe, die sich im Hof sammelte, um nach Rom zurückzukehren, war nicht mehr die staubige, verschreckte Horde Flüchtlinge, die vor beinahe zwei Monaten an das Tor des Gutes geklopft hatte. Clodia hatte den Kindern versprochen, sie dürften jederzeit kommen und sie besuchen, und eines oder zwei musste an diesem Morgen mit Gewalt von ihr losgerissen werden. Die alte Pflegerin vergötterte ihre kleinen Schützlinge, und es gab auf beiden Seiten Tränen. Tabbic hatte an jedem Tag, den er fern von der Stadt hatte verbringen müssen, zu leiden gehabt, und jetzt, da der Tag der Rückkehr endlich gekommen war, brachte er kaum die Geduld auf, sich von allen zu verabschieden. Als Einziger aus der Gruppe war er mehrmals in die Stadt geritten, sobald er gesehen hatte, dass die Mauern wieder von den Legionären des Pompeius bemannt waren. Der Laden hatte die Brände im Viertel heil überstanden. Obwohl er geplündert worden war, hatten die gewaltigen Schmiedeessen, die das Herz des Geschäfts darstellten, keinen Schaden genommen. Tabbic plante im Geiste bereits eine neue Tür und neue Schlösser, um die alte zu ersetzen, die aufgebrochen worden war, und es waren seine Berichte von dem wieder eingekehrten Frieden, die ihrer Zeit auf dem Gut ein Ende gemacht hatten. Pompeius hatte die Anführer der Banden gnadenlos töten lassen, und allmählich war die Stadt, zumindest tagsüber, wieder einigermaßen so wie zuvor. Gerüchte machten die Runde, Crassus hätte dem Senat eine riesige Summe zukommen lassen, und Hunderte von Zimmerleuten waren eifrig damit beschäftigt, die zerstörten Gebäude wieder aufzubauen. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Bürger der Stadt wieder an Luxusartikel wie Schmuck dachten, aber dann wollte Tabbic für sie bereit sein. Seine Arbeit würde sein Beitrag zur Erneuerung der Stadt sein, ein kleiner Beitrag nur, aber er bedeutete sehr viel. Die verstreuten Werkzeuge wieder zusammenzusuchen war der erste Schritt, um die Schrecknisse der Unruhen hinter sich zu lassen. Brutus hatte sein Bein noch etwas länger schonen wollen, doch Alexandria hatte sich in letzter Zeit ihm gegenüber zunehmend kälter gezeigt. Er glaubte nicht, dass sie erfahren hatte, was im Stall geschehen war, aber ab und zu ertappte er sie dabei, wie sie ihn von der Seite ansah, als fragte sie sich, wer er eigentlich war. Ohne genau zu wissen, weshalb er sich dessen so sicher sein konnte, wusste er, dass sie ihn verlassen würde, wenn er noch länger blieb. So weit im Süden kam der Frühling zeitig, die Bäume im Wald fingen bereits zu blühen an. Zweifellos wartete Julius im Norden bereits ungeduldig auf ihn, und Brutus gestand sich widerstrebend ein, dass es höchste Zeit war, sich auf den Weg zu machen. Er würde in die raue Gesellschaft seiner Legionäre zurückkehren, doch irgendwie erfüllte ihn die Vorstellung nicht mit derselben Begeisterung wie früher. Brutus rückte den Holzblock zurecht, den er zum Aufsteigen brauchte, sah sich heimlich auf dem Hof um und ergriff die Zügel. Julia war nicht da, aber er spürte Alexandrias Blick, als er nach ihr suchte. Ein Haussklave öffnete das schwere Tor und schob den Flügel so weit auf, dass der Weg dahinter sichtbar wurde, der hinab zur Hauptstraße und in die Stadt führte. »Da bist du ja!«, rief Clodia. »Ich dachte schon, du verpasst ihre Abreise.« Julia kam aus dem Haus und ging von einem zum anderen, um sich zu verabschieden und als Herrin des Hauses ihren Dank entgegenzunehmen. Brutus sah genau hin, als sie ein paar Worte mit Alexandria wechselte, aber beide Frauen lächelten, und er konnte keinerlei Spannung zwischen ihnen feststellen. Als Julia zu ihm kam, entspannte er sich ein wenig und reagierte ganz natürlich, als sie sich vorbeugte, um ihn zum Abschied zu küssen. Er spürte ihre Zunge einen winzigen Augenblick gegen seine Lippen schnellen, was ihn vor Verlegenheit erstarren ließ. Ihr Mund schmeckte nach Honig. »Komm wieder«, flüsterte sie, als er sich in den Sattel schwang und es nicht wagte, Alexandria anzusehen. Er spürte, wie sich ihre Blicke in seinen Hinterkopf bohrten, und wusste, dass seine Wangen flammend rot waren, während er so tat, als sei nichts geschehen. Das war keine Geschichte, die Julius erfahren sollte, so viel war ihm klar. Die Kinder riefen im Chor und winkten noch einmal, dann brachen sie zu ihrer Reise in die Stadt auf. Clodia hatte Wegzehrungen für alle eingepackt, in gekochten Paprika eingelegtes Fleisch, und der eine oder andere wühlte bereits mit fettigen Fingern in den säuberlich eingeschlagenen Päckchen. Brutus warf einen letzten Blick auf das Anwesen, das ihm als Kind so vertraut gewesen war, und prägte es sich gut ein. Wenn auch sonst alles in seinem Leben sich bis zur Unkenntlichkeit veränderte, so blieben manche Dinge doch, wie sie waren und schenkten ihm Frieden. 38 Die Fackeln zuckten auf der goldenen Krone der Arverner, als der Priester sie vor den Kriegern hochhielt. In der anderen Hand hielt er einen goldenen Halsreif, der schimmerte, und den er in den Fingern drehte. Der Priester hatte seinen Körper mit langen Streifen aus Blut und Erde bestrichen, was ihn fast mit den Schatten im Tempel verschmelzen ließ. Seine Brust war nackt, sein Bart mit Lehm zu harten, weißen Stacheln geformt, die zitterten, wenn er sprach. »Arverner! Der alte König ist tot. Sein Leib wird verbrannt werden, wenngleich sein Name und seine Taten bis ans Ende unserer Jahre auf unseren Lippen fortleben werden. Er war ein Mann, Arverner. Sein Vieh zählt in die Tausende, sein Schwertarm war stark bis zum Ende. Er hat seinen Samen weit gesät, um Söhne in die Welt zu setzen, und seine Weiber raufen sich das Haar und zerfetzen sich die Haut vor Kummer. Wir werden ihn nie wiedersehen.« Der Priester musterte den Stamm, der sich dicht an dicht in den Tempel drängte. Es war ein bitterer Abend für ihn. 20 Jahre lang war er der Freund und Ratgeber des alten Königs gewesen, hatte mit ihm die Angst vor der Zukunft geteilt, als Alter und Schwäche anfingen, ihm den Atem zu rauben. Wer unter seinen Söhnen besaß die Kraft, den Stamm durch diese schweren Zeiten zu führen? Der jüngste, Brigh, war kaum mehr als ein Knabe, und der älteste war ein prahlerischer Schwätzer, zu schwach, wo ein König stark sein musste. Madoc würde nicht König sein. Der Priester blickte in die Augen von Cingeto, der dort bei seinen Brüdern auf dem dunklen Marmor stand. Er war Krieger genug, sie zu führen; aber sein hitziges Temperament war bereits heute unter den Arvernern berüchtigt. Noch vor dem Tag seiner Mannwerdung hatte er drei Männer im Zweikampf getötet, und der alte Priester hätte alles für ein paar weitere Jahre gegeben, um zu sehen, was aus Cingeto wurde. Die Worte mussten gesprochen werden, doch als er Atem holte, spürte der Priester eine Kälte in seinem Herzen. »Wer von euch wird die Krone aus meiner Hand entgegennehmen? Wer von euch hat das Recht erworben, die Arverner zu führen?« Die drei Brüder wechselten stumme Blicke, dann lächelte Brigh und schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht für mich«, sagte er und trat einen Schritt zurück. Cingeto und Madoc sahen einander an. Das Schweigen wurde bedrückend. »Ich bin der älteste Sohn«, sagte Madoc schließlich, und die dunkle Farbe des Zorns zeigte sich auf seinen Wangen. »Das wohl, aber du bist nicht der Mann, den wir jetzt brauchen«, erwiderte Cingeto leise. »Wer die Krone nimmt, muss sich zum Krieg bereit machen, oder unser Stamm wird in alle Winde zerstreut.« Madoc grinste hämisch. Er war größer als sein Bruder und baute sich vor ihm auf, um ihn einzuschüchtern. »Siehst du irgendwelche feindlichen Heere in unserem Land? Zeig mir, wo sie sind! Los, zeig sie mir! « Er spie die Worte seinem Bruder förmlich entgegen, aber Cingeto hatte sie schon mehr als einmal gehört. »Sie werden kommen. Sie sind nach Norden gezogen, aber sie werden noch früh genug ins Kernland zurückkehren. Ich bin ihrem Anführer begegnet und weiß, dass er uns nicht in Frieden leben lassen wird. Seine Steuereintreiber haben bereits die Senonen ausgeplündert und Tausende als Sklaven verkauft. Sie konnten sie nicht aufhalten, und jetzt weinen ihre Weiber in den Auen. Er muss bekämpft werden, mein Bruder. Und du bist nicht Manns genug dafür.« »Das waren nur Senonen, Bruder«, höhnte Madoc. »Die Arverner sind Männer. Wenn sie kommen, um uns zu behelligen, reiten wir sie nieder.« »Siehst du denn nicht weiter als bis dahin?«, fauchte Cingeto. »Du bist genauso blind wie es die Senonen waren. Ich werde die Arverner zu einer Fackel in der Finsternis machen, um die sich die anderen Stämme scharen können. Ich werde sie gegen diese Römer führen, bis wir sie aus Gallien vertrieben haben. Wir können allein gegen sie nicht mehr Stand halten.« »Du hast zu viel Angst vor ihnen, um König zu sein, kleiner Bruder«, sagte Madoc und fletschte die Zähne. Cingeto schlug Madoc mit der Hand über den Mund und zwang ihn, einen Schritt zurückzuweichen. »Ich werde nicht zusehen, wie mein Volk von dir ins Verderben gestürzt wird. Wenn du mir nicht Platz machst, werde ich die Krone eben fordern!« Madoc fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte Blut. Seine Augen wurden hart. »Wie du willst, kleiner Bruder. Feuer, und die Götter sehen zu. So soll es sein.« Beide Männer wandten sich zu dem Priester um. Er nickte. »Bringt die Eisen. Es soll im Feuer entschieden werden.« Der Priester flehte die Götter an, dass sie dem richtigen Mann den Mut verliehen, die Arverner durch die dunklen Tage zu führen, die vor ihnen lagen. Julius führte keuchend sein Pferd über den Gebirgspass. Die Luft hier oben war viel dünner, und obwohl der Frühling in den Tälern bereits Einzug gehalten hatte, schmerzte die Luft auf den Gipfeln immer noch in der Lunge und machte sogar den Gesündesten unter ihnen zu schaffen. Julius sah sich nach Brutus um, der weit hinter der Zenturie der Zehnten humpelte. Er hatte bei der Genesung von seinen Wunden viel von seiner Ausdauer eingebüßt, und manchmal dachte Julius, sie würden ihn irgendwo zurücklassen müssen, damit er später nachkam. Trotzdem folgte er ihnen hartnäckig und schwang sich in den Sattel, sobald der Pfad etwas ebener wurde. Als er den staubigen Reiter in Ariminum hatte ankommen sehen, war Julius ganz versessen auf die neuesten Nachrichten aus der Stadt gewesen. Die kalte Nüchternheit des Berichts, den er erhielt, verwirrte ihn. Er hätte den Mann, der da ins Haus gehumpelt kam und so unbeteiligt von seinen Erlebnissen berichtete, am liebsten geschüttelt. Beim Zuhören war der alte Zorn wieder in ihm aufgewallt, aber er hatte ihm nicht nachgegeben. Servilia war abgereist, nun lag es an ihm, die Kluft zwischen ihnen beiden zu schließen. Julius konnte sich an 1000 Gelegenheiten erinnern, bei denen er mit ein paar Worten oder einem Kompliment oder nur einem kurzen Nicken die Männer um ihn herum aufgerichtet hatte. Er empfand nichts als tiefe Traurigkeit, als ihm klar wurde, dass auch sein ältester Freund die gleichen harmlosen Lügen nötig hatte. Es war eine Sache, einem Soldaten auf den Rücken zu klopfen und zu sehen, wie er ein wenig aufrechter dastand. Es war etwas völlig anderes, die Ehrlichkeit seiner ältesten Freundschaft aufzugeben, und bislang hatte Julius seinen Entschluss noch nicht in die Tat umgesetzt. Nach Brutus’ erstem Bericht hatten sie kaum miteinander geredet. Julius’ Gedanken kehrten zu Regulus zurück, der neben ihm durch den Schnee trottete. Er war einer derjenigen, die den Kern der Legion ausmachten. Einige wurden in den Legionen Roms nur wenig besser als Tiere, aber Männer wie Regulus schienen diesen letzten Rest von Menschlichkeit niemals zu verlieren. Sie konnten einer Frau oder einem Kind gegenüber Güte zeigen, und dann in die Schlacht ziehen und ihr Leben für etwas hingeben, das mehr war als sie selbst. Es gab Senatoren, die sie nur als Mordwerkzeuge betrachteten, nicht als die Menschen, die sie wirklich waren, die tatsächlich begriffen, was Rom eigentlich bedeutete. Die Legionäre machten stets von ihrem Wahlrecht Gebrauch, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten. Sie schrieben nach Hause und fluchten und pissten in den Schnee wie jeder andere auch, und Julius verstand, wie sehr Marius sie geliebt hatte. Solche Männer anzuführen war eine Verantwortung, die man nicht auf die leichte Schulter nehmen konnte. Sie erwarteten von ihm Verpflegung und Unterkunft, eine Ordnung in ihrem Leben. Ihr Respekt war schwer zu erringen und in einem einzigen Augenblick der Feigheit oder Unentschlossenheit wieder verspielt. Aber er wollte es nicht anders haben. »Sollen wir rennen, Regulus?«, fragte Julius zwischen zwei rauen Atemzügen. Der Zenturio lächelte steif. In Ariminum hatten sie sich alle wieder das Rasieren angewöhnt, und Julius sah, dass das Gesicht des Mannes vom Wind gerötet und wund war. »Es ist besser, wenn wir die Pferde nicht zurücklassen, Herr«, erwiderte Regulus. Julius schlug ihm auf den Rücken und gönnte sich einen kurzen Blick auf die Berge ringsum. Sie marschierten durch eine Landschaft von tödlicher Schönheit. Das blendende Weiß der hohen Gipfel leuchtete in der Sonne, und hinter ihnen mühte sich Brutus, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Regulus bemerkte, dass Julius den gewundenen Pfad hinabschaute. »Soll ich zu ihm gehen, Herr? Der General hinkt immer stärker.« »Nun gut. Sag ihm, wir laufen um die Wette nach Gallien. Er weiß schon, was ich damit meine.« Die langen Eisen wurden in Kohlenbecken erhitzt, bis die Spitzen rot glühten. Madoc und Cingeto hatten die Oberkörper freigemacht und standen jetzt schwitzend auf dem Marmorboden des Tempels. Alle Familien waren gekommen, um zuzusehen, und keiner von ihnen zeigte auch nur einen Hauch von Angst, als der Priester die Eisen immer wieder überprüfte, bis er zufrieden war. Die Haare auf dem Rücken seiner rechten Hand kräuselten sich, als er sie über die Eisenschale hielt. Schließlich drehte sich der Priester zu den beiden Brüdern um. Ihre Brustkörbe waren blasser als ihre Arme und ihre Gesichter. Madoc war muskelbepackt, ein Bulle, wie sein Vater es einst gewesen war. Cingeto hatte eine gedrungenere Gestalt, aber auch an ihm war kein überflüssiges Fleisch. Der alte Priester richtete sich auf, um zu den schweigenden Familien der Arverner zu sprechen. »Ein König muss Stärke beweisen, aber er muss auch von großer Entschlossenheit sein. Alle Menschen kennen die Furcht – er aber muss sie besiegen, wenn die Not am größten ist.« Er unterbrach sich einen Augenblick und kostete die Worte des Rituals aus. Sein alter Meister hatte einen langen Stock benutzt, um ein falsches Aufsagen sofort zu korrigieren. Er hatte ihn damals gehasst, inzwischen jedoch benutzte er den gleichen Rohrstock für die Lehrlinge im Tempel. Die Worte waren wichtig. »Durch das Recht des Blutes haben diese Männer das Urteil des Feuers gewählt. Einer wird die Krone nehmen, der andere wird aus dem Land der Arverner verbannt werden. So will es das Gesetz. Doch der Mann, der uns führen wird, sollte nicht nur ein scharfes Schwert, sondern auch einen scharfen Verstand besitzen. Er sollte ebenso gerissen wie mutig sein. Geben die Götter, dass wir hier und heute einen solchen Mann vor uns haben.« Während seiner Worte standen die beiden Brüder völlig still und bereiteten sich innerlich auf das vor, was ihnen bevorstand. Der Priester nahm das erste Eisen zur Hand und zog es heraus. Sogar das dunkle Ende, das er gepackt hielt, ließ seine Finger erstarren. »An den Ältesten geht die Erste«, sagte er, den Blick auf die glühende Spitze gerichtet. Madoc streckte die Hand aus und nahm das Eisenstück entgegen. Seine Augen loderten vor Bosheit, als er sich zu Cingeto umdrehte. »Wollen wir herausfinden, auf wem von uns der Segen der Götter ruht?«, flüsterte er. Cingeto antwortete nicht. Der Schweiß rann ihm aus allen Poren. Madoc brachte das Eisen immer näher an die Brust seines Bruders, bis die blonden Haare zu knistern anfingen und einen kräftigen Geruch von sich gaben. Dann legte er die Spitze auf die Haut des Bruders und drückte sie tief in dessen Fleisch. Cingeto stieß die angehaltene Luft in einem heftigen Schwall aus. Jeder Muskel seines Körpers versteifte sich vor Schmerz, aber er gab keinen Laut von sich. Madoc drehte das Eisen hin und her, bis die Hitze nachließ, dann spannte sich sein eigenes Gesicht an, als er den Stab zurück ins Feuer legte. Cingeto sah auf den braunen Striemen hinab, der sich auf seiner Haut abzeichnete. Als er tief Luft holte und sich wieder sammelte, tropfte eine helle Flüssigkeit daraus hervor. Ohne ein Wort griff er nach dem anderen Eisen, und Madocs Atem ging schneller und schneller. Als das Metall ihn berührte, ächzte Madoc, und wutentbrannt riss er ein anderes aus der Schale. Tadelnd berührte der Priester seine Hand, und er ließ es sinken; sein Mund öffnete sich, und er atmete keuchend. Die Feuerprobe hatte begonnen. Gegen Ende des zweiten Tages in den Bergen neigte sich der zerklüftete Pfad plötzlich hinunter nach Gallien. An dieser Stelle machte Julius an einen Stein gelehnt Rast. Als er aufblickte, sah er die Hochebene des Passes über sich liegen und staunte, wie weit sie sie bereits hinter sich gelassen hatten. Sie alle verlangte es nach Essen und Schlaf, und Julius empfand eine eigenartige Klarheit, als hätten Hunger und Wind alle seine Sinne geschärft. Unter ihm erstreckte sich Gallien in einem satteren Grün, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Als er aus schierer Freude, an einem solchen Ort am Leben zu sein, kräftig Luft holte, fühlte sich seine Lunge in der Brust riesengroß an. Brutus kam es vor, als hätte er sich schon sein ganzes Leben lang durch die Berge geschleppt. Sein schwaches Bein pochte jedes Mal, wenn er das Gewicht darauf verlagerte, und hätte er sich nicht an dem Pferd festhalten können, wäre er wohl schon längst gestürzt. Als die Zenturie anhielt, kam er mit Regulus durch die Marschkolonne bis ganz nach vorne gestolpert. Julius hörte einige seiner Männer jubeln und den Ankömmling ermutigen. Er drehte sich um und musste lächeln, als er sah, wie die beiden auf die Rufe reagierten und sich weiterschleppten. Die Kraft der Brüderlichkeit unter seinen Soldaten erfüllte ihn immer wieder mit Stolz. Er sah, wie Brutus und Regulus bei den Aufmunterungen und Anfeuerungen grinsten und gemeinsam lachten, als Regulus eine Antwort murmelte. Julius wandte sich wieder um. Unter ihm lag Gallien, erstreckte sich bis zum Horizont und sah so trügerisch friedlich aus, fast so, als bedürfe es nur eines Schrittes, um ihn mitten ins das Herz des Landes zu bringen. Er hoffte, dass eines Tages ein Reisender, der über die Pässe kam, auf Städte hinabblicken würde, so groß wie Rom. Hinter dem Land lag das Meer, das ihn rief, und vor seinem inneren Auge sah er bereits die Flotte, die die Zehnte und die Dritte über die Wogen tragen würde. Die Stämme würden ihr Gold als Steuern abgeben, die er wiederum dazu benutzen würde zu erkunden, was sich jenseits der verschwommenen weißen Klippen befand. Er würde Rom bis an den äußersten Rand der Welt tragen, an Orte, die nicht einmal Alexander vor ihm gesehen hatte. Brutus trat neben ihn, und Julius sah die dunklen Ringe unter seinen Augen. Der Aufstieg hatte seinem Freund sehr zugesetzt, aber die Erschöpfung schien ihm etwas von der Kälte genommen zu haben, die er aus Rom mitgebracht hatte. Als sich ihre Blicke trafen, zeigte Julius auf das Land unter ihnen. »Hast du jemals etwas so Schönes gesehen?« Brutus nahm die Wasserflasche von Regulus entgegen und setzte sie an die aufgesprungenen Lippen. »Laufen wir jetzt um die Wette oder nicht?«, sagte er. »Ich warte nicht auf dich.« Er wankte den Hang hinunter, und Julius sah ihm voller Zuneigung nach. Regulus zögerte an Julius’ Seite, unsicher, ob er ihm folgen sollte. »Mach schon, bleib bei ihm«, sagte Julius. »Ich komme gleich nach.« Im Tempel hing der beißende Geruch von Feuer und verbranntem Fleisch. Beide Männer bluteten, ihre Haut platzte bei jeder Berührung der Eisen an einer anderen Stelle auf. Elfmal schon hatten sie dem Schmerz widerstanden, und jetzt schwankte Cingeto, und seine Zähne hoben sich weiß von der Haut ab, bereit für das zwölfte Mal. Er beobachtete seinen Bruder genau. Die Prüfung forderte den Geist ebenso wie den Körper, und jeder der beiden wusste, dass er nur damit enden konnte, dass einer sich weigerte, den anderen zu berühren. Mit jeder hinzugefügten Brandwunde setzte sich der Verursacher selbst der nächsten aus, und dieses Wissen nagte an ihnen, während ihre Kräfte schwanden. Madoc zögerte, als er die Finger um das schwarze Eisen legte. Wenn er seinen jüngeren Bruder damit verbrannte, musste er selbst eine weitere Wunde in Kauf nehmen. Er wusste nicht, ob er das konnte, obwohl der Wunsch, Cingeto zu demütigen, immer noch hellwach in ihm brannte. Die Prüfung war eine grausame Prüfung. Zwischen den Wogen des Schmerzes war der einzige Trost das Wissen, dass der Verursacher gleich dasselbe fühlen würde. Entschlossenheit und Stärke fielen angesichts derartiger Qualen in sich zusammen, und Cingeto spürte neue Hoffnung in sich aufkeimen, als er seinen Bruder zaudern sah. War es seine Grausamkeit, die ihn den Augenblick hinauszögern ließ, oder hatte er endlich den Geschmack an den Eisen verloren? »Mögen mir die Götter die Kraft für ein weiteres Mal geben«, hörte er Madoc flüstern, und er hätte fast laut aufgeschrien, als die rotglühende Metallspitze wieder aus den Flammen auftauchte. Er sah, wie Madoc sie hob, und schloss die Augen in banger Erwartung. Sein ganzer Körper wollte vor der Berührung zurückweichen, und die Angst, dass er nicht mehr den Willen aufbringen würde, sobald er wieder an der Reihe wäre, war allzeit gegenwärtig. Der Geist entschied über den Sieger der Feuerprüfung, niemals das Fleisch, was Cingeto jetzt auf eine Art und Weise verstand, wie es ihm ohne diese Erfahrung am eigenen Leib niemals möglich gewesen wäre. Ein Klirren hallte durch den Tempel, und Cingeto riss erstaunt die Augen auf. Madoc hatte das Eisen hingeworfen und stand nun mit vor Schmerz und Erschöpfung verzerrtem Gesicht vor ihm. »Genug, kleiner Bruder«, sagte Madoc und wäre beinahe gefallen. Cingeto streckte die Hand aus, um ihn zu stützen, und zuckte zusammen, als der Schmerz seiner eigenen Brandwunden bei der Bewegung aufloderte. Der Priester lächelte erfreut, als die beiden Männer sich zu ihm umdrehten. Er dachte bereits daran, wie er die Geschichte des Stammes fortführen wollte. Elf Eisen hatten die Prinzen der Arverner widerstanden! Er konnte sich an nicht mehr als neun erinnern, und sogar der große Ailpein hatte nur sieben aushalten müssen, bevor er vor dreihundert Jahren König geworden war. Es war ein gutes Omen, und er spürte, wie schon jetzt einige der düsteren Sorgen von ihm wichen. »Einer wird König, einer muss weichen«, sagte er laut und wiederholte den Satz vor den versammelten Familien. Er machte einen Schritt auf Cingeto zu, setzte ihm die Krone auf und legte den Reif um die angespannten Sehnen seines Halses. »Nein«, sagte Cingeto und richtete den Blick auf Madoc. »Ich werde dich nach der heutigen Nacht nicht verlieren, mein Bruder. Willst du bleiben und mit mir gegen sie kämpfen? Ich werde dich brauchen.« Der Priester sah sie erschrocken an. »Das Gesetz ...« Cingeto hob die Hand und kämpfte gegen Schmerzen, die ihn zu überwältigen drohten. »Ich brauche dich, Madoc. Wirst du mir folgen?« Sein Bruder richtete sich auf und zuckte zusammen, als frisches Blut über seine Brust rann. »Das werde ich, mein Bruder. Ich folge dir.« »Dann müssen wir die Stämme zusammenrufen.« Julia ging zur ersten Stufe des alten Senatsgebäudes und schauderte angesichts des leeren Platzes, der dahinter freigeräumt worden war. Noch immer hing ein leiser Rauchgeruch in der Luft, und man konnte sich gut vorstellen, wie die Unruhen sogar diesen Ort heimgesucht hatten. Doch das neue Gebäude wurde bereits errichtet, das Lärmen der Menge wurde vom Hämmern und Rufen der Arbeiter begleitet. Clodia hantierte neben ihr herum, das riesige Forum machte sie nervös. »Na schön, jetzt hast du den Schaden besichtigt und bist dafür ein unnötiges Risiko eingegangen. Die Stadt ist immer noch kein sicherer Ort für eine junge Frau.« Julia sah sie wütend an. »Siehst du denn die Soldaten nicht? Pompeius hat jetzt alles unter Kontrolle; Brutus hat das gesagt. Er ist mit seinen Versammlungen und Reden beschäftigt. Vielleicht hat er mich ja vergessen.« »Du redest Unsinn, Mädchen. Du darfst nicht erwarten, dass er wie ein junger Mann unter deinem Fenster schmachtet. Nicht in seiner Position.« »Trotzdem. Wenn er mich in seinem Bett haben will, sollte er ein bisschen Interesse an mir zeigen, findest du nicht auch?« Clodia blickte sich vorsichtig um, ob jemand aus der Menge sich für ihre Unterhaltung interessierte. »Das ist kein passendes Thema! Deine Mutter würde sich schämen, wenn sie dich so schamlos reden hörte!«, sagte sie und packte Julia am Arm. Julia riss sich los und freute sich über die Gelegenheit, die alte Frau in Verlegenheit zu bringen. »Falls er nicht zu alt ist, um das Bett überhaupt zu finden. Was meinst du, wäre das möglich?« »Hör sofort auf, Mädchen, sonst ohrfeige ich dich, bis dir das Grinsen vergeht«, zischte Clodia sie an. Julia zuckte die Achseln und dachte mit Wonne an Brutus’ Haut auf der ihren. Natürlich hütete sie sich, Clodia von der Nacht im Stall zu erzählen, aber damals war mit dem ersten, heftigen Schmerz alle Angst von ihr gewichen. Brutus war sanft gewesen, und sie hatte einen heimlichen Appetit entdeckt, den Pompeius zu schätzen wissen würde, wenn er sie endlich zu seiner Frau machte. Eine Stimme drängte sich in ihre Gedanken und ließ sie schuldbewusst zusammenfahren. »Habt ihr euch verlaufen, meine Damen? Ihr seht hier vor den alten Stufen ziemlich verloren aus.« Bevor Julia antworten konnte, sah sie, dass Clodia sich verneigte und den Kopf senkte. Die plötzliche Unterwürfigkeit der alten Frau reichte aus, um sie ein zweites Mal zu dem Mann aufblicken zu lassen, der sie angesprochen hatte. Seine Toga wies ihn als Angehörigen der Nobilitas aus, obwohl ihn seine Haltung auch ohne diesen Hinweis geadelt hätte. Sein geöltes Haar glänzte, stellte Julia fest. Er lächelte über ihre abschätzende Musterung und erlaubte seinem Blick, sich für einen kurzen Moment auf ihre Brüste zu senken. »Wir müssen gleich weiter, Herr«, sagte Clodia rasch. »Wir haben eine Verabredung mit Freunden.« Julia verzog das Gesicht, als ihr Arm wieder mit festem Griff gepackt wurde. »Das ist schade«, sagte der junge Mann und ließ den Blick über Julias Figur wandern. Jetzt errötete Julia; ihr fiel plötzlich ein, dass sie sich für den Besuch recht einfach gekleidet hatte. »Falls es euren Freunden nichts ausmacht, ein wenig zu warten, ich besitze hier ganz in der Nähe ein kleines Haus, wo ihr euch waschen und auch etwas essen könnt. Man wird schnell müde in dieser Stadt, wenn man nicht irgendwo ausruhen kann.« Während er sprach berührte der junge Mann wie zufällig seine Hüfte, und Julia hörte das leise Klirren von Münzen. Clodia versuchte sie wegzuziehen, aber sie sträubte sich, denn sie wollte der leichtfertigen Arroganz des Mannes einen Dämpfer versetzen. »Du hast dich noch nicht vorgestellt«, sagte sie und lächelte noch breiter. Er plusterte sich angesichts ihres Interesses regelrecht auf. »Suetonius Prandus. Ich bin Senator, meine Liebe, aber nicht jeder Nachmittag muss der Arbeit geopfert werden.« »Ich habe ... diesen Namen schon einmal gehört«, sagte Julia langsam, aber die Erinnerung wollte sich nicht einstellen. Suetonius nickte, als hätte er das erwartet. Julia sah nicht, wie Clodia erbleichte. »Dein zukünftiger Ehemann erwartet dich, Julia«, sagte Clodia. Es gelang ihr, ihren Schützling ein paar Schritte weiterzuziehen, aber Suetonius folgte ihnen, unwillig, sie so einfach gehen zu lassen. Er legte seine Hand auf die von Clodia, um sie beide zum Stehen zu bringen. »Wir unterhalten uns doch nur ganz harmlos.« Wieder klimperte er mit seinen Münzen, und Julia hätte bei dem Geräusch beinahe laut losgelacht. »Bietest du mir an, meine Aufmerksamkeit zu kaufen, Suetonius?«, fragte sie. Ihre Direktheit verdutzte ihn. Aber er spielte mit und zwinkerte. »Ob dein Ehemann wohl etwas dagegen hätte?«, fragte er und beugte sich näher heran. Etwas in seinen kalten Augen ließ die Stimmung innerhalb eines Augenblicks umschlagen, und Julia sah ihn finster an. »Noch ist Pompeius nicht mein Ehemann, Suetonius. Vielleicht hätte er nichts dagegen, wenn ich den Nachmittag mit dir verbrächte, was meinst du?« Einen Augenblick lang begriff Suetonius nicht, was sie gesagt hatte. Dann traf ihn die Erkenntnis, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze. »Ich kenne deinen Vater, Mädchen«, murmelte er vor sich hin. Julia hob langsam den Kopf, als auch sie sich erinnerte. »Ich wusste doch, dass ich den Namen kenne! Aber ja, ich kenne dich.« Ohne Warnung fing sie an zu lachen, und Suetonius lief vor hilflosem Zorn rot an. Er wagte es nicht, ein weiteres Wort an sie zu richten. »Mein Vater hat mir herrliche Geschichten von dir erzählt, Suetonius. Die solltest du dir wirklich mal anhören.« Sie wandte sich an Clodia und kümmerte sich nicht um den flehenden Blick der alten Frau. »Einmal hat er dich in ein Erdloch gesperrt, habe ich Recht? Ich weiß noch, wie er es Clodia erzählt hat. Das war sehr lustig.« Suetonius lächelte steif. »Wir waren damals beide noch sehr jung. Einen guten Tag euch beiden.« »Willst du schon gehen? Ich dachte, wir gehen zu dir und essen etwas?« »Vielleicht ein anderes Mal«, erwiderte er. Seine Augen traten vor unterdrückter Wut hervor, als Julia an ihn herantrat. »Pass unterwegs gut auf, Senator. Diebe werden deine Münzen klimpern hören. Ich habe sie selbst gehört.« Sie setzte eine ernste Miene auf, während er rot vor Zorn wurde. »Grüße deine Mutter schön von mir, wenn du sie wiedersiehst«, sagte er plötzlich und fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe. Etwas zutiefst Unangenehmes lag in seinem Blick. »Sie ist tot«, gab Julia zurück und wünschte sich allmählich, sie hätte diese Unterhaltung niemals angefangen. »Aber ja. Das war eine schreckliche Geschichte«, sagte Suetonius, aber seine Worte wurden von einem zuckenden, unkontrollierten Lächeln entkräftet. Mit einem steifen Nicken ging er quer über das Forum und ließ sie stehen. Als Julia schließlich Clodia ansah, hob sie die Brauen. »Ich glaube, wir haben ihn verärgert«, sagte sie, schon wieder belustigt. »Du bist eine Gefahr für dich selbst«, fuhr Clodia sie an. »Je früher du Pompeius’ Frau wirst, desto besser. Ich hoffe nur, er ist klug genug, dich zu schlagen, wenn du es nötig hast.« Julia nahm Clodias Gesicht zwischen ihre Hände. »Das würde er niemals wagen. Mein Vater würde ihm bei lebendigem Leibe die Haut abziehen.« Ohne Vorwarnung versetzte ihr Clodia eine kräftige Ohrfeige. Julia legte verdutzt die Finger an die Wange. Die alte Frau zitterte und zeigte kein Anzeichen von Reue. »Das Leben ist schwerer, als du denkst, Mädchen. Schon seit jeher.« Der König der Arverner schloss die Tür der Halle mit einem Ruck gegen den starken Wind. Ein plötzlicher Druck in seinen Ohren und eine kleine Schneewehe zu seinen Füßen blieben zurück. Er drehte sich wieder zu den Männern um, die sich auf sein Wort hin versammelt hatten, Vertreter der ältesten Stämme Galliens. Die Senonen waren gekommen, die Cadurcer, die Pictonen, die Turoner und Dutzende andere. Einige von ihnen waren Vasallen Roms, andere repräsentierten nur noch einen erbärmlichen Rest der Macht, die sie einst verkörpert hatten. Ihre Armeen waren in die Sklaverei verkauft und ihr Vieh gestohlen worden, um die Legionen zu versorgen. Mhorbaine von den Haeduern hatte seine Einladung abgelehnt, aber die anderen erwarteten, dass Cingeto sie führte. Gemeinsam konnten sie ein Heer auf die Beine stellen, das der römischen Zwangsherrschaft in ihrem Land das Rückgrat brechen würde. Cingeto spürte die winterliche Kälte kaum, als er in ihre Raubvogelgesichter blickte. »Seid ihr bereit, euch in dieser Angelegenheit meinem Befehl zu unterstellen?«, fragte er sie leise. Er wusste, dass sie ihm folgen würden, sonst wären sie nicht im Winter bis zu ihm gereist. Ein Mann nach dem anderen erhob sich und gelobte ihm seine Unterstützung und seine Krieger. Obwohl sie den Arvernern nicht unbedingt freundschaftlich gesonnen waren, hatten die Jahre des Krieges sie seinen Argumenten gegenüber empfänglich gemacht. Alleine waren sie dem Untergang geweiht, aber unter einem Anführer, einem keltischen Hochkönig, konnten sie die Eindringlinge aus Gallien hinauswerfen. Diese Rolle hatte Cingeto übernommen, und in ihrer Verzweiflung hatten sie ihn anerkannt. »Zunächst weise ich euch an, abzuwarten und euch vorzubereiten. Schmiedet Schwerter und Rüstungen. Legt Getreidevorräte an und pökelt einen Teil von jedem Ochsen ein, den ihr für den Stamm schlachtet. Wir werden die Fehler der vergangenen Jahre nicht wiederholen und unsere Kraft in sinnlosen Angriffen vergeuden. Wenn wir losschlagen, schlagen wir gemeinsam los, und erst dann, wenn das römische Heer weit auseinander gezogen und schwach ist. Dann werden sie erfahren, dass sie Gallien nicht einfach seinen Völkern rauben können. Sagt euren Kriegern, dass sie unter dem Hochkönig marschieren, vereint, so wie sie einst vor tausend Jahren vereint waren, als nichts in der Welt sich uns entgegenstellen konnte. Unsere Geschichte sagt uns, dass wir ein Volk waren, Reiter der Berge. Unsere Sprache bezeugt unsere Verwandtschaft und weist uns den Weg.« Er sah sehr eindrucksvoll aus, wie er da vor ihnen stand. Keiner der Könige wandte den Blick von seiner wild entschlossenen Miene ab. Madoc stand neben ihm, und die Tatsache, dass er seinem jüngeren Bruder erlaubt hatte, die Krone des Vaters zu übernehmen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Cingetos Worte sprachen ältere Verbindungen und Verpflichtungen an, als diejenigen ihrer Stämme, und sie spürten, wie ihr Blut bei dem Gedanken, die alten Völker wieder zu vereinen, in Wallung geriet. »Von diesem Tag an sind alle Stammesfehden beendet. Kein Gallier darf einen anderen töten, jetzt, da wir jedes Schwert gegen den Feind brauchen. Falls es Widerspruch gibt, nennt meinen Namen«, sagte Cingeto leise. »Sagt ihnen, Vercingetorix ruft sie zu den Waffen.« 39 Julius hatte den Arm um den hochgezogenen Bug der Galeere geschlungen und war von rastloser Ungeduld erfüllt, als die weiße Küste näher kam. Er hatte aus den verhängnisvollen Erfahrungen der ersten Expedition gelernt und die Überfahrt diesmal früh im Jahr befohlen. Die Flotte, die ringsum das Meer mit ihren langen Rudern zu Schaum schlug, war hundertmal so groß wie seine erste, und sie hatte ihn jede Münze und jede Gefälligkeit gekostet, die er in Gallien gesammelt hatte. Für den Sprung über das Meer hatte er seine Verteidigung im Land ausgedünnt, aber die weißen Klippen der Britannier waren sein erster Fehlschlag gewesen. Er durfte sich keinen zweiten erlauben. Es fiel schwer, nicht an die blutrote Brandung zu denken, als seine Galeeren angelandet und vernichtet worden waren. Jene erste Nacht, in der die blauhäutigen Stämme sie im Wasser angegriffen hatten, war tief in seine Erinnerung eingebrannt. Bei dem Gedanken daran, wie seine Zehnte inmitten der nächtlichen, brüllenden Brandung eine Landung erzwungen hatte, schlossen sich seine Finger fester um das Holz. Zu viele hatte er mit dem Gesicht nach unten im Wasser treibend zurücklassen müssen. Meeresvögel hatten sich auf den in der Brandung treibenden Leichen niedergelassen. Wie er es auch betrachtete, jene drei Wochen waren verhängnisvoll gewesen. An jedem einzelnen Tag hatte es mit erbarmungsloser Wucht und Kälte geregnet. Diejenigen, die das Blutbad bei der Landung überlebt hatten, waren der Verzweiflung alsbald näher gewesen, als er es je bei ihnen gesehen hatte. Tagelang hatten sie nicht einmal gewusst, ob überhaupt einige der Galeeren den Sturm überstanden hatten. Obwohl Julius seine Erleichterung vor den Männern verborgen hatte, war er nie dankbarer gewesen als in dem Augenblick, da er seine übel zugerichteten Galeeren vor der Küste hatte auftauchen sehen. Seine Legionen hatten mutig gegen die blauhäutigen Stämme gekämpft, aber schon damals hatte Julius erkannt, dass er ohne eine Flotte, die ihn versorgte, nicht in diesem Land bleiben konnte. Er hatte die Kapitulation von Commius, ihrem Anführer, entgegengenommen, aber seine Gedanken waren bereits beim darauf folgenden Frühjahr gewesen. Sie hatten die Lektion, die ihnen diese raue Küste erteilt hatte, gut gelernt. Links und rechts hörte Julius die Rufe der Kapitäne, die den Rhythmus der Ruder vorgaben. Der Bug hob und senkte sich, die Gischt besprühte ihn, und er beugte sich weit nach vorn, suchte die Küste angestrengt nach bemalten Kriegern ab. Diesmal würde es kein Zurückweichen geben. So weit sein Auge reichte, kämpften sich seine Galeeren durch die Wellen. Hunderte von Schiffen, die er erbettelt, gekauft und angemietet hatte, um fünf komplette Legionen zur Insel zu bringen. In den Verschlägen auf den schwankenden Decks befanden sich 2000 Pferde, mit denen er die bemalten Stämme hinwegfegen wollte. Mit einem Frösteln, das eher der Erinnerung als der Kälte geschuldet war, sah Julius die Reihen der Krieger auf den Klippen erscheinen, aber diesmal sah er ihnen mit Verachtung entgegen. Sollten sie nur zusehen, wie die größte Flotte, die die Welt jemals gesehen hatte, sich ihren Gestaden näherte. Sollten sie zusehen. Die Wellen waren bei weitem nicht so wütend und heftig, wie er es aus dem Jahr zuvor erinnerte. Jetzt, mitten im Hochsommer, brachte die Dünung die Galeeren kaum zum Schaukeln, und Julius hörte aus beiden Richtungen die Signale der Cornicen. Boote wurden zu Wasser gelassen, und die Zehnte machte den Anfang. Julius sprang über die Bordwand in die Brandung und konnte kaum glauben, dass es sich um denselben Küstenabschnitt handelte. Er sah die Männer die Boote auf den Kies ziehen, weit außer Reichweite möglicher Stürme. Rings um ihn herum entfaltete sich die energische Betriebsamkeit, die er seit Jahren kannte. Befehle wurden gerufen, Gepäck und Rüstungen zusammengesucht, und sofort bildeten die Soldaten eine Verteidigungslinie und riefen mit langen Bronzehörnern die nächsten Einheiten herbei. Julius schauderte, als ihm der nasse Mantel gegen die Haut schlug. Er stapfte den Strand hinauf und blickte mit gefletschten Zähnen aufs Meer hinaus. Er hoffte, dass die bemalten Britannier diese Armee, die schon bald durch ihr Land pflügen würde, ausgiebig betrachteten. Beim Übersetzen so vieler Männer von den Schiffen zum Strand musste man mit einigen Verletzungen und Fehlern rechnen. Eins der kleinen Boote kenterte, als seine Insassen herausklettern wollten, sein Gewicht zerquetschte einem Optio den Fuß. Etliche Tornister und Speere fielen ins Meer und mussten von den Besitzern unter dem Fluchen ihrer Offiziere herausgefischt werden. Renius rutschte mit einem seiner Arme aus, als er aus einem Boot kletterte und verschwand trotz hilfreich ausgestreckter Hände im Wasser. Als sie ihn herauszogen, brüllte er vor Empörung. Trotz der Schwierigkeiten war die Landung so vieler ohne den Verlust eines einzigen Lebens allein schon eine bewundernswerte Leistung, und als die Sonne sich allmählich dem Horizont zuneigte, hatte die Zehnte das Gelände für das erste befestigte Lager markiert und den Weg zur Küste abgesichert, denn sie waren immer noch verwundbar. Nichts war von den Stämmen zu sehen, die ihr Land im Jahr zuvor so wild entschlossen verteidigt hatten. Nach den ersten Sichtungen auf den Klippen hatten sich die Britannier zurückgezogen. Julius musste bei dem Gedanken an die Bestürzung in ihren Lagern und Dörfern lächeln und fragte sich, was wohl aus Commius geworden war, dem König der südlichen Hügel. Er konnte sich nur vorstellen, wie es für Commius gewesen sein musste, seine Legionen zum ersten Mal zu erblicken und seine blauhäutigen Kämpfer zum Meer hinunterzuschicken, um sie zurückzuschlagen. Mit Schaudern erinnerte sich Julius an die riesigen Hunde, die mit ihnen kämpften und ein Dutzend Wunden hinnehmen konnten, ehe sie starben. Aber auch sie hatten die Veteranen aus Gallien nicht aufhalten können. Commius hatte sich ergeben, als sich die Legionen die Dünen hinauf und in die Wiesen dahinter vorgekämpft und dabei die blauen Krieger vor ihnen niedergemacht hatten. Der König hatte seine Würde gewahrt, als er in das provisorische Lager am Strand gekommen war, um sein Schwert zu übergeben. Die Wachen hätten ihn aufgehalten, aber Julius hatte ihn mit wild pochendem Herzen hereingewinkt. Er erinnerte sich an die Ehrfurcht, die er gespürt hatte, als er endlich mit Menschen sprach, die in Rom kaum mehr als eine Legende waren. Trotz ihres wilden Aussehens verstanden die Stammesangehörigen, wie Julius alsbald herausfand, das einfache Gallisch, das er mühsam erlernt hatte. »Die Fischer auf der anderen Seite des Wassers nennen euch die ›Pretani‹, die Bemalten«, sagte Julius und wog das Schwert langsam in der Hand. »Wie nennt ihr sie?« Der blaue König hatte seine Gefährten angesehen und die Achseln gezuckt. »Wir denken nicht an sie. Nicht oft.« Julius musste bei der Erinnerung daran leise lachen. Hoffentlich hatte Commius das Jahr, in dem er fort gewesen war, überlebt. Nachdem der Strand gesichert war, brachte Brutus seine Dritte Gallica an Land, um die Zehnte zu verstärken, und Marcus Antonius führte seine Männer aufs Trockene, wobei jede Kohorte der folgenden Schutz bot, wenn sie nach einem genau geplanten Ablauf an Land kam. Als sich die erste Nacht herabsenkte, zogen sich die Galeeren ins tiefere Wasser zurück, wo sie keinem Überraschungsangriff zum Opfer fallen konnten, und die Legionen waren eifrig dabei, befestigte Lager zu errichten. Nach all den Jahren in Gallien führten sie die vertrauten Arbeiten gelassen und zügig aus. Die Extraordinarii schwärmten um die Ränder der Stellungen, bereit, jederzeit Alarm zu schlagen und einen feindlichen Angriff so lange aufzuhalten, bis sich die rechteckigen Kampfformationen gebildet hatten. Die Wälle aus aufgeschütteter Erde und gefällten Bäumen wuchsen mit der Leichtigkeit langer Praxis, und als Mond und Sterne Mitternacht anzeigten, waren die Legionäre in Sicherheit und bereit für den nächsten Tag. Während die erste warme Mahlzeit an diejenigen ausgegeben wurde, die so schwer dafür geschuftet hatten, berief Julius seinen Rat ein. Auch er selbst nahm einen Teller Gemüseeintopf und roch vor den Augen der Legionäre genießerisch daran. Sie grinsten, als er davon kostete und zwischen ihnen hindurchging, hier und da stehen blieb und mit jedem sprach, der seinen Blick auf sich zog. Bericus hatte er in Gallien zurückgelassen, wo er nur mit seiner Legion und den Hilfstruppen das gewaltige Gebiet abdecken musste. Der Heerführer aus Ariminum war ein erfahrener, besonnener Soldat, der das Leben der Männer unter seinem Kommando nicht leichtsinnig aufs Spiel setzte, aber Brutus war angesichts der Gefahr, die es bedeutete, nur so wenige zum Schutz Galliens zurückzulassen, entsetzt gewesen. Julius hatte sich seine Einwände geduldig angehört und dann seine Pläne in die Tat umgesetzt. Brutus war bei der ersten Landung nicht dabei gewesen, denn der Sturm hatte seine Galeere weit aufs Meer hinausgetrieben. Er verstand nicht, weshalb Julius unbedingt einen zweiten, vernichtenden Schlag durchführen wollte. Er hatte die blutig roten Wellen nicht gesehen, hatte nicht gesehen, wie die Legionäre vor den blauhäutigen Kriegern und ihren gewaltigen Hunden zurückgewichen waren. In diesem Jahr, das hatte sich Julius geschworen, würden die Britannier das Knie vor ihm beugen oder vernichtet werden. Er hatte die nötige Kampfkraft und die nötigen Schiffe. Er hatte die richtige Jahreszeit und einen ungebrochenen Willen. Als er das von Fackeln erleuchtete Zelt betrat, stellte er den Teller auf einen Tisch und ließ das Essen kalt werden. Angesichts der Anspannung, die in ihm wühlte, konnte er nichts essen. Rom war so weit entfernt wie ein Traum, und manchmal konnte er nur verwundert den Kopf darüber schütteln, dass er so weit von der Stadt entfernt war. Wenn doch Marius oder sein Vater das alles miterleben könnten. Marius hätte seine Befriedigung nachvollziehen können. Er war weit genug nach Afrika vorgedrungen, um ihn zu verstehen. Seine Berater kamen zu zweien oder dreien, und Julius beherrschte seine Gefühle, um sie förmlich zu begrüßen. Er ließ ihnen Essen bringen und wartete, bis sie satt waren, blickte, die Hände auf den Rücken gelegt, vom Zelteingang hinaus in den Nachthimmel. Nach der ersten Landung hatte er ungefähre Karten anfertigen lassen, die sie weiter nach Norden bringen sollten, und die Kundschafter, die sie gezeichnet hatten, würden vorangehen, um die Truppenstärke derjenigen auszukundschaften, die sich ihnen entgegenstellten. Julius konnte das Morgengrauen kaum erwarten. Die Nachrichten von der Flotte hatten sich rasch verbreitet. Nachdem das gesamte Ausmaß der Invasion offensichtlich wurde, hatte Commius seine Pläne zur Verteidigung der Küste verworfen. Die Absicht hinter einer derartig gewaltigen Streitmacht war unmissverständlich. Ebenso sicher war, dass die Trinovanten keine Chance hatten, etwas gegen sie auszurichten. Sie zogen sich zwölf Meilen weit bis zu einer Reihe von Hügelfestungen ins Inland zurück, und Commius schickte zu allen benachbarten Stämmen Boten aus. Er rief die Cenimagner und die Ancaliten. Er rief die Segontiacer und die Bibrocer, und sie kamen aus Angst zu ihm. Noch nie hatte jemand einen so vielköpfigen Feind gesehen, und sie wussten, wie viele Trinovanten im Jahr zuvor im Kampf gegen eine wesentlich kleinere Anzahl gefallen waren. Der erste Abend verging im Streit, als Commius versuchte, ihrer aller Leben zu retten. »Ihr habt beim letzten Mal nicht gegen sie gekämpft«, sagte er zu ihren Anführern. »Es waren nur ein paar Tausend, aber sie haben uns besiegt. Gegen das Heer, das sie jetzt mitgebracht haben, haben wir keine Chance. Wir müssen sie ertragen, so wie wir den Winter ertragen. Anders können wir ihren Durchzug nicht überleben.« Commius sah den Zorn auf den Gesichtern der Männer vor ihm. Beran von den Ancaliten erhob sich, und Commius drehte sich resigniert zu ihm herum, erriet seine Worte, noch bevor sie ausgesprochen waren. »Die Catuvellaunen sagen, dass sie kämpfen. Sie erkennen jeden von uns unter ihrem König als Waffenbruder an. Jedenfalls ist das besser, als sich in den Schmutz zu werfen und einer nach dem anderen erledigt zu werden.« Commius seufzte. Er kannte das Angebot des jungen Königs Cassivellaunus, und am liebsten hätte er ausgespuckt. Keiner der Anwesenden schien das Ausmaß der Gefahr zu begreifen, das von der an ihrer Küste gelandeten Armee ausging. Das Heer war endlos, und Commius zweifelte daran, dass man sie ins Meer zurückwerfen könnte, selbst wenn jeder Mann im ganzen Land gegen sie zu den Waffen griff. Der König der Catuvellaunen war von seinem eigenen Ehrgeiz, die Stämme anzuführen, geblendet, und Commius wollte an dieser Dummheit nicht teilhaben. Cassivellaunus würde es auf die einzig mögliche Art und Weise lernen, so wie Commius vor ihm. Aber für die anderen bestand immer noch Hoffnung. »Soll Cassivellaunus die Stämme unter seinem Banner vereinen. Es wird nicht reichen, selbst mit uns nicht. Sag mir, Beran, wie viele Männer kannst du zum Kampf von deinen Feldern und Herden abziehen?« Beran war die Frage sichtlich unangenehm, aber dann zuckte er die Achseln. »Zwölfhundert vielleicht. Weniger, wenn ich genug zurücklasse, um die Frauen zu beschützen.« Unter Commius’ strengem Blick fügte jeder von ihnen seine Zahl hinzu. »Insgesamt bringen wir es also vielleicht auf achttausend Krieger. Cassivellaunus hat dreitausend, und die Stämme um ihn herum können noch sechstausend mehr bringen, falls sie alle gewillt sind, sich ihm anzuschließen. Das sind siebzehntausend, und meine Männer haben gezählt, dass uns fünfundzwanzigtausend gegenüberstehen, und dazu noch Tausende von Reitern.« »Ich habe schon Schlimmeres erlebt«, sagte Beran und grinste. Commius funkelte ihn wütend an. »Nein, das hast du nicht! Ich habe am Strand und auf den Feldern dreitausend meiner besten Männer im Kampf gegen sie verloren. Das sind harte Männer, meine Freunde, aber sie können uns von jenseits des Meeres nicht regieren. Das ist noch keinem gelungen. Wir müssen nur abwarten, bis der Winter sie wieder zurücktreibt. Inzwischen wissen sie, was die Stürme mit ihren Schiffen anstellen können.« »Es wird schwierig sein, meinen Leuten zu sagen, sie sollen die Schwerter weglegen«, sagte Beran. »Viele sind fest entschlossen, sich den Catuvellaunen anzuschließen.« »Dann sollen sie doch!«, rief Commius, dessen Geduld am Ende war. »Soll jeder, der sterben will, sich zu Cassivellaunus gesellen und kämpfen. Sie werden vernichtet werden.« Er rieb sich zornig den Nasenrücken. »Ich muss zuerst an die Trinovanten denken, ganz egal, was ihr beschließt. Es sind auch so schon wenig genug von uns übrig, aber selbst wenn ich noch viel mehr Männer hätte, würde ich abwarten, wie es den Catuvellaunen in ihrer ersten Schlacht ergeht. Wenn ihr König so versessen darauf ist, uns alle anzuführen, soll er doch beweisen, dass er auch die Kraft dazu hat.« Die Männer blickten einander an, suchten nach einer gemeinsamen Entscheidung. Der Geist der Zusammenarbeit war eine ungewohnte Erfahrung, aber seit die Flotte an diesem Morgen gesichtet worden war, war nichts an ihrer Lage mehr wie gewohnt. Beran ergriff als Erster das Wort. »Du bist kein Feigling, Commius. Deshalb habe ich dir zugehört. Ich warte ab, wie es Cassivellaunus in den ersten Geplänkeln ergeht. Wenn er diese neuen Männer empfindlich treffen kann, schließe ich mich ihm an. Ich will nicht mit gesenktem Kopf dabeistehen, während sie mein Volk töten. Das wäre unerträglich.« »Es wäre noch unerträglicher zu sehen, wie deine Tempel zerstört und die Ancaliten zu Asche gemacht werden«, fuhr ihn Commius an. Er schüttelte den Kopf. »Tu, was du für richtig hältst. Die Trinovanten werden keinen Anteil daran haben.« Ohne ein weiteres Wort stürmte Commius aus dem niedrigen Raum und ließ sie allein. Beran sah ihm stirnrunzelnd nach. »Hat er Recht?«, fragte er. Die gleiche Frage beschäftigte alle, als Beran sich umdrehte und sie ansah. »Sollen die Catuvellaunen sich mit ihnen messen, mit welcher Streitmacht auch immer. Ich schicke meine Kundschafter aus, und wenn sie sagen, dass diese ›Römer‹ besiegt werden können, ziehe ich ebenfalls gegen sie.« »Die Bibrocer werden mit dir ziehen«, sagte ihr Abgesandter. Die anderen erhoben ebenfalls ihre Stimmen, und Beran lächelte. Er verstand, weshalb der König der Catuvellaunen so erpicht darauf war, die Stämme zu befehligen. Die hier Anwesenden konnten fast 8000 Krieger ins Feld bringen. Was für ein Anblick das wäre! Beran konnte sich so viele Männer vereint kaum vorstellen. Zwölf Meilen landeinwärts traf Julius auf die Hügelfestungen der Trinovanten. Das Tosen und die Gerüche des Meeres lagen weit hinter seinen Marschkolonnen, und diejenigen Legionäre, die nach vorn blickten, murmelten anerkennend, als sie durch Getreidefelder und sogar Weingärten zogen, deren saure weiße Trauben sie im Vorübergehen abrissen. In der Hitze des Spätsommers wuchsen dort wilde Äpfel, und Julius war erfreut darüber, dass das Land es wert war, erobert zu werden. An der Küste war wenig von den Feldern dahinter zu erahnen gewesen, aber seine Augen suchten ständig nach den dunklen Narben irgendwelcher Minen. Rom war Zinn und Gold von den Britanniern versprochen worden, und Julius wusste, dass die Gier des Senats ohne diese Metalle nicht zufrieden zu stellen sein würde. Die Legionen zogen sich über mehrere Meilen hin, nur durch die schweren Versorgungstrosse voneinander getrennt. Sie hatten Vorräte für einen Monat sowie Werkzeug und Ausrüstung zum Überqueren von Flüssen und zum Brückenbau dabei, ja, sie waren sogar in der Lage, eine ganze Stadt zu errichten. Julius hatte bei diesem zweiten Versuch, die weißen Klippen einzunehmen, nichts dem Zufall überlassen. Er gab den Cornicen das Zeichen, zum Halten zu blasen, und sah zu, wie die gewaltigen Kolonnen reagierten, deren Formationen sich noch am Rande seines Gesichtsfeld bewegten, während sie von der Marschformation zu defensiveren Aufstellungen übergingen. Julius nickte zufrieden. Genauso sollte Rom Krieg führen. Die Hügelfestungen erstreckten sich in einer lockeren Linie über das Land, jede war eine solide Konstruktion aus Holz und Stein auf der Kuppe steil ansteigender Hänge. Ein Fluss, der auf seinen Karten als der »Sturr« verzeichnet war, floss unter ihnen dahin, und Julius schickte Wasserträger aus, um den langwierigen Prozess einzuleiten, mit dem die Legionsvorräte aufgefüllt wurden. Noch war es nicht unbedingt nötig, aber Gallien hatte ihn gelehrt, niemals eine Gelegenheit verstreichen zu lassen, sich mit Wasser oder Nahrung zu versorgen. Seine Karten endeten am Fluss, und nach allem, was er wusste, könnte es das letzte frische Wasser sein, bis sie den Tamesis erreichten, den ›dunklen Fluss‹, 60 Meilen von der Küste entfernt. Falls es ihn überhaupt gab. Julius rief Brutus und Octavian zu sich, dann schickte er eine Kohorte seiner erprobten Zehnten weiter zu den Festungen. Als er seine Befehle gab, sah Julius die mächtige Gestalt Ciros durch die Reihen auf sich zukommen. Julius grinste über das besorgte Gesicht des Mannes und beantwortete seine Frage, bevor sie gestellt werden konnte. »Sehr gut, Ciro. Schließe dich uns an«, rief er. Julius sah die Erleichterung in den Zügen des riesenhaften Soldaten. Ciros Ergebenheit rührte ihn immer noch. Die Brustpanzer der Zehnten schimmerten grell, als Julius sie musterte, und wieder verspürte er diese gewaltige Begeisterung. Jeden Augenblick konnten die Armeen der Britannier auftauchen und sich auf sie werfen, aber an der perfekten Aufstellung der Legionäre war nichts auszusetzen. Die Einheiten waren bereit, und etwas von Julius’ Selbstbewusstsein zeigte sich auf ihren Gesichtern. Als er langsam den Hang zur größten der Festungen hinaufritt, hörte Julius in der reinen, klaren Luft hoch über sich Vögel singen. Er prägte sich die Verteidigungsanlagen ein und machte bereits Pläne, wie er sie überwinden könnte, falls sich die Bewohner nicht ergaben. Die Mauern waren solide gebaut, und jeder Angreifer würde sich beim Sturm auf das Tor einem Hagel von Geschossen ausgesetzt sehen. Julius stellte sich die Ausmaße des Rammbocks vor, die nötig wären, um so dickes Holz zu durchbrechen, und die Antwort gefiel ihm ganz und gar nicht. Auf den hohen Mauern sah er dunkle Köpfe, und er richtete sich im Sattel auf, wohl wissend, dass er beobachtet und beurteilt wurde. Aus dem Inneren der Festung hörte man laute Rufe und Hörnertuten. Julius versteifte sich, als die Flügel des Haupttores aufschwangen. Die Reihen der Triarii vor ihm zückten ohne Befehl die Schwerter, denn jeder von ihnen erwartete, dass sich aus dem Tor eine wilde Horde Angreifer auf sie ergießen würde. Genau das hätte Julius auch getan, wenn er auf dem Hügel gestanden hätte, und er ballte die Fäuste um die Zügel, als das dunkle Innere der Festung sichtbar wurde. Aber es kamen keine Krieger daraus hervorgestürmt. Stattdessen stand dort eine kleine Gruppe von Männern, von denen einer grüßend den Arm hob. Julius befahl der Kohorte, die Schwerter wieder in die Scheiden zu stecken, um die Spannung ein wenig zu senken. Octavian trieb sein Pferd einen Schritt vor Julius und drehte sich zu seinem Befehlshaber um. »Lass mich mit fünfzig Mann hineinmarschieren, Herr. Falls es eine Falle ist, müssen sie sich zeigen.« Julius musterte seinen jungen Verwandten mit großer Zuneigung; er sah keine Furcht, kein Zaudern in den ruhigen Augen des anderen. Wenn es eine Falle war, würden diejenigen, die die Festung zuerst betraten, getötet werden. Julius freute sich darüber, dass einer von seinem Blut vor den Männern derartige Tapferkeit bewies. »Sehr gut, Octavian. Geht hinein und haltet das Tor für mich«, erwiderte er lächelnd. Octavian gab den ersten fünf Reihen ein paar kurze Befehle, dann setzten sie sich im leichten Trab den Hügel hinauf in Bewegung. Julius beobachtete die Reaktion der Britannier und war enttäuscht, als er sah, dass sie ohne Anzeichen von Furcht stehen blieben. Octavian trieb sein Pferd zum Galopp an, als er unter dem Tor hindurchritt, und Julius sah seine Rüstung im Haupthof glänzen, als er das Pferd auf der Hinterhand wendete und zurückgeritten kam. Als Julius den Rest der Kohorte hinaufgeführt hatte, war Octavian bereits abgestiegen, und ein kurzer Blickwechsel genügte, um Julius grinsen zu lassen. Die Vorsichtsmaßnahme war unnötig gewesen, aber Julius hatte in Gallien einiges über Risiken gelernt. Es gab Zeiten, in denen man nur angreifen und hoffen konnte, aber das geschah nur selten. Julius hatte erfahren, dass er umso weniger in die Verlegenheit kam, sich allein auf die schiere Kraft und Disziplin seiner Männer verlassen zu müssen, je mehr er überlegte und plante. Im Schatten des Torbogens stieg er vom Pferd. Die Männer, die ihn erwarteten, waren fast alles Fremde, aber unter ihnen entdeckte er Commius und umarmte ihn. Es war eine rein formelle Geste für die Krieger der Festung, die ihn beobachteten. Vielleicht wussten beide Männer, dass nur die Größe des römischen Heeres ihnen diese angebliche Freundschaft aufzwang, aber das spielte keine Rolle. »Es freut mich, dich hier zu sehen, Commius«, sagte Julius. »Meine Kundschafter meinten, dass wir uns noch immer auf dem Land der Trinovanten befinden, aber sie waren sich nicht sicher.« Er sprach schnell und fließend, woraufhin Commius verwundert die Brauen hochzog. Julius lächelte, als wenn nichts wäre, und fuhr fort. »Wer sind diese anderen?« Commius stellte sie als Anführer der Stämme vor, und Julius entbot allen seinen Gruß, prägte sich ihre Namen und Gesichter ein und freute sich über ihr offensichtliches Unbehagen. »Du bist auf dem Land der Trinovanten willkommen«, sagte Commius schließlich. »Wenn deine Männer warten, lasse ich etwas zu essen und zu trinken bringen. Tritt doch ein.« Julius betrachtete den Mann genauer und fragte sich, ob Octavians Befürchtungen doch noch wahr werden könnten. Er spürte, dass er geprüft wurde, und ließ schließlich seine Vorsicht fahren. »Octavian, Brutus ... Ciro, ihr kommt mit mir. Geh voran, Commius, und lass das Tor offen, wenn es dir nichts ausmacht. Es ist zu heiß, um die frische Brise auszusperren.« Commius sah ihn kalt an, und Julius lächelte. Der Zenturio Regulus stand dort, und Julius sprach mit ihm zuletzt, bevor er den Britanniern ins Innere folgte. »Warte eine einzige Wache auf meine Rückkehr. Wenn ich bis dahin nicht wieder aufgetaucht bin, weißt du, was zu tun ist.« Regulus nickte entschlossen, und Julius sah, dass die Worte nicht ohne Wirkung auf Commius geblieben waren, dessen Züge sich verhärteten. Die Festung schien größer, als sie von außen ausgesehen hatte. Commius führte die vier Römer und die anderen Britannier durch den Hof, und Julius blickte nicht auf, als er die scharrenden Füße der Krieger der Trinovanten hörte, die mit gereckten Hälsen die Ankömmlinge bestaunten. Er würde ihnen nicht die Ehre erweisen zu zeigen, dass er sie gehört hatte, doch Ciro blickte nach oben und spannte sich. Commius führte sie alle in einen langen, niedrigen Raum, der aus schweren, honigfarbenen Balken gezimmert war. Julius betrachtete die Speere und Schwerter, die die Wände zierten, und wusste, dass es sich um Commius’ Beratungsraum handeln musste. Ein Tisch und mehrere Bänke zeigten an, wo Commius mit seinen Leuten saß, und am gegenüberliegenden Ende stand ein Schrein, von dem sich ein dünner Rauchfaden an einem steinernen, in die Wand eingelassenen Gesicht vorbei nach oben kräuselte. Commius nahm am Kopfende des Tisches Platz, und Julius ging ohne nachzudenken auf das entgegengesetzte Ende zu. Es war nur natürlich, dass die Römer die eine Seite besetzten und die Britannier die andere, und als alle saßen, wartete Julius geduldig darauf, dass Commius das Wort ergriff. Das Gefühl lauernder Gefahr hatte sich verflüchtigt. Commius wusste ebenso gut wie jeder andere, dass die Legionen draußen die Festungen zu Blut und Asche zertrampeln würden, falls Julius nicht mehr herauskam, und Julius war sicher, dass die Drohung jeden Versuch, ihn festzuhalten oder zu ermorden, im Keim ersticken würde. Falls nicht, dachte er, würden die Britannier über das Ausmaß an Grausamkeit, das unweigerlich folgen würde, zweifellos erstaunt sein. Brutus und Octavian allein waren so weit entfernt davon, gewöhnliche Schwertkämpfer zu sein, dass ihre Geschwindigkeit und ihr Können beinahe magisch schienen, und ein einziger Schlag von Ciro konnte fast jedem Mann den Hals brechen. Commius räusperte sich. »Die Trinovanten haben das Bündnis vom vergangenen Jahr nicht vergessen. Die Cenimagner, Ancaliten, Bibrocer und Segontiacer erkennen diesen Frieden an. Stehst auch du zu deinem Wort?« »Selbstverständlich«, erwiderte Julius. »Wenn sich diese Männer zu meinen Verbündeten erklären, werde ich sie bis auf den Ein- behalt von Geiseln und die Erhebung eines gewissen Tributs nicht weiter behelligen. Die anderen Stämme werden sehen, dass sie von mir nichts zu befürchten haben, wenn sie sich zivilisiert benehmen. Du wirst mein Beispiel dafür abgeben.« Beim Sprechen ließ Julius den Blick um den Tisch wandern, aber die Britannier ließen sich nichts anmerken. Commius wirkte erleichtert, und Julius lehnte sich zu weiteren Verhandlungen zurück. Als Julius schließlich wieder herauskam, versammelten sich die Britannier entlang der hohen Festungsmauern, um ihn davonreiten zu sehen. Die Anspannung war ihren blassen Gesichtern deutlich anzusehen. Regulus sah genau zu, wie sein Feldherr einen Arm zum Gruß hob. Die Kohorte machte kehrt und setzte sich wieder in Bewegung den Hügel hinab zu den wartenden Legionen. Von diesem erhöhten Punkt aus war das gesamte Ausmaß der Invasionstruppe hervorragend zu überblicken, und Regulus lächelte bei dem Gedanken, dass jede Schlacht so einfach zu schlagen sein sollte. Sobald die Kohorte wieder in die Hauptstreitmacht eingegliedert war, schickte Julius einen Reiter los, der Marcus Antonius zu ihm bringen sollte. Es dauerte eine Stunde, bis der Heerführer eintraf, und Julius schritt durch die schweigenden, wartenden Soldatenreihen, um ihn zu begrüßen. »Ich ziehe weiter nach Norden, aber ich kann diese Festungen nicht in meinem Rücken zurücklassen«, sagte Julius, als Marcus Antonius abstieg und salutierte. »Du bleibst mit deiner Legion hier und nimmst die Geiseln entgegen, die sie dir schicken. Provoziere sie nicht zu einer Schlacht, aber wenn sie zu den Waffen greifen, musst du sie vollständig vernichten. Hast du meine Befehle verstanden?« Marcus Antonius hob den Blick zu den Festungen, die sich über ihnen erhoben. Der Wind schien stärker zu werden, mit einem Mal fröstelte ihn. Es war keine leichte Aufgabe, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als zu salutieren. »Ich verstehe, Herr.« Marcus Antonius sah zu, wie die großartigen Legionen seiner Heimat stampfend und donnernd davonmarschierten, dass die Erde erbebte. Der Wind nahm weiter zu, dunkle Wolken trieben von Westen heran. Als die ersten Wälle des Lagers errichtet wurden, verwandelte ein stürmischer Regen die Erde in klebrigen Matsch. Während er zusah, wie sein Zelt aufgebaut wurde, fragte sich Marcus Antonius, wie lange er ihre Verbündeten in ihren trockenen, warmen Festungen wohl würde bewachen müssen. An diesem Abend traf ein Sommerunwetter auf die Küste. 40 der römischen Galeeren wurden Ruder und Masten ausgerissen, woraufhin sie hilflos auf die Klippen getrieben und dort zerschmettert wurden. Viele andere rissen sich von ihren Ankern und trieben hinaus aufs Meer, wo sie in der Dunkelheit hin und hergeworfen wurden. Ihre schiere Anzahl machte das Ganze zu einer Nacht des Grauens, in der die verzweifelten Besatzungen mit langen Stangen über den Relingen hingen, um die anderen Schiffe abzuwehren, bevor sie sich gegenseitig zermalmten. Hunderte kamen bei Zusammenstößen um oder ertranken, und als der Wind erst kurz vor Tagesanbruch abflaute, bot die Flotte, die schwer angeschlagen an den Kiesstrand zurückkehrte, ein erbärmliches Bild. Diejenigen, die schon bei der ersten blutigen Landung dabei gewesen waren, stöhnten vor Entsetzen angesichts des dunklen Streifens aus Treibholz und Leichen, der sich am Küstenstreifen dahinzog. Im ersten Tageslicht bemühten sich die verbliebenen Offiziere, die Ordnung wiederherzustellen. Galeeren wurden aneinander gebunden, und die metallenen Holme der Belagerungsmaschinen fanden Verwendung als Behelfsanker, um sie an Ort und Stelle zu halten. Unmengen von Landungsbooten waren über Bord gerissen worden, aber die restlichen verkehrten den ganzen Morgen über zwischen den Schiffen und tauschten die verbliebenen Vorräte an Süßwasser und Werkzeugen aus. Die dunklen Laderäume dreier Galeeren wurden mit den Verwundeten belegt, deren Schreie man durch den Wind hören konnte. Als sie gegessen und die römischen Kapitäne ihre Lage besprochen hatten, stimmten einige dafür, sofort nach Gallien zurückzukehren. Diejenigen, die Julius besser kannten, weigerten sich strikt, auch nur ein einziges Ruder ins Wasser zu tauchen, bevor sie keine entsprechenden Befehle erhalten hatten. Angesichts dieses Widerstands wurden Boten an Julius an Land gebracht, und die Flotte wartete ab. Marcus Antonius empfing die Boten als Erster, als sie ins Landesinnere vordrangen. Die Gewalt des Unwetters hatte sich ein paar Meilen landeinwärts erschöpft, so dass er nicht mehr als einen heftigen Sturm erlebt hatte, obwohl ihn mehr als einmal flackernde Blitze aus dem Schlaf gerissen hatten. Er las die Schadensberichte mit wachsendem Entsetzen, bevor er seine wild durcheinander wirbelnden Gedanken wieder unter Kontrolle bekam. Julius hatte nicht mit einem weiteren Sturm gerechnet, der seine Flotte beschädigte, aber wenn er noch vor Ort gewesen wäre, hätte er denselben Befehl erteilt. Die Galeeren durften nicht für die Dauer des gesamten Feldzugs den Gewalten von Wind und Wetter ausgesetzt bleiben, bis sie allesamt zu Treibholz zerschlagen waren. Marcus Antonius wollte gerade die Rückfahrt nach Gallien befehlen, als ihn der Gedanke an Julius’ Zorn die Worte zurückhalten ließ. »Ich habe hier fünftausend Mann«, sagte er, während sich eine Idee formte. »Mit Tauen und Gespannen könnten wir die Galeeren eine nach der anderen hereinbringen und für sie einen Binnenhafen bauen. Ich habe das Unwetter hier kaum gespürt, aber so weit ins Land hinein müssen wir uns gar nicht zurückziehen. Eine halbe Meile, dazu eine Schutzmauer, damit müsste die Flotte geschützt sein – und bereit, wenn Cäsar zurückkehrt.« Die Boten sahen ihn verständnislos an. »Herr, wir haben Hunderte von Schiffen. Selbst wenn wir die Rudersklaven als Arbeitskräfte hinzuziehen, würde es Monate dauern, so viele Schiffe zu verlegen.« Marcus Antonius lächelte verkniffen. »Die Rudersklaven werden für ihre eigenen Schiffe verantwortlich sein. Wir haben genug Taue und Männer, um es zu schaffen. Ich denke, zwei Wochen müssten reichen, danach können die Stürme wüten, solange sie wollen.« Der römische Feldherr schob die Seeleute aus seinem Zelt und rief seine Offiziere zusammen. Unwillkürlich fragte er sich, ob schon jemals irgendjemand etwas Derartiges versucht hatte. Er jedenfalls hatte nicht davon gehört, obwohl in jedem Hafen ein oder zwei große Schiffe im Trockendock lagen. Sein Vorhaben konnte doch nicht mehr sein, als eine Vervielfältigung dieser Aufgabe. Mit diesem Gedanken verschwanden seine Zweifel, und er verlor sich alsbald in Berechnungen. Als seine Offiziere zur Lagebesprechung eintrafen, hatte Marcus Antonius bereits eine ganze Reihe Befehle für sie parat. 40 Die Ähnlichkeit mit den Galliern war verblüffend. Die britannischen Stämme aus dem Landesinneren, gegen die Julius seine Legionen in die Schlacht führte, hatten keine blaue Haut, aber sie benutzten ebenfalls einige der uralten Namen, die Julius zum ersten Mal in Gallien gehört hatte. Seine Kundschafter hatten ihm einen Stamm im Westen gemeldet, der sich Belger nannte und womöglich aus dem gleichen Geschlecht stammte wie diejenigen, die er auf der anderen Seite des Meeres besiegt hatte. Das Land, das die Legionen unter Pfeil- und Speerbeschuss erklommen, war von einem lang gezogenen Halbrund aus Hügeln eingefasst. Die römischen Schilde erwiesen sich als wirksamer Schutz, und die Legionäre schritten unerbittlich voran. Sie hatten im Schweiße ihres Angesichts die schweren Wurfmaschinen die Hügel hinaufgezerrt, aber sie hatten ihren Wert abermals bewiesen, als die Britannier versuchten, das Plateau zu halten und lernten, Respekt vor den großen Ballistae zu haben. Sie hatten der schieren Gewalt der Skorpionbögen nichts entgegenzusetzen; alle ihre Angriffe waren abgewehrt und zerschlagen worden, und die Legionen marschierten auf die nächsten Hügel zu. Julius wusste, dass ihr Vorteil nicht zuletzt in der Geschwindigkeit lag, mit der sie offenes Gelände überquerten, und die unter Cassivellaunus versammelten Stämme zogen sich immer weiter zurück, während eine Stellung nach der anderen eingenommen wurde und die römischen Reihen weiter vorrückten. Trotz des Widerstands konnte sich Julius des Verdachts nicht erwehren, dass die Stämme sie an einen bestimmten Ort lockten. Ihm blieb nichts anderes übrig, als das Tempo beizubehalten, immer kurz davor, sie vernichtend zu schlagen. Immer wieder ließ er den zurückweichenden Feind von den Extraordinarii unter Octavian und Brutus blitzartig angreifen. Der Boden, über den die Legionen marschierten, war mit Speeren und Pfeilen übersät, aber nur wenige hatten ein Ziel gefunden, und der Vormarsch kam während der langen Tage kein einziges Mal ins Stocken. Am zweiten Morgen war ihre Flanke zweimal von Männern angegriffen worden, die das Heer der Britannier zurückgelassen hatten. Die Manipel hatten sie ohne Panik aufgehalten, und die Extraordinarii hatten sie niedergeritten, wie sie es gelernt hatten, indem sie im vollen Galopp durch die verzweifelten Stammeskrieger hindurchgeprescht waren. Am Abend hatte Julius die Cornicen zum Aufbauen des Lagers blasen lassen, und die Nachschubkolonnen brachten Essen und Wasser für die Männer heran. Die Nächte waren unangenehmer, denn die Stämme brüllten unaufhörlich und machten einen solchen Lärm, dass an Schlaf fast zu nicht denken war. Die Extraordinarii ritten abwechselnd in Gruppen um die Lager, um Angriffe abzuwehren, wobei mehr von ihnen durch Pfeile aus der Dunkelheit fielen als zu jeder anderen Zeit. Trotzdem wurden auch in diesem feindlichen Land die Routinen fortgesetzt. Die Schmiede reparierten Waffen und Schilde, und die Feldschere kümmerten sich so gut es ging um die Verwundeten. Julius war dankbar für diejenigen, die Cabera ausgebildet hatte, obwohl er seinen alten Freund vermisste. Die Krankheit, die ihn nach seiner Heilung des Domitius niedergestreckt hatte, war etwas Schreckliches, ein Dieb, der ihm heimlich nach und nach den Verstand raubte. Cabera war nicht in der Lage gewesen, die zweite Überfahrt mitzumachen, und Julius hoffte nur, dass er lange genug am Leben blieb, um sie alle wieder zurückkehren zu sehen. Zuerst hatte Julius geglaubt, er könnte die Stämme bis zum Fluss vor sich hertreiben und dort aufreiben, so wie er es vor Jahren mit den Sueben getan hatte, damals am Rhein. Aber der König der Catuvellauni hatte die Brücken in Brand gesetzt, bevor die Legionen sie erreichen konnten, und die Tage dann dazu genutzt, seine Armee mit Kriegern aus den umliegenden Gebieten zu verstärken. Unter schwerem Pfeilbeschuss vom anderen Ufer hatte Julius Kundschafter ausgesandt, um eine Furt ausfindig zu machen, aber es schien nur eine einzige Stelle zu geben, die für diesen Zweck brauchbar war, und selbst dort war er gezwungen gewesen, die schweren Waffen zurückzulassen, die die ersten Angriffe der Britannier zermalmt und ihren langen Rückzug eingeleitet hatten. Widerstrebend stellte Julius seine Ballistae, Onager und Skorpione am Flussufer auf, um den Angriff zu unterstützen. Ihm fiel ein, dass die beste Taktik durch schwieriges Terrain zunichte gemacht werden konnte. Seine Legionen stellten sich zwischen den Fahnen auf, die die Kundschafter in den weichen Schlamm des Tamesis gerammt hatten, um anzuzeigen, von wo an das Wasser wieder tiefer wurde. An einem solchen Ort gab es keine List und keine Ausflüchte. Eine Salve aus den Wurfmaschinen markierte die Reichweite über den Fluss und gab den Legionen ein sicheres Anlaufgebiet von ungefähr einhundert Fuß. Dahinter würde die Speerspitze des Heeres von den Britanniern umringt sein. Sämtliche Vorteile lagen auf Seiten der Stämme, und Julius wusste, dass diese Überquerung entscheidend für den Ausgang der Schlacht sein würde. Wenn seine Männer am anderen Ufer ins Stocken gerieten, konnte der Rest der Legionen nicht über den Fluss gelangen. Dann war alles, was sie seit der Küste erreicht hatten, umsonst. Sich unter den Augen des Feindes auf eine Schlacht vorzubereiten hatte etwas Unheimliches an sich, besonders wenn man nichts anderes tun konnte als zusehen. Julius hörte seine Offiziere ihre Befehle brüllen, sah, wie sich Einheiten in Reih und Glied formierten, und von überall links und rechts drangen ähnliche Rufe zu ihm. Er sah zum anderen Ufer des dunklen Tamesis hinüber und schickte Läufer zu seinen Heerführern, wenn ihm etwas am Gelände und an den Formationen der Britannier auffiel. Sie sahen recht selbstbewusst aus, als sie die Römer verspotteten, und Julius sah, dass einige von ihnen ihre Hinterteile entblößten, sie zur allgemeinen Belustigung ihrer Gefährten in seine Richtung streckten und mit den Händen daraufklatschten. Er konnte ihre Zuversicht gut verstehen und spürte, wie ihm der Schweiß in die Augen rann, während er seine Befehle ausgab. Die Legionen würden beim Überqueren Pfeil- und Speerhageln ausgesetzt sein; er rechnete mit einem hohen Blutzoll. Julius hatte Kundschafter flussauf- und flussabwärts am Tamesis entlanggeschickt, um weitere Furten zu suchen, die er zum Anlanden von Flankentruppen benutzen konnte, aber falls es überhaupt welche gab, waren sie so weit entfernt, dass sie für seine Zwecke nicht brauchbar waren. Selbst die besten Feldherren mussten sich gelegentlich auf das Können und die schiere Schlagkraft der Männer verlassen, die sie anführten. Julius würde nicht mit der ersten Welle hinübergehen. Octavian hatte sich freiwillig gemeldet, die Extraordinarii bei der Durchquerung anzuführen, dicht dahinter sollte die Zehnte folgen. Der junge Römer würde den Angriff nur mit viel Glück überleben, aber Julius hatte nachgegeben, denn er wusste, dass er ihm die Wahl überlassen musste. Die Zehnte würde sich im Schutz der Kavallerie durchkämpfen und einen Brückenkopf für die nachfolgenden Legionäre bilden. Julius würde mit der Dritten Gallica nachkommen, dann waren Brutus und Domitius mit dem Rest dran. Die Sonne stand klar und deutlich am Himmel, als Julius seinen Helm aufsetzte und den Catuvellauni das kalte Eisengesicht zuwandte. Er hob das Schwert. Einige Britannier sahen die Geste und winkten auffordernd herüber. Julius sah zu Octavian hinüber, der auf sein Signal wartete. Die Extraordinarii standen grimmig bereit, und ihre Spatha-Klingen glänzten, als sie ihre Positionen hielten. Bis zur gegenüberliegenden Uferböschung würden sie den vollen Galopp erreicht haben, und Julius verspürte einen Anflug atemloser Spannung, während sie darauf warteten, den Britanniern dort drüben den Tod zu bringen. Schweigend senkte Julius den Arm, und die Cornicen gellten überall entlang der gewaltigen Kolonne. Julius hörte Octavian brüllen, dann stürmten die Extraordinarii auf ganzer Front ins seichte Wasser, preschten immer schneller und schneller voran. Die Pferde ließen das Wasser aufschäumen, und die römische Kavallerie senkte die Schwerter über die Köpfe ihrer Reittiere, bereit zur ersten Feindberührung. Pfeile und Speere bohrten sich in Männer und Pferde, die schreiend das Wasser blutrot färbten, wenn ihre Leiber in den Strom stürzten. Laut brüllend kamen die Britannier heran. Jetzt war Präzision gefragt, jeder Mann an den schweren Wurfmaschinen war bereit. Als die Britannier vorwärts stürmten, um sich auf die Extraordinarii zu werfen, gab Julius den Befehl für die Mannschaften, und eine letzte Ladung aus Eisen und Steinen flog über die Köpfe der dahingaloppierenden Römer, krachte in die ersten ungestümen Reihen der Feinde und riss sie in Fetzen. Große Löcher öffneten sich in den wogenden Massen der Britannier, und Octavian lenkte sein Pferd auf eine der Schneisen zu. Der Wallach stolperte ein wenig, als er wieder festen Boden unter den Hufen hatte. Das Tier atmete schwer, sein Reiter war von eiskaltem Wasser durchnässt. Er hörte, wie sich die Zehnte mit heiser gebrüllten Befehlen in Bewegung setzte, und er wusste, dass die römischen Götter die Söhne ihrer Stadt auch so weit entfernt von zu Hause nicht aus den Augen ließen. Doch bei diesem ersten Angriff blieb keine Zeit zum Nachdenken. Octavian und Brutus hatten die Extraordinarii ihrer Geschicklichkeit mit Ross und Schwert wegen ausgesucht, und jetzt bildeten sie ohne einen einzigen Befehl eine Speerspitze, stießen in die Reihen der Britannier und schlugen eine tiefe Kerbe. Mit ihrer eigenen Kavallerie direkt vor sich konnte die Zehnte ihre Speere nicht einsetzen, doch sie waren Veteranen aus Gallien und Germanien und hieben alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Vor diesem kombinierten Angriff fielen die Britannier in heillosem Durcheinander zurück und verspielten ihren größten Vorteil durch die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der die Zehnte ihre Front mit der Perfektion eines Tanzes verbreiterte. Die Räume, die sie dadurch schufen, wurden von den nachfolgenden Legionen sofort besetzt. An den Flanken bildeten sich die Schlachtkarrees, und die Extraordinarii schwärmten um sie herum; ihre Geschwindigkeit und Beweglichkeit schützte sie vor den Speeren und Schwertern der Catuvellauni. Julius hörte Hörner über die Köpfe der Feinde tönen, und sie wichen zurück, zogen sich an die Flanken zurück und öffneten eine breite Gasse in ihrer Mitte. Durch diese Gasse erblickte Julius eine Staubwolke, und dann eine Wand aus Pferden und Streitwagen, die mit selbstmörderischer Geschwindigkeit herankamen. Die römischen Cornicen bliesen den Befehl, die Lücken zu schließen, die Blockformationen hielten an, die Legionäre schlossen die Schilder und stemmten sich in den fremden Boden, um die Stellung zu halten. Die Streitwagen waren jeweils mit zwei Kriegern besetzt, und Julius staunte über die Geschicklichkeit, mit der die Speerträger bei dieser Geschwindigkeit das Gleichgewicht hielten, während ihre Gefährten die Zügel der dahinfliegenden Pferde hielten. Die Speere wurden im letzten Augenblick geschleudert, und Julius sah, wie Legionäre von einem Schwarm dieser Wurfgeschosse getötet wurden, die mit einer solchen Wucht geworfen wurden, dass sie sogar die römischen Schilde durchschlugen. Angesichts des Gemetzels brüllte Octavian neue Befehle. Die Extraordinarii lösten sich von den Flanken und schnitten den Streitwagen den Weg ab, bevor die Krieger noch einmal werfen oder kehrt machen konnten. Die Britannier preschten zwischen sie, und Julius sah, wie Pferde und Männer niedergemäht wurden, überall spritze Blut auf. Die Zehnte und die Dritte drängten voran und schlossen die Mitte, überrannten die Männer aus den Streitwagen, die mit dem Mut der Verzweiflung kämpften. Einige der britannischen Pferde gingen durch, und Julius sah, wie mehr als ein Legionär von den leeren Streitwagen, die die Tiere mit weit aufgerissenen Augen über das Schlachtfeld schleudernd hinter sich herzogen, umgerissen wurde. »Die Extraordinarii sind durch!«, hörte Julius Brutus rufen, und er gab mit einem Nicken den Befehl für die Speere. Es war nicht gerade die disziplinierteste Attacke, die er jemals befehligt hatte. Viele Römer hatten ihre Waffen im Kampfgetümmel verloren, aber es flogen immer noch einige Tausend der dunklen Schäfte durch die Luft und verstärkten das Durcheinander unter den Catuvellauni, die versuchten, sich neu zu formieren. Julius drehte sich um und sah, dass zwei seiner Legionen noch immer im Fluss waren und nicht weiterkamen, weil ihnen die eigenen Leute am Ufer den Weg versperrten. Er ließ zum Vormarsch blasen, und die Zehnte reagierte mit der Disziplin, die er inzwischen von ihr erwartete. Schild an Schild erzwang sie sich ihren Weg durch den Feind hindurch und über ihn hinweg. Die Extraordinarii ließen sich wieder zurückfallen, schützten die Flanken und gaben den römischen Reihen so die Gelegenheit, sich breiter zu formieren. Ihr wahnsinniger erster Angriff hatte ihre Reihen ausgedünnt, aber Julius jubelte, als er sah, dass Octavian noch immer unter ihnen war. Sein junger Verwandter war blutbesudelt, sein Gesicht verfärbte sich unter einer riesigen Schwellung dunkel, aber er stieß nach wie vor seine Befehle aus, und seine Männer nahmen die neue Formation mit einem Rest ihres alten Glanzes ein. Auf offenem Gelände waren die römischen Legionen nicht mehr aufzuhalten. Immer wieder griffen die Catuvellauni ihre Reihen an und wurden zurückgeworfen. Julius marschierte über Leichenhaufen, die Zeugnis von jedem vergeblichen Versuch ablegten. Zweimal noch widerstanden die Zehnte und Dritte Angriffen der todbringenden Streitwagen, dann erklangen andere Töne aus den feindlichen Hörnern, und die Catuvellauni fingen an, sich zurückzuziehen, woraufhin zum ersten Mal seit dem Fluss eine Lücke zwischen den Heeren entstand. Die römischen Cornicen bliesen zu doppelter Geschwindigkeit, und die Legionen fielen in Laufschritt, wobei die Offiziere ihre Männer ständig ermahnten, die Formation zu halten. Die verwundeten Britannier wurden fast sofort eingeholt, und die erschöpften Nachzügler fielen schreiend den römischen Schwertern zum Opfer. Julius sah, wie zwei Männer einen dritten mit sich schleppten, bis sie ihn beinahe vor den Füßen der verfolgenden Zehnten fallen ließen. Alle drei wurden sie für ihren Mut niedergemetzelt und zertrampelt. Die Sonne wanderte über den Himmel, und Julius rannte keuchend mit den anderen weiter. Falls der König der Catuvellauni glaubte, seinen Legionen davonlaufen zu können, dann würde er ihn eines Besseren belehren. Julius sah finstere Entschlossenheit in den Reihen rings um sich, und er selbst verspürte den gleichen Stolz. Die Legionen würden sie in Grund und Boden rennen. Aber selbst jetzt suchte Julius die Umgebung nach einem möglichen Hinterhalt ab, auch wenn er inzwischen nicht mehr daran glaubte. Cassivellaunus hatte seine Chance darin gesehen, die Römer am Fluss aufzuhalten, und hatte alles, was ihm zur Verfügung stand, in diese ersten Angriffe geworfen. Aber Julius hatte schon zu viele Schlachten geschlagen, um eine Überraschung zuzulassen, und seine Extraordinarii setzten dem Feind vor ihnen zu, während kleinere Trupps sich lösten und die Gegend erkundeten. Julius war beinahe enttäuscht, als er den abfallenden, klagenden Ton der feindlichen Hörner vernahm; er erriet seine Bedeutung, noch bevor er die ersten Britannier angewidert ihre Waffen zu Boden werfen sah. Der Rest folgte ihrem Beispiel. Julius brauchte nicht zu befehlen, die Kapitulation anzunehmen. Seine Männer waren erfahren genug, und er achtete kaum darauf, als seine Zehnte die Feinde erreichte, sie zwang, sich auf den Boden zu setzen, und die Waffen einsammelte, um dem Frieden Geltung zu verschaffen. Kein einziger Krieger wurde nach dem Signal zur Kapitulation getötet, und Julius war zufrieden. Er blickte sich um und sah in weniger als einer Meile Entfernung eine Ansammlung dicht beieinander stehender Häuser. Die Legionen standen am Rande der Städte rings um den Tamesis, und Cassivellaunus hatte in Sichtweite seiner Leute kapituliert, bevor die Schlacht die Straßen und Häuser überschwemmte. Es war eine ehrenhafte Entscheidung, und Julius begrüßte den Mann ohne Groll, als er zu ihm gebracht wurde. Cassivellaunus war ein schwarzhaariger junger Mann mit feistem Gesicht, der in ein helles Gewand mit einem Gürtel um die Taille gekleidet war und einen langen Mantel über den schweren Schultern trug. Seine Augen waren verbittert, als Julius seinem Blick begegnete, aber er ließ sich auf ein Knie nieder und verneigte sich, bevor er sich mit frischen Lehmflecken auf seinen Wollkleidern wieder erhob. Julius nahm den Helm ab und genoss die kühle Luft auf der Haut. »Als Feldherr der römischen Armee nehme ich deine Kapitulation an«, sagte er förmlich. »Damit sind die Kämpfe beendet. Deine Männer bleiben so lange unsere Gefangenen, bis wir über Geiseln und einen Tribut verhandelt haben. Von diesem Augenblick an darfst du dich als Vasallen Roms betrachten.« Cassivellaunus sah ihn bei diesen Worten fragend an. Der König ließ den Blick über die Reihen der römischen Legionäre schweifen und erkannte ihre straffe Organisation. Obwohl sie auf eine Distanz von beinahe zwei Meilen im Laufschritt gekämpft hatten, standen die Formationen immer noch einwandfrei, und er wusste, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Sie hatte ihn viel gekostet. Als er den Römer in seiner schmutzigen Rüstung, mit den blutverschmierten Sandalen und dem Dreitagebart auf dem Kinn ansah, konnte Cassivellaunus nur ungläubig den Kopf schütteln. Er hatte das Land verloren, das sein Vater ihm gegeben hatte. 41 Vercingetorix rammte seinen Speer vor den Toren von Avaricum in den Boden und steckte den Kopf eines Römers auf die Spitze. Er ließ seine grauenhafte Trophäe dort zurück und ritt durch die Tore, hinter denen sich die Stammesführer in seinem Namen versammelt hatten. Die ummauerte Stadt mitten in Gallien hatte 40000 Einwohner, von denen die meisten aus den Häusern auf die Straßen gekommen waren, um den Hochkönig zu sehen. Ohne nach links oder rechts zu sehen, ritt Vercingetorix zwischen ihnen hindurch, mit den Gedanken bei dem Feldzug, der vor ihm lag. Auf einem großen Innenhof stieg er ab und schritt durch schattige Säulengänge in die Haupthalle. Als er eintrat, erhoben sich alle, um ihn mit Jubel zu empfangen, und Vercingetorix musterte die Gesichter der gallischen Anführer mit kalten Blicken. Mit einem knappen Nicken der Anerkennung ging er bis zur Saalmitte und wartete, bis Ruhe eingekehrt war. »Gerade einmal fünftausend Mann stehen zwischen uns und unserem Land. Cäsar ist fort, um das bemalte Volk anzugreifen, so wie er einst nach Gallien gekommen ist. Die Zeit, auf die wir so geduldig hingearbeitet haben, ist gekommen.« Er wartete, bis sich der aufbrausende Jubel und der Lärm des aufgeregten Geredes gelegt hatten. »Wenn sie im Winter zurückkommen, bereiten wir ihnen einen warmen Empfang, das verspreche ich euch. Wir werden sie aus dem Hinterhalt überwältigen, einzeln, als Dutzend oder als Hundertschaft. Unsere Reiterei wird ihre Versorgungstrosse angreifen, und wir hören nicht eher auf, bis der Hunger sie aus Gallien vertrieben hat.« Wie erwartet, brüllten seine Anhänger bei diesem Vorschlag begeistert, trotzdem waren seine Augen immer noch kalt, als er ihnen offenbarte, welchen Preis sie dafür zu zahlen hatten. »Die Legionen haben nur eine Schwäche, meine Freunde, und das sind ihre Versorgungslinien. Wer in diesem Raum hat keine Freunde oder Brüder im Kampf gegen sie verloren? In der offenen Schlacht würde es uns nicht besser ergehen als vor Jahren den Helvetiern. Selbst wenn wir alle unsere Heere vereinen, können wir sie in offener Schlacht nicht besiegen.« Das Schweigen war bedrückend, als die Anführer darauf warteten, dass ihr Hochkönig fortfuhr. »Aber sie können nicht kämpfen ohne zu essen, und um ihnen den Nachschub zu verwehren, müssen wir jede Ernte und jedes Dorf in Gallien verbrennen. Wir müssen unser Volk aus Cäsars Weg räumen, es mit den Wurzeln ausreißen und ihm nichts als rauchendes Ödland hinterlassen, mit dem er seine römischen Mäuler stopfen kann. Sobald sie schwach vor Hunger sind, führe ich meine Männer in Festungen wie die von Gergovia, und dann können die Römer sehen, wie viele Leben sie an diesen Mauern verlieren.« Er funkelte die Männer Galliens an und hoffte, dass sie die Kraft hatten, ihm auf diesem schrecklichen Weg zu folgen. »Wir können siegen. Wir können sie auf diese Weise brechen, aber es wird hart für uns. Unser Volk wird sich fürchten, wenn es vom eigenen Land vertrieben wird. Wenn sie Geschrei anstimmen, sagt ihnen, dass sie einst dreitausend Meilen geritten sind, um hierher zu kommen. Für diejenigen, die Augen haben, um zu sehen, sind wir immer noch ein Volk. Das Land der Gallier muss sich erheben. Die Kelten müssen sich erheben und sich des alten Blutes erinnern, das sie ruft.« Schweigend standen sie vor ihm und schlugen Schwerter und Messer mit einem klirrenden Geräusch aneinander, das den Raum erfüllte und die Grundmauern erschütterte. Vercingetorix gebot mit erhobenen Armen Ruhe, aber es dauerte lange, bis sie endlich eintrat. Seine Leute standen mit entschlossenen Gesichtern vor ihm, und sie glaubten an ihn. »Morgen fangt ihr an, eure Stämme weit nach Süden zu bringen. Nur diejenigen, die es nach Krieg gelüstet, bleiben zurück. Nehmt eure Getreidevorräte mit, denn meine Reiter werden alles verbrennen, was sie finden. Gallien wird wieder uns gehören. Ich spreche nicht als Arverner, sondern als Nachfahre des alten Königsgeschlechts. Sie wachen jetzt über uns, und sie werden uns den Sieg schenken.« Wieder setzte das dröhnende Klappern von Metall ein und schwoll zu einem ohrenbetäubenden Lärm an, als Vercingetorix hinaus in die schattigen Säulengänge marschierte, um sich wieder seinem Heer anzuschließen. Er ließ sein Pferd durch die Straßen zurücktraben und zog unwillkürlich den Kopf ein, als er unter den Toren von Avaricum hindurchritt. Bei seinen Reitern angekommen, richtete er sich im Sattel auf und blickte zufrieden auf die Flaggen Galliens. Dutzende Stämme waren hier durch 10000 Reiter vertreten. Jetzt fühlte er sich wahrhaftig mit dem alten Blut vereint. »Es ist ein guter Tag zum Reiten«, sagte er zu seinem Bruder Madoc. »Allerdings, mein König«, erwiderte Madoc. Gemeinsam trieben sie ihre Pferde zum Galopp an und preschten über die Ebene. Julius saß auf einem Hügel, den Umhang auf dem feuchten Boden unter sich ausgebreitet. Durch den leichten Regen konnte er die Galeeren erkennen, die er an der Küste entlanggeschickt hatte, um herauszufinden, wo der dunkle Fluss ins Meer mündete. Dank ihres geringen Tiefgangs hatten sie bis zu der Furt herauffahren können, und jetzt ankerten sie direkt vor ihm. Brutus und Renius saßen bei ihm und sahen zu, wie Mannschaften der Zehnten und Dritten Nachschub ausluden. »Wusstet ihr, dass die Kapitäne ein Stück weiter unten an der Küste eine Bucht gefunden haben?«, fragte Julius laut. Er seufzte. »Hätte ich früher davon gewusst, hätten die Stürme, die so viele meiner Schiffe zerschmettert haben, vergeblich getobt. Von Klippen und tiefem Wasser geschützt, mit einem sanft abfallenden Strand für die Boote. Zumindest wissen wir jetzt für die Zukunft Bescheid, nachdem wir sie jetzt endlich gefunden haben.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar. »Das nennen sie Sommer? Ich schwöre, ich habe die Sonne schon seit einem Monat nicht mehr gesehen.« »Da kriegt man Heimweh nach Rom«, antwortete Brutus langsam. »Stell dir nur die Olivenbäume in der Sonne vor, und die Tempel auf dem Forum. Ich kann nicht fassen, wie weit wir von alledem inzwischen entfernt sind.« »Pompeius wird alles wieder aufbauen«, sagte Julius, und sein Blick wurde härter. »Das Senatsgebäude, in dem ich mit Marius gestanden habe, ist nicht mehr als eine Erinnerung. Wenn wir Rom wiedersehen, Brutus, wird es nicht mehr dieselbe Stadt sein.« Sie saßen schweigend da, ein jeder dachte über die Wahrhaftigkeit dieser Worte nach. Julius hatte seine Stadt seit Jahren nicht mehr gesehen, aber irgendwie hatte er immer erwartet, dass sie bei seiner Rückkehr unverändert sein würde, als würde das restliche Leben die ganze Zeit über wie unter Glas darauf warten, bis er es wieder in Bewegung setzte. Es war der Traum eines Kindes. »Dann wirst du also wieder zurückkehren?«, fragte Brutus. »Ich dachte schon, du willst, dass wir hier draußen alle alt werden.« Renius lächelte und schwieg. »Ja, das werde ich, Brutus«, sagte Julius. »Ich habe getan, weswegen ich hergekommen bin, und eine Legion dürfte ausreichen, um die Britannier in Schach zu halten. Wenn ich ein alter Mann bin und Gallien so friedlich ist wie Spanien, dann komme ich vielleicht noch einmal hierher und trage den Krieg weiter nach Norden.« Er schauderte plötzlich und redete sich ein, dass die Kälte schuld daran war. Es war so eigenartig friedlich, den Galeerenbesatzungen dort unten bei der Arbeit zuzusehen, während sie hoch über ihnen saßen. Die Berge rings um den Tamesis waren eher sanfte Hügel, und ohne den ständigen Nieselregen hätten sie eine ferne Welt des Streits und des Haderns sein können, die den Männern auf dem Hügel nichts anhaben konnte. Es war so einfach zu träumen. »Manchmal will ich, dass das alles aufhört, Brutus«, sagte Julius. »Ich vermisse deine Mutter. Ich vermisse auch meine Tochter. Solange ich mich erinnern kann, bin ich im Krieg gewesen, und der Gedanke, auf mein Gut zurückzukehren, mich um die Bienenkörbe zu kümmern und einfach nur in der Sonne zu sitzen, ist eine schreckliche Versuchung.« Renius lachte leise. »Eine Versuchung, der du Jahr für Jahr erfolgreich widerstehst.« Julius warf dem einarmigen Gladiator einen strengen Blick zu. »Ich bin in der Blüte meiner Jugend, Renius. Wenn ich sonst nichts anderes im Leben erreiche, dann soll Gallien meine Hinterlassenschaft auf dieser Welt sein.« Während er sprach, wanderte eine Hand unbewusst zum Kopf und betastete den zurückweichenden Haaransatz. Der Krieg lässt einen Mann um mehr als nur die vorüberziehenden Jahre altern, dachte er. Während er früher das Gefühl gehabt hatte, niemals alt zu werden, schmerzten heute seine Glieder manchmal bei Feuchtigkeit, und die morgendliche Steifheit brauchte von Jahr zu Jahr länger, bis sie vertrieben war. Er sah, dass Brutus die Geste bemerkt hatte, und runzelte die Stirn. »Es war mir eine Ehre, unter euch beiden zu dienen«, sagte Renius plötzlich. »Hab ich euch das jemals gesagt? Ich hätte niemals irgendwo anders sein wollen als bei euch.« Die beiden jüngeren Männer betrachteten die von Narben bedeckte Gestalt, die ein wenig vornübergebeugt auf ihrem Mantel saß. »Du wirst im Alter noch sentimental«, sagte Brutus lächelnd. »Du musst unbedingt wieder einmal die Sonne im Gesicht spüren.« »Kann gut sein«, sagte Renius und fuhr mit den Fingern an einem Grashalm entlang. »Ich habe mein ganzes Leben lang für Rom gekämpft, und die Stadt steht immer noch. Ich habe meinen Beitrag geleistet.« »Möchtest du nach Hause?«, erkundigte sich Julius. »Wenn du willst, kannst du sofort zu den Galeeren hinuntergehen und dich zurückbringen lassen, mein Freund. Ich werde es dir nicht verwehren.« Renius blickte auf die geschäftigen Männer hinab, und seine Augen füllten sich mit Sehnsucht. Aber er tat sie mit einem Schulterzucken ab und zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht noch ein Jahr«, sagte er. »Da kommt ein Bote«, sagte Brutus und riss sie aus ihren Gedanken. Die Männer drehten sich zu der kleinen Gestalt auf dem Pferd um, die den Hang herauf auf sie zugeprescht kam. »Wenn er mich hier aufsucht, müssen es schlechte Nachrichten sein«, sagte Julius und erhob sich. Seine nachdenkliche Stimmung war augenblicklich verflogen, und die beiden anderen spürten die Veränderung in ihm, als hätte sich ganz plötzlich der Wind gedreht. Ihre feuchten Umhänge waren zerknittert, alle drei Männer spürten die Müdigkeit des unaufhörlichen Krieges und der ständigen Probleme, als sie den einsamen Reiter mit einer Art banger Ahnung herankommen sahen. »Was ist los?«, fragte Julius, sobald der Mann in Hörweite war. Der Bote wurde unter ihren forschenden Blicken plötzlich ungeschickt; er stieg ab und salutierte linkisch. »Ich komme aus Gallien, General«, sagte er. Julius erschrak. »Von Bericus? Was für Nachrichten bringst du?« »Herr, die Stämme rebellieren.« Julius fluchte. »Die Stämme rebellieren jedes Jahr. Wie viele sind es diesmal?« »Ich glaube ... General Bericus sagte, es sind alle, Herr.« Julius sah den Mann verständnislos an, ehe er resigniert nickte. »Dann muss ich zurück. Reite zu den Galeeren hinab und sag Bescheid, dass sie nicht ohne mich ablegen sollen. Domitius soll Reiter zu Marcus Antonius an die Küste schicken. Die Flotte muss nach Gallien in See stechen, bevor die Winterstürme einsetzen.« Julius stand im Regen und sah dem Reiter nach, bis er den Fluss und die Galeerenbesatzungen erreicht hatte. »Das heißt also wieder Krieg«, sagte er. »Ich frage mich, ob in Gallien noch zu meinen Lebzeiten der römische Friede einkehren wird.« Die Last auf seinen Schultern ließ ihn müde aussehen, und Brutus fühlte mit seinem alten Freund. »Du wirst sie besiegen. Du besiegst sie immer.« »Jetzt, wo der Winter heraufzieht?«, fragte Julius verbittert. »Vor uns liegen schwere Monate, mein Freund. Womöglich schwerer, als wir sie jemals erlebt haben.« Mit erschreckender Mühe riss er sich zusammen, bis das Gesicht, das er ihnen zuwandte, eine Maske war. »Cassivellaunus darf nichts davon erfahren. Seine Geiseln befinden sich bereits an Bord der Galeeren, darunter auch sein Sohn. Führe die Legionen zurück an die Küste, Brutus. Ich komme auf dem Seeweg und warte dort mit der Flotte auf dich.« Er machte eine Pause, und sein Mund wurde schmal vor Zorn. »Ich werde mehr tun, als sie nur besiegen, Brutus. Ich werde sie vom Antlitz der Erde tilgen.« Renius sah den Mann an, den er ausgebildet hatte, und sein Herz war von Kummer erfüllt. Ihm war kein Augenblick der Ruhe vergönnt, und jedes Kriegsjahr raubte ihm ein wenig mehr von seiner Liebenswürdigkeit. Renius blickte nach Süden und dachte an die Küste Galliens. Sie würden es bereuen, Cäsar gegen sich aufgebracht zu haben. 42 Die gallischen Hilfstruppen zählten in ihren Reihen Männer aus fast allen Stämmen. Viele von ihnen kämpften bereits seit fünf Jahren oder noch länger gemeinsam mit den Legionen. Sie handelten und dachten wie Römer. Sie wurden mit demselben Silber bezahlt wie die Legionäre, und ihre Rüstungen und Schwerter stammten aus denselben Schmieden wie die der regulären Einheiten. Als Bericus 3000 von ihnen aussandte, um eine Getreidelieferung zu schützen, gab es nur wenige, die den feinen Unterschied zwischen ihrem Trupp und dem Erscheinungsbild einer beliebigen anderen römischen Truppe hätten feststellen können. Sogar die Offiziere waren Einheimische und hatten sich längst im Feld bewährt. Obwohl Julius sie anfangs mit seinen besten Männern durchsetzt hatte, hatten Krieg und Beförderungen die Strukturen verändert. Es war ihnen kaum aufgefallen. Der Getreidetross war auf Bericus’ Befehl aus Spanien herbeigeschafft worden und musste auf dem Weg durch die südlicheren Gebiete Galliens beschützt werden. Er führte genügend Getreide mit sich, um die loyal gebliebenen Städte und Dörfer zu versorgen. Genug, um sie den Winter über am Leben zu erhalten, während Vercingetorix alles verbrannte, was er finden konnte. Die Hilfstruppen marschierten in perfekter Marschordnung im Tempo des langsamsten Karrens. Ihre Kundschafter schwärmten im Umkreis von mehreren Meilen aus, um sie vor einem Angriff zu warnen. Jeder Mann wusste, dass das Getreide eine Bedrohung für den Aufstand darstellte, der im Kernland an Zulauf gewann, und die Hände lösten sich nur selten von den Schwertgriffen. Die Soldaten verköstigten sich unterwegs mit kaltem Fleisch aus den eigenen, schwindenden Rationen und machten am Abend gerade noch rechtzeitig Halt, um ein Marschlager zu errichten. Als der Angriff kam, war er anders, als sie es sich hätten vorstellen können. Eine lang gezogene Reihe von Reitern kam über eine weite Ebene auf sie zugedonnert. Als die Kundschafter herangeprescht kamen, reagierte die Kolonne bereits von sich aus: Die schweren Karren wurden zu einem Verteidigungskreis aufgestellt, Speere und Pfeile bereitgehalten. Jedes Auge war furchtsam auf den Feind gerichtet, als das schiere Ausmaß seiner Kavallerie offensichtlich wurde. Dort kamen Abertausende durch Schlamm und Gras auf die Wagenburg zugeritten. Die schwache Sonne spiegelte sich auf den Waffen, und viele Gallier fingen an, zu ihren alten, schon seit Jahren vergessenen Göttern zu beten. Marwen war römischer Soldat, seitdem er vor vier Jahren den Hunger gegen die Silbermünzen eingetauscht hatte. Als er die Größe des gegen sie anreitenden Heeres sah, wusste er, dass er den Kampf nicht überleben würde, und kostete von der bitteren Ironie, letztendlich von seinen eigenen Leuten getötet zu werden. Er scherte sich nicht um Politik. Als die Römer in sein Dorf gekommen waren und ihm einen Platz in ihren Reihen angeboten hatten, hatte er ihr Handgeld genommen und es seiner Frau und seinen Kindern gegeben, bevor er losgezogen war, um für Rom zu kämpfen. Es war besser gewesen, als zuzusehen, wie sie verhungerten. Die Beförderung war wie ein Wunder über ihn gekommen. Er hatte an den Schlachten gegen die Senonen teilgenommen und war mit Brutus losgeritten, um ihnen ihren König aus ihrer Mitte zu stehlen. Was war das für ein Tag gewesen! In seine bitteren Gedanken versunken, nahm er die Gesichter der Männer zunächst überhaupt nicht wahr, die ihn anblickten und auf Befehle warteten. Als er sie sah, zuckte er nur mit den Achseln. »Jetzt müssen wir uns unseren Sold verdienen, Jungs«, sagte er leise. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen bebte, als die Reiter auf sie zugestürmt kamen. Die Verteidigungsreihen rings um die Karren standen fest geschlossen. Die Speere waren in den Schlamm gerammt worden, um die Attacke zurückzuschlagen, und nun gab es nichts mehr zu tun, als auf das erste Blut zu warten. Marwen hasste das Warten und hieß diesen Hass beinahe willkommen, weil er die Angst zermalmte, die in seinem Bauch rumorte. Hörner ertönten, und die Reihe der herangaloppierenden Pferde kam knapp außerhalb der Reichweite ihrer Speere und Pfeile zum Stehen. Mit gerunzelter Stirn sah Marwen zu, wie ein einzelner Mann abstieg und über den weichen Boden auf sie zukam. Noch ehe er das gelbe Haar und den herrlichen Goldreif sah, den der Mann für die Schlacht angelegt hatte, wusste er, wer der andere war. Vercingetorix. Ungläubig sah Marwen, wie der König näher kam. »Ruhig«, wies er seine Männer an, plötzlich besorgt, dass einer der Bogenschützen einen Pfeil abschießen könnte. Das Blut rauschte durch seine Adern, und Marwens Atem ging rascher, als der König herankam. Es war ein Akt geradezu selbstmörderischen Mutes, und viele seiner Männer murmelten bewundernd, während sie ihre Klingen bereithielten, um ihn in Stücke zu hauen. Vercingetorix ging geradewegs auf sie zu und blickte Marwen in die Augen, als er an Umhang und Helm seinen Rang erkannte. Es mochte nur Einbildung sein, aber den König so nahe vor sich zu sehen, mit seinem großen Schwert an der Hüfte, hatte etwas Erhabenes. »Sag, was du zu sagen hast«, forderte Marwen ihn auf. Die Augen des Königs blitzten, und der gelbe Bart teilte sich, als er grinste. Er sah, wie sich Marwens Finger fester um den Griff seines Gladius’ legten. »Würdest du deinen König töten?«, fragte Vercingetorix. Marwen ließ verwirrt die Hand sinken. Er schaute in die ruhigen Augen des Mannes, der ihm mit solchem Mut gegenübergetreten war, und schauderte. »Nein. Das würde ich nicht«, erwiderte er. »Dann folge mir«, sagte Vercingetorix. Marwen blickte nach links und rechts zu den Männern, die er befehligte, und sah sie nicken. Wieder schaute er Vercingetorix an, und ohne den Blick abzuwenden, sank er langsam im Schlamm auf die Knie. Wie in einem Traum spürte er die Hand des Königs auf der Schulter. »Wie heißt du?« Marwen zögerte. Die Worte, die seinen Rang und seine Einheit bezeichneten, blieben ihm im Hals stecken. »Ich bin Marwen Ridderin von den Nerviern«, sagte er schließlich. »Die Nervier sind auf meiner Seite. Gallien ist auf meiner Seite. Steh auf.« Marwen erhob sich und merkte, dass seine Hände zitterten. Durch seine wild durcheinander stürzenden Gedanken hörte er, dass Vercingetorix noch etwas sagte. »Und jetzt verbrenn das Getreide in diesen Karren«, sagte der König. »Wir haben ein paar Römer bei uns. Wir sind nicht alle aus Gallien«, sagte Marwen plötzlich. Die hellen Augen des Königs richteten sich auf ihn. »Willst du, dass sie am Leben bleiben?« Marwens Gesicht wurde hart. »Es wäre richtig«, sagte er und hob trotzig den Kopf. Vercingetorix lächelte und schlug ihm auf die Schulter. »Dann lass sie ziehen, Nervier. Nimm ihre Schwerter und Schilde und lass sie ziehen.« Als die gallischen Hilfstruppen hinter ihrem König anmarschiert kamen, hoben die Reiter ihre Schwerter zum Gruß und jubelten laut. Hinter ihnen waren Karren und Wagen voll kostbarem Getreide in prasselnden Flammen verborgen. Als Julius in der geschützten Bucht von Portius Itius an der Küste Galliens landete, sah er die gewaltigen braunen Rauchsäulen in der Ferne. Sogar die Luft schmeckte nach Kampf, und bei dem Gedanken an eine weitere Rebellion gegen ihn stieg gewaltiger Zorn in ihm auf. Er hatte bei der Überfahrt keine Zeit verschwendet und war bereits mit Plänen und Befehlen beschäftigt, die ausgeführt werden mussten, ehe der Winter die Berge unpassierbar machte. Die Nachricht von seinem zweiten Angriff gegen die Britannier nach Rom zu bringen würde sich als Wettrennen gegen die Zeit erweisen, aber er brauchte das Wohlwollen, das sie in den Straßen Roms hervorrufen würde. In diesem Jahr, in dem er jede Münze benötigte, um die Stämme unter Vercingetorix zu zerschlagen, konnte er dem Senat keine Abgaben entrichten. Der Name des Königs war auf den Lippen selbst des niedersten Tagelöhners, und Julius konnte sich kaum mehr an den zornigen jungen Mann erinnern, der damals, vor acht Jahren, bei seinem ersten Treffen mit den Häuptlingen aus dem Zelt gestürmt war. Keiner von ihnen war noch so jung wie damals. Cingeto war zu einem König herangewachsen, und Julius wusste, dass er ihn nicht am Leben lassen durfte. Seit jenen Anfängen hatten beide einen langen Weg zurückgelegt, und die Jahre waren von Blut und Krieg erfüllt gewesen. Als Julius auf den Kai trat, war er bereits in ein Gespräch mit Brutus vertieft, das er nur unterbrach, um Adàn, der neben ihm stand, etwas zu diktieren. Extraordinarii auf schnellen Pferden waren ausgesandt worden, um Bericus zu holen. Sobald er eingetroffen war, würde Julius seinen Rat zusammenrufen und den Feldzug planen. Ein flüchtiger Blick auf den braunen Rauch am Horizont reichte aus, um seinen Entschluss zu festigen. Das hier war sein Land, und er würde nicht nachgeben, selbst wenn jeder Mann in Gallien die Waffen gegen ihn erhob. Die zurückgekehrten Legionen besetzten den Hafen und errichteten routinemäßig ihre Lager, obwohl in den Reihen eine fast greifbare Anspannung und Erschöpfung herrschte. Auch sie hatten schon seit Jahren unter Julius gekämpft, und nicht wenigen setzte der Gedanke an ein weiteres Kriegsjahr oder sogar noch mehr heftig zu. Selbst die Härtesten unter ihnen fragten sich, wann das alles endlich vorbei sein und man ihnen erlauben würde, den Lohn einzustreichen, den man ihnen versprochen hatte. Am dritten Tag rief Julius seinen Rat in der Küstenfestung zusammen, die sie gebaut hatten, Teil einer Kette von Festungen, die einmal die Küste Galliens beherrschen würden. Domitius kam als Erster herein. Er trug die silberne Rüstung, die er damals in Rom gewonnen hatte. Dunkle Stoppeln bedeckten seine Wangen, und sein Panzer hatte viel von seinem ehemaligen Glanz verloren. Insbesondere die Brustplatte war ein ramponiertes Zeugnis der Kriege, die er für Julius ausgetragen hatte. Wortlos ergriff er Julius’ Hand und Unterarm zum Legionärsgruß, bevor er sich setzte. Marcus Antonius umarmte seinen Feldherrn, als sie sich begegneten. Julius hatte allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein, als er die Bücher ihrer Kriegskasse sah. Sie hatten gewaltige Summen an Gold und Silber in Reserve, obwohl es jeden Tag, an dem die Städte und Dörfer Galliens abwarteten, ob der Aufstand erfolgreich verlaufen würde, weniger wurde. Schon war die Lebensmittelversorgung kritisch, und Julius war froh, dass ihm Marcus Antonius einen Teil dieser Last abgenommen hatte. Tausende von Legionären mussten verpflegt werden, bevor sie kämpfen konnten, und bereits jetzt war klar, dass Vercingetorix alles daran setzte, ihren Nachschub zu kappen. Bei den Rauchfahnen handelte es sich ausnahmslos um brennende Gehöfte, und wenn die Extraordinarii zu ihnen hinausgaloppierten, fanden sie sie geplündert und verlassen vor. Julius verspürte eine widerwillige Bewunderung für die Skrupellosigkeit des neuen Königs. Vercingetorix hatte eine Entscheidung getroffen, die auch die Dörfer und Städte derjenigen auslöschen würde, die treu zu den Legionen standen. Tausende seiner eigenen Leute würden ihres Bündnisses wegen sterben, und noch mehr, wenn es den Legionen nicht gelang, den Aufstand rasch niederzuschlagen. Es war ein hoher Preis, aber der Hunger würde die römischen Legionen ebenso sicher vernichten wie Schwerter. Julius hatte für ihr Zusammentreffen einen Raum mit Blick aufs Meer ausgesucht, und draußen, über den grauen Felsen, kreisten kreischende Vögel. Er begrüßte jeden Ankömmling mit aufrichtiger Freude. Bericus hatte beim ersten Aufeinandertreffen mit Vercingetorix eine Wunde davongetragen, Schulter und Brust waren bandagiert. Obwohl der Heerführer aus Ariminum müde aussah, musste er Julius’ Lächeln unwillkürlich erwidern. Julius wies ihm einen Platz an und drückte ihm einen Becher Wein in die gesunde Hand. Octavian kam mit Brutus und Renius herein, in eine Diskussion über gewisse Taktiken für die Kavallerie vertieft. Alle drei begrüßten Julius, und er musste angesichts ihrer Zuversicht lächeln. Sie schienen seine Zweifel und Sorgen nicht zu teilen, andererseits waren sie es auch gewohnt, dass er da war und sämtliche Entscheidungen für sie traf. Er hatte niemanden. Als sie einer nach dem anderen eintraten, fühlte sich Julius von ihrer Stimmung erhoben. Die langen Kriegsjahre hatten seine Freunde nicht gebrochen. Wenn sie von der jüngsten Rebellion sprachen, dann mit Zorn und Tatendrang, nicht mit dem Gedanken an eine Niederlage. Ein jeder von ihnen hatte viele Jahre in dieses feindselige Land investiert, und jeder hier war zornig darüber, ihre Zukunft bedroht zu sehen. Obwohl sich alle unterhielten, sahen sie immer wieder zu Julius hinüber, ob dieser zeigte, dass er anfangen wollte. Er war das Herzstück von allem. Wenn er abwesend war, schien es fast so, als hätte man ihnen den reinsten Teil ihres Antriebs und ihrer Energie geraubt. Er band Männer aneinander, die unter anderen Umständen die Gesellschaft des anderen nicht ertragen hätten. Es war ein derart enges Bündnis, dass sie nicht einmal darüber nachdachten, als sie zur Ruhe kamen und er sie anblickte. Er war einfach da, und sie waren ein bisschen lebendiger als zuvor. Zuletzt wurde Cabera von zwei Männern der Zehnten hereingebracht, die eigens dazu abgestellt waren, sich um ihn zu kümmern. Sobald sie den alten Heiler abgesetzt hatten, ging Julius zu ihm hin und nahm die kraftlosen Hände in die seinen. Er sprach so leise, dass die anderen ihn durch den Lärm des heftigen Windes von draußen nicht hören konnten. »Weiter als jeder andere Mann Roms, Cabera. Ich bin über den Rand der Welt hinausgegangen. Hast du mich damals dort gesehen, vor so langer Zeit?« Cabera schien ihn zuerst nicht zu hören, und Julius war betrübt über die Veränderung, die das Alter über ihn gebracht hatte. Auch das schlechte Gewissen machte sich bemerkbar. Auf Julius’ Bitten hatte Cabera Domitius’ zerschmettertes Knie geheilt, und dieser Willensakt war zu viel für den alten Körper gewesen. Seit jenem Tag war er nicht wieder zu Kräften gekommen. Endlich hoben sich die Augen, und der trockene, aufgesprungene Mund zuckte an den Rändern nach oben. »Du bist hier, weil du es so wolltest, Gaius«, sagte der alte Mann. Seine Stimme war kaum lauter als ein Hauch, und Julius beugte sich näher an seine Lippen. »Ich habe dich nie in diesem schrecklichen, kalten Raum hier gesehen.« Cabera machte eine Pause, und die Muskeln seines Halses zuckten wie im Krampf, als er tiefer Atem holte. »Habe ich dir gesagt, dass ich dich von Sulla ermordet gesehen habe?«, flüsterte er. »Sulla ist schon lange tot, Cabera«, sagte Julius. Cabera nickte. »Das weiß ich, aber ich habe gesehen, wie man dich in seinem Haus ermordet hat, und dann wieder in den Zellen eines Piratenschiffs. Ich habe dich schon so oft fallen sehen, dass ich manchmal staune, dich so stark und lebendig vor mir zu sehen. Ich verstehe diese Visionen nicht, Julius. Sie haben mir mehr Qualen verursacht, als ich es mir jemals vorgestellt hätte.« Julius bemerkte mit wachsendem Kummer Tränen in den Augen des alten Mannes. Cabera sah seinen Gesichtsausdruck und lachte trocken, ein rasselndes Geräusch, das nicht mehr aufzuhören schien. Obwohl Caberas linker Arm nutzlos in seinem Schoß lag, hob er den anderen und zog Julius noch näher heran. »Ich würde keinen Tag anders haben wollen ... all die Dinge, die ich gesehen habe. Verstehst du? Ich habe nicht mehr lange, und es wird eine Erleichterung sein. Aber ich bereue nichts von dem, was geschehen ist, seit ich vor so langer Zeit in dein Haus gekommen bin.« »Ohne dich hätte ich nicht überlebt, alter Mann. Du darfst mich jetzt nicht verlassen«, murmelte Julius, dessen eigene Augen sich mit Tränen und Erinnerungen füllten. Cabera schnaubte und rieb sich mit den Fingern über das Gesicht. »Manche Möglichkeiten sind uns verwehrt, Gaius Julius. Manche Wege müssen wir beschreiten. Auch du wirst am Ende den Fluss überqueren. Ich habe es auf mehr Arten gesehen, als ich es dir erzählen könnte.« »Was hast du gesehen?«, fragte Julius. Er wollte es sehnlichst wissen, andererseits hatte ihn eine lähmende Furcht ergriffen. Einen Augenblick dachte er, Cabera habe ihn nicht gehört, der alte Mann war so still. »Wer weiß, wohin dich deine Entscheidungen führen?«, fuhr die Stimme zischend fort. »Aber ich habe dich nicht alt gesehen, mein Freund, und einmal sah ich dich in der Dunkelheit Messern zum Opfer fallen, in den ersten Tagen des Frühlings. An den Iden des März sah ich dich fallen, in Rom.« »Dann werde ich mich an diesem Tag niemals in meiner Stadt aufhalten«, erwiderte Julius. »Ich schwöre es dir, wenn dir das Frieden bringt.« Cabera hob den Kopf und sah an Julius vorbei, dorthin, wo die kreischenden Möwen sich um einen Futterbrocken stritten. »Ich glaube, es ist besser, manche Dinge nicht zu wissen, Julius. Mir ist überhaupt nichts mehr klar. Hab ich dir schon von den Messern erzählt?« Vorsichtig legte Julius die Hände des alten Mannes in seinem Schoß zusammen und rückte die Kissen so zurecht, dass er aufrecht sitzen konnte. »Das hast du getan, Cabera. Wieder einmal hast du mich gerettet«, sagte er. Mit unendlicher Zärtlichkeit hob Julius den alten Mann auf die Kissen an, damit er es bequem hatte. »Das freut mich«, sagte Cabera und schloss die Augen. Julius hörte einen langen Atemstoß aus seinem Leib entweichen, dann wurde die gebrechliche Gestalt vollkommen still. Julius schrie auf, als er sah, wie das Leben aus ihm wich, und berührte Caberas Wange. Die Stille schien sich endlos auszudehnen, aber die Brust blieb reglos und würde sich nie wieder bewegen. »Auf Wiedersehen, alter Freund«, sagte Julius. Er hörte ein Scharren auf dem Holzboden, als Renius und Brutus neben ihn traten, und die Jahre schwanden dahin, so dass mit einem Mal nur noch zwei Jungen mit ihrem Lehrer dastanden und einen alten Mann sahen, der einen Bogen spannte, ohne dass auch nur ein Muskel in seinem Arm zitterte. Julius hörte, wie die anderen Mitglieder seines Rates sich erhoben, als ihnen klar wurde, was geschehen war. Er sah sie mit rotgeränderten Augen an, und sie konnten den Schmerz in seinem Gesicht kaum ertragen. »Werdet ihr euch meinen Gebeten für den Toten anschließen, meine Herren? Unser Krieg wird noch einen Tag warten können.« Wieder schrien die Möwen draußen im Wind, und leises Stimmengemurmel erfüllte den kalten Raum. Am Ende herrschte Schweigen. Julius hauchte ein paar letzte Worte und betrachtete den eingefallenen Leichnam des alten Mannes. »Und jetzt treibe ich hilflos dahin«, sagte er so leise, dass nur Brutus neben ihm es hören konnte. 43 Adàn hatte in dem dunklen Zelt zum Schreiben nur das Licht einer einzelnen Talgkerze zur Verfügung. Er saß völlig reglos auf seinem Platz und blickte zu Cäsar hinüber, der auf einer Bank lag und den Arm ausstreckte, damit er verbunden werden konnte. Auf den ersten Lagen war Blut, der Stoffstreifen selbst war schmutzig, denn er war von einem Leichnam abgerissen worden. Julius ächzte, als der Arzt einen Knoten machte und ihn festzog. Seine Augen öffneten sich unter dem Schmerz, und Adàn sah, dass sie vor Erschöpfung trübe waren. Der Feldscher packte seine Ausrüstung zusammen und ging hinaus. Ein frischer Windstoß wehte in das stickige Zelt und ließ die Kerze flackern. Adàn überflog die Worte, die er niedergeschrieben hatte, und wünschte, Julius würde endlich schlafen. Sie alle waren hungrig, aber der Winter hatte ebenso wie bei allen anderen das Fleisch von den Knochen ihres Heerführers gebrannt. Julius’ Haut hatte einen gelblichen Ton angenommen und spannte über dem Schädel, und Adàn sah dunkle Ränder unter seinen Augen, die ihn wie den leibhaftigen Tod aussehen ließen. Adàn dachte, Julius sei eingeschlafen, und fing an, seine Schriftrollen einzusammeln, um sich hinauszustehlen, ohne ihn zu wecken. Er hielt in der Bewegung inne, als Julius an den Schweißflecken seiner Tunika kratzte und sich dann das Gesicht rieb. Adàn schüttelte langsam den Kopf über die Veränderungen, die dieser Mann durchgemacht hatte, seit er ihm zum ersten Mal begegnet war. Gallien hatte mehr genommen, als es gegeben hatte. »Wo war ich stehen geblieben?«, fragte Julius, ohne die Augen zu öffnen. Seine krächzende Stimme jagte Adàn im Halbdunkeln einen Schauer über den Rücken. »Avaricum. Der Arzt ist hereingekommen, als ich gerade über den letzten Tag geschrieben habe.« »Ah, genau. Können wir fortfahren?« »Wenn du es wünschst, Herr. Vielleicht wäre es besser, wenn ich dich etwas ausruhen lasse«, antwortete Adàn. Julius erwiderte nichts darauf, sondern kratzte sich nur am unrasierten Kinn. »Avaricus kam bald nach der Vernichtung dreier Kohorten unter Bericus. Schreibst du?« »Ja«, flüsterte Adàn. Zu seiner Verwunderung spürte er, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, als Julius sich zum Weitermachen zwang. Woher die Tränen rührten, konnte sich der Spanier nicht erklären. »Wir bauten eine Rampe bis an die Mauern und erstürmten die Stadt. Nach allem, was sie gesehen hatten, konnte ich die Männer nicht zurückhalten. Ich habe es auch nicht versucht.« Julius unterbrach sich, und Adàn hörte seinen Atem als raues Rasseln vor den Geräuschen der Legionen draußen. »Achthundert haben uns überlebt, Adàn. Halte die Wahrheit für mich fest. Von vierzigtausend Männern, Frauen und Kindern waren nur noch achthundert übrig, als wir fertig waren. Wir haben ihnen die Stadt über dem Kopf angezündet, haben das wenige Getreide genommen, das sie in ihren Speichern hatten. Aber selbst danach konnte man die Rippen meiner Soldaten noch zählen. Vercingetorix war natürlich weitergezogen, und jede Stadt, die wir erreichten, war zerstört. Er trieb das Vieh vor sich her und ließ uns nichts anderes als Vögel und Wildkaninchen, die wir mühsam fangen mussten. Vierzigtausend Mann zu verpflegen, Adàn. Ohne die Speicher von Avaricum wären wir am Ende gewesen. Wir schlugen sie wieder und wieder in die Flucht, wo immer wir sie erwischen konnten, aber sämtliche Stämme Galliens hatten sich ihm angeschlossen, und er war uns jedes Mal zahlenmäßig überlegen. Bericus fiel im dritten oder vierten Monat, ich weiß es nicht mehr genau. Seine eigenen Hilfstruppen haben ihn in einen Hinterhalt gelockt. Wir haben seine Leiche nie gefunden.« Julius verfiel in tiefes Schweigen, als er daran dachte, wie Bericus sich geweigert hatte zu glauben, dass die Männer, die er ausgebildet hatte, ihn töten könnten. Er war ein ehrenhafter Mann gewesen, und er hatte für seine Überzeugung mit dem Leben bezahlt. »Vercingetorix zog weiter nach Süden, nach Gergovia, zu den Hügelfestungen dort, und ich konnte diese Mauern nicht bezwingen.« Adàn blickte auf und sah Julius’ Mundwinkel vor Zorn zucken. Dann ließ sich der Feldherr wieder mit geschlossenen Augen zurücksinken, und die krächzende Stimme schien tief aus seinem Inneren zu kommen. »Wir haben in Gergovia achthundert Mann verloren, und als der Frühling kam, sah ich meine Soldaten grünes Getreide essen, bis sie sich erbrachen. Trotzdem vernichteten wir die Armeen, die es wagten, sich uns in offener Feldschlacht zu stellen. Brutus und Octavian haben dort Großes für ihre Banner geleistet, Adàn, aber diese Übermacht ... Jeder Stamm, den wir Freunde genannt haben, hat sich gegen uns erhoben, und es gab Zeiten ... nein. Streiche das wieder, meine Zweifel sollen nicht niedergeschrieben werden. Wir konnten ihn in Gergovia nicht aushungern, und unsere eigenen Männer wurden immer schwächer. Ich war gezwungen, weiter nach Westen zu ziehen, um Verpflegung zu beschaffen, und auch dort fanden wir kaum genug, um dem Hungertod zu entgehen. Vercingetorix schickte seine Heerführer gegen uns, und wir kämpften die ganze Zeit über, marschierten in der Nacht weiter. Ich bin im letzten Jahr eintausend Meilen marschiert, Adàn. Ich habe den Tod mit mir marschieren sehen.« »Aber jetzt hast du ihn in Alesia eingeschlossen«, sagte Adàn leise. Julius setzte sich mühsam auf und stützte sich auf die Knie. Sein Kopf sank vornüber. »Die größte Bergfestung, die ich jemals in Gallien gesehen habe. Eine Stadt auf vier Hügeln, Adàn. Ja, jetzt sitzt er in der Falle. Wir verhungern draußen vor den Mauern, während er drinnen darauf wartet, dass wir alle sterben.« »Getreide und Fleisch werden aus dem Süden herbeigeschafft. Das Schlimmste ist vorbei«, sagte Adàn. Julius zuckte so leicht mit den Schultern, dass es ebenso gut ein Atemzug hätte sein können. »Vielleicht. Schreib das für mich auf. Wir haben auf achtzehn Meilen rings um Alesia Gräben ausgehoben und Befestigungen gebaut. Wir haben mit dem Aushub drei große Hügel aufgeworfen, so mächtig, dass wir Wachtürme darauf errichten können. Vercingetorix kann nicht abziehen, solange wir hier bleiben – und wir werden bleiben. Unsere Gefangenen reden von ihm als dem König aller Gallier, und ehe er nicht tot oder gefangen ist, werden sie nicht aufhören zu rebellieren. Wir haben sie zu Tausenden niedergemacht, trotzdem werden sie jedes Frühjahr wiederkommen, bis ihr König tot ist. Die Menschen in Rom sollen das wissen, Adàn. Sie sollen begreifen, was wir hier tun.« Die Zeltklappe wurde zurückgeschlagen. Brutus stand in der Dunkelheit und blickte zu Adàn herüber, als er das Licht der winzigen Flamme sah. »Julius?«, fragte er. »Ich bin hier«, antwortete die Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. »Du musst noch einmal herauskommen. Die Kundschafter sind zurück, und sie sagen, dass sich ein Heer von Galliern nähert, um die Festungen zu entsetzen.« Julius sah ihn mit rot geränderten Augen an, die mehr tot als lebendig wirkten. Er stand auf und schwankte vor Erschöpfung, und Brutus half ihm, die Rüstung und den scharlachroten Mantel anzulegen, den die Männer zu sehen verlangten. »Also sollten die Männer, die aus der Festung entkommen sind, ein neues Heer hierher führen«, murmelte Julius, während Brutus ihm die Brustplatte an den Eisenstreifen um den Hals festzurrte. Beide Männer waren schmutzig und stanken nach Schweiß, und Adàn war von der Zärtlichkeit gerührt, mit der Brutus einen Lumpen aufhob, die Rüstung abrieb und Julius sein Schwert reichte, das vergessen an einem Pfosten lehnte. Wortlos nahm Adàn den roten Umhang vom Haken und half Brutus dabei, ihn dem Feldherrn um die Schultern zu legen. Es mochte nur Einbildung sein, aber es kam ihm vor, als stünde Julius in der Rüstung ein wenig aufrechter da, als vertreibe allein der Wille etwas von der Müdigkeit aus seinem Gesicht. »Ruf den Rat zusammen, Brutus, und bring die Kundschafter zu mir. Wir kämpfen auf beiden Seiten, wenn das nötig ist, um diesem König ein Ende zu bereiten.« »Gehen wir dann nach Hause?«, fragte Brutus. »Wenn wir das überstehen, mein Freund, dann gehen wir endlich wieder nach Hause.« Die römischen Heerführer, die ins Hauptlager am Fuße von Alesia kamen, zeigten deutliche Spuren der Kriege, die sie ausgefochten hatten. Das Trinkwasser war ebenso rationiert worden wie die Lebensmittel, und keiner von ihnen hatte genug übrig, um sich den Schmutz der Monate im Feld aus dem Gesicht zu waschen. Sie ließen sich auf die Bänke sinken und blieben schweigend sitzen, zu müde zum Sprechen. Die verbrannte Erde und die Monate des Krieges, seit sie aus Britannien zurückgekehrt waren, hatten sie alle mitgenommen, dieser letzte Schlag jedoch brachte sie an den Rand der Verzweiflung. »Heerführer, ihr habt die Nachrichten der Kundschafter vernommen, und ich kann euch wenig mehr berichten«, sagte Julius. Er hatte von einer Leibwache einen Beutel mit kostbarem Wasser entgegengenommen und hielt ihn sich über den Mund, um den Staub aus seiner Kehle zu spülen. »Die Männer können endlich wieder essen, auch wenn unsere Vorräte begrenzt und von schlechter Beschaffenheit sind. Ohne die Opfer unserer Siedler hätten wir sogar noch weniger. Jetzt haben die Gallier alle ihre Stämme gegen uns zusammengezogen, und sogar die Reiterei der Haeduer ist verschwunden, um sich ihnen anzuschließen. Mhorbaine hat mich am Ende doch noch verraten.« Julius machte eine Pause und rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. »Wenn die Kundschafter Recht behalten, stehen die Chancen schlecht, dass wir die Schlacht überleben. Wenn ihr es von mir verlangt, versuche ich, eine ehrenvolle Kapitulation auszuhandeln, und verschone das Leben unserer Legionäre. Vercingetorix hat bewiesen, dass er kein Narr ist. Er wird uns erlauben, mit unseren Siedlern zu den Alpen zurückzumarschieren. Ein solcher Sieg würde ihn in seiner Rolle als Hochkönig bestätigen, und ich glaube, dass er darauf eingehen würde. Wollt ihr das?« »Nein, das wollen wir nicht«, sagte Domitius. »Die Männer würden das von uns nicht akzeptieren, und von dir auch nicht. Lass sie kommen, Cäsar. Wir besiegen sie auch dieses Mal.« »Er spricht auch für mich«, fügte Renius hinzu, und die anderen nickten. Brutus und Marcus Antonius schlossen sich ihnen an, und Octavian erhob sich. Trotz ihrer Gesichter war noch Entschlossenheit in ihren Zügen zu lesen. Julius lächelte angesichts ihrer Loyalität. »Dann werden wir in Alesia bestehen oder untergehen, meine Herren. Ich bin stolz, euch alle gekannt zu haben. Wenn die Götter wollen, dass alles hier zu Ende geht, dann soll es so sein. Wir werden kämpfen bis zum Schluss.« Julius kratzte sich die Stoppeln auf seinem Gesicht und lächelte wehmütig. »Vielleicht sollten wir ein wenig Trinkwasser darauf verwenden, dass wir morgen wie Römer aussehen. Bringt mir meine Karten. Wir werden Pläne schmieden, wie wir die Stämme noch einmal demütigen können.« Vercingetorix stand auf der Brustwehr von Alesia und blickte auf die Ebene hinaus. Bei den ersten Meldungen seiner Wachen war er in die zugige Höhe hinaufgeeilt. Jetzt, da er das Meer der Fackeln sah, das sich auf sie zubewegte, klammerten sich seine Hände um die bröckelnden Steine. »Ist das Madoc?«, fragte Brigh aufgeregt. Der König sah seinen jüngsten Bruder an und legte ihm in einem plötzlichen Anflug von Zuneigung die Hände auf die Schultern. »Wer sollte es sonst sein? Er hat die Armeen Galliens mitgebracht, um sie hinwegzufegen.« Er blickte sich noch einmal um, dann neigte er den Kopf näher an den Bruder heran. »Die Arvernerprinzen sind nicht leicht zu besiegen, was?« Brigh grinste ihn an. »Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben. Wir haben höchstens noch Proviant für einen Monat ... « »Dann sag den Männern, sie sollen heute Abend gut essen. Morgen sehen wir zu, wie die Römer geschlagen werden, und dann werden wir uns durch ihre Befestigungen und Mauern nach draußen kämpfen und Gallien von ihnen zurückfordern. Es wird Generationen dauern, bis wir diese Legionen wiedersehen. « »Und du wirst König sein?«, fragte Brigh. Vercingetorix lachte. »Ich bin König, kleiner Bruder. König einer viel größeren Nation. Jetzt, da sich die Stämme wieder an den Ruf des Blutes erinnern, gibt es nichts mehr auf der ganzen Welt, das uns niederzwingen kann. Die Morgendämmerung wird das Ende bringen, und dann sind wir frei!« Das erste graue Licht des Tages enthüllte ein Lager voller gallischer Reiterei, das sich über drei Meilen weit über das Land erstreckte. Als die Legionen erwachten, hörten sie ein dumpfes, blechernes Jubeln aus den großen, miteinander verbundenen Festungen von Alesia, denn auch deren Bewohner hatten die Streitmacht erblickt, die gekommen war, um sie zu entsetzen. Der Morgen war kalt, obwohl der Sommer nicht mehr fern war. Die Lebensmittel, die aus der römischen Provinz am Fuße der Alpen herbeigeschafft worden waren, wurden zubereitet und auf Blechtellern ausgegeben, für die meisten Männer die erste warme Mahlzeit seit Tagen. Mit den zum Kampf bereiten Galliern vor sich aßen sie ohne Begeisterung, und die Teller waren viel zu schnell leer. Viele Männer leckten sie ab, um nur ja nichts Nahrhaftes verkommen zu lassen. Die römischen Befestigungen rings um Alesia waren hoch genug, um die Gallier innehalten und über die beste Angriffstaktik beraten zu lassen. Die Mauern erreichten 20 Fuß und waren von 40000 der besten Soldaten der Welt bemannt. Es war keine leichte Aufgabe, auch nicht für Madocs gewaltiges Heer. Madoc wusste selbst nicht genau, wie viele mit ihm gezogen waren, er wusste nur, dass er noch nie zuvor ein so riesiges Heer gesehen hatte. Trotzdem war er vorsichtig, so wie es Vercingetorix ihm eingeschärft hatte, bevor er sich aus Alesia davongemacht hatte, um die Stämme zusammenzurufen. »Denke an die Helvetier«, hatte Vercingetorix gesagt. Auch wenn sie zahlenmäßig weit unterlegen waren, hatten die Römer bislang jede gegen sie ins Feld geschickte Armee besiegt, und diejenigen von ihnen, die immer noch am Leben waren, waren Veteranen und erfahrene Kämpfer, die am schwersten zu töten waren. Madoc wünschte sich, dass sein Bruder bei ihm wäre, um die Reiterei anzuführen. Er konnte die Blicke und die Hoffnung der Verteidiger von Alesia förmlich spüren, und das schüchterte ihn ein. Inzwischen wusste er, dass sein Bruder ein besserer König war, als er es jemals hätte sein können. Madoc allein wäre niemals in der Lage gewesen, die Stämme zu vereinen, sie enger aneinander zu binden, als sie es seit tausend Jahren gewesen waren. Alte Zwistigkeiten waren vergessen, und am Ende hatten sie alle dem Hochkönig ihre besten Männer zu Hilfe gesandt, damit er der römischen Besatzung ein für alle Mal das Rückgrat brach. Nun hing alles von seinem Wort ab, und als die Sonne aufging, warteten Zehntausende auf sein Kommando. Julius erstieg einen Hügel, um zu den Männern zu sprechen, mit denen er seit neun Jahren in Gallien kämpfte. Er kannte Hunderte von ihnen mit Namen, und als er die Hügelkuppe erreicht hatte und sich stützend an den Fuß des Wachturms lehnte, sah er vertraute Gesichter erwartungsvoll zu ihm aufblicken. Wussten sie, wie erschöpft er war? Er hatte die Entbehrungen des Marsches quer durch Gallien und die Schlachten mit ihnen geteilt. Sie hatten gesehen, wie er sich mehr abverlangt hatte als jedem Einzelnen von ihnen, wie er sich tagelang keinen Schlaf gegönnt hatte, und jetzt war in ihm nichts mehr übrig, bis auf den eisernen Willen, der ihn auf den Beinen hielt. »Ich bitte euch nicht darum, für Rom zu kämpfen!«, brüllte er ihnen zu. »Was weiß Rom schon davon, was wir hier vollbringen? Was versteht der Senat schon davon, was wir sind? Die Kaufleute in ihren warmen Häusern, die Sklaven, die Baumeister und die Huren sind bei unseren Schlachten nicht dabei gewesen. Wenn ich an Rom denke, kann ich nicht an sie denken, so weit entfernt. Meine Brüder sind diejenigen, die ich hier vor mir sehe.« Die Worte gingen ihm vor seinen Legionen leicht über die Lippen. Er kannte sie alle, und schwache Jubelrufe ertönten, als sie zu der Gestalt im scharlachroten Feldherrenmantel emporblickten. Er hätte keinem Fremden diese Verbundenheit erklären können, aber das war auch nie nötig gewesen. Sie kannten ihn als das, was er war. Sie hatten gesehen, wie er in ihrer Mitte verwundet worden war, hatten ihn nach einem Marsch zu Tode erschöpft gesehen. Jeder Mann hier hatte eine Erinnerung daran, dass er einmal mit ihm gesprochen hatte, und das war ihnen allen mehr wert als die Silbermünzen, mit denen sie entlohnt wurden. »Ich bitte euch nicht darum, dieses eine Mal noch für Rom zu kämpfen. Ich bitte euch, es für mich zu tun«, sagte er, und sie hoben die Köpfe höher, um ihn zu hören, und der Jubel in den Reihen wurde lauter. »Wer wagt es, sich Rom zu nennen, solange wir am Leben sind? Ohne uns besteht die Stadt nur aus Steinen und Marmor. Wir sind ihr Blut und ihr Leben. Wir sind ihr ganzer Daseinsgrund.« Julius wies mit ausgestreckter Hand über die versammelten Horden des gallischen Heeres. »Welche Ehre es doch ist, so viele gegen uns ins Feld ziehen zu sehen! Sie kennen unsere Stärke, meine Legionen. Sie wissen, dass unser Geist nicht gebrochen werden kann. Ich sage euch, könnte ich tauschen und dort draußen stehen, ich hätte gewaltige Angst vor dem, was ich vor mir sehe. Ich wäre entsetzt. Denn sie sind nicht wir. Alexander selbst wäre ebenso stolz, mit euch zu marschieren, wie ich es bin. Er wäre stolz darauf zu sehen, wie ihr eure Schwerter in seinem Namen erhebt.« Er blickte in die Menge hinab und sah Renius dort unten stehen, der zu ihm heraufblickte. »Wenn unsere Herzen und unsere Arme müde werden, machen wir weiter«, brüllte Julius hinab. »Wenn unsere Bäuche leer und unsere Münder trocken sind, machen wir weiter!« Wieder hielt er kurz inne und lächelte zu ihnen hinab. »Meine Herren, wir sind keine Anfänger. Sollen wir diese elenden Barbaren in Stücke hauen?« Sie schlugen Schwerter und Schilder aneinander, und aus jeder Kehle bellte heisere Zustimmung. »Bemannt die Mauern! Sie kommen!«, rief Brutus, und die Legionäre nahmen ihre Stellungen ein. Als Julius hinunterstieg und zwischen ihnen hindurchging, standen sie stramm. Er war stolz auf jeden Einzelnen von ihnen. Als Madoc das volle Ausmaß der römischen Anlagen rings um Alesia erblickte, ergriff ihn leise Furcht. Als er vor nur einem Monat aus der Stadt fliehen konnte, waren gerade die ersten Gräben aus dem Lehm ausgehoben worden, und nun standen solide, mit Soldaten besetzte Mauern vor ihm. »Zündet Fackeln an, um ihre Tore und Türme niederzubrennen! «, befahl er und sah, wie entlang der Reihen von Stamm zu Stamm Flammen aufflackerten. Das Knistern der Flammen war das Geräusch des Krieges, und er spürte, wie sein Herz sofort schneller schlug. Trotzdem bereiteten ihm die ausgedehnten Befestigungsanlagen, die dort vor ihm aus dem Land ragten und ihn erwarteten, große Sorgen. Gegen eine derartige Barriere war die Geschwindigkeit der gallischen Pferde vergeudet. Wenn er die Römer nicht herauslocken konnte, würde jeder Schritt sehr blutig für ihn werden, darüber war sich Madoc im Klaren. »Speere bereit!«, rief er laut. Er fühlte Tausende von Augen auf sich, als er sein Langschwert zog und auf das römische Heer wies. Seine geliebten Arverner auf der rechten Flanke waren bereit, und er wusste, dass sie seinen Befehlen folgen würden. Er wünschte, er könnte sich in der Hitze der Schlacht auf die anderen ebenso verlassen. Er fürchtete, dass sie, sobald es ans Sterben ging, das Wenige an Disziplin, dass er ihnen hatte beibringen können, wieder von sich warfen. Er hob die Faust und senkte sie in einer abrupten Bewegung wieder, spornte sein Pferd zum Galopp an und setzte sich an die Spitze seines Heeres. Hinter ihm ertönte ein Donnern, das jedes andere Geräusch erstickte, und dann brüllten die Gallier los. Die Pferde flogen auf die Mauern zu, und in jeder Hand lag ein Speer bereit. »Wurfmaschinen fertig machen! Ballistae, Onager und Skorpione bereit! Wartet auf die Hörner!«, brüllte Brutus nach links und nach rechts. Sie waren in den dunklen Stunden der Nacht nicht müßig gewesen, und nun war jede Kriegsmaschine, die sie besaßen, nach außen gedreht, um den größeren Feind zu zerschmettern. Jedes Auge auf den Mauern sah zu, wie die Horde auf sie zugaloppiert kam, und ihre Gesichter leuchteten vor Erwartung. Gewaltige, in Öl getränkte Balken wurden angezündet und stießen erstickenden Qualm aus, der jedoch dem Enthusiasmus derer, die bereit und entschlossen waren, sie auf die Häupter der Gallier hinabzuschleudern, nichts anhaben konnten. Brutus nickte, als er die Reichweite abschätzte, und tippte dem nächsten Cornicus auf die Schulter. Der Mann holte tief Luft, und der lang gezogene Ton erklang, wurde jedoch beinahe gleichzeitig vom Krachen Hunderter schwerer Eichenarme verschluckt, die gegen ihre Auflagen schlugen. Steine und Eisen flogen mit einem heulenden Geräusch durch die Luft, und die Römer fletschten in Erwartung der ersten Berührung des Todes die Zähne. Madoc sah, wie die Katapulte abgefeuert wurden; er schloss einen Moment lang die Augen und betete. Rings umher hörte er das dumpfe Krachen der einschlagenden Geschosse und rasch leiser werdende Schreie, die er hinter sich ließ. Als er die Augen öffnete, staunte er, dass er noch lebte, und stieß ein lautes Freudengeheul aus. In die Stämme waren Lücken gerissen worden, aber sie schlossen sich, während sich der Abstand zu den Legionen verringerte, und jetzt war ihr Blut in Wallung geraten. Die Gallier schleuderten ihrer Speere mit all der Wut und Wildheit derer, die den römischen Maschinen entkommen waren. Sie flogen in hohem Bogen über die Wälle, und noch ehe sie landeten, hatte Madoc die breiten Gruben erreicht, die vor den römischen Mauern ausgehoben worden waren. 30000 seiner besten Männer sprangen aus den Sätteln und machten sich daran, die Wälle hinaufzuklettern, bohrten ihre Schwerter in die Erde, um über die spitzen Pfähle zu klimmen, die sie aufhalten sollten. Madoc sah beim Klettern aus dem Augenwinkel die Legionäre über sich, und dann gab ohne Vorwarnung die Erde unter ihm nach, und er stürzte hinab. Er schrie vor Zorn und machte sich sofort daran, wieder hinaufzuklettern, doch dann hörte er das Fauchen von Flammen und sah, wie eine Gruppe Römer etwas Massiges, gewaltig Großes über die Brustwehr hievte und auf ihn herunterfallen ließ. Er versuchte zur Seite zu springen, aber es krachte in einem splitternden Krachen aus Knochen und Dunkelheit auf ihn herab. Von der Mauerkrone aus verfolgte Julius, wie der erste Angriff zurückgeschlagen wurde. Ein ums andere Mal befahl er, die Kriegsmaschinen abzufeuern, die Balken und Steine von einer Größe wegschleuderten, dass sie den Pferden die Beine brachen, wenn sie zwischen sie rollten. Die Tore an der Mauer brannten, aber das machte nichts. Er hatte nicht vor zu warten, bis sie fielen. Entlang der meilenlangen Befestigungen droschen die römischen Legionäre auf diejenigen ein, die sie erreichten, benutzten Schilde und Schwerter in wilder Wut. Am Fuß der Mauer stapelten sich die Leichen, und Julius zögerte. Er wusste, dass seine Soldaten, so schwach wie sie waren, nicht lange mit solcher Wucht kämpfen konnten. Aber die Gallier schienen es auf einen direkten Angriff abgesehen zu haben und warfen ihr Leben gegen das römische Eisen weg. Die Hauptmasse der Reiterei hatte durch die eigenen Leute nicht einmal bis zu den römischen Linien vordringen können, und Julius befürchtete, dass seine Legionen eingekesselt würden, wenn er sie jetzt hinausschickte. Seine Züge verhärteten sich, als er eine Entscheidung traf. »Octavian! Führ die Extraordinarii gegen sie! Meine Zehnte und die Dritte folgen dir, so wie wir es gegen die Britannier gemacht haben!« Ihre Blicke trafen sich kurz, und Octavian salutierte. An den Toren wurden Seile befestigt, damit sie nach innen umgerissen werden konnten, sobald die Eisenriegel entfernt waren. Das Holz brannte inzwischen lichterloh, und als die Tore fielen, ließ der Luftschwall die Flammen hoch auflodern. Die Extraordinarii galoppierten durch das Feuer, um den Feind zu zermalmen, die Hufe ihrer Pferde trommelten auf das Holz, als sie darüber hinwegpreschten. Sie verschwanden im Rauch, und die Zehnte und Dritte drängten hinter ihnen hinaus. Julius sah, wie Gruppen von Legionären die Flammen ausschlugen und die Tore wieder aufrichteten, ehe die Gallier die Bresche zu ihrem Vorteil nutzen konnten. Es war ein gefährlicher Augenblick. Wenn es den Extraordinarii nicht gelang, die Gallier zurückzudrängen, konnten sich auch die Legionen, die bereitstanden, ihnen zu folgen und sie zu unterstützen, nicht in Bewegung setzen. Julius spähte angestrengt durch den Rauch, folgte einem Legionsadler, der durch die brodelnde Menge der Stammeskrieger zog. Er sah ihn fallen, sah, wie er von einem unbekannten Soldaten wieder aufgehoben wurde. Die Zwölfte Ariminum war bereit auszurücken, und Julius wusste nicht, was sie dort draußen vorfinden würde. Er blickte hinauf zu den Festungen Alesias und zu den Männern, die diese ständig im Auge behielten, um jeden Ausfall sofort zu bemerken. Wie viele konnte er als Reserve zurücklassen? Wenn Vercingetorix ausbrach, würden seine Legionen mit Sicherheit zusammenbrechen, zwischen zwei Fronten zermahlen werden. Dazu durfte es nicht kommen. Renius fing seinen Blick auf; die unverwechselbare Gestalt hielt sich dicht neben ihm, bereit, jederzeit den Schild über seinen Kopf zu halten. Julius lächelte kurz, erlaubte ihm zu bleiben. Der Gladiator sah blass und alt aus, aber seine Augen suchten unablässig das Schlachtfeld ab, damit er seinen Feldherrn schützen konnte. Julius sah eine freie Stelle auf dem blutigen Boden erscheinen, die mit zuckenden Leibern und Toten bedeckt war. Einige von ihnen waren Römer, die meisten jedoch waren durchbohrte und erschlagene Feinde. Die Umklammerung der Feinde öffnete sich in einem großen Bogen, als die Zehnte sie zurückdrängte und mit ihrer Barriere aus Schilden über Sterbende und Tote hinwegmarschierte. Julius sah die letzten geschleuderten Speere in den Reihen der Gallier verschwinden und beschloss, dass es an der Zeit sei. »Die Zwölfte und die Achte zur Unterstützung!«, rief er. »Reißt die Tore ein!« Wieder rissen die Seile an den Holzflügeln, und 10000 eilten im Laufschritt hinaus, um die Reihen derer aufzufüllen, die vor ihnen ausgerückt waren. Die Kriegsmaschinen schwiegen jetzt, denn die Legionen hieben sich mitten durch die Gallier hindurch. Die eng geschlossenen Karrees wurden umspült und verschwanden aus dem Blickfeld, tauchten dann wie Felsen in der Brandung wieder auf, immer noch am Leben, immer noch fest geschlossen, als sie erneut verschwanden. Mit vier Legionen im Feld sandte Julius noch eine weitere hinaus, so dass ihm kaum genug Männer blieben, um die Wälle zu halten und die Festungen in ihrem Rücken zu beobachten. Die Cornicen warteten auf seinen Befehl, und er sah sie mit harten Augen an. »Blast auf mein Wort zum Rückzug!« Er packte den Saum seines Umhangs mit der freien Hand und zerknüllte ihn. Es war schwer zu erkennen, was genau dort draußen vor sich ging, aber er hörte römische Stimmen Befehle brüllen, und entlang der Mauern zogen sich die Gallier zurück, um sich der Bedrohung zu stellen, die ausgerückt war, um es mit ihnen aufzunehmen. Julius zwang sich zu warten. »Jetzt stoßt ins Horn. Schnell!«, blaffte er schließlich und ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen, solange die Töne darüber hinwegheulten. Die Legionen waren weit vorangekommen und kämpften auf allen Seiten, aber sie würden keine kopflose Flucht zulassen, das wusste er. Die Karrees würden sich Schritt für Schritt vor den Reitern zurückziehen, und dabei die ganze Zeit weitertöten. Die Gallier bewegten sich wie eine bittere Flüssigkeit, in Wirbeln aus schreienden, sterben Männern, als die Legionen sich den Rückweg freikämpften. Julius stieß einen wilden Schrei aus, als er die Adler wieder auftauchen sah. Er hob den Arm, und dieser zitterte. Die Tore fielen, und er sah die Legionen hereinströmen, zu den Mauern hasten und den Feind verhöhnen. Die Gallier drängten vorwärts, und Julius blickte zu den Mannschaften der Wurfmaschinen, die mit kaum gezügelter Ungeduld warteten. Jetzt kam das gesamte gallische Heer heran, und der Augenblick war perfekt, aber er wagte nicht, den Befehl zum Feuern zu geben, bevor er nicht wusste, dass seine Legionen sicher wieder zurückgekehrt waren. Er nahm die Speersalve kaum wahr; Renius aber hatte aufgepasst. Als sich Julius wegdrehte, riss Renius den Schild hoch und reckte ihn dem Einschlag der pfeifenden Spitzen entgegen. Er ächzte, und Julius drehte sich um, um ihm Anerkennung zu zollen. Seine Züge erschlafften, als er Renius’ Hals sah, der sich in blutige Fetzen verwandelt hatte. »Alles klar! Sie sind in Sicherheit, Herr!«, rief der Cornicus. Julius konnte nur entgeistert starren, als Renius zu Boden fiel. »Herr, wir müssen jetzt feuern!«, sagte der Cornicus. Julius hörte ihn kaum, senkte aber den Arm, und die großen Wurfmaschinen gaben krachend Antwort. Tonnen von Steinen und Eisen bohrten sich abermals durch die Reiter Galliens, brachen breite Schneisen in die Angreifer. Die Stämme ritten zu dicht an dicht, um den Salven auszuweichen. Tausende wurden niedergemäht, um nie mehr aufzustehen. Eine gewaltige Stille machte sich breit, als die Gallier sich außer Reichweite zurückzogen. Julius hörte seine Männer wie aus weiter Ferne jubeln, als sie die Menge der Toten erblickten, die der Feind zurücklassen musste. Er ging zu Renius und schloss die starren Augen mit den Fingern. Er hatte keine Trauer mehr in sich. Zu seinem Entsetzen begannen seine Hände zu zittern, und er spürte den Geschmack von Metall im Mund. Octavian kam durch die Legionäre getrabt, um zu der Stelle hinaufzusehen, wo Julius in kalten Schweiß gebadet kniete. »Noch einen Angriff, Herr? Wir sind bereit.« Julius sah benommen in die Runde. Er durfte vor den Augen aller seiner Männer keinen Anfall bekommen, er durfte nicht. Er versuchte zu verleugnen, was mit ihm geschah. Die Anfälle hatten ihn nun schon seit Jahren verschont. Er würde es nicht zulassen. Mit einer gewaltigen Willensanstrengung erhob er sich schwankend und zwang sich dazu, sich zu konzentrieren. Er nahm den Helm ab und versuchte tief ein- und auszuatmen, aber der Schmerz in seinem Schädel wurde stärker, grelle Lichter blitzten vor seinen Augen. Octavian zuckte zusammen, als er die glasigen Augen sah. »Die Legionen halten noch Stand, Herr. Sie sind bereit, die Schlacht noch einmal zu ihnen hinauszutragen, wenn du es wünschst.« Julius wollte etwas sagen, brachte aber nichts heraus. Er brach zusammen, und Octavian sprang aus dem Sattel und kletterte zu ihm hinauf, um ihn zu stützen. Er nahm Renius’ Leichnam neben sich kaum wahr und befahl dem Cornicus, Brutus zu holen. Brutus kam stolpernd angerannt; sein Gesicht wurde bleich, als er begriff. »Bring ihn weg, damit ihn niemand sieht«, blaffte er Octavian an. »Rasch! Das Kommandozelt ist leer. Nimm seine Beine, bevor die Männer es bemerken!« Sie hoben die zuckende Gestalt auf, die durch Monate des Hungers und des Krieges leicht geworden war, und schleppten sie in das Halbdunkel des Befehlsstandes. »Was sollen wir tun?«, fragte Octavian besorgt. Brutus zog den Metallhelm aus Julius’ verkrampften Fingern und hob ihn hoch. »Zieh ihn aus. Zu viele Männer haben gesehen, wie wir ihn hineingetragen haben. Sie müssen sehen, wie er wieder herauskommt.« Die Männer brachen in lauten Jubel aus, als Brutus, angetan mit der Rüstung und dem Helm des Freundes, in den schwachen Sonnenschein hinaustrat. Hinter ihm lag Julius nackt auf einer Bank. Octavian hatte ihm ein gedrehtes Stück Tunikastoff zwischen die Zähne geschoben, während sich Julius wand und zitterte. Brutus rannte zur Mauer, um sich ein Bild vom Zustand der feindlichen Truppen zu machen, und sah, dass die Gallier sich immer noch nicht von der zweiten, vernichtenden Salve der Wurfmaschinen erholt hatten. In der Dunkelheit des Zeltes war ihm die Zeit länger vorgekommen. Er sah, wie die Legionen zu ihm aufsahen, auf seine Befehle warteten, und er durchlebte einen Augenblick höchster Panik. Seit sie die Grenze nach Gallien überschritten hatten, war er kein einziges Mal allein für ein Kommando verantwortlich gewesen. Immer war Julius zur Stelle gewesen. Verborgen hinter seiner Maske blickte er sich verzweifelt um. Ihm wollte keine Strategie einfallen, nur die allereinfachste: die Tore öffnen und alles niedermachen, was sich bewegte. Julius hätte nicht so entschieden, aber Brutus konnte nicht von der Mauer aus zusehen, wie seine Männer ausrückten. »Holt mir ein Pferd!«, brüllte er. »Lasst keine Reserve zurück! Wir gehen raus und schnappen sie uns!« Als die Tore abermals aufgingen, ritt Brutus hindurch und führte die Legionen an. Er wusste nicht, was er anderes tun sollte. Als die Gallier voller Entsetzen die gesamte Streitmacht der Legionen aufs Schlachtfeld ziehen sahen, wimmelten sie in kopfloser Furcht durcheinander. Viele hatten Angst davor, wieder in eine Schlacht hinein und in die Reichweite der Kriegsmaschinen gezogen zu werden. Ohne die Anführer, die bei den ersten Angriffen getötet worden waren, herrschte in ihren Reihen heilloses Durcheinander. Brutus sah, wie viele der weniger bedeutenden Stämme ihren Pferden die Fersen in die Seite bohrten und einfach vom Schlachtfeld ritten. »Macht euch lieber aus dem Staub!«, schrie er wild. Rings um ihn herum trieben die Extraordinarii ihre Pferde zum Galopp an und reckten die bereits blutbesudelten Waffen. Die Legionen stießen ein lautes Gebrüll aus, als sie über die Ebene stürmten, und als sie auf die ersten Reihen prallten, gab es nichts, was sie hätte aufhalten können. 44 Bis zum Einbruch der Nacht hatten die überlebenden Gallier das Schlachtfeld verlassen, waren zu ihren Häusern und in ihre Stammesgebiete zurückgekehrt und hatten dort die Nachricht ihrer Niederlage verbreitet. Die römischen Legionen verbrachten den Großteil der Nacht auf der Ebene, plünderten die Gefallenen und trieben die besten Pferde zusammen. Noch in der Dunkelheit teilten sich die Römer in Kohorten, die im Umkreis von mehreren Meilen rings um Alesia umherstreiften, Verwundete töteten und Rüstungen und Schwerter der Toten einsammelten. Als der nächste Morgen heraufzog, kehrten sie zur Festung zurück und richteten ihre hasserfüllten Blicke auf die schweigenden Festungen. Julius war erst bei Sonnenaufgang aus seinen quälenden Träumen erwacht. Die Heftigkeit des Anfalls hatte seinen erschöpften Leib sehr mitgenommen, und als die Krämpfe aufhörten, sank er in einen Schlummer, der dem Tod nahe kam. Octavian wachte bei ihm im Zelt und wusch ihn mit Wasser und einem Tuch. Als Brutus, mit Blut und Dreck bespritzt, zurückkam, stand er lange vor der blassen Gestalt und betrachtete sie. Die Haut wies viele Narben auf, und ohne die Rangabzeichen hatte der ausgezehrte Körper vor ihm etwas sehr Verletzliches. Brutus kniete neben der Liege nieder und nahm den Helm ab. »Ich bin dein Schwert gewesen, mein Freund«, flüsterte er. Mit unendlicher Zärtlichkeit zogen er und Octavian Julius die zerbeulte Rüstung wieder an. Julius wachte dabei nicht auf, nur wenn sie ihn hochhoben, öffneten sich seine glasigen Augen für einen Moment. Als sie einen Schritt zurücktraten, war die Gestalt auf der Liege wieder der römische Feldherr, den sie kannten. Die Haut war voller blauer Flecken, das Haar zerzaust, bis Octavian es einölte und kämmte. »Kommt er wieder zu sich?«, murmelte Octavian. »Wenn es an der Zeit ist«, erwiderte Brutus. »Wir lassen ihn jetzt besser allein.« Er sah, wie sich Julius’ Brust sachte hob und senkte, und war es zufrieden. »Ich halte Wache. Bestimmt wollen einige unserer Leute ihn bald sehen«, sagte Octavian. Brutus sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Nein, mein Junge. Du gehst hinaus und zeigst dich deinen Männern. Diese Ehre gebührt dir.« Octavian verließ ihn, und Brutus bezog als reglose Gestalt in der Dunkelheit Posten vor dem Zelt. Brutus hatte Vercingetorix die Kapitulationsforderung noch nicht überbringen lassen, denn er wusste, dass Adàn sich trotz Rüstung und Helm keine Sekunde würde täuschen lassen. Außerdem gebührte diese Ehre Julius allein. Als der Mond aufging, hielt Brutus weiter vor dem Zelt Wache und schickte alle weg, die kamen, um ihre Glückwünsche zu überbringen. Alsbald hatte es sich herumgesprochen, und man ließ ihn in Ruhe. In der Einsamkeit der schweigenden Dunkelheit weinte Brutus um Renius. Er hatte den Leichnam gesehen und nicht weiter beachtet, als er und Octavian Julius ins Zelt getragen hatten. Es war beinahe so, als hätte ein Teil von ihm jede Einzelheit registriert, damit er sie jetzt, nachdem die Schlacht vorüber war, abrufen konnte. Obwohl er nur einen kurzen Blick auf den alten Gladiator geworfen hatte, sah er jetzt, wenn er die Augen schloss, dessen kalten Leichnam vor sich, als wäre es heller Tag. Es schien ihm nicht möglich, dass Renius nicht mehr am Leben sein sollte. Der Mann war für Brutus das gewesen, was einem Vater am Nächsten kam, und dass er nicht mehr da war, trieb ihm die Tränen in die Augen. »Jetzt ruh dich aus, du alter Bastard«, murmelte er vor sich hin, und dabei lachte und weinte er zugleich. So lange zu leben, nur um durch einen Speer ums Leben zu kommen, war obszön, obwohl Brutus wusste, dass Renius diesen Tod ebenso hingenommen hätte, wie er alle anderen Prüfungen seines Lebens hingenommen hatte. Octavian hatte ihm berichtet, wie Renius den Schild über Julius gehalten hatte, und Brutus wusste, dass der alte Gladiator es als angemessenen Preis betrachtet hätte. Ein Geräusch aus dem Zelt verriet ihm, dass Julius endlich erwacht war. Dann wurde die Zeltklappe aufgeschlagen. »Brutus?«, fragte Julius und blinzelte in die Dunkelheit. »Ich bin hier«, antwortete Brutus. »Ich habe deinen Helm genommen und sie hinausgeführt. Sie haben mich für dich gehalten.« Er spürte Julius’ Hand auf der Schulter, und neue Tränen rannen über sein schmutziges Gesicht. »Haben wir sie besiegt?«, erkundigte sich Julius. »Wir haben ihnen das Rückgrat gebrochen. Die Männer warten darauf, dass du von ihrem König die Kapitulation forderst. Es ist das Letzte, was noch zu tun ist, dann sind wir fertig.« »Renius ist ganz zum Schluss gefallen. Er hat einen Schild über mich gehalten«, sagte Julius. »Ich weiß. Ich habe ihn gesehen.« Keiner der Männer brauchte mehr zu sagen. Beide hatten ihn gekannt, seit sie kaum mehr als Knaben gewesen waren, und mancher Kummer wird durch Worte nur verwässert. »Du hast sie angeführt?«, fragte Julius. Obwohl seine Stimme wieder kräftiger wurde, wirkte er immer noch leicht verwirrt. »Nein, Julius. Sie sind dir gefolgt.« Bei Tagesanbruch schickte Julius einen Boten zu Vercingetorix und wartete auf die Antwort, von der er wusste, dass sie kommen musste. Jeder Mann und jede Frau in Alesia musste von dem Gemetzel von Avaricum gehört haben. Sie mussten Todesangst vor den grimmigen Soldaten haben, die zu ihrer Festung heraufstarrten. Julius hatte angeboten, sie alle zu verschonen, falls sich Vercingetorix bis zum Mittag ergab, aber die Sonne stieg immer weiter am Himmel empor, und aus der Stadt kam keine Antwort. Marcus Antonius und Octavian waren bei ihm. Sie konnten nichts anderes tun als abwarten, und einer nach dem anderen kamen alle, die von Anfang an mit dabei gewesen waren, herbei und stellten sich neben ihn. Manchmal kam es ihm vor, als machten die fehlenden Gesichter den Preis kaum wett. Bericus, Cabera, Renius und viel zu viele andere. Julius trank den Wein, der ihm gereicht wurde, ohne ihn zu schmecken, und fragte sich, ob Vercingetorix bis zum bitteren Ende kämpfen würde. Wenn das Töten vorbei war, waren die Legionen nie still. Jeder Mann hatte Freunde, vor denen er sich brüsten konnte, und tatsächlich gab es viele Geschichten von Tapferkeit und Heldenmut zu erzählen. Viele andere konnten beim Morgenappell nicht mehr auf ihren Namen antworten, und die bleichen Toten, die hereingebracht wurden, legten Zeugnis ab von dem Kampf, den sie gemeinsam ausgefochten hatten. Julius hörte einen Schrei des Schmerzes, als ein Soldat einen Leichnam erkannte und weinend neben ihm auf die Knie sank, bis ein paar andere aus seiner Zenturie ihn wegführten, um dafür zu sorgen, dass er sich betrank. Renius’ Tod hatte sie alle tief getroffen. Die Männer, die mit dem alten Gladiator gekämpft hatten, hatten seinen Hals mit einem aus einer Tunika herausgerissenen Stück Stoff verbunden und ihn mit seinem Schwert aufgebahrt. Angefangen von Julius bis hin zum niedrigsten Legionär hatten sie unter seinen Wutausbrüchen und seinen unerbittlichen Ausbildungsmethoden zu leiden gehabt, aber nun, da er nicht mehr war, kamen die Männer in stummer Trauer, um seine Hand zu berühren und für seine Seele zu beten. Jetzt, wo seine Toten im kalten Sonnenlicht lagen, hob Julius den Blick zu den Mauern von Alesia und überlegte, wie er die Gallier aus ihrer Festung herausholen könnte. Er konnte nicht untätig dasitzen, nachdem Gallien nun endlich in seinen Händen war. Es würde keinen Aufstand mehr geben. In den folgenden Tagen würde die Kunde von der Niederlage bis in jedes kleine Dorf und in jede Stadt dieses großen Landes dringen. »Da kommt er«, sagte Marcus Antonius und riss Julius aus seinen Gedanken. Alle erhoben sich wie ein Mann, um zu sehen, wie der König den steilen Weg zu den wartenden Legionen herunterkam. Es war eine einsame Gestalt. Vercingetorix war nicht mehr der zornige junge Krieger, an den sich Julius erinnerte. Er ritt ein graues Pferd und trug volle Rüstung, die im ersten Tageslicht hell schimmerte. Mit einem Mal wurde sich Julius seines eigenen verdreckten Äußeren bewusst und streckte den Arm nach seinem Mantel aus, ließ die Hand aber sogleich wieder sinken. Er schuldete dem König keine besondere Ehrbekundung. Cingetos Blondhaar war zu schweren Zöpfen geflochten, die auf seinen Schultern lagen. Sein Vollbart glänzte vor Öl und bedeckte die goldenen Kettenglieder an seinem Hals. Er saß entspannt im Sattel, trug einen verzierten Schild und ein großes Schwert, das auf seinem Schenkel ruhte. Die Legionen warteten schweigend auf den Mann, der ihnen so viel Kummer und Schmerzen bereitet hatte. Etwas in seiner majestätischen Haltung ließ sie stumm verharren und ihm diesen letzten Augenblick der Würde gewähren. Julius ging mit Brutus und Marcus Antonius auf den König zu. Als er den Anfang der Straße erreichte, reihten sich seine restlichen Heerführer hinter ihnen ein, doch immer noch sagte keiner ein Wort. Vercingetorix blickte auf den Römer hinab und erschrak über die Veränderung, die seit ihrer ersten Zusammenkunft vor fast zehn Jahren mit ihm vorgegangen war. Seine Jugend war auf den Schlachtfeldern Galliens geblieben, nur die kalten, dunklen Augen schienen noch dieselben zu sein. Mit einem letzten Blick hinauf zu den Festungen von Alesia stieg Vercingetorix aus dem Sattel und legte Schwert und Schild auf die ausgestreckten Unterarme. Dann ließ er beides vor Julius’ Füße fallen, trat zurück und hielt dem Blick des Römers einen langen Augenblick stand. »Du wirst die anderen verschonen?«, fragte er. »Ich habe dir mein Wort gegeben«, entgegnete Julius. Vercingetorix nickte. Seine letzten Befürchtungen verschwanden. Dann kniete er im Schlamm nieder und neigte den Kopf. »Bringt Ketten«, sagte Julius, und die Stille zerbrach, als die Legionen Schilde und Schwerter aneinander schlugen und einen solchen Lärm machten, dass jedes andere Geräusch darin unterging. 45 Als der Winter abermals nahte, führte Julius seine Legionen über die Alpen, um rings um Ariminum sein Lager aufzuschlagen. Er brachte fünfhundert Truhen Gold auf Karren mit, genug, um damit den Zehnten des Senats hundertfach zu bezahlen. In den Beuteln seiner Männer klimperten Goldmünzen, und sie waren nach gutem Essen und ausreichender Erholung weitgehend wiederhergestellt. In Gallien herrschte endlich Ruhe, neue Straßen erstreckten sich von einer Küste zur anderen durch das fruchtbare Land. Obwohl Vercingetorix tausend römische Höfe hatte niederbrennen lassen, war das Land noch vor Ende des Sommers von neuen Familien übernommen worden, und noch immer strömten sie herbei, angelockt von dem Versprechen auf reiche Ernten und Frieden. Nur 3000 Soldaten der Zehnten hatten die Kämpfe in Gallien überlebt, und Julius hatte jeden Mann unter seinem Kommando reichlich mit Land und Sklaven entlohnt. Er hatte ihnen Gold und neue Wurzeln gegeben, und er wusste, dass sie ihm treu ergeben waren, so wie es Marius ihm einst erklärt hatte. Sie kämpften weder für Rom noch für den Senat. Sie kämpften für ihren Feldherrn. Er wollte nichts davon hören, dass auch nur einer von ihnen eine Nacht im Freien verbringen musste, und jedes Haus in Ariminum war plötzlich mit zwei oder drei seiner Soldaten belegt, die Leben und Geld in die Stadt brachten. Beinahe über Nacht stiegen die Preise, und am Ende des ersten Monats ging in der ganzen Hafenstadt der letzte Wein zur Neige. Brutus war mit der Dritten Gallica gekommen und hatte sich, sobald er aller Verpflichtungen ledig war, daran gemacht, sich bis zu Besinnungslosigkeit zu betrinken. Der Verlust von Renius hatte ihn schwer getroffen, und Julius kam wiederholt zu Ohren, dass sein Freund jeden Abend in eine andere Schlägerei verwickelt sei. Er hörte den Gastwirten zu, die mit ihren Beschwerden zu ihm kamen, und bezahlte Brutus’ Rechnungen ohne Murren. Schließlich schickte er Regulus aus, um Brutus davon abzuhalten, in seinem trunkenen Zorn jemanden zu töten, und erfuhr dann, dass die beiden zusammen durch die Stadt tobten und noch mehr Unheil anrichteten als Brutus alleine. Zum ersten Mal seit Spanien wusste Julius nicht, was das kommende Jahr für ihn bereithielt. Eine Million Menschen waren in Gallien gestorben, um seinen Ehrgeiz zu befriedigen, eine weitere Million war in römische Steinbrüche und auf römische Bauernhöfe von Afrika bis nach Griechenland verkauft worden. Er besaß mehr Gold, als er jemals gesehen hatte, und er war über das Meer gefahren und hatte die Britannier besiegt. Er hätte erwartet, Freude über seine Triumphe zu empfinden. Schließlich hatte er es Alexander gleichgetan und eine neue Welt jenseits der bekannten Landkarten entdeckt. Er hatte innerhalb einer Dekade mehr Land erobert, als Rom sonst in einem ganzen Jahrhundert. Als Junge hätte er sich an dem Gedanken ergötzt, Vercingetorix vor sich knien zu sehen, und hätte dabei nur seine Leistung gesehen. Doch damals hätte er nicht gewusst, wie sehr er die Toten und Gefallenen vermissen würde. Er hatte von Statuen geträumt, davon, dass sein Name im Senat genannt werden würde. Nun, da all das Wirklichkeit geworden war, schätzte er es eher gering. Sogar der Sieg schmeckte schal, denn er bedeutete, dass alles Streben und Trachten ein Ende hatte. Es gab zu viel zu bereuen. Julius hatte Crassus’ Haus im Zentrum der Stadt bezogen, und nachts glaubte er immer noch, Servilias Parfum riechen zu können. Obwohl er einsam war, schickte er nicht nach ihr. Irgendwie war der Gedanke, dass sie ihn aus seiner Niedergeschlagenheit herausreißen würde, zu viel für ihn. Er freute sich an den düsteren Wintertagen, die so gut zu seiner Verfassung zu passen schienen, und er hieß die trüben Gedanken wie alte Freunde willkommen. Er wollte die Zügel seines Lebens nicht aufnehmen und weitermachen. In der Zurückgezogenheit von Crassus’ Haus konnte er die Tage mit Müßiggang vertun, die Nachmittage damit verbringen, in den dunklen Himmel zu starren und seine Bücher zu schreiben. Die Berichte, die er für seine Heimatstadt verfasst hatte, hatten für ihn an Bedeutung gewonnen. Jede Erinnerung wirkte irgendwie verkrampft und befangen, sobald er sie niedergeschrieben hatte. Die Tinte konnte weder die Angst noch den Schmerz oder die Verzweiflung ausdrücken, und das war gut so. Es verschaffte seinem gequälten Geist Linderung, jeden Teil seiner Jahre in Gallien schriftlich festzuhalten und das Ganze dann von Adàn säuberlich kopieren zu lassen. Am Ende der ersten Woche gesellte sich Marcus Antonius zu ihm. Er machte sich daran, Staubdecken von den Möbeln zu ziehen und dafür zu sorgen, dass Julius zumindest einmal am Tag eine richtige Mahlzeit zu sich nahm. Julius nahm seine Fürsorge mit einsichtigem Wohlwollen hin. Einige Tage darauf kamen Ciro und Octavian ins Haus, und die Römer setzten sogleich alles daran, es so sauber zu putzen wie eine Legionsküche. Sie beseitigten das Durcheinander aus Papieren in den Wohnräumen und brachten eine Unruhe ins Haus, der sich Julius immer weniger widersetzen mochte. Obwohl er die Einsamkeit zunächst sehr genossen hatte, war er doch daran gewöhnt, seine Offiziere um sich zu haben, und zog nur in gespieltem Verdruss die Augenbrauen hoch, als Domitius sich in einem Zimmer einquartierte und Regulus in der darauf folgenden Nacht mit Brutus über der Schulter erschien. Überall im Haus wurden Lampen angezündet, und als Julius in die Küche hinunterkam, fand er dort drei Frauen aus der Nachbarschaft beim Brotbacken vor. Er akzeptierte ihre Anwesenheit ohne ein Wort. Die Schiffsladungen mit Wein aus Gallien trafen ein und wurden von den Bewohnern der Stadt durstig in Empfang genommen. Marcus Antonius sicherte sich ein Fass, und an einem Abend, an dem es ihnen gelang, die Rangunterschiede zu vergessen, betranken sie sich bis zur Besinnungslosigkeit, um es in einer einzigen Sitzung zu leeren, und blieben dort liegen, wo sie umfielen. Am Morgen musste Julius zum ersten Mal seit Wochen wieder laut lachen, als seine Freunde herumtorkelten und fluchend gegen die Möbel stießen. Nun, da die Bergpässe geschlossen waren, war Gallien ebenso weit entfernt wie der Mond und suchte ihn nicht mehr in seinen Träumen heim. Julius’ Gedanken wandten sich wieder Rom zu, und er schrieb Briefe an jeden, den er in der Stadt kannte. Es war seltsam, an die Menschen zu denken, die er seit so vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte. Servilia würde dort sein, und das neue Senatsgebäude musste auch längst fertig sein. Rom würde ein neues Gesicht haben, um seine Narben zu verdecken. Morgens schrieb Julius hinter den verschlossenen Türen seines Arbeitszimmers ausführlich an seine Tochter und versuchte, eine Brücke zu einer Frau zu schlagen, die er eigentlich überhaupt nicht kannte. Er hatte ihr vor zwei Jahren die Erlaubnis erteilt, in seiner Abwesenheit zu heiraten, hatte aber seither nichts mehr von ihr gehört. Ob sie seine Briefe nun las oder nicht, sie waren Balsam für sein Gewissen, und Brutus hatte ihn gedrängt, es zu versuchen. Es war verlockend, sich ein paar Pferde zu nehmen und in die Stadt zurückzukehren, aber Julius wollte sich vor den Dingen in Acht nehmen, die während seiner Abwesenheit vorgefallen sein mochten. Ohne konsularische Immunität war er dort für jeden seiner Feinde angreifbar. Selbst wenn ihm der Senat den Rang eines Tribuns gelassen hatte, würde ihn das nicht vor der Anklage wegen des Mordes an Ariovist oder wegen Befehlsanmaßung bei der Überschreitung des Rheins schützen. Der Senat schuldete Julius mehr als einen Triumph, aber er bezweifelte, dass Pompeius erfreut darüber sein würde, ihn von den Bürgern bejubelt zu sehen. Die Vermählung mit Julius’ Tochter hatte sein Temperament etwas gezügelt, aber Julius kannte ihn zu gut, um auf seinen guten Willen oder seinen Ehrgeiz zu vertrauen. Der Winter verging in träger Behaglichkeit. Sie redeten nur selten von den geschlagenen Schlachten, nur wenn Brutus betrunken war, ordnete er die Brotstücke auf dem Tisch an und zeigte Ciro, wie die Helvetier hätten vorgehen müssen. Die Legionen feierten gemeinsam mit den Städtern die Wintersonnenwende, zündeten auf jedem Haus Lampen an, damit das Versprechen des Frühlings auf allen Straßen zu sehen war. Ariminum glänzte wie ein Juwel in der Dunkelheit, und die Bordelle arbeiteten mit doppelter Besetzung. Von diesem Zeitpunkt an veränderte sich die gesamte Atmosphäre kaum wahrnehmbar. Nachdem die längste Nacht vorüber war, häuften sich auch die Berichte von mutwilliger Zerstörung und Raufereien auf Julius’ Schreibtisch, bis er beinahe versucht war, sie alle auf die Ebene hinauszuschicken, damit sie dort auf freiem Feld kampierten. Nach und nach verbrachte er immer mehr Zeit mit Versorgungs- und Soldangelegenheiten und verfiel wieder in die alten Gewohnheiten, die ihn sein gesamtes Erwachsenenleben über aufrecht gehalten hatten. Er vermisste Renius und Cabera mehr, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Mit einigem Erstaunen hatte er festgestellt, dass er der Älteste unter den Männern war, die sich Crassus’ Haus mit ihm teilten. Während die anderen zu erwarten schienen, dass er Ordnung in ihr Leben brachte, hatte er niemanden, an den er sich wenden konnte, und die Gewohnheiten des Krieges waren zu stark, als dass er sie hätte einfach so ablegen können. Obwohl er einige der Männer im Haus schon seit Jahren kannte, war er doch ihr Vorgesetzter, und es lag immer eine gewisse Zurückhaltung in ihrem Benehmen, wenn er in der Nähe war. Manchmal kam Julius das geschäftige Haus sonderbar einsam vor, aber das Nahen des Frühlings tat ein Übriges, um seine gute Laune wiederherzustellen. Er gewöhnte sich daran, mit Brutus und Octavian durch die Außenbezirke der Stadt zur reiten, damit sie wieder zu Kräften kamen. Ciro beobachtete ihn aufmerksam, wenn sie zusammen waren, und lächelte, wenn der alte Julius wieder zum Vorschein kam, wie flüchtig es auch sein mochte. Alles, was nicht zu sehen war, heilte die Zeit, und obwohl die Tage noch dunkel waren, spürten die Männer den Frühling bereits im Blut. Das Bündel Briefe, das an einem strahlenden Morgen eintraf, sah aus wie jedes andere. Julius bezahlte den Boten und sortierte sie in einzelne Stapel. Er erkannte Servilias Handschrift auf einem Brief für ihren Sohn und freute sich, weiter unten in dem Bündel einen zweiten zu finden, der an ihn adressiert war. Voller Vorfreude nahm er seinen Brief mit in den vorderen Raum des Hauses und zündete ein Feuer an. Er zitterte, als er das Siegel brach und den Brief öffnete. Beim Lesen erhob er sich von seinem Sitz und trat direkt in den Schein der aufgehenden Sonne. Er las den Brief von Servilia dreimal durch, bevor er glauben konnte, was dort stand. Dann ließ er sich wieder auf den Stuhl sinken, der Brief fiel ihm aus den Händen. Der Fürst der Kaufleute war gefallen. Crassus und sein Sohn hatten die Angriffe der Parther in Syrien nicht überlebt. Der Großteil der von Julius ausgebildeten Legion hatte sich freikämpfen können, aber Crassus hatte einen wilden Angriff angeführt, als er sah, wie sein Sohn vom Pferd stürzte, und der Feind hatte ihn vom Rest seiner Männer abgeschnitten. Die Legionäre hatten ihre Leichen geborgen, und Pompeius hatte einen Tag der Trauer für den alten Mann verkündet. Julius saß da und starrte in die Sonne, bis die Helligkeit zu viel für ihn wurde und seine Augen brannten. All die alten Namen waren jetzt dahin, und Crassus war ihm, trotz all seiner Fehler, in den dunkelsten Tagen ein Freund gewesen. Julius las Servilias eigenen Kummer zwischen den säuberlichen Zeilen, mit denen sie die Tragödie schilderte, aber Julius war nicht in der Lage, an sie zu denken. Er stand auf und schritt im Zimmer auf und ab. Abgesehen von dem persönlichen Verlust war Julius gezwungen zu überlegen, inwiefern der Tod des Crassus das Gleichgewicht der Macht in Rom verändern würde. Die Schlüsse, die er zog, gefielen im ganz und gar nicht. Pompeius würde am wenigsten darunter zu leiden haben. Als Diktator stand er über dem Gesetz und dem Triumvirat und würde lediglich Crassus’ Reichtum vermissen. Julius fragte sich, wer wohl jetzt das Vermögen des alten Mannes erben würde, nachdem Publius mit ihm umgekommen war, aber letztendlich spielte das kaum eine Rolle. Weitaus wichtiger war die Tatsache, dass Pompeius keinen erfolgreichen Heerführer mehr im Feld brauchte. Es konnte durchaus sein, dass er einen solchen Mann als Bedrohung betrachtete. Je genauer sich Julius die Folgen ausmalte, desto blasser wurde er. Wenn Crassus noch am Leben wäre, hätte man einige neue Kompromisse aushandeln können, aber diese Hoffnung war mit ihm in Parthien gestorben. Schließlich wusste Julius, dass er rasch reinen Tisch gemacht hätte, wäre er an Pompeius’ Stelle gewesen, bevor ihm jemand seine Stellung streitig machen konnte. Politik war, wie ihm Crassus einst gesagt hatte, ein blutiges Geschäft. Unvermittelt ging Julius mit schnellen Schritten zum Tisch und öffnete die restlichen Briefe, wobei er jeweils nur die ersten Zeilen durchlas, bis er erstarrte und tief Luft holte. Pompeius hatte ihm geschrieben, und Julius spürte, wie beim Lesen seiner aufgeblasenen Befehle Zorn in ihm aufstieg. In den Zeilen wurde Crassus’ Tod nicht einmal erwähnt! Angewidert schleuderte Julius den Brief zu Boden und fing an, erneut auf und ab zu schreiten. Obwohl er wusste, dass er von dem Diktator nicht mehr hätte erwarten dürfen, war es ein Schlag, seine Zukunft in diesen Zeilen zu lesen. Die Zimmertür wurde aufgerissen, und Brutus kam mit seinem eigenen Stapel Briefen herein. »Hast du’s schon erfahren?«, fragte er. Julius nickte. In seinem Kopf nahmen bereits erste Pläne Gestalt an. »Schicke Männer aus, Brutus, sie sollen die Legionen zusammenrufen. Sie sind über den Winter fett und behäbig geworden, und ich will, dass sie bis morgen Mittag die Stadt verlassen und mit Manövern angefangen haben.« Brutus sah ihn verdutzt an. »Gehen wir nach Gallien zurück? Was ist mit Crassus? Ich glaube nicht, dass ...« »Hast du mich verstanden?«, brüllte Julius ihn an. »Die Hälfte unserer Männer ist so gut wie nutzlos, mit ihren Huren und ihrem Wein. Sag Marcus Antonius, dass wir aufbrechen. Er soll am Hafen anfangen und alle zusammentreiben!« Brutus stand sehr still da. Fragen drängten sich ihm auf, aber er würgte sie ab, seine Disziplin zwang ihn zu salutieren. Dann ging er hinaus, und Julius hörte, wie seine Stimme die anderen im Haus aufscheuchte. Julius dachte wieder an Pompeius’ Brief und an den Verrat. Kein Hinweis auf die Jahre, die sie einander schon kannten, war in seinen Worten zu finden gewesen. Es war der formelle Befehl, nach Rom zurückzukehren – und zwar allein. Zurück zu dem Mann, der ihn als Einziger auf der ganzen Welt so sehr fürchtete, dass er ihn töten würde. Julius fühlte sich schwach, und ihm wurde schwindlig, als er die Konsequenzen durchdachte. Pompeius hatte keinen Rivalen, bis auf einen, und Julius traute seinem Versprechen von sicherem Geleit keinen Augenblick. Wenn er sich jedoch widersetzte, bedeutete das einen Kampf auf Leben und Tod, der sehr wohl die Stadt vernichten konnte, und mit ihr alles, was Rom im Laufe von Jahrhunderten erreicht hatte. Er schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Die Stadt erstickte ihn, er sehnte sich nach dem frischen Wind der Ebenen. Dort konnte er nachdenken und seine Antwort planen. Er würde die Männer am Ufer des Rubikon sammeln und um die Weisheit für die richtige Entscheidung beten. Regulus stand allein in dem kleinen Innenhof von Crassus’ Haus und blickte auf den Brief in seiner Hand. Ein Unbekannter hatte die Worte auf das Pergament geschrieben, aber es konnte nur einen Urheber geben. Nur zwei Worte hockten wie Spinnen mitten auf der ansonsten leeren Seite. Trotzdem las er sie mit versteinerten Zügen wieder und wieder. Töte ihn, stand dort. Regulus erinnerte sich an sein letztes Gespräch mit Pompeius in Ariminum. Damals hatte er nicht mit der Wimper gezuckt, aber das war vor seiner Zeit mit Julius in Britannien gewesen, bevor er ihn in Avaricum, Gergovia und Alesia hatte kämpfen sehen. Und schließlich hatte Regulus gesehen, wie Julius Legionen weit über den Punkt hinausgeführt hatte, an dem andere verzagt hätten und vernichtet worden wären. Von da an hatte er gewusst, dass er einem größeren Mann als Pompeius folgte, und nun hielt er den Befehl in der Hand, seinen Feldherrn zu ermorden. Er wusste, dass der Auftrag leicht zu erfüllen wäre. Nach so vielen gemeinsamen Jahren vertraute ihm Julius rückhaltlos, und Regulus glaubte, dass zwischen ihnen sogar eine Art Freundschaft entstanden war. Julius würde ihn nahe herankommen lassen, und dann würde das seine nur ein weiteres in der langen Reihe der Leben sein, die Regulus für Rom ausgelöscht hatte. Nur ein Befehl mehr, den es zu befolgen galt, wie er schon so viele tausend andere befolgt hatte. Die morgendliche Brise strich kühl über die Haut des Zenturios, der den Brief erst in zwei und dann in vier Stücke zerriss und erst damit aufhörte, als der Wind die kleinen Fetzen mit sich davontrug. Es war der erste Befehl, den er jemals missachtet hatte, und sein Ungehorsam brachte ihm Frieden. 46 Pompeius lehnte sich an die Säule des Jupitertempels und blickte über die vom Mondlicht beschienene Stadt unterhalb des Kapitols. Diktator. Der Gedanke ließ ihn den Kopf schütteln und in die Dunkelheit lächeln. Die Stadt lag friedlich vor ihm. Schon jetzt konnte man sich das Treiben der Banden und die Unruhen, die ihm einst wie das Ende der Welt vorgekommen waren, kaum mehr vorstellen. Pompeius schaute zum neuen Senatsgebäude hinüber und erinnerte sich an die Flammen und die Schreie in der Nacht. In wenigen Jahren würde sich in der Stadt niemand mehr an Clodius und Milo erinnern, aber Rom existierte weiter – und es gehörte ihm allein. Der Senat hatte seine Diktatur ohne den geringsten Druck seinerseits verlängert. Und das würde wieder geschehen, so lange er es wollte. Sie hatten erkannt, dass es einer starken Hand bedurfte, um all die Gesetze zu durchschlagen, mit denen sie sich selbst die Hände gebunden hatten. Manchmal war so etwas einfach notwendig, damit die Stadt nicht vor die Hunde ging. Ein Teil von Pompeius wünschte sich, Crassus hätte noch erleben können, was er aus dem Durcheinander gemacht hatte. Die Heftigkeit des Kummers, den Pompeius bei der Nachricht von Crassus’ Tod empfunden hatte, hatte ihn selbst erstaunt. Sie hatten sich mehr als 30 Jahre gekannt, in Zeiten des Friedens und in Zeiten des Krieges, und Pompeius vermisste die Gesellschaft des alten Mannes. Vermutlich konnte man sich an alles gewöhnen. Er hatte in seinem Leben so viele fallen sehen. Manchmal fiel es ihm schwer zu glauben, dass ausgerechnet er derjenige war, der diese turbulenten Jahre überlebt hatte, während Männer wie Marius, Sulla, Cato und Crassus einer nach dem anderen über den Fluss gegangen waren. Er hingegen war immer noch da, und es gab mehr als nur ein Rennen im Leben. Manchmal bestand der einzige Weg zum Triumph darin, alle anderen zu überleben. Auch das konnte eine besondere Fähigkeit sein. Die leichte Brise ließ Pompeius erschauern, und er überlegte, ob er nach Hause gehen und ein wenig ruhen sollte. Dann jedoch wanderten seine Gedanken zu Julius und zu den Briefen, die er nach Norden geschickt hatte. Würde ihm Regulus die Entscheidung abnehmen? Pompeius wünschte es sehnlichst. Der Teil von ihm, der sein Ehrgefühl beherbergte, schämte sich für das, was er befohlen hatte und worüber er immer noch nachdachte. Er dachte an Julius’ Tochter, die schwer an dem neuen Leben in ihrem Leib trug. Ihr starker Wille half ihr durch die Schwierigkeiten, die es mit sich brachte, die Frau des mächtigsten Mannes von Rom zu sein. Trotzdem konnte er seine Pläne nicht mit jemandem von Cäsars Blut teilen. Sie hatte ihre Pflicht erfüllt und stand zu dem alten Abkommen, das er mit ihrem Vater getroffen hatte. Es gab nichts mehr, was er noch von ihr brauchte. Jetzt, da er darüber nachsann, wurde ihm klar, dass er seine Macht niemals teilen würde. Julius würde entweder im Norden getötet werden, oder er würde seinem Befehl nachkommen; das Resultat wäre dasselbe. Pompeius seufzte bei dem Gedanken und schüttelte den Kopf in aufrichtigem Bedauern. Er durfte nicht zulassen, dass Cäsar am Leben blieb, sonst würde er eines Tages den Senat betreten, und dann würden die blutigen Jahre von neuem beginnen. »Ich werde es nicht zulassen«, flüsterte er in den Wind, und es gab niemanden, der seine Worte hörte. Julius saß am Ufer des Rubikon und blickte nach Süden. Er wünschte, Cabera oder Renius wären hier, um ihm mit ihrem Rat zur Seite zu stehen, aber letztendlich musste er die Entscheidung allein treffen, wie so viele Entscheidungen zuvor. In der Nacht rings um ihn lagerten seine Legionen. Er hörte die Wachen ihre Runden in der Dunkelheit abschreiten, und die gedämpft ausgetauschten Parolen bedeuteten Routine und Sicherheit. Der Mond stand hell am klaren Frühlingshimmel, und Julius lächelte, als er den Blick über die Männer schweifen ließ, die bei ihm saßen. Neben ihm hockte Ciro, auf der anderen Seite waren Brutus und Marcus Antonius, und sie alle schauten über das schimmernde Band des Flusses. Octavian stand nicht weit entfernt bei Regulus, Domitius lag auf dem Rücken und sah zu den Sternen hinauf. Es war so leicht, sich Renius dort vorzustellen, und Cabera neben ihm. Irgendwie waren sie in seiner Vorstellung die Männer, an die er sich erinnerte, bevor Krankheit und Verwundung sie ihm genommen hatten. Publius Crassus und sein Vater waren tot, ebenso wie Bericus. Sein eigener Vater und Tubruk. Cornelia. Der Tod war ihnen allen gefolgt und hatte sie einen nach dem anderen zur Strecke gebracht. »Wenn ich die Legionen nach Süden führe, bedeutet das einen Bürgerkrieg«, sagte Julius leise. »Meine arme, geschundene Stadt wird noch mehr Blut sehen. Wie viele würden wohl in diesem Jahr für mich sterben?« Sie schwiegen lange, und Julius wusste, dass sie sich den Frevel, ihre eigene Stadt anzugreifen, kaum vorstellen konnten. Er wagte selbst kaum, es auszusprechen. Sulla hatte es getan und wurde noch heute dafür verachtet. Nach einer solchen Tat gab es für keinen von ihnen mehr einen Weg zurück. »Du hast gesagt, Pompeius hätte dir sicheres Geleit versprochen«, sagte Marcus Antonius schließlich. Brutus schnaubte verächtlich. »Unser Diktator hat keine Ehre im Leib, Julius. Vergiss das nicht. Er hat Salomin beim Turnier halbtot schlagen lassen – wo war da seine Ehre? Er ist zu klein für die Fußstapfen des Marius. Wenn du allein zu ihm gehst, lässt er dich niemals wieder ziehen. Sobald du durch das Stadttor geschritten bist, hetzt er seine Messer auf dich. Das weißt du ebenso gut wie wir alle.« »Was bleibt dir anderes übrig?«, fragte Marcus Antonius. »Einen Bürgerkrieg gegen dein eigenes Volk? Ob die Männer uns überhaupt folgen würden?« »Ja«, ertönte Ciros Bass aus der Dunkelheit. »Das würden wir.« Keiner von ihnen wusste, wie er dem großen Mann antworten sollte, und wieder herrschte angestrengtes Schweigen. Sie hörten den Fluss über die Steine plätschern, und sie hörten die Stimmen der Männer rings um sie herum. Bald würde der Morgen dämmern, und Julius war einer Entscheidung immer noch nicht näher als am Anfang. »Solange ich mich erinnern kann, bin ich im Krieg gewesen«, sagte er leise. »Manchmal frage ich mich, wozu es gut war, wenn ich hier und jetzt damit aufhöre. Wofür habe ich das Leben meiner Freunde hingegeben, wenn ich mich jetzt demütig in den eigenen Tod füge?« »Vielleicht ist es ja nicht dein Tod! «, sagte Marcus Antonius. »Du sagst, du kennst den Mann, aber er hat versprochen ...« »Nein«, unterbrach ihn Regulus. Er trat einen Schritt auf Julius zu, und Marcus Antonius blickte zu ihm auf. »Nein. Pompeius würde dich niemals am Leben lassen. Ich weiß es.« Julius sah die angespannten Züge des Zenturios im Mondlicht und erhob sich. »Woher?«, fragte er. »Weil ich sein Vertrauter war, und weil du Ariminum nicht verlassen solltest. Ich habe von ihm den Befehl bekommen, dich zu töten.« Alle sprangen auf, und Brutus schob sich energisch zwischen Regulus und Julius. »Du Dreckskerl! Was redest du da?«, fragte Brutus und legte die Hand an den Schwertgriff. Regulus sah ihn nicht an, sondern hielt noch immer Julius’ Blick stand. »Ich konnte den Befehl nicht ausführen«, sagte er. Julius nickte. »Es gibt Befehle, die nicht befolgt werden sollten, mein Freund. Ich bin froh, dass du das erkannt hast. Setz dich hin, Brutus. Wenn er mich töten wollte, würde er es bestimmt nicht vorher ankündigen. Setz dich!« Widerwillig ließen sich alle wieder ins Gras sinken, nur Brutus funkelte Regulus immer noch böse an. Er traute ihm noch immer nicht. »Pompeius hat nur eine Legion zum Schutz der Stadt in Rom stehen«, sagte Domitius nachdenklich. Julius warf ihm einen kurzen Blick zu, und Domitius zuckte die Achseln. »Ich meine, wir könnten es schaffen, wenn wir rasch vorgehen, bevor er Verstärkung heranziehen kann. Wenn wir uns beeilen, stehen wir in einer Woche vor den Mauern der Stadt. Gegen unsere kampferprobten Legionen kann er Rom nicht einmal einen Tag lang halten.« Marcus Antonius verzog angewidert das Gesicht, und Domitius musste lachen, als er seine Miene sah. Es wurde bereits heller am Horizont, und als Domitius fortfuhr und die Hände hob, blickten sie einander vorsichtig an. »Es wäre zu schaffen, mehr sage ich nicht. Ein Einsatz aufs Ganze. Ein Würfelspiel für Rom.« »Meinst du, du könntest Legionäre töten?«, fragte ihn Julius. Domitius rieb sich das Gesicht und schaute weg. »Ich will sagen, dass es vielleicht gar nicht so weit kommt. Unsere Soldaten sind in Gallien abgehärtet worden. Wir wissen, wozu sie in der Lage sind. Ich glaube nicht, dass Pompeius uns irgendetwas entgegensetzen kann.« Brutus sah den Mann an, dem er seit seiner Kindheit gefolgt war. Er hatte in ihren gemeinsamen Jahren mehr Bitterkeit heruntergeschluckt, als er für möglich gehalten hätte, und als sie jetzt so beisammensaßen, wusste er nicht, ob Julius überhaupt verstand, was er ihm alles gegeben hatte. Seinen Stolz, seine Ehre, seine Jugend. Alles. Er kannte Julius besser als jeder andere, und er sah das Glitzern in den Augen seines Freundes, während dieser einen weiteren Krieg in Erwägung zog. Wie viele von ihnen würden seinen Ehrgeiz überleben?, fragte er sich. Die anderen sahen so vertrauensselig aus, dass Brutus am liebsten die Augen geschlossen hätte, damit ihm nicht schlecht wurde. Doch trotz allem wusste er, dass Julius ihn mit einem einzigen Wort auf seine Seite bringen würde. Domitius räusperte sich. »Es ist deine Entscheidung, Julius. Wenn du willst, dass wir nach Gallien zurückkehren und dort verschwinden, bin ich dabei. Die Götter wissen, dass man uns an einigen der Orte, wo wir gewesen sind, niemals finden wird. Aber wenn du nach Rom ziehen und noch einmal alles riskieren willst, bin ich ebenfalls dabei.« »Noch ein letztes Mal die Würfel werfen?«, fragte Julius, und es war deutlich, dass die Frage an sie alle gerichtet war. Einer nach dem anderen nickte, bis nur noch Brutus übrig blieb. Julius hob die Augenbrauen und lächelte sanft. »Ohne dich schaffe ich es nicht, Brutus. Das weißt du.« »Nun gut. Noch einen Wurf«, flüsterte Brutus und wandte den Blick ab. Als die Sonne über dem Horizont stieg, überschritten die kriegserfahrenen Legionen aus Gallien den Rubikon und marschierten auf Rom zu. HISTORISCHE ANMERKUNG Wie schon in den beiden vorhergehenden Büchern halte ich einige erklärende Hinweise für nützlich, insbesondere da die Wahrheit manchmal erstaunlicher ist als die Dichtung. Ich erwähne in dem Buch immer wieder Alexander den Großen als Vorbild für Julius. Das Leben des Griechenkönigs war allen gebildeten Römern, die sich sehr für die Geschichte und Kultur der Griechen interessierten, sicherlich wohl bekannt. Obwohl der Schauplatz Cadiz war, nicht ein verlassenes spanisches Dorf, so ist uns doch durch Suetonius, den Biographen aus dem ersten Jahrhundert, das Detail eines zu Füßen einer Statue Alexanders enttäuscht seufzenden Cäsars überliefert. Im Vergleich zu diesem hatte Julius im Alter von 31 Jahren so gut wie nichts erreicht. Er konnte nicht wissen, dass seine größten Erfolge noch vor ihm lagen. Es ist bekannt, dass Julius neben seinen Ehefrauen eine Reihe prominenter Geliebter hatte; von Suetonius wissen wir jedoch, dass Servilia diejenige war, die er am meisten geliebt hat. Julius kaufte ihr tatsächlich eine Perle, deren Wert auf anderthalb Millionen Denare geschätzt wurde. Womöglich war die Hoffnung, dort noch mehr von diesen Perlen zu finden, ein Grund für seine Invasion Britanniens. In Spanien war er Quästor, bevor er als Prätor zurückkehrte, worauf ich aus Gründen des Erzähltempos nicht näher eingegangen bin. Er war umtriebiger, als jeder Autor beschreiben könnte, so dass auch eine komprimierte Version seines Lebens diese Bücher fast bis zum Bersten füllt. Er veranstaltete wirklich ein Schwertturnier um eine Rüstung aus reinem Silber und häufte in seinem Streben nach Ruhm und Bekanntheit gewaltige Schulden an. Es entspricht der Wahrheit, dass er einmal sogar die Stadt verlassen musste, um seinen Gläubigern zu entgehen. Er wurde gemeinsam mit Bibulus Konsul und jagte seinen Kollegen nach einem Streit vom Forum. Während Bibulus’ Abwesenheit wurde es in Rom zu einer Art Treppenwitz zu behaupten, ein Dokument sei von Julius und von Cäsar unterzeichnet. Ein minderer Punkt: Der Falerner, die Weinsorte, die Julius in sein Familiengrab goss, war so teuer, dass ein Becher dem Wochenlohn eines Legionärs entsprach. Unglücklicherweise wuchsen die Trauben am Hang des Vesuvs nahe der Stadt Pompeji, so dass ihr Geschmack im Jahre 79 n. Chr. für immer verloren ging. Die Verschwörung des Catilina war damals eine ebenso gewichtige Sache wie die Pulververschwörung viele Jahrhunderte später in England. Die Verschwörung flog auf, als einer der Beteiligten sich einer Geliebten anvertraute, die das Gehörte weitererzählte. Julius wurde, wahrscheinlich fälschlicherweise, als einer der Verschwörer genannt, ebenso Crassus. Beide Männer überlebten den Aufstand und konnten sich auch politisch unbeschadet aus der Affäre ziehen. Catilina verließ die Stadt, um sich an die Spitze der Rebellenarmee zu stellen, während seine Freunde in der Stadt Chaos und Aufstände anzetteln sollten. Ein Teil der Beweise gegen die Aufständischen zeigte, dass sie einen gallischen Stamm um Krieger gebeten hatten. Nach einer hitzigen Debatte darüber, wie man mit ihnen verfahren sollte, wurden die Verschwörer rituell erdrosselt; Catilina fiel in der Schlacht. Den größten Teil der zweiten Hälfte dieses Buches nehmen die Eroberungen Galliens und Britanniens ein. Ich bin den Hauptgeschehnissen gefolgt, die mit der Wanderung der Helvetier und dem Sieg über Ariovist einsetzen. Hier sollte erwähnt werden, dass Julius Cäsar manchmal die einzige vorhandene Quelle ist, aus der man auf Einzelheiten aus dem Feldzug zurückgreifen kann, aber er vermerkt Fehler und Katastrophen ebenso wahrheitsgetreu wie seine Siege. So erzählt er beispielsweise freimütig, wie ihn eine falsch verstandene Meldung dazu verleitete, sich vor seinen eigenen Leuten zurückzuziehen, weil er sie für den Feind hielt. In seinen Kommentaren beziffert er die Zahl der Helvetier und ihrer verbündeten Stämme mit 386000. Nur 110000 wurden zurück in ihre Heimat geschickt. Gegen sie führte er sechs Legionen nebst Hilfstruppen ins Feld – höchstens 35000 Mann. Seine Schlachten waren nur selten ein einfaches Kräftemessen. Er ging Bündnisse mit unbedeutenderen Stämmen ein und kam ihnen dann zu Hilfe. Wenn es nötig war, kämpfte er bei Nacht, auf jedem Territorium, er umging seine Gegner, lockte sie in die Falle oder manövrierte sie aus. Als Ariovist nur Berittene zu ihrem Treffen zuließ, befahl Julius den Fußsoldaten seiner Zehnten Legion, in den Sattel zu steigen, was ein denkwürdiger Anblick gewesen sein musste. Ich hatte Sorge, dass die immensen Entfernungen, die er zurücklegte, übertrieben sein müssten, bis meine Cousine an einem Marsch über 60 Meilen teilnahm. Sie und ihr Ehemann schafften es in 24 Stunden, die Soldaten eines Ghurka-Regiments jedoch waren in neun Stunden und 57 Minuten am Ziel. Zweieinhalb Marathons, nonstop. Man muss sich in unseren modernen Zeiten vorsehen, in denen Rentner anscheinend auf Skiern den Mount Everest hinunterfahren, aber ich glaube, dass die Legionen in Gallien dieses Tempo halten konnten und, wie die Ghurkas, am Ziel trotzdem noch in der Lage waren zu kämpfen. Es ist nicht so weit hergeholt anzunehmen, dass Adàn die Sprache der Gallier und sogar den Dialekt der Britannier verstehen konnte. Die ursprünglichen Kelten kamen von einem unbekannten Ort nach Europa, womöglich aus dem Kaukasus. Sie siedelten sich in Spanien, Frankreich, Britannien und Deutschland an. England wurde erst viel später römisch-angelsächsisch dominiert und hat sich natürlich viele dieser Unterschiede bis in die heutige Zeit erhalten. Es ist nicht leicht, sich in Julius’ Weltsicht hineinzuversetzen. Er war sehr belesen und musste Strabos’ Werke gekannt haben. Er wusste, dass Alexander nach Osten gezogen war, und Gallien war sehr viel näher. Von Britannien musste er aus griechischen Quellen erfahren haben, nachdem Pytheas drei Jahrhunderte zuvor als der womöglich erste Tourist der Welt dorthin gereist war. Obwohl Pytheas’ Schriften verloren gegangen sind, besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie damals nicht mehr im Umlauf waren. Julius hatte bestimmt von Perlen, Zinn und Gold gehört, was ihn von Gallien aus über den Kanal lockte. Geographisch vermutete er Britannien eher westlich von Spanien als nördlich, mit Island dazwischen. Bei seiner ersten Landung wusste er nicht viel darüber, die Insel hätte sogar ein Kontinent von der Größe Afrikas sein können. Seine erste Invasion Britanniens im Jahre 55 v. Chr. verlief verhängnisvoll. Unwetter zerstörten seine Schiffe, und an Land traf er auf den erbitterten Widerstand blauhäutiger Eingeborener mit wilden Hunden. Die Zehnte musste sich buchstäblich durch die Brandung an Land kämpfen. Er blieb nur drei Wochen und kam im Jahr darauf mit 800 Schiffen zurück. Diesmal erzwang er sich einen Weg bis zur Themse. Trotz der gewaltigen Flotte hatte er seine Kräfte überdehnt und kam kein drittes Mal zurück. Nach allem, was wir wissen, zahlten die Eingeborenen den nie versprochenen Tribut. Hätte Vercingetorix seine große Schlacht gegen Julius gewonnen, er stünde heute in der Geschichte ähnlich da wie König Arthur. Napoleon III. ließ ihm in späteren Zeiten eine Statue errichten, in Anerkennung seiner Errungenschaften und seiner Stellung in der Geschichte. Er einte die Stämme und erkannte, dass verbrannte Erde und das Aushungern der Legionen die einzige Möglichkeit war, sie zu besiegen. Aber sogar sein gewaltiges Heer wurde von den Legionen geschlagen. Der Hochkönig der Gallier wurde in Ketten nach Rom gebracht und dort hingerichtet. Genaue Daten zu dem Triumvirat mit Crassus und Pompeius sind nicht bekannt. Mit Sicherheit gereichte die Übereinkunft allen drei Männern zum Vorteil, und Julius’ Aufenthalt in Gallien wurde nach dem Ende seines Jahres als Konsul lange Jahre fortgesetzt. Interessanterweise hatte er zu dem Zeitpunkt, als Pompeius ihm nach der Zeit in Gallien den Befehl überbringen ließ, allein nach Rom zu kommen, die zehn Jahre Pause nahezu hinter sich gebracht, die das Gesetz hinsichtlich einer neuerlichen Bewerbung um den Posten des Konsuls vorschreibt. Hätte sich Julius zu diesem Zeitpunkt eine zweite Amtszeit als Konsul gesichert, wäre er unantastbar gewesen, was Pompeius sicherlich fürchtete. Clodius und Milo sind keine erfundenen Gestalten. Beide Männer waren Teil der Wirren, die Rom beinahe zerstörten, während Julius sich in Gallien aufhielt. Straßenbanden, Krawalle und Morde waren beinahe alltäglich, und als Clodius schließlich umgebracht wurde, verbrannten ihn seine Anhänger tatsächlich im Senat, wodurch das Gebäude bis auf die Grundmauern abbrannte. Pompeius wurde mit dem Mandat, die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen, zum einzigen Konsul gewählt. Selbst zu jener Zeit hätte das Abkommen des Triumvirats noch halten können, wäre Crassus nicht gemeinsam mit seinem Sohn im Kampf gegen die Parther gefallen. Nachdem sein Tod bekannt wurde, gab es nur noch einen Mann, der Pompeius gefährlich werden konnte. Schließlich stelle ich in meinem Buch die eine oder andere Behauptung auf, die Historiker vielleicht verärgern könnten. Es ist umstritten, ob die Römer bereits Stahl kannten oder nicht, aber es ist möglich, weichem Eisen einen härteren Mantel zu geben, wenn man es in Holzkohle hämmert. Stahl ist letztendlich nur Eisen mit einem unwesentlich höheren Kohlenstoffgehalt. Ich glaube nicht, dass dieses Verfahren jenseits der Möglichkeiten der Römer lag. Außerdem war ich mir unsicher, ob es manchen Lesern nicht zu unglaubwürdig vorkommt, wenn ich dem Gallier Artorath beinahe 2,20 Meter Körpergröße zuschreibe, aber Sir Bevil Grenville (1596–1643) hatte einen Leibwächter namens Anthony Payne, der über 2,30 Meter maß, und der hätte sich Artorath wahrscheinlich mit Leichtigkeit über die Schulter werfen können. Es gibt Hunderte weiterer winziger Fakten, die ich hier anführen könnte, wenn ich genügend Platz dafür hätte. Wenn ich die Geschichte im Buch verändert habe, so hoffe ich, dass es absichtlich geschah und nicht aus Unwissen. Dabei habe ich versucht, so genau wie möglich zu sein. Falls jemand sich genauer mit der Zeit und den Geschehnissen beschäftigen möchte, empfehle ich Caesar’s Legion von Stephen Dando-Collins, ein faszinierendes Buch, ebenso Die Legionen Roms von Adrian Goldsworthy sowie alles andere von diesem Autor. Suetonius’ Das Leben der Caesaren sollte Pflichtlektüre in jeder Schule sein. Mir liegt die Version in der Übersetzung von Robert Graves vor, und offensichtlich sagt die Wahl des Imperators, der einem am meisten zusagt, sehr viel über den eigenen Charakter aus. Und schließlich können diejenigen, die noch mehr über Julius wissen wollen, keine bessere Wahl treffen, als Christian Meiers Buch Caesar zu lesen. Conn Iggulden